"Sharing knowledge and skills ..."

Russisch-österreichische Zusammenarbeit
im Bereich der Dokumentenerhaltung

von Manfred Mayer und Bruno Sperl


1. Einleitung
2. Berichterstattung

3. Zusammenfassung und Ausblick

1. Einleitung

Die Universitätsbibliothek Graz war Partner im Rahmen des EU-TEMPUS TACIS Compact Project CP 00062-96 der DG XII "Developing a strategic plan for the Library of St. Petersburg University". Beim Abschlusstreffen dieses Projektes im Mai 1998 wurden die Berichterstatter Manfred Mayer und Bruno Sperl (beide Karl Franzens Universität Graz = KFUG) um die Durchführung einer Arbeitswoche zum Thema Konservierung und Restaurierung von Dokumenten ersucht.

Auf Anregung der Bibliotheksdirektorin der KFUG Frau HR Dr. Sigrid Reinitzer wurde ein gemeinsamer Antrag der Russischen Akademie der Wissenschaften, der Universitätsbibliothek St. Petersburg und der Universitätsbibliothek Graz an die Kommission für Informationswesen des Österreichischen Ost- und Südosteuropainstituts in Wien gestellt. Dem Antrag wurde stattgegeben. Die Kosten des Seminars wurden je zur Hälfte von russischer und österreichischer Seite getragen.

In mehrmonatiger Projektvorbereitung wurden die Themen vereinbart, die je zur Hälfte von russischen und österreichischen Referenten 1 vorgetragen wurden. Die Teilnahme an dem Russisch-Österreichischen Workshop in St. Petersburg vom 14. bis 21. März 1999 zum Thema "Knowledge Transfer on Conservation and Restoration of Documents" stand Kollegen aus allen Sammlungen im St. Petersburger Raum offen.

Ziele waren der gegenseitige Austausch von Konservierungstechnologien und Restaurierungspraktiken, das Kennenlernen von Instituten und Sammlungen und die Erörterung zukünftiger Strategien und Handlungsoptionen. Fachvorträge, praktische Übungen, Diskussionen und Exkursionen ermöglichten für die Kollegen beider Länder einen breitgefächerten Informationsgewinn.

Der Erfolg dieser Veranstaltung ermutigte uns, folgende weitere Seminare anzubieten und durchzuführen:

2. Berichterstattung

Anhand ausgewählter Beispiele soll im Folgenden über die Inhalte der einzelnen Veranstaltungen näher berichtet werden:

2.1 "Knowledge Transfer on Conservation and Restoration of Documents"

Russisch-Österr. Workshop in St. Petersburg, 14 - 21 März 1999.

2.1.1 Vortrag von Dimitrii P. Erastov

"Investigation and detection of invisible information (texts, images, watermarks etc.) by the use of Infrared, Ultraviolet, X-ray and Betaradiography; examination technologies and tools."

Vortrag und Führung durch das Laboratorium der Akademie der Wissenschaften (LCRD ­ Laboratory of the Conservation and Restoration of Documents). Das LCRD ist die einzige wissenschaftliche Einrichtung in Russland, die zum Problem Papierkonservierung forscht. In den vergangenen Jahren wurden Spezialpapiere (permanent paper und Papiere für die Restaurierung) entwickelt. Ein anderer Schwerpunkt ist die optisch-fotografische Forschung. Zerstörungsfreie Methoden wurden in Zusammenarbeit mit anderen Instituten der Russischen Akademie der Wissenschaften entwickelt.

Grundsätzlich gibt es zur Sichtbarmachung ausradierter, ausgebleichter oder verdeckter Schrift mehrere Möglichkeiten: Die Infrarotspektrographie, die Infrarotreflektographie, die UV-Reflektographie, sowie auch chemische Methoden. Letztere führten zu den dem Fachmann leidlich bekannten dunklen Stellen in Manuskripten und so bleiben eigentlich nur die zuvor erwähnten Methoden übrig, die alle am LCRD eingesetzt werden. Diese Methoden arbeiten bei gezielter Anwendung zerstörungsfrei. Man erhält dann ein ausgezeichnetes Foto des solcherart entdeckten Textes, das für die weitere Forschung zur Verfügung steht. Davon profitieren dann die Palimpsestund Fragmenteforschung, aber auch der Geheimdienst.

Des weiteren wird am LCRD die Dokumentation von Wasserzeichen im Papier betrieben. Herkömmliche Durchlichtverfahren bringen nur ein unsicheres und daher unbrauchbares Ergebnis, wenn das Wasserzeichen im bedruckten Bereich liegt. Die Betaradiographie bietet hier die Lösung schlechthin, es handelt sich dabei um ein relativ modernes Verfahren, bei dem das Objekt mit dem interessierenden Wasserzeichen zwischen einer radioaktiv strahlenden Fläche (ca 15 x 10 cm groß) und einem entsprechend sensitiven Film eingebracht wird. Die Ergebnisse sind exzellent. Umfangreiche, durch das LCRD durchgeführte Untersuchungen ergaben, dass sich als strahlendes Material das Isotop Technetium99 (Tc99) am besten eignet. In England ist diese Methode als "Die Leningrader Methode der Wasserzeichendokumentation" eingeführt.

Unbedingt erwähnt werden muss auch die fotochemische Behandlung von Fotos und Film-Negativen, die in vielen Fällen eine deutliche Kontrastverbesserung bringt. Ein Besuch des Labors und die Demonstration der zuvor besprochenen Methoden rundeten das Bild ab.

2.1.2 Vortrag und Demonstration zur Montage von Büchern, Graphiken und Dokumenten bei Ausstellungen. (Manfred Mayer)

Restaurierung von langen Rissen auf großformatigen Papieren, Papieranfasern von Hand Diavortrag "Die Restaurierung von Kupferstichen in Büchern" ­ Diskussion

Ein Low-Price-Unterdrucktisch mit der Verwendung von Cellpor, Cellpor ­ eine neue Arbeitsoberfläche für Unterdrucktische ­ Diskussion

Die Behandlung brüchiger und empfindlicher Lederoberflächen an Büchern (Untersuchung ­ Stabilisierungsmaßnahmen ­ Lederpflege), Verknotungstechniken für Buchbinder ­ Diskussion

Der 10-Minuten-Buchschuber (Modell Ascona), (Material ­ Herstellung ­ Anwendung) ­ Diskussion

Teilnehmende Institutionen:

Scientific Library of SPU; Laboratory of the Conservation and Restoration of the RAS; Library of the Russian Academy of Sciences; The State Hermitage; Museum of the Political History of Russia; Museum of Saint-Petersburg History; Russian National Library; Moscow State Archive; Oriental Institute of the Academy of Sciences; Mine Institute (Technical University); Medical University; Timber-Merchant Academy; Cabinet of Curiosities of the Russian Academy of Sciences; Guild of the Restorers; Museum "Moscow Kremlin", Moscow; State Russian Museum.

2.2 Internship für zwei Bibliothekarinnen aus Tartu, Estland und Vinnitsya, UB-Graz, April bis Juli 1999, finanziert mit Hilfe des Open Society Institute (Soros-Foundation) Budapest. http://www.osi.hu/nlp/index.html

Ausschnitt aus dem Monatsbericht von Maiga Davodov, UB Tartu, Estland, für den Monat Juni 1999:

Praktische Arbeiten in der Restaurierwerkstätte:

Behandlung von Kupferstichen (Landkarten): Lösen der alten Verklebungen, Papierwäsche, Anwendung der Sonnenbleiche (Lichtbleiche), Risse schließen, partielles Anfasern von Hand, Nachleimen, Trocknen Anfertigung von Ascona-Buchschuben Anfasern von Einzelobjekten am beleuchteten Saugtisch Anfertigen eines Konservierungseinbands samt Kapitale und Schließen Exkursionen:

Vorarlberger Landesbibliothek Bregenz, Stiftsbibliothek St. Gallen, Bibliothek des ehemaligen Klosters St. Gallen, Führung in der ehem. Reichsstädtischen Bibliothek Lindau.

2.3 Workshop "Train the trainers" im November 1999, durchgeführt an der Österr. Nationalbibliothek, dem Österr. Staatsarchiv und der UB Graz mit TeilnehmerInnen aus Rumänien, Russland, Slowenien, und Ungarn.

Zielsetzung war der gegenseitige Austausch von Konservierungstechnologien und Restaurierungspraktiken und insbesondere das Kennenlernen von Instituten und Sammlungen in Österreich. Ergänzend zum Aufenthalt in Österreich veranstalteten unsere Teilnehmerinnen Fortbildungsseminare in ihren Institutionen.

Ein illustriertes Tagebuch zum Seminarort Graz findet sich unter http://www-ub.kfunigraz.ac.at/sosa/rest-trainthetrainers.html

2.4 "Sharing knowledge and skills", Austrian-Russian Workshop on Conservation and Restoration of Documents in Zusammenarbeit mit The Laboratory of Microphotocopy and Restoration of Documents, Moscow City Archive.

Zielgruppe dieser Veranstaltung waren Restauratorinnen und Restauratoren aus Moskauer Archiven und Museen. Den Wünschen der russischen Kollegen entsprechend wurde im besonderen die Restaurierung von Urkunden und Fotografien behandelt. Die folgende Kurzfassung des Programmes soll über die Inhalte informieren:

The "Grazer Model" conservation copy-stand
European library projects
Special methods of restoring support materials
Sophisticated tools and equipment for the paper and book conservator
Overview of treatment procedures in paper conservation at the Austrian National Library
Conservation and restoration of photographs
Conservation of photographs: preservation policy and case studies
The consolidation of paint layers and the treatment of iron gall ink corrosion
Joint tacketing: a method of board reattachment
Analysis of inks on selected early medieval documents
Tips and tricks for the presentation of books and paper artefacts during exhibitions

Liste der teilnehmenden Institutionen:
Conservation Department, State Historical-Cultural Museum-Reserve Moscow Kremlin
The Center of Document Conservation, Russian State Humanitarian University
The Center of Book Conservation, State Library of Foreign Literature
Department of Manuscripts Restoration, Russian Art Scientific-Restoration Center named Grabar
State History Museum, Department of Ingraving Restoration
Department of Manuscripts Restoration, State Scientific Institute of Restoration
State Theatre Museum named Bahrushin Rosarchiv
Institute of Organic Chemistry, Russian Academy of Sciences
Russian Scientific Institute of Documentation and Archive
Russian Archive of Scientific-Technical Documentation
State Archive of Russian Federation
Library of Low Literature
Archive of Russian Academy of Sciences
Museum of the Great Patriotic War 1941-1945
Restoration School "Raritet"
The Laboratory of Microphotocopy and Restoration of Documents, Moscow City Archive

3. Zusammenfassung und Ausblick

Das große Interesse der russischen Kollegen an einem Erfahrungsaustausch zeigte sich unter anderem an der unerwartet großen Zahl der Teilnehmer. Statt der geplanten zwanzig Teilnehmer pro Seminar erschienen bis zu sechzig Kollegen. Generell ist die Zahl der Mitarbeiter in den russischen Institutionen mehrfach höher als in vergleichbar großen westeuropäischen Restaurierabteilungen. Die Ausbildung und das Können der Restauratoren in traditionellen Techniken ist umfassend, es gibt jedoch aus finanziellen und sprachlichen Gründen wenig Erfahrung mit neuen Technologien, Werkstoffen und Geräten. Unsere Seminare sind ein Versuch, diese Lücken zu schließen.

Aus politischen Gründen sind mit wenigen Ausnahmen die Archive und Museen finanziell besser ausgestattet als die Bibliotheken ­ dabei die Moskauer Institutionen wesentlich besser als alle anderen. Unsere Seminare werden die finanzielle Situation nicht verbessern, leisten aber einen Beitrag zur Argumentation, wie selbst bescheidene Mittel effizienter eingesetzt werden können. Besonderes Interesse galt daher den Anleitungen zum Selbstbau innovativer, ungewöhnlicher, und trotzdem kostengünstiger Restaurierwerkzeuge. Anhand mitgebrachter Kursmaterialien und Geräte konnten im Rahmen der Vorführungen praktische Erfahrungen gesammelt und ausgetauscht werden. Praktische Übungen tragen enorm dazu bei, das Gesehene und Erprobte unmittelbar im Berufsalltag einzusetzen, wie uns durch zahlreiche E-Mails bestätigt wurde.

Wir sind zuversichtlich, dass es gelingen wird, die begonnene Zusammenarbeit in den nächsten Jahren fortzusetzen. Die Vorbereitungen für ein Seminar "Moskau 2001" laufen bereits.


Zu den Autoren

Dipl. Ing. Manfred Mayer, Leiter der Restaurierungswerkstatt
Karl Franzens Universität: Hauptbibliothek
Universitätsplatz 3
A-8010 Graz
manfred.mayer@kfunigraz.ac.at

Bruno Sperl, Stabsstelle Internationale Projekte
Karl Franzens Universität: Hauptbibliothek
Universitätsplatz 3
A-8010 Graz
bruno.sperl@kfunigraz.ac.at


Fußnote

1. Sämtliche Berufsbezeichnungen beziehen sich auf beide Geschlechter.