BIBOS:IV an der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien

Von Inge Neuböck

Zur Geschichte der Studienbibliothek

Die Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien ist eine öffentlich zugängliche Präsenzbibliothek mit einem Bestand von 390.000 Bänden und 1.500 Zeitschriftentiteln. Etwa 240.000 Titel sind EDV-erfaßt. Zu den Sammelgebieten der Bibliothek gehören u.a. die Geschichte der Arbeiterbewegung, Arbeits- und Sozialrecht, Sozialwissenschaften und –politik, Sexualwissenschaften sowie Wirtschaft, Bildung, Kultur und Umweltschutz.

Die Bibliothek wurde 1922, ein Jahr nach der Gründung der Arbeiterkammern, eröffnet und verfügte bis 1933 bereits über 140.000 Bände und etwa 700 laufend gehaltene Zeitungen und Zeitschriften. In der Zeit des Austrofaschismus erlebte die Bibliothek einen Niedergang durch starke finanzielle und personelle Reduktionen. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme folgte schließlich die Zerstörung der Bibliothek. Der Hauptteil der Bestände wurde nach Berlin transportiert und vom Arbeitswissenschaftlichen Institut übernommen. 1943 wurden die Bestände in verschiedene Bergungsorte ausgelagert.

Nach 1945 konnten von den Vorkriegsbeständen bis heute nur insgesamt etwa 35.000 Bände zurückerhalten werden. Am 6. März 1950 wurde die Studienbibliothek mit rund 10.000 Bänden feierlich eröffnet und auch einem externen Publikum zugänglich gemacht. 1959 übersiedelte die Bibliothek in das neuerrichtete Kammergebäude in der Prinz-Eugen-Straße 20-22 im vierten Bezirk und galt bei ihrer Eröffnung als eine der modernsten und komfortabelsten Bibliotheken Wiens. Mit einem kontinuierlich steigenden Zuwachs von 4.000 Bänden Anfang der sechziger Jahre bis zu 14.000 Bänden in den neunziger Jahren und verschiedenen Spendenbibliotheken, darunter die Bibliotheken von Karl Renner, Norbert Leser und Ernest Borneman, erreichte die Bibliothek einen Bestand von etwa 400.000 Bänden Ende der neunziger Jahre. Die Zahl der laufend gehaltenen Zeitungen und Zeitschriften stieg entsprechend der wachsenden Bedeutung dieser Literaturgattung von rund 700 bis 1.500.

1998 wurde eine gemeinsame Leitung für die Bibliothek und die 1957 gegründete Abteilung für Zeitungs- und Zeitschriftendokumentation beschlossen. Ein Zusammenwachsen dieser beiden Einrichtungen im Sinne einer großen Informationsabteilung zur Bewältigung der anwachsenden Informationsflut scheint durchaus sinnvoll. Die Verwaltung, Archivierung und Auswahl der anzubietenden unterschiedlichsten Informationsmaterialien stellen eine neue Herausforderung für beide Abteilungen im nächsten Jahrzehnt dar.

Lesesaal der Studienbibliothek

Zum Projekt BIBOS

Das Jahr 1980 bedeutete für die Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien der große Schritt ins Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung, als mit der Entwicklung des Bibliotheksorganisationssystems BIBOS-1 des Softwarehauses Elektronische Datenverarbeitungs Gesellschaft (EDVg) in Wien begonnen wurde. Das großrechnerbasierte Verbundsystem wurde 1982 in der Studienbibliothek implementiert, und im Laufe der Jahre wurden gemeinsam mit dem in der EDVg zuständigen Team für BIBOS-1 laufend Verbesserungen und Weiterentwicklungen im bestehenden System erarbeitet. 1990 wurde der mit dem EDV-Einsatz neu begonnene RAK- Zettelkatalog eingestellt.

Bereits 1996 war der Leitung der Bibliothek bewußt, daß spätestens im Jahr 2000 die Bibliothek ein neues funktionstüchtiges System brauchen würde. Nicht nur, daß das im Einsatz befindliche System technisch überaltert war, wie in vielen anderen Softwarepaketen stellte das Jahr 2000 eine unüberwindliche Hürde dar. Nachdem wir uns einen Überblick über die am Markt befindlichen Neuentwicklungen geschaffen hatten, wurden Ende 1996 vier Firmen ausgewählt, um ein Angebot einzuholen. Die wichtigsten Anforderungen an das zukünftige System waren:

Ende Januar 1997 fiel die Entscheidung für das System BIBOS:IV der EDVg. Dabei waren folgende Kriterien ausschlaggebend:

Im Laufe des Jahres 1997 wurde mit Unterstützung der DV-Abteilung der AK-Wien der Vertrag mit der Herstellerfirma ausgearbeitet. Eine weitere Bedingung unseres Leiters der DV-Abteilung war der Einsatz eines Projektqualitätsplanes (PQP). Dieser hat sich innerhalb kürzester Zeit als ein ausgesprochen nützliches Instrument erwiesen. Mit Hilfe des PQP sind Kompetenzen, Aufgaben und Überprüfungen konkreten Personen zugewiesen. Die zeitlichen Abläufe sind exakt an Hand von Milestones definiert. Eine genaue Dokumentation des Projektes durch die Projektleiterinnen der AK-Wien und der EDVg ist verpflichtend. In dreimonatlichen Sitzungen der Steuergruppe, in der Projektleitung, Entscheidungsträger der AK-Wien und Managementverantwortliche der EDVg vertreten sind, wird der Verlauf des Projektes in finanzieller und zeitlicher Hinsicht überprüft.

Grundsätzlich wird bei der Implementierung aller Module die folgende grob skizzierte Vorgangsweise beibehalten.

 

Im Zuge der Analysegespräche wurden alte Organisationsstrukturen überprüft und auch Änderungen vorgenommen. Von den MitarbeiterInnen, gewöhnt an ein jahrzehntelanges Arbeiten mit einem Großrechnersystem, wird gefordert, sich von den Denkstrukturen des alten Systems zu lösen und sich an neue EDV-Strukturen anzupassen. Das braucht seine Zeit. Immer wieder werden Vergleiche mit dem alten System angestellt, da man an dem Gewohnten festhalten möchte. Bisher konnten jedoch immer Kompromisse zwischen den EDV-ExpertInnen der EDVg und den BibliotheksmitarbeiterInnen geschlossen werden (Abb. 1+2).

Die jeweiligen Testpersonen sind in der Regel diejenigen MitarbeiterInnen, die in weiterer Folge mit dem zu testenden Modul arbeiten werden. Dies hat den Vorteil, daß die Mitarbeiter einen wesentlich höheren Wissensstand über das Modul aufweisen, als das nach einer üblichen Einschulung der Fall ist. Die Einschulung in der Produktionsumgebung für die anderen BibliotheksmitarbeiterInnen wird von den Testpersonen durchgeführt. Auf diese Weise können die Schulungskosten möglichst gering gehalten werden.

Anfang November 1998 wurden, wie der Projektplan vorsah, zwei Module in Produktion genommen, und zwar der OPAC und das Entlehnservice von BIBOS:IV (Abb. 3+4). Das Modul Entlehnservice übertraf unsere Vorstellungen im Bereich Arbeits- und Zeitaufwand. Dabei kam es zu größeren organisatorischen Änderungen. Wurden bisher alle Bestände grundsätzlich an die Abteilungen des Hauses entlehnt, entschlossen wir uns nach reiflicher Überlegung, im Gegensatz zur bisherigen Vorgangsweise Abteilungen und deren MitarbeiterInnen auch als Standorte zu definieren. Diese neuen Standorte mußten exakt definiert werden, um einen Teil der Dauerentlehnungen in BIBOS-1 aus der Entlehnung zu löschen und gleichzeitig mit Hilfe einer Datenkonversion in BIBOS-1 als Standorte zu kennzeichnen. Von 23.554 offenen Entlehungen wurden 17.581 Dauerentlehnungen gelöscht und als Standorte in BIBOS-1 eingetragen. Damit wurde nicht nur das Entlehnmodul entlastet, es wurden somit die Anzahl der noch offenen Entlehnungen in BIBOS-1 auf etwa 6000 Daten reduziert.

Einen nicht unerheblichen Arbeitsaufwand stellten die Korrekturen des Standortfeldes in BIBOS-1 für die Vorbereitung der Datenkonversion dar. Da es in BIBOS-1 zuwenig suchbare Felder im Bereich der Exemplarverwaltung gibt, wurden die vorhandenen Felder oft zweckentfremdet verwendet, u.a. wurden in diesem Feld Spendenkennzeichnungen eingetragen. Eine derartige Vorgangsweise rächt sich spätestens beim Umstieg in ein neues System. Es wäre zwar kostenaufwendig gewesen, neue Felder definieren zu lassen – verglichen mit dem jetzigen Zeit- und damit auch Kostenaufwand wären sie aber vernachlässigbar gewesen. Für diese Spendenvermerke wurde nun in BIBOS-1 ein eigenes Feld definiert, und in einer eigenen Datenkonversion wurden die als Spendenvermerke verwendeten Inhalte in das neue Feld übertragen. Betroffen davon waren 20.553 Exemplare.

Als positiv erwiesen sich die zahlreichen gemeinsamen Gespräche mit den Mitgliedern des BIBOS:IV-Teams der EDVg, in denen unterschiedlichste Ideen von allen Seiten beleuchtet und durchdacht wurden. Zugleich werden alle MitarbeiterInnen automatisch verantwortlich für das zukünftige Modul. Für beide Seiten – EDV-ExpertInnen und BibliothekarInnen – stellt das Endprodukt ein direktes Feedback der eingebrachten Arbeit dar. Im Oktober wurden die in BIBOS-1 erfaßten Benutzerstammdaten von MitarbeiterInnen der EDVg in BIBOS:IV erfaßt und mit den vorher festelegten Berechtigungen versehen. Ab 2. November 1998 wurde mit den Modulen OPAC und Entlehnservice der Echtbetrieb aufgenommen. Vom 2. bis 30. November 1998 wurden die noch offenen 6000 Entlehnfälle aus BIBOS-1 in BIBOS:IV eingegeben, und mit 30. November wurden die beiden Module in BIBOS-1 eingestellt. In den folgenden Monaten werden die noch offenen Anforderungen an das System in Form von Releases eingebracht.

Im Laufe der Jahre1999 bis 2000 werden die Module Geschäftsgang und Katalogisierung fertiggestellt. Bereits Anfang Dezember des Vorjahres wurden die bisherigen Arbeitsabläufe im Bereich Geschäftsgang festgelegt. Die Testgruppe ist ernannt und Mitte Februar wird die gemeinsame Arbeit mit den MitarbeiterInnen der EDVg an diesem Modul beginnen. Spätestens im Herbst dieses Jahres soll das Geschäftsgangsmodul in Produktion gesetzt werden. Ende 2001 wird mit dem Modul für Zeitschriftenverwaltung das Projekt BIBOS:IV abgeschlossen werden.

Zur Autorin:

Dr. Inge Neuböck
ist stellvertretende Leiterin der öffentlichen Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien.

Prinz-Eugen-Straße 20-22

A-1040 Wien

Internet: http://www.edvg.co.at/bibos/opac

Homepage: http://www.akwien.co.at
E-Mail:
inet1@akwien.co.at