Zweihundert Jahre Library of Congress in Washington

von Ruth Wüst

 

Zweihundert Jahre Library of Congress

Diesen Monat beginnen die Feierlichkeiten zur 200-Jahr-Feier der Library of Congress. Aus diesem Anlass wirft der vorliegende Beitrag einen Blick auf die Geschichte der größten Bibliothek der Welt. Die drei Gebäude der Library of Congress reflektieren ihre Geschichte und die Entwicklung zur de facto amerikanischen Nationalbibliothek. Seit den 60er Jahren ist die Kongressbibliothek in Automatisierungsbestrebungen begriffen, die u.a. zur Entwicklung des MARC Formates führten. Nach jahrzehntelanger Eigenentwicklung wird diesen Sommer ein kommerzielles integriertes Bibliothekssystem eingeführt.


Two hundred years Library of Congress

The Library of Congress commemorates its bicentenary starting with celebrations this month. This article discusses at this juncture the history of the world's largest library. The three buildings of the Library of Congress reflect its history and the library's development as de facto national library of the United States. Developments in automation have characterized the library's history since the 60s; one of the most notable is the MARC format. This summer, after decades of developing its own systems, the library will begin to use a commercial integrated library system.


Deux cents ans de la Library of Congress

Dans ce mois on commence les cérémonies du bicentenaire de la Library of Congress. À cette occasion l’auteur donne une vue sur l’histoire de la plus grande bibliothèque du monde. Ce sont les trois bâtiments de la Library of Congress qui reflétent l’histoire et le développement de ce qui est, en réalité, la Bibliothèque Nationale des États Unis. Depuis les années soixante la bibliothèque a commencée l’automation dont un résultat fut le développement du format MARC. Après des décades du développement d’un propre système, cet été un système commercial intégré sera introduit.



1. Einleitung

Die größte Bibliothek der Welt wird nächstes Jahr zweihundert Jahre alt. Ein Grund zum Feiern in der Library of Congress (LC) in Washington D.C., wo bereits dieses Frühjahr die Festlichkeiten zur Gründung der amerikanischen Kongreßbibliothek im April 1800 beginnen (Tab.1). Die Library of Congress, de facto die Nationalbibliothek der USA, ist eine amerikanische Institution von besonderer kultureller Bedeutung. Offiziell die Bibliothek des amerikanischen Kongresses, breitet sich die LC über drei große Gebäude direkt neben dem Kapitol auf dem Senatshügel in Washington D.C. aus. Über zwei Millionen Besucher und Benutzer pro Jahr besuchen die Bibliothek, benutzen und besichtigen im architektonisch beeindruckenden Jefferson Gebäude den berühmten Lesesaal und bewundern dort eine der drei kompletten Kopien der Gutenbergbibel.

Ein Blick auf die Geschichte dieser Bibliothek ist immer auch eine Geschichte der Superlative (Tab.2). Ihre Bestände enthalten mehr als 116 Millionen Einheiten und umfassen weit mehr als nur Bücher. Von Anfang an als Universalsammlung angelegt, besitzt die Library of Congress, kurz LC genannt, neben Druckwerken große Bestände von Tonaufnahmen, Filmen, Karten, Graphik, Software und anderen Medien. Die Bibliothek sammelt in 460 Sprachen und besitzt die größten Sammlungen von russischen, chinesischen und japanischen Publikationen außerhalb der jeweiligen Länder.

Während das 19. Jahrhundert für die Library of Congress vor allem Auf- und Ausbau der Sammlungen zu einer herausragenden Forschungsbibliothek bedeutete, ist das 20. Jahrhundert, vor allem die erste Hälfte, gekennzeichnet durch die Übernahme von nationalbibliothekarischen Aufgaben. Die Bibliothek wurde federführend im Setzen von Katalogisierungsstandards und bewies zumindest in den Anfängen der Bibliotheksautomatisierung Weitsicht und technische Kompetenz. Neben einem Blick auf die Geschichte und die Gebäude der LC beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Automatisierung, mit welcher die Bibliothek seit Beginn der 60er Jahre mit unterschiedlichem Erfolg versucht, ihre Arbeitsprozesse zu optimieren.

2. Ein Blick auf die Geschichte

Die Gründung der Library of Congress ist eng verknüpft mit den Anfängen der amerikanischen Demokratie. Die Library of Congress wurde als Bibliothek für den amerikanischen Kongress etabliert und, obwohl heute zur de facto Nationalbibliothek gewachsen, nimmt sie neben nationalbibliothekarischen Aufgaben vorwiegend Dienstleistungen für den Kongreß wahr. So argumentiert zumindest das Bibliotheksmanagement, wenn es dem Kongreß jeweils den neuen Haushaltsplan vorlegt und eine Erhöhung fordert.

Daß die LC nie offiziell zur Nationalbibliothek deklariert wurde, hat aber auch mit der amerikanischen föderalistischen Regierungsform zu tun, wo zentrale Institutionen immer mit Argwohn gesehen werden. In einem Beitrag zum 150 Jahre-Jubliäum bestätigte Ranganathan die wichtige Rolle des Kongresses für die LC: "Die Institution, welche als die Nationalbibliothek der Vereinigten Staaten handelt, ist vielleicht in einer besseren Position als ihre Vorgänger in anderen Ländern. Sie hat den Kongreß zum Paten…Dieser glückliche Zufall machte sie zur vielleicht einflußreichsten Nationalbibliothek der Welt."

Während in Europa viele Nationalbibliotheken auf eine jahrhundertelange Geschichte mit Anfängen als königliche Bibliotheken zurückblicken, steht am Beginn der Library of Congress ein relativ bescheidenes Buchbudget von 5000 $, mit dem der amerikanische Kongreß in der neuen Hauptstadt Washington im District of Columbia am 24. April 1800 eine eigene Bibliothek erhielt. Grosse europäische Bibliotheken, wie die bereits seit 1792 zur Nationalbibliothek ernannte ehemalige königliche Bibliothek in Paris, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits hunderttausende von Werken in ihren Magazinen. Die Library of Congress jedoch begann mit einer relativ bescheidenen Zahl von 740 Bänden und drei Karten.

Unterkunft fand die kleine Sammlung in einem der oberen Räume im neuen Kapitol, ein Standort, der ihr 1814 während des britisch-amerikanischen Krieges zum Verhängnis wurde. Das Kapitol wurde von der britischen Armee in Brand gesteckt und die auf 3000 Bände angewachsene Bibliothek fiel den Flammen zum Opfer.

Thomas Jefferson, amerikanischer Präsident von 1801 bis 1809, bot daraufhin seine 6000 Bände umfassende Privatbibliothek als Ersatz und neuen Grundstock für den Aufbau einer nationalen Sammlung an. Mit dem Verkauf seiner Sammlung, einer der besten und größten in den Vereinigten Staaten, nahm Jefferson richtungsgebenden Einfluß auf die Library of Congress. Als enzyklopädische Bibliothek angelegt, ging die Sammlung weit über die direkten Bedürfnisse einer legislativ ausgerichteten Bibliothek hinaus und umfasste Literatur, Kunst und Wissenschaft in verschiedenen Sprachen. Nach Jeffersons Grundsatz gab es "kein Sachgebiet, auf das ein Kongreßabgeordneter nicht die Gelegenheit hätte, sich zu beziehen."

Die Bibliothekare – die einer strengen Eintrittsprüfung unterzogen wurden - übernahmen die Organisation seiner Privatsammlung, welche er nach Bacons Aufteilung der Wissenschaften strukturiert hatte. Diese Struktur, später erweitert um 44 Sachgebiete, diente dann der LC einhundert Jahre lang für den Aufbau ihrer Sammlungen.

Die Bibliothek war somit als Universalbibliothek konzipiert; es dauerte jedoch Jahrzehnte, bis sie innerhalb der amerikanischen Verwaltungsstruktur ihre Sammlungen physisch ausweiten und sich eine Identität nicht nur als Bibliothek des Kongresses, sondern als Nationalbibliothek schaffen konnte.

Als 1859 alle Urheberrechtsaktivitäten dem Patentbüro übertragen wurden, hatte sich die LC gerade von einem weiteren schweren Brand, welcher diesmal zwei Drittel der auf 55000 Werke angewachsenen Bestände zerstörte, erholt. Die Übertragung bedeutete, daß die Bibliothek nicht mehr Nutznießer der Ablieferungsexemplare für Urheberrechtsschutz war. Dies war ein schwerer Schlag für eine Bibliothek, welche nicht über genügend Mittel verfügte, Ankäufe zu tätigen und für den Bestandsaufbau auf die Ablieferungspflicht angewiesen war.

Die Dinge wandelten sich erst nach dem Ende des Bürgerkriegs 1864, mit der Ernennung von Ainsworth Spofford, einem ehemaligen Buchhändler, zum Librarian of Congress. Spoffords Verdienste sind bibliothekspolitisch bedeutsam und bilden bis heute das Fundament der Library of Congress. Er sicherte der Institution die finanzielle Unterstützung beider Parteien des Kongresses zu und gewann das Copyright Deposit, d.h. die Ablieferung von Pflichtexemplaren, zurück. Bis heute wird auf diesem Weg der Hauptanteil der Americana Neuzugänge erworben, und das amerikanische Copyright Office ist ein Bestandteil der Library of Congress.

In den ersten 70 Jahren ihrer Geschichte wuchs der Bestand der LC um vierhundert Prozent und platzte schließlich mit 840000 Bänden aus allen Nähten. Sieben Mitarbeiter – Frauen wurden damals nicht eingestellt - versuchten in zwei Räumen der Bücherflut Herr zu werden und Spofford berichtete verzweifelt, daß sich "Bücher überall auf dem Fußboden auftürmen". Seinen Bemühungen ist es zu verdanken, daß die Bibliothek 1897 endlich in ihr eigenes Gebäude, das Jefferson Building, einziehen konnte.

Während Spofford wesentliches zum Ausbau der Sammlungen beitrug, war es Herbert Putnam, der erste erfahrene Bibliothekar an der Spitze der LC, welcher die Bibliothek der Öffentlichkeit und anderen Bibliotheken zugänglich machte. Putnam führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Fernleihsystem ein und begann den Vertrieb von gedruckten Zettelkatalogkarten an andere Bibliotheken. Diese Dienstleistungen öffneten die Sammlungen, erleichterten und standardisierten die Katalogisierung in amerikanischen Bibliotheken. Der noch immer bestehende Congressional Research Service, eine Abteilung von heute etwa 700 Mitarbeitern, welche ausschließlich für den Kongreß arbeiten, ist ebenfalls sein Verdienst. Sein Ausbau des Klassifikationsschemas zum heute von den meisten Bibliotheken in den Vereinigten Staaten benutzten LC Classification Scheme standardisierte zum ersten Mal den Zugang zu Bibliothekssammlungen und brachte der LC eine Führungsrolle unter den Forschungsinstitutionen.

Seit der Ära Spofford haben die Direktoren der Library of Congress, die den Titel Librarian of Congress tragen, das Profil und den Charakter der Bibliothek entscheidend geprägt. Viele, unter ihnen der jetzige Librarian James Billington, waren keine Bibliothekare, haben aber – oft mit der Hilfe ihrer bibliothekarisch ausgebildeten Stellvertreter - nichtsdestotrotz entscheidende bibliothekspolitische Veränderungen getroffen. Daniel Boorstin, ein Historiker von internationalem Rang, legte zum Beispiel zu Beginn der 80er Jahre mit dem ersten Projekt zur digitalen Speicherung von Zeitschriftenartikeln den Grundstein für einen der heutigen Schwerpunkte der LC, der National Digital Library.

Der heutige Librarian James Billington unternahm Ende der 80er Jahre mit Hilfe verschiedener Managementfirmen eine massive interne Reorganisation und versucht zur Zeit mit der Installierung eines integrierten, kommerziellen Computersystems die ineffektiven und überkommenen Arbeitsmethoden in vielen Abteilungen der LC zu verbessern. Ein Ausdruck seiner Reorganisation ist die Gründung der oben genannten National Digital Library, welche dabei ist, fünf Millionen Einheiten aus dem Bestand zu digitalisieren und sie so zum ersten Mal über das Internet einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Während die Librarians das Profil der Library of Congress prägen, sind es die drei Gebäude, die mit ihrer unterschiedlichen Architektur und Funktion die Atmosphäre der Bibliothek bestimmen und ihr den Charakter einer eigenen Welt auf dem Capitol Hill verleihen.

3. Die Gebäude der Library of Congress: Jefferson, Adams und Madison

Die Library of Congress verteilt sich - neben großen ausgelagerten Magazinen außerhalb der Stadt - auf drei Gebäude und befindet sich direkt neben dem Kapitol und dem Obersten Gerichtshof auf dem Capitol Hill. Die drei Bauten wurden im Abstand von 40 bis 50 Jahren erstellt und sind untereinander durch ein Tunnelsystem verbunden.

Die meisten Besucher erreichen die Library of Congress mit der U-Bahn und betreten so das modernste Gebäude, das Madison Building, zuerst. Funktional in Marmor gebaut, war das Gebäude ursprünglich als zusätzlicher Büroraum für die Kongreßabgeordneten geplant. Nach langem politischen Tauziehen zwischen dem Kongreß und der Bibliothek, in das sich vehement auch der amerikanische Bibliotheksverband ALA (American Library Association) einschaltete, wurde der modulare Bau für die LC bestimmt und 1980 eingeweiht. Der sechsstöckige Kubus nimmt einen ganzen Häuserblock auf dem Capitol Hill ein und beherbergt u.a. die etwa 200 Mitarbeiter beschäftigende Computerabteilung, die Law Library (juristische Bibliothek), Verwaltung, Zeitschriftenabteilung, Katalogisierung, Erwerbung und verschiedene andere Spezialabteilungen.

Architektonisch fällt das Madison außen wie innen neben dem majestätischen Jefferson Gebäude eher uninteressant aus. Um sich in dem riesigen Bau zurechtzufinden, sind die Gänge in den vier Himmelsrichtungen farblich unterschiedlich gekennzeichnet. Die Zeitschriftenabteilung nimmt einen großen Teil der dritten Etage ein und füllt einen Raum von der Größe eines Fussballfeldes mit ungebundenen Zeitschriften. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Bibliothek gerade ein neues Bibliothekssystem installiert, fällt auf diese Abteilung besonderes Licht, denn sie ist die einzige, welche noch zum größten Teil manuell arbeitet.

Die Mehrzahl der Mitarbeiter arbeitet in Großraumbüros, in sog. "cubicles", ohne Sicht nach draußen. Die Bibliothekshierarchie wird hier deutlich ersichtlich; Beamte in den oberen Gehaltsklassen haben eigene Büros, und vor allem eines mit einer Tür zu bekommen, ist der Wunsch vieler. "Aber hat sie auch eins mit Fenster?" wird dann sofort weiter differenziert, um zu sehen, wo ein Mitarbeiter im Bürolabyrinth hierarchisch einzuordnen ist.

Vom Untergeschoß des Madison gelangt man durch den Tunnel unter der Independence Avenue ins Adams und Jefferson Gebäude. Wie in einem bibliothekarischen Ameisenhaufen ist im Tunnel dauernd Verkehr. Mitarbeiter sind auf dem Weg zu Sitzungen, Material wird hin- und hertransportiert und oft wird man auf dem Weg gefragt, wie denn das Wetter draußen sei.

Das Adams Gebäude, als Erweiterung zum Hauptgebäude, dem Jefferson, für Buchmagazine und Büros geplant, wurde 1938 bezogen. Jugendstilelemente bestimmen den Bau bis in die Gestaltung der Fahrstühle und prägen die Atmosphäre im Obergeschoß, wo sich der zweite große Lesesaal der Library of Congress befindet. Das Buchmagazin breitet sich über mehr als fünf Hektar aus und bietet Raum für etwa zehn Millionen Bücher.

Von Adams führt ein Arm des Tunnels direkt in das Kellergeschoß des ältesten Gebäudes, dem Jefferson. Nimmt man den Weg über die Straße, liegt einem der architektonisch beeindruckendste und repräsentativeste Bau direkt vor Augen. Er wurde Ende des 19. Jahrhunderts als erstes eigenes Gebäude für die Bibliothek im italienischen Renaissancestil gebaut . Neben dem "Main Reading Room", dem Hauptlesesaal mit seiner imposanten Kuppel, und der "Great Hall", der Eingangshalle aus Marmor, beherbergt das Jefferson verschiedene Speziallesesääle, z.B. für die Europa-, Lateinamerika-, und Asien-Abteilung, ebensowie einen Konzertsaal.

Vom Lesesaal gehen sternförmig Alkoven ab, von denen man ins Herz der LC, zu den Buchmagazinen gelangt. Heute sind diese allerdings dem Publikum nicht mehr zugänglich, aber in den 80er Jahren war es Benutzern mit Spezialbewilligung erlaubt, durch die kilometerlangen Regalgänge zu wandern. Man mußte nur zusehen, daß man sich in dem Gewirr der Gänge mit unterschiedlicher Etagennumerierung nicht verirrte. Die Magazine sind rund um dem Lesesaal angelegt, und wichtig war vor allem, daß man sich erinnerte, in welcher Himmelsrichtung und auf welcher Etage man sich gerade bewegte.

Da das Magazin nach dem Library of Congress Klassifikationssystem geordnet ist, machte es Sinn, nach dem Aufspüren eines Titels im Katalog, im Magazin in der Nähe der gefundenen Signatur nach weiteren Werken mit dem gleichen Thema Ausschau zu halten. Der Großteil der Bestände in Jefferson sind geisteswissenschaftliche Werke, und nach Auskunft eines ehemaligen Mitarbeiters sind dies die begehrtesten Etagen, um als Magaziner zu arbeiten. Der Magaziner, heute Bibliothekar, meint: "Die Ebene mit der Philosophie war die gesuchteste, denn dort konnte man, wenn es ruhig war, in den Werken von Kant und Max Weber lesen".

So verschieden wie die Gebäude sind auch die Mitarbeiter, welche die Institution am Leben erhalten. Neben professionellen Bibliothekaren gibt es Wissenschaftler mit so speziellen Forschungsgebieten wie Tibetanisch oder Chemiker und Ingenieure, die in der Konservierungsabteilung an Digitaliserungsprojekten oder an Papierentsäuerungsprojekten arbeiten.

Von den Tausenden von Einheiten, die täglich in der Bibliothek eintreffen, werden etwa 8000 pro Tag neu in die Sammlungen aufgenommen. Um diese Flut zu verarbeiten, arbeitet die Library of Congress seit den 60er Jahren mit Computern. Computerspezialisten sind über die ganze Bibliothek verteilt, aber der Großteil der Programmierer arbeitet in der Computerabteilung im Untergeschoß des Madison Gebäude. Dort sind auch die drei Großrechner, IBM und Amdahl, untergebracht, welche dieses Jahr durch ein modernes Bibliothekssystem abgelöst werden.

4. Automatisierung in der Library of Congress

Zu einem Zeitpunkt, da die LC dabei ist, dreißig Jahre Eigenentwicklung von Software aufzugeben und ein kommerzielles System zu installieren, scheint es geboten, einen Blick auf ihre Automatisierungsgeschichte zu werfen, um zu verstehen, warum die Bibliothek so lange zögerte, ihr eigenes System aufzugeben.

Automatisierung in der Library of Congress ist ein Unterfangen, welches nicht nur aufgrund der schieren Größe der Institution seit den 60er Jahren mit wechselndem Erfolg betrieben wird. Wenn eine Institution Technologie in einem Anfangsstadium zu nutzen und selbst zu entwickeln beginnt, kann sie dadurch eine Führungsrolle übernehmen. Diese technologische Führung dann aber über einen langen Zeitraum zu halten, ist vor allem für eine Verwaltungsbürokratie sehr schwierig. Die von Natur aus schwerfällige Struktur jeder staatlichen Institution macht es praktisch unmöglich, mit dem Entwicklungstempo kommerzieller, profitorientierter Firmen Schritt zu halten. Dies geschah auch im Falle der Library of Congress.

Computerhistorisch früh, Ende der 50er Jahre, began die LC die Computerisierung der Bibliothek zu erkunden. Erste Expertenberichte waren positiv, IBM jedoch zögerte nach anfänglicher Zusage, sich in das Abenteuer zu stürzen, Titelaufnahmen maschinenlesbar zu machen. Die Firma berichtete zu Anfang enthusiastisch, daß es mit ihrer Erfahrung im Bankgeschäft und der Automatisierung von Adreßdaten ein Leichtes wäre, den damals 18 Millonen Karten umfassenden Katalog zu automatisieren. Nach genauerer Analyse der Titelaufnahmen zog sich IBM allerdings zurück und die Bibliothek beschloß, selbst ein Automatisierungssystem zu entwickeln.

1965 begann in einem Pilotprojekt, was heute zum weltweit benutzten MARC Format (Machine-Readable-Cataloging) geworden ist. Henriette Avram, über lange Jahre federführend in der LC Automatisierung, war maßgeblich an der MARC Entwicklung beteiligt und wird zu Recht "Mutter MARC" genannt. 1966 wurden die ersten MARC Daten auf Band an Bibliotheken versandt. Dies war die Weiterentwicklung und Erfüllung von Putnams Verkauf von gedruckten Katalogkarten; der schnelle und einfache Vertrieb von Katalogisierungsdaten auf Computerbändern der Library of Congress. Das Standardbüro (Network Development and MARC Standards Office), welches die Weiterentwicklung und Veränderung von MARC überwacht, ist heute als eine Abteilung in die Library of Congress integriert.

Ende 1960 entstand eine eigene Computerabteilung, zuständig für die Entwicklung von Software, welche die MARC-Daten verarbeiten und darstellen sollte. Obwohl IBM sich aus dem Softwareprojekt der Bibliothek zurückzog, wird dort bis heute vorwiegend auf IBM Großrechnern gearbeitet. 1975 wurden die ersten Publikumsterminals installiert und ein "Computer Catalog Center" im Jefferson Gebäude eingerichtet.

Der Januar 1980 bildete einen weiteren Meilenstein in der LC Computergeschichte, als der bis dahin neben dem OPAC (das Library of Congress SCORPIO Programm) immer noch benutzte Zettelkatalog offiziell geschlossen wurde. Der auf mittlerweile 23 Millionen Karten angewachsene Mammutkatalog konnte manuell nicht weiter aktuell gehalten werden. Zum Beispiel mußte man wissen, daß das bereits überall in amerikanischen Bibliotheken benutzte Schlagwort "World War I" für den Ersten Weltkrieg im LC Katalog immer noch unter "European War, 1914 -18" zu suchen war. Alle Verweisungen auf den Karten zu ändern, war schlicht nicht mehr möglich. Gleichzeitig mit der Schließung des Zettelkatalogs änderte die Bibliothek auch die Katalogisierungsregeln und begann die AACR2 anzuwenden.

Daß die Bibliothek je das Geld aufbringen würde, den Zettelkatalog vollständig zu konvertieren, wurde damals von vielen bezweifelt. Heute jedoch ist dies geschehen, und auch wenn das sogenannte "Pre-MARC file" von Bibliothekaren wegen seiner Qualität mit Skepsis benutzt wird, muß man nun nur noch in seltenen Zweifelsfällen zwei Katalogsysteme konsultieren.

In den 80er Jahren trat so etwas wie eine Konsolidierungsphase in der Automatisierung ein. Die LC entwickelte ein Ausleih- und ein Erwerbungssystem, welche aber leider nie mit der Katalogisierung und dem OPAC verknüpft wurden, und scheiterte am Versuch, die Zeitschriftenabteilung zu automatisieren. Während die LC mit viel Aufwand maßgeschneiderte Teilsysteme für die Abteilungen entwickelte, ging in der Bibliotheksautomatisierung die Entwicklung hin zu integrierten Systemen und führte schließlich weg von Großrechnern zu Client-Servertechnologie. Leider verpasste die Library of Congress den Anschluß an diese Entwicklungen und mußte schließlich die Idee, ihre verschiedenen System je zu integrieren, aufgeben. Der Aufwand war zu groß und die Kosten zu hoch. Bereits vor zehn Jahren vertraten viele Mitarbeiter diese Meinung, aber wenn auch der technische Zeitpunkt gekommen war, dauerte es bis 1997, bis auch bibliothekspolitisch die richtige Situation geschaffen war.

Auf anderer technischer Ebene jedoch, im Bereich optische Speicherung und Digitialisierung von Dokumenten, übernahm die Bibliothek wieder einmal die Führungsrolle. 1982 machte die Bibliothek Computergeschichte, indem sie als erste Institution Daten (gescannte Zeitschriftenartikel) auf optischen Platten speicherte und so in den Lesesäälen zum erstmals nicht nur Titelinformationen, sondern Artikel im Volltext mit Illustrationen über Computerbildschirme abgerufen werden konnten.

Nach mehreren Jahren Pilotversuch wurde das Projekt vom Congressional Research Service übernommen und hat dort ein Mikrofilmarchiv von Zeitschriftenartikeln ersetzt. Gleichzeitig begann die LC das American Memory Projekt, welches sich heute in die National Digital Library gewandelt hat. Mit großer finanzieller Hilfe von privater Seite digitalisiert diese Abteilung Teilbestände der Americana-Sammlung. Millionen von gescanntem Archivmaterial, Fotos, Filmen und Tonaufnahmen sind nun über das Internet abrufbar. Neben den Bemühungen, den Arbeitsfluß zu rationaliseren, sind die Planungen und Aktivitäten zur Archivierung und Nutzung von elektronischen Publikationen ein Schwerpunkt des derzeitigen Bibliotheksmanagements.

Daß vor kurzem nach jahrzehntelanger Eigenentwicklung der Entscheid getroffen wurde, ein kommerzielles Bibliothekssystem zu installieren, hat nur teilweise damit zu tun, daß die LC erkannte, daß interne Entwicklungen mit kommerziellen nicht Schritt halten können, sondern vor allem auch mit dem Jahr 2000 Problem. Jetzt war endlich der Zeitpunkt gekommen, mit einer großen Ausschreibung eine moderne Softwarelösung zu suchen.

1997 war es soweit: Die LC publizierte eine Systemausschreibung für ein integriertes Client Server Bibliothekssystem, an der sich alle großen amerikanischen Bibliotekssoftwareanbieter beteiligten. Im Winter wurden mittels eines detaillierten und rigiden Auswahlverfahrens Systeme getestet und schließlich im Sommer 1998 das System Voyager von Endeavor Information Systems, Inc. ausgewählt.

Zur Zeit befindet sich die LC mitten in der Implementierungsphase, und wenn alles nach Plan geht - und es muß und wird nach Auskunft der Projektleitung - , werden Ende des Jahres die Großrechner von Sun-Maschinen abgelöst, und die Bibliothek hat den Quantensprung zur integrierten Arbeitsweise geschafft. Bis es soweit ist, gibt es allerdings noch viel zu tun, und die Umstellung ist für viele Mitarbeiter beängstigend. Vor allem die immer noch manuell arbeitende Zeitschriftenabteilung steht im Rampenlicht der Automatisierung.

Wie der Kardex mit über 850000 Zeitschriftentiteln (niemand weiß genau wieviel) zu konvertieren ist, bereitet der Automatisierungsgruppe viel Kopfzerbrechen. Nicht nur die Größe ist abschreckend; die alten mit Bleistift geschriebenen Aufnahmen sind oft kaum zu entziffern, und neben dem Kardex gibt es dann auch noch einen dazugehörigen Zettelkatalog, und dem nicht genug existieren Teile der Titel auch noch in einer Computerdatenbank. Wie die bei einer Konversion entstehenden Duplikate je ausgesondert werden können, ist nur eines der vielen Puzzles, welche das Automatisierungsteam zu lösen hat. Über zwölf Millionen Titel und etwa vier Millionen Autoritätsdaten müssen vom alten System ins neue geladen werden und hunderte von Arbeitsabläufen neu definiert oder angepaßt werden.

Was von außen ein faszinierendes Automatisierungsunternehmen von gigantischen Ausmaßen ist, präsentiert sich innen als ein Projekt von höchster Komplexität. Aber ausgehend von der Kompetenz, mit der die Ausschreibung durchgeführt wurde, ist anzunehmen, daß die Bibliothek auch diese monumentale Veränderung in ihrem Innenleben überleben wird. Die Library of Congress ist schließlich nicht umsonst in den 200 Jahren ihrer Geschichte zur größten und einer der wichtigsten Bibliotheken der Welt gewachsen.

 

Zur Autorin:

Dr. Ruth Wüst ist Informationswissenschaftlerin und arbeitet als Consultant für Automatisierung in der Erwerbungsabteilung der Library of Congress

Washington, DC 20008, USA


 

Bicentennial – Zweihundertjahrfeier Aktivitäten

Symposia und Vorträge

1999

14.-17. Juni Frontiers of the Mind in den Twenty-First Century

November Symposium über Konservierung und Sicherheit

2000

Februar Geschichte des amerikanischen Kongresses, geplant vom Cngressional Research Office

September Urheberrecht im 21. Jahrhundert, geplant vom Copyright Office

23-27. Oktober Democracy and the Rule of Law in a Changing World Order

National Libraries of the World: Interpreting the Past, Shaping the Future

 

Publikationen und Aktivitäten

The Library of Congress: Two Hundred Years, Yale University Press. Publikationsdatum: 24. April 2000

Encyclopedia of the Library of Congress. Pulikationsdatum: Ende 2000.

New Guide to the Library of Congress. Enthält Details der Restaurierung des Jefferson Gebäude und die 200-Jahr-Feier.

Herausgabe einer Gedenkbriefmarke und einer Gedenkmünze

 

Superlative:

  • Über 900 Kilometer Regale befinden sich in den Magazinen der LC
  • Wachstum: 1,8 Millionen Einheiten pro Jahr
  • 1864: Bestand 80000 Einheiten, 7 Mitarbeiter
  • 1999: Bestand 116 Millionen Einheiten, über 4000 Mitarbeiter
  • Mehr als 8000 Einheiten Neuzugänge werden pro Tag verarbeitet
  • Über eine halbe Million Anfragen erreichen die Bibliothek jedes Jahr alleine aus dem Kongreß
  • Mehr als zwei Millionen Benutzer und Besucher
  • Haushalt: mehr als 370 Millionen Dollar

 

1 Auf staatlicher Ebene existieren allerdings Staatsbibliotheken, sog. State Libraries.

2 Zitiert aus John Cole, Jefferson’s Legancy: A Brief History of the Library of Congress, The Library of Congress, 1993, S. 11, Übers.d.Verf.

3 John Cole, ebend., S. 12.

4 Zitiert aus John Cole, ebend., S. 13.

5 Heute sind mehr als zwei Drittel der Mitarbeiter Frauen.

6 Charles A. Goodrum and Helen W. Dalrymple, The Library of Congress, Westview Press, 1974, S. 8., Übers.d.Verf.

7 Das berühmte Julliard Quartet gibt regelmäßig im Coolidge Auditorium freie Konzerte, die durch eine Stiftung ermöglicht werden. Die Musiker spielen auf Stradivari Instrumenten, welche im Besitz der LC sind.

8 Von MARC gibt es mittlerweile länderspezifische Versionen, wie z.B. ein finnisches MARC. Die amerikanische Fassung USMARC wurde vor kurzem in USMARC 21 umbenannt.

9 Eine Datenbank, welche Titelaufnahmen enhält, die vor der Entwicklung des MARC Formates noch in den Zettelkatalog eingeordnet wurden. Diese Aufnahmen wurden von einer Firma konvertiert.