Spezialeinrichtung Umweltbibliothek

- zwischen Bürgerinitiative und Amtshandeln

von Roland Quester


1. Einführung
2. Definition von Umweltbibliotheken

3. Geschichte der Umweltbibliotheken

4. Anliegen und Angebote

5. Nutzungsmöglichkeiten

6. Probleme und Ausblick

Quellen

 

1. Einführung

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es über 100 Spezialbibliotheken, die sich unter dem Begriff Umweltbibliothek zusammenfassen lassen und als solche verstehen. Das Spektrum dieser Bibliotheken ist sehr breit und reicht von der vereinsgeführten Kleinstbibliothek mit weniger als 500 Medien, bis zur nach eigenen Angaben größten Umweltbibliothek Europas, der Zentralen Fachbibliothek Umwelt des Umweltbundesamtes, mit über 400.000 Bestandseinheiten. Ein im Frühjahr 99 erschienener Umweltbibliotheken-Wegweiser (1) gibt auf der Basis einer Fragebogenerhebung sowohl Auskunft über die Angebote von 103 Umweltbibliotheken im gesamten Bundesgebiet, als auch über deren Arbeitssituation und die Literatur zu dieser besonderen Bibliotheksform. Die Datenblätter und Texte, ergänzt um ein Diskussionsforum, eine Mailingliste und bibliothekarische Links, finden sich auch unter der Homepage http://www.umweltbibliotheken.de

2. Definition von Umweltbibliotheken

[Umweltbibliothek Leipzig]

Die Definition, wodurch sich eine Umweltbibliothek bestimmt, ist nicht einfach und bisher nur zum Teil diskutiert. Gestützt auf die Definition von Lembach (2), lassen sich nach Ansicht des Autors folgende wesentliche Merkmale herausstellen:

  1. Umweltbibliotheken sind offen für alle Interessenten, sie bemühen sich besonders um bürgerorientierte Information. Dazu bieten sie im benötigten Umfang populärwissenschaftliche Literatur an und bemühen sich um eine zusätzliche, fachlich qualifizierte Beratung.
  2. Umweltbibliotheken decken den größten Teil ökologischer Themenbereiche ab und verfügen über einen größeren Anteil Grauer Literatur bis hin zu anderen Medienformen (z.B. Wasseruntersuchungskoffer), die gleichberechtigt zur Buchhandelsware erschlossen und angeboten werden.
  3. Umweltbibliotheken sind vielfach eingebunden in weitere (oft umweltpädagogische) Angebote des Trägers, sie sind (lokale) Kontakt- und Infostellen zum Umweltschutz.

3. Geschichte der Umweltbibliotheken

Die Geschichte der Umweltbibliotheken bewegt sich vor allem auf drei Pfaden. Der erste Pfad beginnt Ende der 70er Jahre in der alten Bundesrepublik, wo Anti-AKW-Initiativen erste Umweltbibliotheken einrichteten, die später ergänzt werden durch Bibliotheken bei Umweltberatungs- und -bildungseinrichtungen (z.B. den Wissenschaftsläden), in Umweltzentren und bei Umweltprojektwerkstätten. So beherbergen zum Beispiel Umweltzentren oft eine Vielzahl verschiedener Umweltinitiativen, Vereine, umweltorientierter Firmen und selbstverwalteter Betriebe, in deren Spektrum die Umweltbibliothek die zentrale Informations- und Kontaktstelle nach innen und außen ist. (2)

Der zweite Pfad beginnt Mitte der 80er Jahre in der DDR, wo Umweltbibliotheken bei kirchlichen Umweltgruppen entstehen, die ab 1990 meist selbständige Umweltvereine werden. So, wie nach 1990 weitere Umweltvereine entstehen, gibt es bei diesen auch Neugründungen weiterer Umweltbibliotheken.

Diese beiden Pfade repräsentieren den größten Teil der heutigen Umweltbibliotheken und sie dürfen als die Wurzeln dieses Bibliothekstyps gelten. Die vereinsgetragenen Umweltbibliotheken wurden von Betroffenen - meist bibliothekarischen Laien - in einer Situation zunehmender Unzufriedenheit mit dem herrschenden Welt- und Wissenschaftsbild, zunehmender Umweltgefährdungen und Ausblendung der Bürger aus den Entscheidungsprozessen erdacht, die daraus die Organisation eigener Strukturen und Inhalte der Wissenssammlung und -vermittlung ableiteten. In der DDR kam noch dazu, das Publikationen zu Themen des Umweltschutzes kaum, kritische fast überhaupt nicht erscheinen durften. So sind diese Umweltbibliotheken als Reaktion der Bevölkerung auf erhöhte Wissenschaftsnachfrage zu verstehen, aber auch als Symptom für eine Nachfrage nach anderem Wissen, als es unsere Bibliotheken bereitstellen", wie Strzolka resümiert.(3)

Der dritte Pfad beschreibt die in den letzten Jahren zunehmende Öffnung institutionalisierter Bibliotheken (z.B. bei Landesumweltämtern und Forschungseinrichtungen) für die interessierte Öffentlichkeit. Diese sind zwar weiterhin vorrangig der Literaturversorgung der Mitarbeiter der Trägerinstitution verpflichtet, bieten nun aber z.T. nicht nur den Zugang für alle Interessierten, sondern sogar die Außer-Haus-Ausleihe an und können bei inhaltlichen Fragen an Fachleute des Trägers vermitteln. Die großen Behördenbibliotheken werden zwar in aller Regel nur einen begrenzten Bestand populärwissenschaftlicher, Ratgeber- sowie alternativer Literatur aus den Vereinen und Initiativen beherbergen, können aber den u.a. bei Studenten und Ingenieuren vorhandenen Bedarf an herkömmlicher Fachliteratur besser bedienen.

Das heutige Spektrum der Träger von Umweltbibliotheken ist daher vielfältig: neben die Umweltvereine und -zentren mit ihrer oppositionellen Geschichte sind Einrichtungen von Großschutzgebieten, Akademien, Landesumweltämtern, Kommunalbehörden u.a. getreten. Auch eine private GmbH, ein kommunales Unternehmen, eine Kirchgemeinde und eine Stiftung sind Träger von Umweltbibliotheken.

4. Anliegen und Angebote

Das selbstverständlichste Anliegen ist das der Sammlung, Ordnung und Bereitstellung von Medien schlechthin zum Themenspektrum Umweltschutz: Die Themen Abfall, Biologie, Boden, Energie, Landwirtschaft, Luft/Klima, Naturschutz, Pädagogik/Bildung, Umweltschutz, Verkehr, Wald und Wasser sind in ihrem Bezug zur Umwelt in den meisten Umweltbibliotheken zu finden. Weitere Themen vieler Umweltbibliotheken sind Chemie, Dritte Welt, Gesundheit, Haushalt, Lärm, Politik/Gesellschaft, Raumordnung/Bau, Umweltrecht und Wirtschaft. Den Öffentlichen Bibliotheken fehlt im Umweltbereich häufig nicht nur das alternative, kritische, graue und scheinbar geringfügige Schrifttum, sondern oft auch die für ein Spezialgebiet nötige Breite und Tiefe der Fachliteratur. Das macht die Umweltbibliotheken unabhängig von ihrem alternativen Ansatz zu einem bevorzugten Anlaufpunkt für Schüler, Studenten, Privatpersonen, Pädagogen und Umweltgruppen (die häufigsten Nutzergruppen) auf der Suche nach umweltrelevanter Literatur. Sie stellen hier keine Konkurrenz, sondern ein ergänzendes Angebot zum öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliothekswesen dar. Je umfangreicher das Angebot der Umweltbibliothek, umso stärker sind auch Wissenschaftler, Verwaltungs- und Firmenmitarbeiter als Nutzer zu finden. Die Umweltbibliotheken bieten die Medien zudem in einer anderen, dem eingeschränkten Thema angepaßten Struktur an, was sich in der Entwicklung ganz eigener Systematiken widerspiegelt und einen kompakten Überblick und schnellen Zugang zu den Themen ermöglicht.

Das zweite grundsätzliche Anliegen ist die Sammlung des alternativen, kritischen, grauen und scheinbar geringfügigen Schrifttums. Dazu zählen u.a. die Publikationen von Initiativen, Vereinen, Verbänden, ökologischen Forschungs- und Planungsinstituten und von lokalen Behörden. Hier werden andere Sichtweisen und Informationen transportiert, die so in Buchhandelsware und anderen Bibliotheken nicht zu finden sind. Die Involviertheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in die Umweltschutzarbeit und die Netzwerke der Vereine schafft oft erst die Voraussetzung dafür, aktuelle Themen zu erfassen und die Quellen dieser Publikationen kennen, nutzen und bewerten zu können.

Als dritte Besonderheit läßt sich die Vielfalt der Medien und ergänzender Angebote benennen. Alle Medien, die den Zielen der Sensibilisierung, Aufklärung, Information und Handlungsanregung dienen können, werden eingesetzt: Bücher, Zeitschriften, Videos, Spiele, CD-ROM, Plakate, Ausstellungen, einfache Meß- und Analysegeräte, Dias, Photos, Karten und Pläne. Oft führen die Umweltbibliotheken Zeitungsausschnittsammlungen zu lokalen Umweltthemen oder fassen in einfachen Stehsammlern Infobroschüren, Faltblätter und Artikel zu aktuellen Themen zusammen, die eine schnelle und allgemeinverständliche Information ermöglichen. Fachberatung, Seminare, Vorträge und Diskussionsrunden, umweltpädagogische Angebote oder die Initiierung von Aktionen sind darüber hinaus Teil der Arbeit von Umweltbibliotheken bzw. ihrer Trägervereine. Die Vermittlung der Erkenntnis, daß die Ergebnisse der etablierten Wissenschaft nicht per se richtig und unfehlbar sind und die Anregung zu politischem und persönlichem Handeln, ist letztendlich Ziel der Umweltbibliotheken, die von keiner neutralen, sondern einer politischen, sich einmischenden Position aus agieren.

5. Nutzungsmöglichkeiten

Die meisten Umweltbibliotheken erheben keine Nutzungsgebühren, sie leihen ihre Medien auch aus, aber nur wenige bieten den Bezug per Fernleihe an. Dies ist nicht nur aus personellen Gründen schwierig, die Bestände der Vereinsumweltbibliotheken sind auch in keinem Zentralkatalog nachgewiesen und damit nur vor Ort oder per direkter Anfrage recherchierbar.

Fast alle Umweltbibliotheken der Vereine haben ihre Systematik selbsterstellt, während die Bibliotheken der Landesumweltämter generell die Systematik des Umweltbundesamtes nutzen. Erschlossen werden die Bestände größtenteils per EDV, wobei sehr einfache, z. T. selbstentwickelte und kaum miteinander kompatible Programme vorherrschen.

Die Flächen der meisten Umweltbibliotheken sind klein, über die Hälfte muß mit maximal 50 qm auskommen, ein weiteres Drittel mit maximal 100 qm Fläche; fast alle Umweltbibliotheken bieten wenigstens ein bis zwei Arbeitsplätze in ihren Räumen an. In 50% der Umweltbibliotheken steht den Nutzern zumindest ein PC zur Verfügung, was in der anderen Hälfte allerdings die Nutzung moderner Medien wie CD-ROM und Internet für die Nutzer bisher ausschließt. In rund Zweidrittel der Umweltbibliotheken besteht zumindest für die Mitarbeiter bereits Zugang zu den neuen Medien und nur wenige sehen die Nutzung auch zukünftig nicht vor.

6. Probleme und Ausblick

In der Gründungsgeschichte und Trägerstruktur der vereinsgetragenen Umweltbibliotheken ist bereits ihr größtes Defizit angelegt: nur wenige verfügen über einen ausreichenden und gar gesicherten Etat. Die Hälfte der Umweltbibliotheken muß ohne Erwerbungsetat auskommen und ist auf Spenden, kostenfreies Material, Rezensionsexemplare oder sporadische Projektförderungen angewiesen. Nur wenigen ist es bisher gelungen, soweit in die Wahrnehmung öffentlicher oder gar privater Geldgeber vorzudringen, dass diese aus den Kultur-, Umwelt- oder Sponsoringetats Mittel zur Verfügung stellen. Kontinuierlicher Bestandsaufbau und regelmäßige Aktualisierungen sind damit kaum möglich. Nur ein Teil der Umweltbibliotheken kann zumindest bis 6.000 Mark jährlich, wenige mehr, für den Medienerwerb ausgeben. Die Bestände der Umweltbibliotheken sind daher auch begrenzt, jedoch in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Ein Drittel der im Umweltbibliotheken-Wegweiser erfaßten Einrichtungen verfügt über bis zu 2.000 Bücher/Broschüren, ein weiteres Drittel über bis zu 5.000, rund 20% über bis zu 13.000 und 10% (die Landesumweltämter und das UBA) über mehrere zehntausend Bestandseinheiten. Bei Zeitschriftenabonnements können rund 60 Prozent bis zu 30 Titel anbieten, 20 Prozent bis zu 80 und 20 Prozent mehr als 80 Titel. Diese z. T. noch sehr kleinen Bestände enthalten allerdings oft bereits einen großen Anteil Literatur, den man vor Ort in keiner weiteren Bibliothek finden wird.

Die Personalsituation ist, da auch für feste Bibliotheksstellen Mittel fehlen, ähnlich prekär. In den meisten Umweltbibliotheken steht nur bis zu einer Stelle zur Verfügung, was oft zeitlich deutlich weniger als eine Vollzeitstelle bedeutet, die dann von Zivildienstleistenden, ABM-Kräften, Mitarbeiterinnen im Freiwilligen Ökologischen Jahr und/oder Ehrenamtlichen besetzt wird. Das wiederum bedeutet ständigen Personalwechsel mit allen damit verbundenen Problemen wie Kompetenzverlust, wenn die alten Mitarbeiter gehen, unterschiedliche Bearbeitung des Bestandes etc. Die Mitarbeiterinnen müssen oft weitere Aufgaben in der Trägereinrichtung wahrnehmen und können nur einen Teil ihrer Arbeitszeit für die Bibliothek aufwenden, wodurch es schwierig bis unmöglich ist, zeitaufwendige Arbeiten wie die Bestandserschließung und -pflege oder auch Lobbyarbeit für die Umweltbibliothek im gewünschten und notwendigen Umfang durchzuführen. Dazu kommt, das viele Mitarbeiter über eine umweltfachliche, aber wenige über eine bibliothekarische Qualifikation verfügen, was die Aufarbeitung der Medien zusätzlich erschwert.

Der Umfang der Nutzung der Umweltbibliotheken ist sehr unterschiedlich. Während die Zentrale Fachbibliothek Umwelt des Umweltbundesamtes die aus der ganzen Bundesrepublik eingehenden Literaturwünsche nur mit Mühe und viel Engagement bewältigen kann, kommen andere Umweltbibliotheken nur auf einen Wochenschnitt von sechs Nutzern, was ihrem Anspruch öffentlicher Wirksamkeit nicht genügen kann. Gerade die Überlastung zentraler Einrichtungen belegt aber noch einmal den vorhandenen Bedarf an umfangreichen Informationen zu Umweltschutzthemen vor Ort.

Die Umweltbibliotheken der freien Träger müssen so weiterhin um öffentliche Aufmerksamkeit, Anerkennung und vor allem um praktische, finanzielle Unterstützung kämpfen. Welche Qualität mit einer solchen Unterstützung in der Arbeit und Wirkung der Umweltbibliotheken möglich ist, zeigen bereits einzelne Beispiele. So wird die Leipziger Umweltbibliothek vom Umweltamt der Stadt institutionell gefördert und von den Stadtwerken, der Sparkasse und der Verbundnetz Gas AG finanziell unterstützt. Dies ermöglichte Stellenfinanzierungen, einen attraktiven Bestand mit weitgehender Erschließung und eine gute technische Ausstattung. Das Ergebnis sind auch ein breites Leserspektrum, gute Nutzerzahlen und gute Noten der Nutzer für Angebot und Arbeitsmöglichkeiten. Weitere Beispiele sind die Umweltbibliothek in Großhennersdorf, die Mittel aus der Kulturraumfinanzierung des Landes erhält, die in den einzelnen sächsischen Kulturräumen verwaltet werden, und die Bitterfelder Umweltbibliothek mit guten Bestands- und sehr guten Nutzerzahlen.

Hilfreich für viele der vereinsgeführten Umweltbibliotheken könnte neben dem intensiveren Austausch untereinander, auch ein stärkerer Austausch mit den Bibliotheken und den Fachstellen vor Ort sein, um die bibliothekarische Fachkompetenz auch für die Umweltbibliotheken stärker zu nutzen.

Quellen

(1) Müller, Jürgen; Quester, Roland: Umweltbibliotheken-Wegweiser. - Berlin, 1999.
        Bezug über: Grüne Liga e.V., Friedrichstr. 165, 10117 Berlin,
        E-Mail: bgst@grueneliga.de

(2) Lembach, Antje: Umweltbibliotheken. Ein aktueller Wegweiser. - Bonn, 1994.

(3) Strzolka, Rainer: Bibliotheken als Bürgerinitiative: Die Umweltbibliothek. - In: Arbeitsfeld Bibliotheken. - Frankfurt am Main: Klostermann, 1994.


Zum Autor

Roland Quester ist Leiter der Umweltbibliothek Leipzig
Träger: Ökolöwe Umweltbund Leipzig e.V.

Bernhard-Göring-Str. 152
D-04277 Leipzig
E.Mail: umweltbibliothek.lei@okay.net