Erhaltung, Archivierung und Aussonderung
von Druckschriften in Bayern: Empfehlungen / im Auftrag der
Generaldirektion der Bayerischen Staatlichen Bibliotheken.
Deutsches Bibliotheksinstitut. Hrsg. von Hermann Leskien. Berlin:
Dt. Bibliotheksinstitut, 1998. 109 S. (dbi-Materialien; 174) -
ISBN 3-87068-974-9
Die Generaldirektion der Bayerischen
Staatlichen Bibliotheken setzte 1996 eine Arbeitsgruppe ein, die
sich mit Problemen einer landesweiten Bestandserhaltung und
Archivierung von Literatur befassen sollte. Die Ausgangslage für
die Arbeitsgruppe sah zunächst sehr einfach aus, denn sie konnte
auf die "Empfehlungen zur Errichtung einer Archivbibliothek
in Bayern" aus dem Jahre 1989 (1) zurückgreifen, die
"Empfehlungen" wiederum bauen auf den Ausführungen des
Wissenschaftsratsgutachtens von 1986 auf (2). Bei näherer
Betrachtung liegen aber die Probleme wie so oft im Detail, denn
die Arbeitsgruppe mußte zahlreiche neuere regionale, nationale
und internationale Planungen, die zumindest mittelfristig
äußerst knappen Haushaltmittel und die neuen Sichten auf die
Bestandserhaltung (und den damit verbundenen Zusammenhang
zwischen der raumsparenden Verfilmung oder Digitalisierung und
der physischen Archivierung) in ihrem Abschlußdokument
berücksichtigen.
Die vorliegende Veröffentlichung enthält,
logisch aufgebaut und vorzüglich gegliedert,
- Arbeitsauftrag, Ausgangslage und
Abgrenzungen in einer Einleitung,
- Leitlinien, die einige
grundsätzlichen Klärungen und Aussagen enthalten, aus
denen sich die meisten Planungsprinzipien ableiten
lassen,
- den Komplex Aussonderung, Abgabe
und Archivierung,
- Maßnahmen zur Bestandserhaltung einschl.
vergleichender Kostenüberlegungen zu Archivierung vs.
Bestandserhaltung,
- ein Mengengerüst mit
Zugangsschätzungen, Bestandsüberschneidungen,
Magazinkapazitäten an den Originalstandorten,
Speicherkapazitäten außerhalb der Originalstandorte,
Stellflächenbedarf und Aussonderungsmengen sowie Umfang
der Bestandsschäden,
- Ausführungen zu einer Speicherbibliothek,
- Einzelfragen, die den Auftrag
der Arbeitsgruppe unmittelbar berühren (Änderung des
bayerischen Pflichtexemplarrechts, Nachweis von
Bestandserhaltungsmaßnahmen in Katalogen sowie die
erforderliche EDV-Unterstützung),
- eine Zusammenstellung wesentlicher
Empfehlungen und Aussagen und Maßnahmen mit hoher
zeitlicher Priorität, und schließlich
- Anlagen (z.B. Richtlinien für
die Aussonderung, Archivierung sowie Bestandserhaltung
von Bibliotheksgut in den Bayerischen Staatlichen
Bibliotheken, Richtlinien für die Bestandserhaltung an
der Bayerischen Staatsbibliothek, Beschreibung eines
prospektiven Aussonderungsverfahrens, Entscheidungsbäume
aus der Sicht des Originalstandortes und der
Speicherbibliothek).
Unter Bestand wird nur der
traditionelle Bibliotheksbestand verstanden, nicht aber bereits
primär erzeugte elektronische Medien (S. 9). Bestandserhaltung
umfaßt nicht die Vorkehrungen für die adäquate
Aufbewahrung, sondern wird nur in eingeschränktem Sinn der
gegebenenfalls selektierenden Bewahrungsmaßnahmen für
Druckschriften verstanden (S. 9). Die Arbeitsgruppe empfiehlt
außerdem zu dem in Bayern bereits früher eingeführten Begriff Speicherbibliothek
zurückzukehren und den mißverständlichen Begriff
"Archivbibliothek" zu vermeiden. (S. 11)
Die Aussagen der "Empfehlungen"
sind nachvollziehbar, sie sind eindeutig und konkret, und sie
sind langfristig zu verwirklichen. Beispiele (in der
Zusammenfassung und Kommentierung des Rezensenten):
- Unverzichtbare Basis für alle
Handlungen und für jeglichen Informationsfluß ist der
Nachweis der aufzubewahrenden Werke und Exemplare in
einer allgemein zugänglichen Datenbank.
- Eine entscheidende Voraussetzung für
die abgestimmte Archivierung sind konvertierte Kataloge.
- Die Erhaltung des Originals ist im
Vergleich zur Herstellung von Sekundärformen (das sind:
Kopie auf alterungsbeständigem Papier, Mikroform,
digitales Speichermedium) in jedem Fall die billigste
Variante. Sie ist in allen Fällen bevorzugt zu wählen,
in denen die Erstellung einer Sekundärform nicht aus
anderen Gründen zwingend indiziert ist.
- Jede staatliche Bibliothek soll ein
Archivierungsprofil und ein Bestandserhaltungsprofil
(einschl. differenzierter Schadenserhebung) entwerfen.
- Die Prinzipien von zentraler und
verteilter Archivierung sollten pragmatisch miteinander
gemischt werden.
- Der finanzielle Umfang für
Bestandserhaltungsmaßnahmen beträgt schätzungsweise
257 Millionen DM, die Aufwendungen für Bindearbeiten 300
Millionen Mark.
- Um die Aussonderung und Abgabe an die
Speicherbibliothek auf eine rechtliche Grundlage zu
stellen, sind einheitliche Regelungen erforderlich (der
Personalbedarf für Aussonderung und Abgabe wird auf rund
29 Millionen DM geschätzt). Für die Zukunft wird ein
prospektives Aussonderungsverfahren empfohlen.
- Angesichts der drohenden personellen
Einsparungen muß die Notwendigkeit einer zweigeteilten
Speicherbibliothek (Nord- und Südbayern) neu diskutiert
werden.
Die Publikation leistet zu gesamtdeutschen,
möglicherweise sogar zu europäischen Empfehlungen zur
Erhaltung, Archivierung und Aussonderung von Druckschriften einen
bedeutsamen Beitrag.
Anmerkungen
- Empfehlungen zur Errichtung einer
Archivbibliothek in Bayern. München: Generaldirektion
der Bayerischen Staatlichen Bibliotheken, 1995. 31 S. -
Die 1989 dem Bayerischen Landtag vorgelegten Empfehlungen
wurden leider erst 1995 veröffentlicht. Diese in vielem
auch heute noch aktuellen Ausführungen hätten bei
früherer Veröffentlichung manche Prozesse beschleunigt
und in anderen Bundesländern hilfreich sein können.
- Empfehlungen zum Personalbedarf
wissenschaftlicher Bibliotheken / hrsg. vom
Wissenschaftsrat. Köln, 1986.
Anschrift des Rezensenten
Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Sanddornstraße 8
D-12439 Berlin