Erwerbungsprofile in universitären
Bibliothekssystemen: eine Auswahl


Kommission des Deutschen Bibliotheksinstituts
für Erwerbung und Bestandsentwicklung.
Hrsg. von der Expertengruppe Bestandsentwicklung
in Wissenschaftlichen Bibliotheken II.
- Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut, 1999. 180 S. (dbi-Materialien; 189)

Die Expertengruppe "Bestandsentwicklung in Wissenschaftlichen Bibliotheken" der Kommission des DBI für Erwerbung und Bestandsentwicklung legte 1994 eine Untersuchung zum Bestandsaufbau und zur Erwerbungspolitik in universitären Bibliothekssystemen vor (1). "Die Studie deckte – z.T. elementare – Defizite in der inhaltlichen Konkretisierung der erwerbungspolitischen Zielsetzung wie in der Evaluierung des Bestandsaufbaus auf." (Rolf Griebel in der Einleitung, S. 5)

Diesen Defiziten nachzugehen, war für das DBI einer der wichtigsten Gründe, die Fortführung der Arbeit der Expertengruppe zu befürworten. Des weiteren beeinflussten zahlreiche neue Entwicklungen die Methodik und die Erfolgskontrolle des Bestandsaufbaus, z.B. die Erwerbung elektronischer Publikationen durch die Bibliotheken, die Kostenexplosion auf dem Literaturmarkt, stagnierende oder rückläufige Bibliotheksetats, die Globalisierung der Haushalte an den Universitäten.

So wurde 1995 eine Expertengruppe gleichen Namens mit dem Zusatz "II." ins Leben gerufen. Deren genaue Zielstellung erfährt der Leser erst auf Seite 167: "Zielsetzung der Expertengruppe ist die Entwicklung von Erwerbungsprofilen, die – bezogen auf das jeweilige spezifische Anforderungsprofil der betreffenden Universität – das erwerbungspolitische Programm in einzelnen Fächern inhaltlich konkretisieren."

Mit dieser Veröffentlichung liegt das Ergebnis der Expertengruppe vor.

Die von der Gruppe erarbeiteten und hier abgedruckten "Empfehlungen zur Entwicklung von Erwerbungsprofilen" stellen "ein Grobkonzept als Rahmen für die Erarbeitung von Erwerbungsprofilen dar, das einerseits eine gewisse Vergleichbarkeit im Aufbau gewährleistet, andererseits bei der Ausgestaltung die erforderlichen Freiräume belässt." (S. 7)

Auf der Grundlage dieser Empfehlungen wurden bis Ende 1997 an 11 Universitätsbibliotheken 23 Erwerbungsprofile zu insgesamt 16 Fächern erarbeitet. Die vorgelegte Auswahl umfasst 14 Erwerbungsprofile, die an zehn Universitätsbibliotheken (sechs einschichtigen und vier zweischichtigen Bibliothekssystemen) für zehn Fächer erarbeitet wurden und zusätzlich zwei Profile der Staatsbibliothek zu Berlin, um einen außerhalb der universitären Bibliothekssysteme liegenden Ansatz einzubeziehen.

Eine Analyse der einzelnen Fächer ergibt eine für Studien m.E. unzulässige - Dominanz der Geisteswissenschaften (acht Profile) und der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften (vier Profile). Dagegen steht nur je ein naturwissenschaftliches und ingenieurwissenschaftliches Fach. Damit steht die Erwerbung von Monographien im Vordergrund, die graue Literatur und die bedeutsamen elektronischen Publikationen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Das führt zu Verzerrungen, denen sich die Expertengruppe durchaus bewusst ist: "und folglich Aspekte eines neuen Erwerbungskonzeptes, das klassischen Bestandsaufbau und die Bereitstellung eines elektronischen Nutzungsangebots verbindet, nicht diskutiert werden." Das steht so unkommentiert in der Einleitung, und der unvoreingenommene Leser stellt sich ganz simple Fragen: Warum haben das die Experten zugelassen? Wo bleiben die Profile der modernen Disziplinen, z.B. aus der Kommunikations- und Informationstechnik, aus den Grenzwissenschaften und aus den Naturwissenschaften? Welche Rolle spielen natur- und technikwissenschaftliche Informationsquellen in der Erwerbungspolitik der Universitätsbibliotheken in Ergänzung der vorzüglich bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Erwerbungsprofile geisteswissenschaftlicher Fächer? Warum umfassen die Fächer "Maschinentechnik, Fertigungstechnik" (UB Chemnitz) und "Biologie" (ULB Düsseldorf) nur ganze vier Seiten, die "Bildende Kunst einschl. Architektur und Photographie" (UB Freiburg) und die "Anglistik" (UB Münster) aber je 16 Seiten? "So viele Berichte. So viele Fragen", so der Schluss von Bert Brechts "Fragen eines lesenden Arbeiters". Die Expertengruppe II. ist tot! Es lebe die Expertengruppe III.

Signale zur Berücksichtigung elektronischer Publikationen kommen nun ausgerechnet aus – im weitesten Sinne des Wortes – geisteswissenschaftlichen Disziplinen: Theologie (S. 126; beim Engagement der Bibliotheksleitung nicht verwunderlich, dass das die SUB Göttingen betrifft), Germanistik in der UB Heidelberg (S. 61), Wirtschaftswissenschaften in der UB Bamberg (S. 136-137).

Dennoch: Die Empfehlungen sind eine erste, wichtige Grundlage für das klassische Erwerbungsprofil wissenschaftlicher Bibliotheken. Die Beispiele regen zum Nachdenken an und werden andere, von diesen Studien nicht betroffene Bibliotheken, zu eigenem Handeln veranlassen.

Die "Erwerbungsstufen / Sammelintensitäten" (S. 171-172) allerdings bedürfen der Überarbeitung, sie sind nicht aussagekräftig genug (z.B. ist die Kennzeichnung der Tiefe von Zeitschriften widersprüchlich), und das Zeichen "…" ist kein wissenschaftliches Hilfsmittel am Ende der Aufzählung von Nachschlagewerken.

Damit das Heft als Arbeitsmittel genutzt werden kann, hätten die Ausführungen um ein Literaturverzeichnis und ein Glossar erweitert werden müssen. Beispiele: Auf S. 7 wird vermerkt, dass die als Vorschlag aufgenommene Zusammenstellung der Erwerbungsstufen "sich im wesentlichen auf die Definitionen des Conspectus" stützt (Quelle?) – Auf S. 170 wird es plötzlich zweisprachig: "De-acquisition / Aussonderung" (Warum nur hier? Oder: Warum überhaupt? Es gibt übrigens noch andere englischsprachige Bezeichnungen für "Aussonderung").


Anmerkung

Griebel, Rolf: Bestandsaufbau und Erwerbungspolitik in universitären Bibliothekssystemen: Versuch einer Standortbestimmung. Berlin, 1994. 135 S. (dbi-Materialien; 134)


Anschrift des Rezensenten
Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Sanddornstraße 8
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