CEPIS bündelt die Kräfte der europäischen Informatik-Fachgesellschaften

"Die Informatik muß in Europa einen höheren Stellenwert bekommen"

29 nationale Informatik-Fachgesellschaften aus 23 Ländern engagieren sich im "Council of European Professional Informatics Societies", kurz CEPIS, um die Potentiale der Informatik durch Information und Ausbildungsinitiativen besser für Europa zu erschließen. Außerdem hat sich der Verband die Definition von "Informatik-Kompetenz" und ethischen Regeln für Informatikerinnen und Informatiker im Beruf zur Aufgabe gemacht. Die Initiativen sollen nicht nur zu mehr Qualität in Softwaresystemen führen, sondern auch zu einer besseren Ausbildung derjenigen, die diese Systeme nutzen. Der Karlsruher Informatikprofessor Dr. Wolffried Stucky vom Institut für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren (AIFB) der Universität Karlsruhe (TH) ist Vizepräsident der Dachorganisation, die insgesamt rund 150.000 beruflich in der Informatik tätige Menschen vertritt.

BITOnline: Herr Professor Stucky, wie wird man CEPIS-Vizepräsident?

Prof. Stucky (schmunzelt): Das ist eine gute Frage. Zu diesem Ehrenamt kommt man meistens, weil man sich vorher schon auf nationaler Ebene für die Informatik eingesetzt hat. Ich war von 1996 und 1997 Präsident der Gesellschaft für Informatik (GI) e.V., in der rund 20.000 deutschsprachige Informatikerinnen und Informatiker organisiert sind. Der Vorstand von CEPIS ist natürlich international besetzt. Der amtierende Präsident kommt aus England, der nächste wird, wenn nichts dazwischenkommt, ein Niederländer sein. Der Schatzmeister ist Österreicher, der Schriftführer Ire und zwei weitere Vizepräsidenten kommen aus Dänemark und Polen. Die Organisation besteht seit 1991. Zwischenzeitlich beteiligen sich 29 Fachgesellschaften aus 23 Ländern daran. Die GI war eines von neun Gründungsmitgliedern.

BITOnline: Welche Aufgaben und Ziele hat die CEPIS?

Prof. Stucky: Die CEPIS will Sprachrohr und Vertretung der professionellen europäischen Informatik-Szene sein. Erklärtes Satzungsziel ist es, die Interessen der Menschen, die in Europa in der Informatik und verwandten Fachgebieten arbeiten, gegenüber europäischen Behörden und Institutionen zu wahren, Ausbildungsstandards und Regeln für den Umgang mit Informatik und Informationstechnik zu definieren und gleichzeitig die Informatik in Europa voranzubringen. Die CEPIS will deutlich machen, welche Potentiale in der professionellen Anwendung von Informatik im Hinblick auf den internationalen Wettbewerb und die Schaffung von Arbeitsplätzen stecken. Die Informatik muß in Europa einen höheren Stellenwert bekommen. Ich betone: Die Informatik, nicht die Informationstechnik, über die ohnehin jedermann spricht - sondern die Informatik; die Wissenschaft, die den informationstechnischen Geräten und Anlagen ihre "Intelligenz" gibt. In Europa gibt es viel wissenschaftliches Fachwissen zu den Grundlagen, den Methoden und der professionellen Anwendung von Informatik. Das beginnt bei der Entwicklung und Erprobung neuer Algorithmen, geht über die Geschäftsprozeßanalyse bis hin zur Modellierung und Realisierung komplexer Informations- und Anwendungssysteme und hört beim Usability Engineering noch lange nicht auf. Wir müssen diese Kompetenz viel stärker zu unserem Vorteil nutzen.

BITOnline: Was tut die CEPIS konkret dafür?

Prof. Stucky: Zunächst tauschen wir untereinander Informationen aus und versuchen dann, nationale Initiativen zum Vorteil aller zu bündeln und beispielhafte Ansätze zum Vorbild für europaweite Initiativen zu machen. So ist zum Beispiel auch der europäische Computerführerschein ECDL (European Computer Driving Licence) entstanden. Der ECDL bestätigt dem Inhaber einen geprüften Wissenstand und Fertigkeiten, die ihn als "ausgebildeten Fahrer eines Computers" qualifizieren. Der Computerführerschein wurde in Finnland erfunden und dort 1994 erstmals eingeführt. CEPIS hat die finnische Idee übernommen und eine Task-Force mit der Weiterentwicklung des Konzepts beauftragt. 1997 wurde dann zur Verwaltung und Vermarktung des ECDL die ECDL-Foundation gegründet. 14 Länder sind Mitglied. Das Zertifikat wird international anerkannt. Rund 70.000 Computerführerscheine sind bereits ausgegeben worden.

Neben den Aus- und Weiterbildungsinitiativen engagiert sich die CEPIS noch in drei weiteren Bereichen sehr stark. Sie versucht, durch aufklärende Information zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu vermitteln und bietet in diesem Rahmen zum Beispiel Behörden und politischen Gremien fachliches Wissen an, um Verwaltung und Mandatsträger im Vorfeld wichtiger Entscheidungen beratend zu unterstützen. Außerdem hat sich die CEPIS die Definition von "Informatik-Kompetenz" und ethischen Regeln zur Aufgabe gemacht.

BITOnline: Was, bitte, muß man sich in diesem Zusammenhang unter "ethischen Verhaltensregeln" vorstellen?

Prof. Stucky: Das freiwillige Einhalten von festgeschriebenen Verhaltensregeln beim Umgang mit Informatik, Software, Computer und Netzen. Die CEPIS will diese Regeln vor allem für Informatikerinnen und Informatiker im Beruf definieren, damit sie Anhaltswerte bei der Ausübung ihrer Arbeit haben. Das globale Netz sprengt bekanntermaßen nicht nur alle geografischen Grenzen, sondern auch viele kulturelle. Im Netz treffen höchst unterschiedliche Menschen und Kulturen aufeinander. Nicht jeder Netzteilnehmer teilt unsere Wertvorstellungen oder ist bereit, sich an die bereits jetzt existierenden, freiwilligen Verhaltensregeln im Netz - die Netiquette - zu halten.

In der professionellen Informatik reichen die ethischen Fragen weit über die Netiquette hinaus. Ich will hier stellvertretend nur die Medizininformatik nennen. Wie weit kann und darf Informatik in die Kunst der Ärzte eingreifen? Wie weit soll sie eingreifen, und wo sind die Grenzen erreicht? Wer legt die Grenzen fest? Für solche Fragen wollen wir gemeinsam Empfehlungen - ethische Verhaltensregeln - erarbeiten. In vielen CEPIS-Teilnehmerländern gibt es seit mehreren Jahren Arbeitskreise zu Themen wie Medizin und Informatik oder Informatik und Datenschutz. Die CEPIS will sie koordinieren und versuchen, sie zumindest für Europa aufeinander abzustimmen.

BITOnline: Und was versteht die CEPIS unter "Informatik-Kompetenz"?

Prof. Stucky: Ich gebe zu, das klingt zunächst etwas abgehoben, ist es aber nicht. Wir brauchen in der Informatik Kompetenzprofile, so wie sie in anderen Wissenschaften, vor allen Dingen den Ingenieurwissenschaften, selbstverständlich sind. Die Computersysteme werden immer komplexer. Wir übergeben ihnen immer mehr Aufgaben, die zum Teil bereits heute hochkritisch sind; etwa die Steuerung von medizinischen Kontrollsystemen, von Fahrzeugen oder von sicherheitstechnischen Anlagen. Es wäre fahrlässig, die Entwicklung, Konstruktion und Realisierung sowie die Kontrolle und Wartung Menschen zu überlassen, die vielleicht mit den Bauteilen und den Softwaremodulen umgehen können, aber nicht verstehen, was innerhalb des Systems geschieht. Es ist ja heute in der Praxis schon häufig so, daß bei Problemen mit Computern nicht mehr Fehler analysiert werden, sondern einfach eine neue Version drübergespielt wird. Auf diese Weise werden die Systeme immer unübersichtlicher. Wenn es unglücklich läuft, multiplizieren sich die Fehler, und irgendwann ist alles so verfilzt, daß keiner mehr durchblickt. Bei Computerspielen mag das unwichtig sein. Bei Geschäfts- und Produktionsprozessen geht es, wenn auch nicht immer um sicherheitskritische Anwendungen, so doch fast immer um viel Geld. Die Informatik muß die Lauffähigkeit und Kontrollierbarkeit der Systeme sicherstellen können. Bei Berufen im Ingenieurwesen ist dieser Anspruch für uns eine Selbstverständlichkeit. In der Informatik muß er erst noch etabliert werden. Die CEPIS will Profile beschreiben, die die Kompetenz in Informatik prüfbar machen.

BITOnline: Was bedeutet das für unseren Leserkreis, die Bibliothekarinnen und Bibliothekare und die Dokumentare der Informations- und Kommunikationswirtschaft?

Prof. Stucky: Die größten wirtschaftlichen Erfolge in Ihrer Branche werden im Augenblick durch Informatik-Kompetenz erzielt. Kompetenz, die sowohl auf Seiten der Technik wie auf Seiten der Anwenderinnen und Anwender vorhanden sein muß. Sie ist die unabdingbare Grundlage für eine erfolgreiche Umstellung des Publikations- und Informationswesens auf digitale Medien, die ja zur Zeit in vollem Gange ist. Wenn bei so gewaltigen Projekten, für die es häufig kein manuelles Backup mehr gibt, die zugrundliegenden Informatiksysteme nicht zuverlässig arbeiten, kann es zu massiven Störungen im Betriebsablauf führen. Mindestens genauso schlimm kann sich aber auch fehlende Kompetenz von Anwenderinnen und Anwendern auswirken. Wer heute in der Informations- und Kommunikationsbranche arbeitet, muß die neuen Werkzeuge in ihrem gesamten Umfeld begreifen und beherrschen. Das ist eine nicht zu unterschätzende Anforderung, die weit über den Umgang mit den neuen Medien hinausgeht. Sie greift über mehrere Fachbereiche hinweg. Die Reichweite kann man ganz gut am neuen Diplom-Studiengang "Informationswirtschaft" ablesen, den wir im letzten Jahr an der Universität Karlsruhe eingeführt haben. Er kombiniert Informatik mit Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaften und befähigt Absolventen, Informationsflüsse und Informationsprodukte unter technischen, ökonomischen und rechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten und wirtschaftlich einzusetzen. Das Verhältnis ist 40% Informatik, 40% Wirtschaftswissenschaften und 20% Rechtswissenschaften. Daran sehen Sie, welchen Einfluß Informatik auf die Wirtschaft gewonnen hat.

BITOnline: Wir möchten zum Schluß gerne noch einmal auf den ECDL zurückkommen. Wo und wie kann man den Schein erwerben? Und was hat man davon?

Prof. Stucky: Beim ECDL ist weniger theoretisches Wissen gefragt als das praktische Anwenden von Programmen von der Textverarbeitung bis zum Internet. Die Ausbildung ist in sieben Module - sechs praktische und ein theoretisches - aufgeteilt, die jeweils mit einer Teilprüfung abgeschlossen werden. Die Prüfung zu den einzelnen Modulen kann in beliebiger Reihenfolge und an unterschiedlichen Terminen abgelegt werden. Insgesamt sollte man nicht mehr als drei Jahre brauchen. Die Prüfungen dürfen nur von autorisierten Schulungsinstitutionen abgenommen werden. Eine Liste der ECDL-Prüfungszentren kann von der GI angefordert werden, die in Deutschland für die Koordination des ECDL verantwortlich ist.

Für die Inhaber ist der Führerschein ein international vergleichbarer Nachweis ihrer Fertigkeiten, die sie bei ihrem beruflichen Fortkommen oder bei der Arbeitsplatzsuche einsetzen können. Dadurch, daß die ECDL-Standards international anerkannt und abgeglichen sind, kann man damit auch die Qualität von Computerkursen messen. Gibt es häufig Probleme bei den Prüfungen, muß das Ausbildungskonzept überdacht werden. Für Kursanbieter wiederum kann der ECDL eine Art Gütesiegel werden, mit der sie die Qualität ihrer Ausbildung unter Beweis stellen.

BITOnline: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte unsere Mitarbeiterin Vera Münch