Library buildings and new services

Studienreise für Bibliothekare nach Schottland und Nordengland

von Klaus Kempf und Irmgard Lankenau

Vom 12. - 18. September 1999 hatte eine Gruppe deutscher Bibliothekare auf Einladung des British Council und des Goethe-Instituts die Gelegenheit, auf einer Studienreise nach Schottland und Nordengland verschiedene Bibliotheken zu besichtigen. Die Reise wurde auch dieses Mal auf deutscher Seite vom Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt und der Generaldirektion der bayerischen staatlichen Bibliotheken in Zusammenarbeit koordiniert.

Nach einer ersten Studienreise von Bibliothekaren aus sechs Mitgliedsländern der Europäischen Union zum Thema "Building for the digital library" im Jahre 1997 und einem Besuch britischer Bibliothekare in Deutschland 1998 war dies die dritte deutsch-englische Begegnung von bauinteressierten und -kompetenten Bibliothekaren aus beiden Ländern. Es sei bereits an dieser Stelle hervorgehoben, dass die Reise aus der Sicht der Teilnehmer auch in diesem Jahr ein voller Erfolg war. Es hat sich einmal wieder herausgestellt, dass persönliche Inaugenscheinnahme von Bibliotheken und internationale Begegnungen eine nicht geringzuschätzende Fortbildung und Anregung bedeuten. Darin eingeschlossen ist auch der Kontakt zu deutschen Fachkollegen, der auf einer solchen Reise geknüpft bzw. intensiviert werden kann. Es ist deshalb zu wünschen, dass nicht nur British Council und das Goethe-Institut auch weiterhin die Möglichkeit zu Studienreisen bieten, sondern dass auch von den Unterhaltsträgern, d.h. zumeist den Bundesländern, erkannt wird, dass der Blick über den nationalen Tellerrand gerade heutzutage unerläßlich ist und eine sich rasch und gut verzinsende Investition in Bibliotheken und deren Benutzer bedeutet.

Schottland als Reiseziel - mit einem Ausflug nach Nordengland, nämlich Teesside - bot sich an, da der "Follett-Report" (1993) und in dessen Gefolge der "Dearing-Report" (1997) dort u.a. zu einem beachtlichen Bibliotheksbauprogramm geführt hat. Die Reise stand unter dem Motto: "Library buildings and new services". Neben Bibliotheksneubauten (National Library of Scotland, University of Paisley, University of Abertay Dundee und University of Teesside) wurden auch ältere Bauten unter dem Aspekt besichtigt, wie durch Um- und Anbauten versucht wird, Bibliotheken für moderne Erfordernisse fit zu machen. Als Beispiele stehen hier die Baumaßnahmen der Universitätsbibliothek in Edinburgh, der Caledonian University Library und die Glasgow University Library. Den Abschluß der Reise bildete ein eintägiges Seminar zum Thema Bibliotheksbau und -organisation, an dem neben den deutschen Teilnehmern auch einschlägig ausgewiesenen britische Bibliothekare teilnahmen.

Die "Highlights" der Reise waren sicherlich die Besichtigungen der beiden Bibliotheksneubauten der University of Abertay in Dundee und der University of Teesside. An beiden Gebäuden kann man gut ablesen, wie es Architekten und Bibliothekaren dank einer intensiven und engagierten Zusammenarbeit gelungen ist, Funktionalität und Ästhetik zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Flexibilität in der Raumnutzung und klare Funktionszuweisungen an bestimmte Gebäudeteile sind hier einen ausgewogenen Kompromiß eingegangen. Es wird deutlich, daß die berühmten "10 commitments for academic libraries" des Architekturbüros FaulknerBrowns in einer zeitgemäßen Leseweise zumindest im angloamerikanischen Raum nach wie vor Gültigkeit besitzen und zur Anwendung kommen.

Das Besuchsprogramm in den beiden Bibliotheken sah nicht nur die obligatorische Bibliotheksführung vor, sondern auch die Möglichkeit, mit den jeweiligen Architekten und mit Mitarbeitern der Bibliotheken Einzelheiten von Bau, Einrichtung und Organisation zu diskutieren. Was ist nun das besondere an diesen Bibliotheken?

Zur Beantwortung dieser Frage ist es nötig, etwas weiter auszuholen. Die britischen Universitäten stehen in hartem Wettbewerb um Studenten, Wissenschaftler und vor allem knappe staatliche Fördermittel. Bibliotheken werden dabei zunehmend als Wettbewerbsfaktor wahrgenommen. Ihnen bzw. ihren Dienstleistungen wird eine allseits akzeptierte zentrale Bedeutung beim Versuch beigemessen, das Studium nachhaltiger und rationeller und damit kostengünstiger zu gestalten. Sie werden als integraler Bestandteil eines "centers of excellence", dem Ziel vieler Universitäten, gesehen. Diese Rolle, nämlich mit hochwertigen Dienstleistungen einen wesentlichen Beitrag zur Qualität und damit zum Ruf bzw. zum Erfolg ihrer Hochschule zu leisten, wird von den britischen Bibliothekaren sehr selbstbewußt angenommen. Vor diesem Hintergrund - einerseits ökonomische Beweggründe, andererseits hochschulpolitische Überlegungen - wurde die neue Idee der Transformation der bestehenden Bibliotheken in einen neuen, den obigen Ansprüchen gerecht werdenden Typus von zentraler Hochschuleinrichtung in sog. Learning Centers oder auch Learning Resource Centers entwickelt. Letztere gehen über das Konzept einer Bibliothek mit multimedialen Informationsdiensten weit hinaus. Organisatorisch bedeuten sie die konsequente Zusammenfassung der mit Information und Lernen bzw. Studium befaßten zentralen Einrichtungen einer Hochschule, wie der Bibliothek, dem Rechenzentrum und den in Großbritannien an den Hochschulen weitverbreiteten sog. Learning and Teaching Institutes unter einer Leitung und - bei Neubauten - unter einem Dach. Hochschulpolitisch sind sie die Einlösung des Anspruchs der Bibliotheken im Lern- und Studiensystem der Hochschulen eine aktive Rolle zu spielen. Sie verstehen sich dabei nicht nur als bloße organisatorisch-technische Plattform, sondern als medienkompetenter Partner von Fachvertretern bzw. Fachdidaktikern bei der Entwicklung und dem Einsatz multimedialer Lehr- und Lerninstrumente. Die "klassischen" Aufgaben bzw. Dienstleistungen einer Bibliothek sind bei diesem Denkansatz nur noch ein Teilaspekt einer viel weiterführenden Philosophie, die nicht mehr die Informationsversorgung in den Mittelpunkt des Handels stellt, sondern die Lehr- und Lernunterstützung im weiten Sinne durch eine optimierte Ressourcenbewirtschaftung als eigentliches Endziel bibliothekarischen Denkens und Handelns sieht.

Die Architektur der beiden Gebäude in Dundee und Teesside sind Ausdruck diesen Denkens: beide können ohne Abstriche darüber hinaus als "landmark buildings" bezeichnet werden, sowohl was ihr Erscheinungsbild auf dem Campus als auch im Stadtbild generell betrifft. Vor allem in Dundee ist man stolz auf diesen städtebaulichen Akzent, der bei der Verleihung der "Scottish Design Awards" als bester Neubau ausgezeichnet wurde.

Beide Gebäude beeindrucken durch die Klarheit ihrer Konzeption, ja man könnte sagen, sie erklären und erschließen sich dem Benutzer selbst. Das Nutzungskonzept, das dahinter steht, ist bestechend einfach: alle Bestände sind auf mehreren Stockwerken nach Fächern gegliedert offen zugänglich aufgestellt. Um diese Bestände sind Benutzerbeitsplätze angesiedelt, die zum großen Teil mit PCs bzw. Netzzugang ausgestattet sind, und die Zugang zu Informationsressourcen über Intra- und/oder Internet bieten. In Abertay stehen für 4.000 Vollzeitstudenten 350 PC-Arbeitsplätze in der Bibliothek zur Verfügung, auf dem Campus weitere 400, so dass für jeweils 4,5 Studenten ein PC zur Verfügung steht. In Teesside verfügt die Bibliothek zur Zeit über ca. 400 PC-Arbeitsplätze für 7.200 Vollzeitstudenten. Zur Frage der Buchaufstellung und des entsprechenden Raumbedarfs ist anzumerken, dass in Großbritannien zur Zeit eine intensive Diskussion um die Frage "access instead of holding" geführt wird, die dahin zielt, Altbestand an wenigen Bibliotheken zu konzentrieren.

Der organisatorische Aspekt der Learning Resource Center Idee wurde mit den Neubauten für die Universitätsbibliothek an beiden Standorten umgesetzt. An beiden Universitäten wurden die jeweiligen Rechen- und die Multimediazentren in die Bibliothek integriert (Teesside) bzw. unter die Leitung der Bibliothek gestellt (Dundee). Studenten, Dozenten und Forschern wird ein informationstechnischer, multimedialer Rundum-Service geboten. Die EDV- Unterstützung für Studenten und vor allem deren intensive Schulung und Beratung bei der Nutzung von internen und externen Informationsquellen wird als zentrale Aufgabe der Bibliothek erachtet. Neben der Gruppeneinweisung gibt es eine nachhaltige Einzelberatung, einen ausgeprägten face-to-face-support. Beide Bibliotheken wurden baulich so gestaltet, dass mit minimalem Aufwand eine Öffnungszeit von 24-Stunden möglich ist. Heute haben beide Bibliotheken bereits mehr als 80 Stunden in der Woche geöffnet.

Den verantwortlichen Bibliothekaren und den Architekten wurde von uns die Frage gestellt, was sie - nach der einjährigen Erfahrung im Neubau - heute anders machen würden. Hier wurde vor allem die moderne Haustechnik genannt, die von einem Laien nicht zu bedienen sei, so dass man in der Bibliothek einen speziellen Haustechniker benötigte und der Rat des Bibliotheksdirektors in Abertay lautete: "Get your building management system organised before moving in".

Als größtes Problem wurde in Abertay und Teesside - wie in den anderen besuchten Bibliotheken übrigens auch - die Unruhe und der Geräuschpegel bezeichnet. Entsprechende Benutzerumfragen haben ergeben, dass dies das absolute Negativkriterium ist. Laut Angaben der Bibliothekare ist nicht nur auf das Konzept der offenen Bibliothek, sondern auch auf ein verändertes Verhalten der Benutzer zurückzuführen. Dennoch: die Akzeptanz der Bibliotheken durch die Studenten bestätigt das Konzept: zum Beispiel stieg seit Bezug des Neubaus die Nutzung in Abertay um 60%. Bibliothekare und Architekten sind sich einig, dass die große Akzeptanz zum einen auf einladende Gebäude und zum anderen auf gut durchdachte und selbst erklärende Nutzungskonzepte zurückzuführen ist.

Noch ein Wort zum Erscheinungsbild, das besonders in Abertay beeindruckend ist: Auffallend war im gesamten Haus die Übersichtlichkeit, die sich auch in einer generellen Ordnung und Sauberkeit sowie einer sparsamen Beschilderung ausdrückte. Eine Politik "zero tolerance" hat sich bewährt: d.h. Beschädigungen werden sofort behoben und notwendige Reparaturen umgehend ausgeführt. Beeindruckt ist der Besucher auch vom einheitlichen Design, das sich in Abertay und Dundee auch in Kleinigkeiten, wie Türklinken, Papierkörben usw. ausdrückt. Dazu der einleuchtende Kommentar eines der Architekten: "Looks good - stays good".

Zusammengefaßt kann für diese beiden Bibliotheken nur wiederholt werden, was ein Architekt über Abertay sagte: "This building is an absolute delight".

Wo viel Licht ist, ist natürlich auch (viel) Schatten: Neben den genannten herausragenden Neubauten sind in Schottland und Nordengland auch viele Bibliotheken anzutreffen, die weniger gelungene Baumaßnahmen aufweisen, bei denen vor allem im Bereich der Um- und Anbauten ganz deutlich konzeptionelle Unsicherheiten zu spüren und unübersehbare Mängel sowohl in der Bauausführung bzw. Einrichtung als auch der Organisation zutage treten. Beeindruckend zu sehen ist jedoch, wie von den eingangs erwähnten Regierungsprogrammen umfassende Impulse zur Weiterentwicklung von Bibliothekskonzepten und zur Errichtung von funktionstüchtigen und erstaunlich kostengünstigen Gebäuden führten. Zu recht sind unsere britischen Kollegen stolz darauf, daß die Innovationen in ihrem Bereich nicht nur isoliert auf Bibliotheken bezogen geplant und umgesetzt wurden, sondern daß sie integraler Bestandteil eines die gesamte Hochschule umfassenden "Re-engineerings" sind.


Zu den Autoren

Dipl.Kfm. Klaus Kempf ist Referent für das Wiss. Bibliothekswesen bei der Generaldirektion der Bayerischen Staatlichen Bibliotheken

Ludwigstrasse 16
D-80539 München
Tel.: (089) 28638-230 [Dr. Irmgard Lankenau]

Dr. Irmgard Lankenau ist Direktorin der Universitätsbibliothek Koblenz-Landau

Im Fort 7
D-76829 Landau
E-Mail: lankenau@uni-koblenz-landau.de