1. Gemeinsamer Kongress der
Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e.V. (BDB)
und der
Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft
und Informationspraxis (DGI)

Fünf Fragen von B.I.T.online an

Frau Prof. Dankert

Sprecherin der BDB

und

Herr Dr. Neißer

Präsident der DGI

 

Was hat die BDB/DGI bewogen, diesen
gemeinsamen Kongress zu veranstalten?

Prof. Dankert: Unübersehbar sind die Gemeinsamkeiten der bibliothekarischen und dokumentarischen Arbeit. Wir definieren sie zur Zeit in der BDB/DGI- Arbeitsgruppe ÒGemeinsames BerufsbildÓ. Informationspolitischer Einfluss wird gemeinsam erfolgreicher. Vergleicht man die Themen und Referenten der jeweiligen Jahrestagungen und -Kongresse sind die Doubletten fast schon peinlich - besonders wenn man bedenkt, dass auch die Teilnehmer vielfach übereinstimmen. Wo es wichtige Unterschiede und unterschiedliche Aufgaben, Qualifikationen, Kompetenzen und Adressaten gibt, bietet ein gemeinsamer Kongress einen Facettenreichtum und großzügige Rahmenbedingunen, die ein Partner allein nicht aufwenden könnte. Argument für die BDB aber war, die gemeinsame Stimme bei politischen Forderungen, wie sie der Kongress formulieren wird. Die Leipziger Bibliotheken, die Leipziger Messe bieten dafür ideale Voraussetzungen.

Dr. Neißer: Die Mitglieder der DGI und die Bibliotheken arbeiten zwar in unterschiedlichen Berufsfeldern. Dennoch gibt es zwischen den Dokumentaren und Information-Brokern auf der einen Seite und den Bibliothekaren auf der anderen eine Schnittmenge mit gemeinsamen Interessen, Problemen und Aufgaben.

Zwei wesentliche Motive für den gemeinsamen Kongress möchte ich aber noch ausdrücklich hervorheben: Da ist zum einen eine berufspolitische Seite. Wir leben zwar in der so oft beschworenen ÓInformationsgesellschaftÓ, aber die Information-Professionals finden viel zu wenig Gehör. Dabei wäre ihr Sachverstand und ihr Rat bei Entscheidungen von Politikern oder Medienmachern mehr als notwendig. Ich glaube, durch den gemeinsamen Auftritt in Leipzig erhöhen sich de Chancen für den Berufsstand, auf entscheidende Entwicklungen Einfluss nehmen zu können.

Zum anderen darf die ökonomische Seite nicht unbeachtet bleiben. Sowohl bei den Bibliothekaren als auch bei den Dokumentaren gibt es seit Jahren ein †berangebot von konkurrierenden Veranstaltungen. So kommt es zu einer Stagnation der Teilnehmerzahlen. Gleichzeitig geht die Zahl der ausstellenden Firmen kontinuierlich zurück. Dies wiederum hängt vor allem mit den niedrigen Teilnehmerzahlen zusammen und dem großen Kostenaufwand, den sich die Aussteller nicht länger mehrmals im Jahr leisten können. Die durch die Aussteller erbrachte Finanzierung ist jedoch für alle Verbände unverzichtbar.

Stellt man dieser Entwicklung den großen organisatorischen Aufwand und den geringen finanziellen Ertrag z.B. von Kongressen gegenüber, so wird rasch deutlich, dass Veränderungen und Abhilfe dringend nötig sind. Wenn wir keine vernünftigen Lösungen finden, bleiben die Aussteller weg, die Teilnahmegebühren steigen, die Arbeitgeber gewähre keine Dienstreisen mehr, und schließlich fallen Kongresse und Fortbildungen mangels Masse aus. Dies wäre eine katastrophale Entwicklung für die Informationsbranche.

Die bisherige Vielzahl von Veranstaltungen ist also auf Dauer sowohl für die Mitglieder der DGI, als auch für die der bibliothekarischen Verbände nicht mehr tragbar.

So ein Kongress besitzt ja in der Regel eine inhaltliche und eine politische Dimension. Welche Botschaften gehen für Sie von diesem Kongress aus ? - Wer sind die Adressaten?

Prof. Dankert: Wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken sind auf dem besten Wege, Garanten einer demokratisch organisierten Informations- und Wissensgesellschaft zu werden, die global agiert, gleichzeitig aber den lokalen Zugriff und regionale Kulturidentität sichert. Diese inzwischen akzeptierten Aufgaben erfordern fachliche Visionen und Qualitäten. Hier dient der Kongress als Center des State-of-the-art und Weiterbildungsveranstaltung.

Informations- und Kulturpolitik kann auf die bibliotekarische und dokumentarische Mitsprache nicht verzichten. Copyright, Internet-Regeln, staatliche wie private Mitverantwortung und Finanzierung sind die Stichworte für bibliothekspolitische Forderungen.

Adressaten für die Weiterbildungs-Funktion des Kongresses sind die Kolleginnen und Kollegen. Adressaten der informations- und kulturpolitischen Forderungen gehen an die Bibliotheksträger in Kommune, Land und Bund, natürlich auch im europäischen Parlament.

Dr. Neißer: Die politische Dimension habe ich bereits angesprochen. Wir wollen mit diesem Kongress ein Zeichen setzen und hoffen auf eine kräftige Signalwirkung. In Leipzig melden sich die Informations-Spezialisten zu Wort. Es sind Frauen und Männer, die entweder freiberuflich arbeiten oder in Firmen, Institutionen, Universitäten und Bibliotheken. Sie sind darin ausgebildet, die richtige Information nicht nur weltweit zu finden, sondern sie auch zu bewerten. Keine Suchmaschine im Internet ist nämlich in der Lage, den Informations-Schrott von den wichtige Dokumenten zu trennen. Nur Fachleute können in der Regel das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden und Informationen professionell auswerten. Diese Fachleute melden sich in Leipzig zu Wort und verlangen endlich mehr Gehör.

Andererseits müssen sich diese Fachleute auch fortbilden. Auch dazu dient der Kongress in Leipzig.

Schließlich und endlich soll intensiv diskutiert werden, wie es mit der Informationsgesellschaft, der Informationsvermittlung und der Informationstechnologie weitergeht. Wohin driftet die Entwicklung, auf welche Innovationen muss man sich schon in allernächster Zeit einstellen. Wie wird sich unsere Gesellschaft insgesamt verändern? Wie sieht es mit einer Informations-Ethik aus? Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt eines großen Fragenkatalogs, mit dem sich die Informationsspezialisten auseinandersetzen und zu dem sie Stellung nehmen müssen.

Sie kündigen Leipzig als den "ersten" gemeinsamen Kongress an. Wann wird es den zweiten geben?

Prof. Dankert: Noch in Leipzig werde BDB und DGI über weitere Kooperationsmöglichkeiten sprechen. Dazu gehören sicher †berlegungen zu weiteren gemeinsamen Kongressen. Die Leipziger Erfahrungen werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Schön wäre es, wenn auch die Archive mit ÒinÕs BootÓ kämen. Alle zwei oder drei Jahre ein gemeinsamer großer Kongress in Kooperation mit einer leistungsfähigen Messe und einem engagierten Ortskomitee - das wünscht sich die BDB und das kann ich mir gut vorstellen.

Dr. Neißer: Über eine Fortsetzung haben wir uns natürlich Gedanken gemacht. Aber bevor wir konkret in die Planung eintreten, müssen wir erst einmal die Ergebnisse dieses ersten Kongresses abwarten. Wenn alle wieder abgereist sind, wollen wir uns zusammensetzen, ganz offen Manöverkritik betreiben und uns darüber unterhalten, was gut und was weniger gut war. Ob es einen ÓzweitenÓ gemeinsamen Kongress gibt - ich würde es mir übrigens wünschen - , darüber entscheiden dann bei der DGI die Mitglieder.

Ist denn das bestehende Vereinsgefüge im Bereich es Bibliotheks- und Dokumentationswesens überhaupt noch in Einklang zu bringen mit der informationspolitischen Wirklichkeit und der erfolgreichen Veranstaltung großer Kongresse?

Prof. Dankert: Diese Frage rührt in der Tat an das Selbstverständnis und die Legitimierung von Berufs- und Dachverbänden (DBV, VBA, VDB, VdDB). Auch in anderen wissenschaftlichen und kulturellen Bereichen werden Fragen laut, ob nicht Experten-Networks, chat-groups oder große sozusagen omnipotente Institutionen (im Bibliothekswesen wäre das z.B. eine deutsche Nationalbibliothek oder ein bibliotheksorientierter Medienkonzern) die schwerfällig erscheinenden Dinosaurier der Berufsverbände mit ihren zeitraubenden Spielregeln der parlamentarischen Demokratie ersetzen könnten. Diese Sichtweise wird zweifellos genährt durch die allgemeine Politikverdrossenheit an Prozessen, die ebenfalls der parlamentarischen Demokratie mit vielstufigem Delegationsprinzip verpflichtet sind. Bei den bibliothekarischen Verbänden kommt noch der nicht usgestandene Konflikt des ÒgovernmentalÓ und Ònon-governmentalÓ von DBV und Berufsverbänden hinzu.

Ich sehe keine Alternative zum demokratischen Gefüge der Verbände. Auch für die Zukunft gilt : jeder Bibliothekar, jede Bibliothekarin muss die Möglichkeit besitzen, in wichtigen berufspolitischen Fragen per Delegationsprinzip mitzubestimmen. Die Beschleunigung und Globalisierung des elektronischen Datentransfers müssen von den Verbänden unterstützt und benutzt werden, um das demokratische Prinzip weiterhin zu verwirklichen. In der Gestaltung der Informationspolitik hat sich die BDB Position und Einfluss erarbeitet und findet dort gewiss ihr wichtigstes Arbeitsgebiet, das nur in europäischer und internationaler Abstimmung (EBLIDA, IFLA) zu bewältigen ist.

Kongresse von professionellen Veranstaltern in der Größe des Leipziger Kongresses kosten die Teilnehmer zwischen 2.000,- und 3.000,- DM. Wer kann sich das wünschen, wer kann sich das leisten ? Auch hier trägt das demokratische Prinzip. Das Leipziger Ortskomtee ermöglicht uns allen fachliche Qualität, Unabhängigkeit und finanziell tragbare Teilnahme. Ein Narr, der diese Errungenschaften der Berufs- und Verbandsdemokratie aufÕs Spiel setzte!

Dr. Neißer: Die Berufsverbände haben meiner Ansicht nach noch immer eine große Bedeutung. Wir können nicht auf sie verzichten. Allerdings müssen die Inhalte der Arbeit und auch der Verbandsalltag überdacht werden. So glaube ich, dass auch in der DGI ein struktureller Neuanfang nötig ist. Wir müssen die Ziele neu definieren und uns noch stärker an den Bedürfnissen der Mitglieder orientieren. Unsere Mitglieder erwarten Dienstleistungen und sollen sie auch bekommen. Dazu sind Mitgliederbefragungen nötig, neue Serviceleistungen müssen kreiert werden.

Aber neue Angebote sind natürlich abhängig von den Finanzen. Auch zur Finanzierung der Verbände müssen neue Wege gefunden werden. Eines der vordringlichen Ziele meiner Arbeit ist es zur Zeit, die DGI solvent zu halten.

Auch bedarf es zumindest bei der DGI einer erheblich profesionelleren PR-Arbeit. Bis jetzt haben die jeweiligen Vorstände alles mehr schlecht als recht selbst gemacht. Aber PR ist eine Arbeit für Fachleute. Dass die Informations-Spezialisten in der ...ffentlichkeit so wenig Gehör finden und die Bibliotheken ein verstaubtes Image haben, liegt in erster Linie an ihrem zumeist unprofessionellen Auftritt in der ...ffentlichkeit. Dabei ist PR eine wichtige †berlebensgrundlage für unsere Berufe. Wenn man gehört werden will, muss man sich so zu Wort melden, dass die Botschaft auch verstanden wird.

Und natürlich muss man in PR Geld investieren. Hier wurde bisher am falschen Fleck gespart. Geld, das in die ...ffentlichkeitsarbeit der Berufsverbände gesteckt wird, amortisiert sich in kurzer Zeit. Die Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis, die ich vertrete, ist meiner Ansicht nach auch in Zukunft unverzichtbar. Wenn es uns gelingt, die notwendigen Umstrukturierungen vorzunehmen, wird die DGI in Zukunft wahrscheinlich noch wichtiger sein als biser. Aber dazu muss noch viel †berzeugungsarbeit geleistet werden.

Für Sie persönlich ist dieser Leipziger Kongress von sehr unterschiedlicher Bedeutung. Für Sie, Frau Professor Dankert, bedeutet er das selbstgewählte Ende Ihrer berufspolitischen Arbeit, für Sie, Herr Dr. Neißer, ist es der erste Kongress in Ihrer Eigenschaft als DGI-Präsident. Mit welchen Wünschen und Vorstellungen gehen Sie nach Leipzig?

Prof. Dankert: Nicht immer stimmen persönliche und fachliche Wünsche so überein wie bei diesem letzten Kongress meiner 30 jährigen berufspolitischen Arbeit. Fast eine Berufsgeneration hat es gebraucht, bis Bibliothekare und Dokumentare ihre Qualitäten und Kompetenzen der Berufs- und der politischen ...ffentlichkeit gemeinsam vortragen. Zehn Jahre nach der deutschen Einheit trägt die Integration des deutsch-deutschen Bibliotheks- und Dokumentationsangebots so verläßlich, dass die Leipziger Messe und die Leipziger Bibliotheken die kompetentesten Partner für unseren Kongress darstellen. Das Proramm zeigt: Im globalen Informationstransfer und online-Austausch kultureller Zeugnisse werden Deutschlands Bibliotheken anerkannte Partner sein. Bei aller Einsicht in die eigenen Unzulänglichkeiten und schweren Aufgaben der nächsten Jahre - einen schöneren Abschied kann ich mir wirklich nicht denken!

Dr. Neißer: Ich erhoffe mir viele Impulse, die weit über das Treffen in Leipzig hinausreichen. Ich hoffe auf eine noch intensivere Kommunikation zwischen Dokumentaren und Bibliothekaren. Ich hoffe, dass der geplante Paukenschlag in Leipzig gelingt und die Information-Professionals in Zukunft in Presse und Politik stärker wahrgenommen werden. Und natürlich erhoffe ich mir von den Veranstaltungen eine solide Weiterbildung. Sicher aber bin ich mir, dass es zu einer Vielzahl an Kontakten und Kooperationen kommen wird. Gerade darüber freue ich mich!

Ein Aufbruch in der Informations-Branche ist notwendig! Die Zeit dafür ist reif und die Stimmung gut!

Wir danken Ihnen für das Interview und wünschen Ihnen einen erfolgreichen Kongress.