OmniCard 2000

Internationales Treffen der Chipkartenwelt in Berlin 2000

von Clemens Deider

 

Wie in den vorangegangenen Jahren fand sich auch dieses Jahr in Berlin (vom 19. bis 21. Januar 2000) die Chipkartenwelt zu dem Ereignis des Jahres, der "Omni-Card 2000", zusammen. Auch diesmal wurde an drei Tagen ein umfassender Überblick über den status quo der vielschichtigen Chipkartenentwicklung gegeben. Was OmniCard in den vergangenen Jahren auszeichnete, B.I.T.online und ABI-Technik berichteten darüber, fand auch diesmal seine Fortsetzung. Über aktuelle Projekte und Entwicklungen wurde berichtet und Probleme wurden diskutiert. Das Veranstaltungsprogramm, wie auch das Inhaltsverzeichnis der 340 Seiten zählenden Konferenzdokumentation, spiegeln die zahlreichen und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Chipkarten wider.

Nach einem nachdenklich stimmenden Einführungsvortrag von Dr. Claus Noé (Staatssekretär a.D., Bundesministerium für Finanzen) über die Entwicklung der Zahlungsmittelkultur "Wenn es keine Scheine und Münzen mehr gibt: Schritte auf dem Weg zu einer Innovation", bestimmten Vorträge internationaler Fachreferenten zu Themen neue Chips, Endgeräte/Automaten, Chipkarten und Kommunikation/Kundenbindungssysteme den Tag. Der folgende Tag stand ganz im Zeichen des Electronic-Commerce, des Electronic-Government und des elektronischen Zahlungsverkehrs. Die elektronische Abwicklung von Geschäften über das Internet und der Einsatz des Internets für Zwecke der öffentlichen Verwaltung haben mehr Gemeinsamkeiten als nur die Nutzung des gemeinsamen Mediums Internet. Bei beiden müssen sensible Daten vertrauenswürdig und sicher über offene Netze ausgetauscht werden. Absender und Empfänger der Daten müssen zuverlässig wissen, mit wem sie es am anderen Ende der Leitung zu tun haben. So waren es Themen zum Trust-Center, zum virtuellen Marktplatz, dem virtuellen Rathaus und die Verwendung der digitalen Signatur, alles auf der Plattform einer multifunktionalen Chipkarte. Mit ihrer Hilfe soll auch das Bezahlen bestellter Waren, wie das Entrichten der Gebühren für öffentliche Dienstleistungen, durch ein sicheres Internetzahlungssystem möglich werden. Der dritte Tag gehörte der Chipkarte und ihren Anwendern, dem Smartcard Management, dem Einsatz der Chipkarte im Gesundheitsbereich, bei Transport und Verkehr.

Speicher- und Rechenkapazitäten nehmen stetig zu, so dass der Gedanke nahe liegt, verschiedene Anwendungen bzw. deren Kombination auf einer einzigen Chipkarte vereint zu applizieren. Aber bei wem liegt dann die Entscheidung, welche Anwendung auf einer Chipkarte zulässig sein soll; ist es der Chipkartenherausgeber oder der Karteninhaber? Reicht eine Multifunktionskarte für alle Bedürfnisse des Karteninhabers aus oder sollen es mehrere Karten mit einer branchenorientierten Belegung sein? Eine Karte für "Alles" dürfte das Verlust- und Missbrauchrisiko nicht unbedeutend erhöhen. Und wer soll wann welche Daten speichern, lesen oder verändern dürfen? Wer gilt als Kartenemittend und trägt so die Verantwortung, haftet für Karteninhalte und Nutzungsstabilität, Datensicherheit etc.? Und welche technische und organisatorische Infrastruktur ist zu schaffen, um eine transparente, sichere und nachvollziehbare Ordnung für alle Anwender zu schaffen? Es sind Fragen unter anderem auch der Standardisierung, auf die auch Omni-Card keine erschöpfende Auskunft geben konnte. So zog eine Frage ganze Bündel von Folgefragen nach sich. Zu differenziert und vielschichtig sind die Probleme.

Es wurden jedoch auch, je nach Anwendungsfall, Anforderungen formuliert und Perspektiven aufgezeigt. Bei den Anwendungen wurden beispielhaft der Einsatz der Chipkarten im Gesundheitswesen bzw. bei Transport und Verkehr herangezogen, die die Thematisierung des Vortages erläuterten und vertieften. Bei letzten waren es vornehmlich der öffentliche Personenverkehr der Deutschen Bahn AG, Handlungsempfehlungen des "Arbeitskreises kontaktlose Chipkarten für Elektronic Ticketing" ­ kontiki ­, wie auch die Einführung der Chipkarte als Führerschein in Lateinamerika, die Fragen nach den Anforderungen an Hard- und Software der Chipkarten, nach der organisatorischen Einbindung in die unterschiedlichen Anwendungsprozesse aufwarfen.

Die Tage wurden mit einem allgemein politischen Vortrag abgeschlossen, danach trafen sich die Teilnehmer zu oft lebhafter Diskussion am Bufett. So beschäftigte sich Rainer Brüderle, wirtschaftspolitischer Sprecher der F.D.P.-Bundestagsfraktion und Staatsminister für Finanzen a.D. in seinem Vortrag mit dem Thema Unternehmenskultur.

Matthias Wissmann, Bundesminister für Verkehr a.D. und Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages, beschloss den zweiten Konferenztag mit seinem Vortrag "Standort Deutschland: Fit für das nächste Jahrtausend?"

So bot OmniCard ebenso ein Forum zum Kennenlernen ­ von den 540 Teilnehmern besuchten 235 die Veranstaltung das erste Mal ­ als auch eine Plattform für den Erfahrungsaustausch zwischen den alten Teilnehmern über die Entwicklung begonnener Projekte. Eine Fachausstellung von 64 Ausstellern lieferte darüber hinaus Kontakte zu Full-Service Providern für den elektronischen Zahlungsverkehr und kartenbasierten Kundenbindungssystemen; Kontakte zu Anbietern von

Wurden diesmal die Universitäten bzw. deren Bibliotheken, wie es bei vorangegangenen Veranstaltungen der Fall war, nicht direkt angesprochen, gab es doch eine Reihe von Punkten, die in modifizierter Form auch Bibliotheken betreffen können. Denkt man nur an die Beziehungen zu den Benutzern, an die Einsatzmöglichkeiten in der bibliothekarischen Ablauforganisation, an Sicherheitsaspekte und e-Commerce.

Benutzer könnten mit ihrer Bibliotheksbenutzerchipkarte Zugang zu öffentlichen Internet-PCs der Bibliothek erhalten und dabei via elektronischer Geldbörse direkt die Internetverbindungskosten tragen; später eventuell noch die Kosten für die über das Internet übermittelten "Buch"-Texte, um diese dann mit dem elektronischen Buch, dem Rocket eBook von NuvoMedia ( B.I.T.online 2/1999, S. 173) oder der elektronischen Zeitung von IBM ( B.I.T.online 4/1999, S. 495), lesen zu können.

Chipkarte und elektronische Signatur trügen ferner dazu bei, Verwaltungskosten zu senken. So erwartet z.B. das Bundesarbeitsministerium bei dem Rechnungswesen der Sozialversicherungen eine jährliche Kostenersparnis von einer Milliarde Mark. Seit Juli 1999 erlaubt eine Vorschrift dem Rechnungswesen, Verträge mit Banken elektronisch abzuwickeln.

Seit dem 1. August 1997 dürfen formfreie Verträge, solche also, bei denen das Gesetzbuch nicht zwingend eine Handschrift verlangt, elektronisch besiegelt werden. Für die circa 400 Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, die eine Handschrift zwingend fordern, will noch in diesem Jahr das Bundesjustizministerium einen Entwurf vorlegen, der auch für diese Fälle die elektronische Signatur zulässt. Für die Echtheit der Signatur bürgen sogenannte Trustzentren. Einziger Betreiber von Trustzentren war bisher die Deutsche Telekom AG. Zur Computermesse CeBIT war zu erwarten, dass die Regulierungsbehörde auch die Posttochter Postcom zuließ. Auf der OmniCard gingen Referenten auch auf die Trustzentren, die rechtlichen Aspekte und Anwendungsfelder für digitale Signaturen und Zertifikate ein. Für den Einsatz der elektronischen Signatur umfasst eine Grundausstattung des Arbeitnehmers Software, Kartenleser und eben eine Chipkarte, auf die dann der private Schlüssel des Schlüsselpaares für die Signatur gespeichert ist.

Die Beamten der Niedersächsischen Landesverwaltung geben den "Griffel" schon jetzt ab, zumindest wenn es um das Unterschreiben von Papieren und Versenden von Zahlungsanweisungen geht. Am 24. Januar 2000 unterschrieb Niedersachsens Finanzminister Heinrich Aller den Vertrag mit der Deutschen Telekom, die das System in den Behörden des Landes technisch betreut. Die Hansestadt Bremen, Nürnberg und Esslingen testen bereits den Einsatz der SignaturCards für den Bürger. Wird da etwa auch schon an die Bibliotheken gedacht? OmniCard hielt so auch für interessierte, aufgeschlossene Bibliothekare/Bibliothekarinnen viele interessante Anstöße und Anregungen bereit, um sie in Arbeitskreisen analog zu diskutieren und in Projekten umzusetzen.

Denn nur so können sich die Bibliotheken aktiv in die Entwicklung der Chipkarte in ihrer Multifunktionalität erfolgreich einbringen. Als Handbuch für das Aufstellen eines bibliothekarischen Chipkarten-Konzeptes eignet sich u.a. die diesjährige Konferenzdokumentation Omni-Card 2000: "Die Chipkarte: Multifunktionaler Schlüssel im neuen Jahrtausend".

Elf Kapitel beschäftigen sich dort mit dem Phänomen Chipkarte: den Herausforderungen an sie und den neuen Chips, dem Management von Chipkarten, dem elektronischen Zahlungsverkehr, den Endgeräten und Automaten, dem Electronic Commerce und Electronic Government, den Chipkarten in der Kommunikationsbranche, den Kundenbindungssystemen mit Chipkarten, den Chipkarten im Gesundheitsbereich, den Chipkarten im Transport und Verkehr.

Und um einen Vorgeschmack auf die Entwicklung in Europa zu bekommen, gibt am Schluss des Konferenzbandes eine Anzahl von Informationstafeln des Vortragenden einen Überblick auf den Chipkartenmarkt in den USA.

Die Konferenzdokumentation kann bei dem Veranstalter inTime1 bezogen werden. Von einigen der 60 Referenten wurden deren Vorträge in der Ausgabe der Fachzeitschrift Card-Forum2 vom Januar 2000 schon publiziert. Das Magazin erscheint monatlich und gestattet einen sehr guten Überblick der aktuellen Kartenthemen, stellt Beispiele der Praxis aus wechselnden Branchen vor und vergisst auch nicht, auf technische Fragen und Belange einzugehen.


Fußnoten

1. Herr Mathias Fluhr, Plüschowstraße 56, 14167 Berlin

2. Every Card Verlags GmbH, Card-Forum, Lüner Rennbahn 7, 21339 Lüneburg