Fast ein Leben für die Bibliothek:
Clemens Deider geht in den Ruhestand

von Herausgeber und Verlag von B.I.T.online

 

Da der Beginn des Rentenalters noch nicht für das 70ste Lebensjahr festgelegt ist, muss Clemens Deider schon mit dem 65sten dem Berufsleben den Rücken kehren. Mit einem lachenden Auge, denkt man an die künftige Rentenentwicklung, und mit einem weinenden verlässt der studierte Diplom-Volkswirt seinen langjährigen Arbeitsplatz. Er musste eine Einrichtung, mit der er schon vor ihrer Gründung über die Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik (ABT) unter ihrem Leiter Bibliotheksdirektor Dr. Walter Lingenberg verbunden war, fast zeitgleich mit ihrer unverständlichen Totalauflösung verlassen. Von Jahresbeginn 1971 begleitete er dort die Entwicklung des deutschen Bibliothekswesens, bis 1978 die ABT mit der Arbeitsstelle für Bibliothekswesen zum Deutschen Bibliotheksinstitut (DBI) zusammengeführt wurde. Dort widmete er sich weiterhin vornehmlich der Entwicklung neuer Technologien in ihrem sinnvollen Einsatz für die Bibliotheken. Clemens Deider sah seine Aufgabe darin, Bibliotheken auf technische Neuerungen aufmerksam zu machen und deren Verwendbarkeit durch die Bibliotheken prüfen zu lassen und dort zur Diskussion zu stellen.

Während der Zeit der ABT drehte sich alles um die Zeitschriften Datenbank (ZDB), ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Daten variabler Satzlänge mussten erfasst werden, noch auf Lochstreifen. Ausgegeben wurden die Daten anfangs über einen Kettendrucker, für den in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsbibliothek eine Kette mit den bibliothekarischen Sonderzeichen beschafft wurde. Eine Mikrofilmausgabe ­ Computer Output Microform (COM) ­ erweiterte das Ausgabespektrum. Das brachte zusätzliche Fragen zum Filmmaterial, seiner Konfektionierung, zu Lesegeräten ­ Retrieval, Readerprinter ­ wie auch zur Präsentation von Mikrofichekatalogen, der Einrichtung ergonomischer Arbeitsplätze, intern und in Lesesälen für die Benutzer der Bibliothek. Auch die Datensichtgeräte der elektronischen/automatischen Datenverarbeitung waren mit speziellen Arbeitstischen auszustatten.

Parallel hierzu lief die Diskussion um die Medien ­ damals noch Buch-Identifikation für die elektronisch unterstützte Medienausleihe. OCR (optical character recognition) und Bar-/Strichcode standen im Wettstreit miteinander, den letzter aufgrund seiner Lesesicherheit gewann. Sogar das Bundesverteidigungsministerium erkundigte sich damals bei der ABT, welchem Verfahren die Bibliotheken den Vorzug gäben. Auch hier folgten die Fragen nach Barcodelesern, nach selbstzerstörenden, strapazierfähigen Etiketten, nach derem haltbareren Codeaufdruck und dessen Verträglichkeit mit Laminaten, die nach Antworten verlangten. Selbst die Frage, wo und wie soll das Etikett an-/eingeklebt werden, waren zu diskutieren.

Beschränkte sich anfangs die Barcodeverwendung allein auf die bibliothekarische Ausleihe, mahnte Deider die Einbeziehung des gesamten Geschäftsganges an; das Überdenken der gesamten bibliothekarischen Logistik bis hin zum Büchertransportdienst. Mit der weiteren Entwicklung der Identifikationstechnik in die Richtung eines mehrdimensionalen Barcodes und der Transpondertechnik erweiterten sich auch für Bibliotheken die Anwendungsgebiete. Daran hätte Clemens Deider gerne weitergearbeitet. Jüngste Beispiele sind die elektronische Briefmarke und, unter anderem, das "intelligente" Transponder-Etikett.

Es war auch die Zeit der Vervielfältigung, der Kopie auf Normalpapier. Für das Katalogkartenformat 7,5 x 12,5 cm wurde damals auf Veranlassung der ABT von der Firma Ubix später Konica ein spezieller Katalogkartenkopierer entwickelt, der den Anstoß für weitere Auch-Katalogkartenkopierer anderer Hersteller gab. Auch schonende Buchkopierer waren und sind gefragt. Die Entwicklung setzte sich fort bis hin zum heutigen "Document Centre"; Dokumentenerfassung über Scannertechnik und digitale Kamera wie auch Bildübertragung mit Telefaxgeräten, letztes auch in Farbe möglich. Und heute sind Multifunktionsgeräte angesagt, die in einem scannen, kopieren, faxen und E-Mail-Adressen im Internet beliefern.

Einem Thema, dem Bildschirmtext (Btx), widmete sich Clemens Deider in den 80er Jahren. Vor 23 Jahren wurde Btx offiziell auf der Funkausstellung in Berlin einer Generation vorgestellt, die noch nicht mit dem Computer vertraut war. Das, was jetzt im Internet so gefeiert wird, konnte man schon vor 18 Jahren haben: E-Mail, Homepages, Teleshopping mit Micropayment und sogar Chat-Lines, die es im Btx seit 1986 gab. Auch die ständige Überlastung der Telefonleitungen und der langsame Seitenaufbau, für die Btx immer gegeißelt worden war, sind beim Internet heute noch selbstverständlich. So sieht der alte Btx, das heutige T-Online als Europas größter Internetprovider, im Siegeszug des Internets seine späte Bestätigung. Damals musste man sich rechtfertigen, dass man sich mit so etwas Unnützem wie Btx beschäftigte. Heute wird man schon schief angesehen, wenn man keine E-Mail-Anschrift hat.

Bibliotheken, die sich trotz alledem schon damals mit dem Btx-System auseinandergesetzt hatten, verfügten für das Internet dann schon über ein fundiertes inhaltliches und logistisches Grundwissen, das jetzt wieder durch den Btx bzw. jetzt T-Online mit dem Micropayment "net 900" fortgeschrieben wird.

Es war die Chipkartentechnologie, die die Grundlage für einen Studentenausweis mit elektronischer Zahlungsfunktion schuf. Für erste Erkenntnisse u.a. über Eigenschaften, Vor- und Nachteile, ihre Sicherheit usw. stellte das DBI 1995 für Bibliotheken grundlegende Überlegungen an, die auf der MultiCard `96 zusammen mit Projekten der Universitäten Trier (TU-NIKA) und München (MUK) öffentlich von Clemens Deider vorgetragen wurden.

Weitere Universitäten, und so ihre Bibliotheken, sind ihnen gefolgt. Ferner waren es die Speichermedien und ihre Entwicklung, die für die Bibliotheken auch als Ausleihmedium im Auge behalten werden mussten. So die Wandlung der Compact Disc (CD) in ihren verschiedensten Arten zur Digital Versatile Disc (DVD) bis hin zum mechanikfreien Memory Stick von Sony.

Telekommunikation war ein weiterer Aufgabenschwerpunkt. Darunter fallen Telearbeit, Überlegungen zu bibliothekarischen multimedialen Call-Centren als Vorstufe bibliothekarischer Informationsvermittlungsstellen und Videokonferenztechniken. Für letzte bildete eine 1998 unter der Leitung von Deider geschaltete internationale Videokonferenz ­ Prag, Tallin, Hagen in Westfalen, Berlin und Münster (Schaltstelle der Deutschen Telekom AG) ­ einen Höhepunkt in der internationalen Konferenz der bibliothekarischen Auslandsstelle "Die medienkompetente Bibliothek in der Informationsgesellschaft". Die Einrichtung einer Videotelefonstrecke Berlin ­ Köln war 1999 die unmittelbare Folge.

Als letzte angegangene innovative Themen sind noch das e-Book, die e-Ink und Book-On-Demand (BOD) zu erwähnen, welche die Arbeit von Clemens Deider mitbestimmten.

Mit all diesen Themen setzte Clemens Deider sich engagiert auseinander und versuchte, Bibliotheken und Firmen zu einem fruchtbaren Dialog zusammenzubringen. Im DBI war u.a. Deider auch Ansprechpartner für die Wirtschaft und deren neue Entwicklungen. Firmen wurden auf das DBI aufmerksam und konnten sich so gezielt mit den Wünschen der Bibliotheken auseinandersetzen. Trotz permanenten Geldmangels des Institutes gelang es ihm, Veranstalter von Konferenzen und Seminaren, Verlage und Firmen so für die Sache der Bibliotheken zu begeistern, dass neben kostenfreien Abonnements von ausgesuchten Fachzeitschriften und gesponserten Gerätenutzungen auch die Teilnahme an sonst teuren Fachtagungen möglich wurden, die dann doch trotz angeforderter Vorträge immer häufiger an den durch das DBI zu tragenden Reisekosten scheiterten.

Einen Einschnitt bedeutete die Umorganisation des Deutschen Bibliotheksinstitutes bei der Zusammenführung des DBI's mit den bibliothekarischen Zentraleinrichtungen der neuen Bundesländer. Mit ihr trat das Interesse des DBI's an den neuen Technologien bis auf Ansätze im Internet weiter in den Hintergrund. Eine große Hilfe in dieser Zeit war deshalb für Clemens Deider sicherlich die Mitarbeit an dieser Fachzeitschrift B.I.T.online. Hier wurde ihm eine ständige Plattform eingeräumt, um den Bibliotheken neue Entwicklungen und Ereignisse auf dem Markt der Information und Dienstleistung bekannt zu machen und zur Diskussion zu stellen.

Auch B.I.T.online ist es deshalb ein großes Anliegen, Clemens Deider für dieses Engagement zu danken, und die Herausgeber schätzen sich glücklich, ihn damals gleich bei der Gründung ihrer Zeitschrift Anfang 1998 als korrespondierenden Mitarbeiter für den Bereich Neue Medien und Technologien gewonnen zu haben. Nicht nur seine Fachbeiträge waren für unsere Leser von hohem Interesse, sondern auch seine immer kompetenten Messeberichte. So bedauern wir sehr, dass mit dem Erreichen der Altersgrenze und dem Ausscheiden aus dem EDBI, und dessen Auflösung, er wie wir von wichtigen Informationsquellen abgeschnitten sein werden.

Wir hoffen jedoch, hier neue Kontakte knüpfen zu können und ebenso, dass Clemens Deider dem Bibliothekswesen auch im Ruhestand noch ein wenig verbunden bleibt und dass wir ihn als Autor für den einen oder anderen Bericht über Messeneuigkeiten wieder gewinnen können. So waren es weniger die großen Themen, die das Bibliothekswesen bewegten, über die Clemens Deider berichtete, als vielmehr die kleinen, fast "nebensächlichen" technischen und logistischen Hilfsmittel, die im Vordergrund seiner Berichterstattung standen und die das bibliothekarische Leben sowie das der Benutzer von Bibliotheken und ihrer Mitarbeiter erleichtern sollte. Clemens Deider hat hierfür einen wesentlichen Beitrag geleistet. Wir danken ihm dafür ganz herzlich und wünschen ihm für den Ruhestand alles Gute, Gesundheit und ein weiterhin waches Interesse am Bibliothekswesen.