Kroatien und das Bibliotheksmanagement

Ein Surplace-Seminar in Zagreb und Bizovac

von Rafael Ball

Die Bibliothekarische Auslandsstelle (BA) am DBI in Berlin unter der Leitung von Elisabeth Simon, veranstaltet regelmässig Surplace-Seminare in Mittel- und Südost-Europa, finanziert durch das Auswärtige Amt, mit dem Schwerpunktthema Bibliotheksmanagement. In diesem Jahr fand das Surplace-Seminar in Kroatien statt. Das Seminar wurde durchgeführt von der Bibliothekarischen Auslandsstelle, dem kroatischen Bibliotheksverband, der Universitätsbibliothek Stuttgart und dem Forschungszentrum Jülich (Zentralbibliothek). Ein zweitägiges Vorseminar mit dem Thema "Bibliotheksmanagement einer Bibliothek mit niedrigem Etat" fand in Zagreb statt. Das Surplace-Seminar selber wurde vom 18.09. – 24.09.1999 in Slawonien in der Stadt Bizovac, unweit von Osijek an der serbischen Grenze, in einem Seminarhotel abgehalten.

Kroatien ist mit seinen rund viereinhalb Millionen Einwohnern ein eher kleines Land. Mehr als eine Million Kroaten leben dabei allein in der Hauptstadt Zagreb. Obwohl das kroatische Bibliothekswesen dem ersten Anschein nach eine gut organisierte zentrale Strukturierung aufweist, ist gerade das Fehlen zentraler Nachweise der Bestände eines der Hauptprobleme des kroatischen Bibliothekswesens. Es gibt regionale und lokale Schwerpunkte, unterschiedlich Gewichtungen in Bedeutung und Einfluss der Bibliotheken und ihrer Entscheidungsträger. Die mangelnden zentralen Nachweise, also ein nicht vorhandener Zentralkatalog der kroatischen Bibliotheksbestände, führt zu einer gewissen Enklavenbildung der einzelnen Bibliotheken. Häufig wird Literatur über die internationale Fernleihe aus dem Ausland bestellt, obwohl die benachbarte Bibliothek die Literatur im eigenen Bestand führt. Durch das Fehlen zentraler Nachweise ist auch ein überregionales document delivery-System im Sinne der Fernleihe nicht oder nur unter schwierigen Umständen möglich.

Die Referenten aus Deutschland trugen denn auch zu den zentralen Themen der Erschliessung der Bestände, den Möglichkeiten des document delivery und der möglichen Aufgabe der Nationalbibliothek in Zagreb vor. Es wurde dabei in der Diskussion und den Gruppenarbeiten der Teilnehmer deutlich, dass die Nationalbibliothek in Zagreb bei der Ausgestaltung und dem Aufbau zentraler Nachweise und eines zentral organisierten document delivery-Systems eine tragende Rolle spielen muß. Anhand ausgewählter Beispiele wurden Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes moderner Technik und elektronischer Medien, besonders im Hinblick auf den kroatischen Bibliotheksmarkt, aufgezeigt. Gerade vor dem Hintergrund von stagnierenden oder gar fehlenden Erwerbungsetats kroatischer Bibliotheken, wurde als weiterer Themenschwerpunkt die Ausweitung bibliothekarischer Dienstleistungen und Arbeitsfelder diskutiert. Mit dem z. T. reichlich vorhandenen Personal lassen sich personalintensive Dienstleistungen etablieren, während kosten- und investitionsintensive Bereiche reduziert oder eingefroren werden müssen. So kann dennoch die Akzeptanz der Bibliothek für die Benutzer erhöht und die Einrichtung weiterhin attraktiv gehalten werden.

Öffentliche Bibliotheken spielen in Kroatien ohnehin eine besondere Rolle und haben kaum Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung. Der letzte Themenschwerpunkt war der Einsatz elektronischer Medien und die Qualitätskontrolle durch Bibliotheken. Gerade die elektronischen Medien scheinen die strukturelle Dezentralisierung des kroatischen Bibliothekswesens aufheben zu können. In der Diskussion wurde klar, dass die Nutzung von elektronischen Diensten noch wenig verbreitet ist. Auch das Unrechtsbewusstsein in Copyrightfragen elektronischer Informationsangebote ist noch nicht weit entwickelt, da nur geringe Erfahrung im elektronischen Dienstleistungsbereich vorhanden ist. Weiterhin entscheidend ist die Qualitätskontrolle von elektronischen Dienstleistungen, die umfangreich diskutiert wurde. Kontrolle und Überprüfung der Qualität elektronischer Leistungen wird viel zuwenig beachtet und ist gerade im Bewusstsein von Bibliothekaren nicht verankert.

Mit der sich verändernden Dienstleistungspalette eng in Verbindung steht die Frage der Fort- und Weiterbildung bibliothekarischer Mitarbeiter. Wer neue Dienstleistungsfelder erschliesst und den Kernbereich ausweitet, muss auch die Qualifikation der Mitarbeiter entsprechend verbessern. Es wurde ausführlich diskutiert und in Gruppen erarbeitet und erläutert, wie die Qualifikation der Mitarbeiter verbessert werden kann und welche Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Generell scheint bei kroatischen Bibliothekaren, die noch mehr im traditionellen bibliothekarischen Denken und Handeln verankert sind, ein hoher Qualifizierungsbedarf für den Einsatz neuer Medien und fortschrittlicher Dienstleistungen angezeigt. Die fünfundzwanzig ausgesuchten Vertreterinnen und Vertreter des kroatischen Bibliothekswesens zeigten sich mit dem Seminar sehr zufrieden und gaben ihrer Überzeugung Ausdruck, das Erlernte und Eingeübte in ihren Einrichtungen nicht nur weitergeben sondern auch anwenden zu können. Sie dienen damit als Multiplikator für die Informationen und die Inhalte des Seminars. Durch die Abwicklung des DBIs wird auch die bibliothekarische Auslandsstelle (BA) in ihrer derzeitigen Form in Frage gestellt. Deshalb wird dieses Surplace-Seminar trotzt des so grossen Erfolges das vorerst letzte gewesen sein.


Zum Autor

Dr. Rafael Ball ist Leiter der Zentralbibliothek

Forschungszentrum Jülich GmbH
D-52425 Jülich
E-Mail: r.ball@fz-juelich.de