Die Pierpont Morgan Library

Von der privaten Sammlung zur Forschungseinrichtung mit Museum

von Alexander Schultheis

New York ist immer eine Reise wert. Manhatten verfügt ungefähr über 2.500 Bibliotheken. Natürlich ist die größte Bibliothek die Public Library in New York. Aber man sollte sich auch die anderen Bibliotheken in Manhatten ansehen, die über einen gigantischen Reichtum an kostbaren Büchern verfügen. Während meines achtmonatigen Praktikums am Goethe-Institut in New York konnte ich die vielseitigen Bibliothekstypen in New York kennenlernen. Besonders gefallen hat mir die Pierpont Morgan Library, die ich mit diesem Beitrag ein wenig vorstellen möchte.

Die Morgan Library befindet sich in der 29 East, 36. Straße. Man erreicht die Bibliothek mit der Subway 6 zur 33. Straße. Für Erwachsene kostet der Eintritt 7 US $ und für Kinder, Studenten und Senioren 5 US $. Die Morgan Library kann im WWW unter folgender URL http://www.morganlibrary.org besucht werden.

Die Bibliothek, oder vielmehr die Sammlung, wurde von dem Bankier und Finanzexperten Pierpont Morgan gegründet. Morgan ist am 17. April 1837 in Hartford, Connecticut, geboren. Er besuchte ein Internat in der Schweiz, dann die Universität in Göttingen und verbrachte oft seine Ferien in England. Somit hatte er schon sehr früh Kontakt zu Europa. 1857 kehrte Morgan nach New York zurück. Er scheute die Öffentlichkeit und führte einen kultivierten Lebensstil, fern jeglicher Prunksucht. J. P. Morgan war als geselliger und gastfreundlicher Mensch bekannt. 1856 heiratete er Frances Louisa Tracy. Sie hatten zusammen vier Kinder: Louisa, Juliet, Anne und Jack.

Morgan hatte seit frühester Zeit eine Vorliebe für Bücher, Zeichnungen, Zeitungen, Noten, Dokumente, Autographen und Bilder. Der Tod des Vaters gab ihm den entscheidenden Anstoß zum Kauf von Manuskripten und Büchern. Entscheidend war natürlich auch das Vermögen von Morgan. Es wurde etwa auf 12,4 Millionen Dollar geschätzt. Das heutige Gebäude, in dem die Sammlung untergebracht ist, wurde schon zu seinen Lebzeiten in den Jahren 1902 und 1906 gebaut. Charles McKim hat das Bauwerk geplant und die berühmte Baufirma McKim, Mead & White hat das Gebäude errichtet. Das Gebäude sieht aus wie ein Palazzo im italienischen Renaissance-Stil. Die Bibliothek besteht aus drei großen Räumen, welche mit einer überkuppelten Eingangshalle verbunden sind. Der East Room ist der größte Raum und ist für die Aufbewahrung der Bücher bestimmt.

Der West Room war das Studierzimmer für Morgan, der North Room, der kleinste Raum, das Büro der Bibliothekarin Belle Greene. Die Räume sind sehr hoch und mit Marmor verkleidet. An den Decken befinden sich kostbare Malereien im Stile des "American Age of Elegance". Die überwölbte Eingangshalle wird als Rotunde bezeichnet. Pilaster aus Skiros-Marmor zieren die Wände und freistehende Säulen aus grün geädertem Cipollino-Marmor flankieren die Portale zum East und West Room.

Der Marmorfußboden mit einer im Zentrum eingelassenen großen roten Porphyrscheibe folgt dem Vorbild des Fußbodens der Villa Pia in den Vatikanischen Gärten. Mit den Ausführungen des Dekors und der Stuckarbeiten beauftragte McKim den Künstler H. Siddons Mowbray (1858-1928), der sich in der Ausschmückung der Rotunde und des East Rooms an die Renaissance-Künstler Raffael und Pinturicchio als Vorbilder anlehnte.

Der eindrucksvolle East Room ist bei weitem der größte und prächtigste Raum der Bibliothek. Die bis zu zehn Meter hohen Wände sind vom Boden bis zur Decke mit drei übereinander angeordneten Bücherschrankreihen aus kaukasischer Walnuss mit Einlegearbeiten verkleidet. Über dem Kamin hängt die große Brüsseler Tapisserie, die im 16. Jahrhundert von dem Flamen Pieter Coecke van Aelst entworfen wurde und den Triumph der Habsucht darstellen soll. Morgan hat sie 1906 erworben. Die Deckengemälde mit ihren klassischen Szenen sollten den Wissenschaftlern und Gelehrten bei ihrer Arbeit Ehrfurcht einflößen. Bei der Betrachtung wird man aber auch gleichzeitig in die Vergangenheit einbezogen.

Der West Room diente Morgan als privates Studierzimmer. Entlang der Bücherregale sind Skulpturen, Porzellan und andere Kunstgegenstände aufgestellt. An den Wänden hängen die Gemälde aus der Renaissance. Im ganzen Zimmer sind Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen, die Morgan verehrte, aufgestellt.Der Sohn J.P. Morgan, jr, Jack, lebte von 1867 bis 1943. Ihm haben wir zu verdanken, dass er im Jahre 1924, elf Jahre nach dem Tod seines Vaters, die Bibliothek mit den kostbaren Sammlungen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte. Damit wurde die Pierpont Morgan Library eine Öffentliche Institution. Am 13. März 1913 ist Pierpont Morgan in Rom gestorben. Sein Besitz wurde auf nun 128 Millionen Dollar geschätzt, wovon seine Kunst- und Büchersammlungen etwa die Hälfte ausmachten. Einen Großteil hinterließ er seinem Sohn Jack. In seinem Testament gab er seiner Hoffnung Ausdruck, dass man eine geeignete Form finden werde, seine Sammlungen "dauerhaft zur Erziehung und zum Genuss des amerikanischen Volkes zugänglich zu machen". Zum Zeitpunkt des Todes lagerten die Schätze im Keller des Metropolitan Museum in New York. Verständlicherweise hoffte das Museum, die Sammlungen zu erhalten. Doch Jack musste hohe Erbschaftssteuern zahlen und deshalb ein paar Kunstgegenstände verkaufen. Das MET ging dann leer aus.

Die Bücher und Handschriften blieben davon unberührt. Die von Morgan eingesetzte Bibliothekarin Belle Greene hatte sich gegenüber Jack dafür eingesetzt, dass die Bibliothek erhalten blieb. 1924 wurde die Bibliothek in eine öffentliche Einrichtung umgewandelt. Jack übergab die Bibliothek mit 1,5 Millionen Dollar an einen Treuhänderausschuss. Der Treuhandvertrag sah die Nutzung der Sammlungen zu Forschungszwecken, die Einrichtung einer Kunstgalerie und andere entsprechende Aktivitäten vor, die den Treuhändern angemessen und wünschenswert erschienen. Die Institution wurde kraft eines besonderen Gesetzes seitens des Staates von New York zu einer öffentlichen Präsenzbibliothek, und Belle Greene wurde zur ersten Direktorin ernannt. Das Haus von Pierpont neben der Bibliothek wurde abgerissen, stattdessen wurde ein Anbau mit großer Eingangshalle, einem Lesesaal für Wissenschaftler sowie einer Ausstellungshalle geplant, der 1928 von Benjamin Wistar Morris fertiggestellt wurde. Der Anbau ist durch einen Kreuzgang mit der Bibliothek verbunden. 1948 ging Belle Greene in den Ruhestand. Seitdem gab es drei weitere Direktoren: Frederick B. Adams jr. (1948­1969), Charles Ryskamp (1969­1987) und seit 1987 Charles E. Pierce.

Im Jahr 1991 wurde die Bibliothek umgebaut. Das Wohnhaus von Jack wurde dazu gekauft und der Innenhof verglast. Heute befindet sich dort ein Café. Große hohe helle Räume machen das Ambiente zum Genuss. Die Pierpont Morgan Library ist zu einem international anerkannten Forschungszentrum und gleichzeitig zu einer lebendigen, einem breiten Publikum dienenden Bibliothek mit Museum geworden.

Einige kostbare Stücke befinden sich in der Bibliothek. Im West Room befindet sich die Bibel Latina, welche ca. 1455 von Johannes Gutenberg und Johann Fust in Mainz gedruckt wurde. Morgan hat die Bibel 1896 gekauft. Unter den Kostbarkeiten befinden sich auch die Noten zu Richard Wagners Ring der Nibelungen. Ferner ist die Bibliothek im Besitz eines Briefes und autobiographischer Notizen von Albert Einstein. Einstein wendet sich in dem Brief an Erwin Finlay in Berlin. Er soll ihm bei der Beobachtung des Planeten Merkur helfen. Zu weiteren Raritäten gehören unveröffentlichte Aufsätze zur Relativitätstheorie, ein Reise-Tagebuch aus dem Jahr 1922 und weitere acht Briefe aus dem Jahr 1923. Dieses Jahr hat die Bibliothek ein Rembrandt-Gemälde geschenkt bekommen.

Der Verfasser hofft, dass die Leser auf den Geschmack gekommen sind und sich bei Gelegenheit selbst ein Bild von dieser wunderbaren Bibliothek machen können. Ein, zwei Stunden sollten für das Museum eingeplant werden. Oft werden auch am Abend Vorlesungen oder Konzerte gegeben. Ein gut ausgestatteter Buchladen befindet sich ebenfalls in der Bibliothek. Am Ende des Besuches sei das Café im schönen Ambiente der Piermont Morgan Library empfohlen.


Literaturempfehlung:
The Master`s Hand: Drawings and Manuscripts from the Pierpont Morgan Library New York.
­ Transl.: Manuela Mueller-Windisch. Ostfildern-Ruit: Hatje, 1998. ISBN 3-7757-0754-9.


Zum Autor

Dipl.-Bibl.(FH), stud. phil. Alexander H. T. Schultheis
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