Ein Blick zurück und ein Blick zurück nach vorn:
Zwei Festschriften


Verein Deutscher Bibliothekare 1900­2000: Festschrift [VDB].
Hrsg. von Engelbert Plassmann und Ludger Syré.
­ Wiesbaden: Harrassowitz, 2000. ­ 408 S.; 25 cm
ISBN 3-447-04247-8 Pp. DM 128.00, SFR 114.00, ATS 934.00

Innenansichten ­ Außenansichten: 50 Jahre Verein der
Diplom-Bibliothekare an Wissenschaftlichen Bibliotheken
Hrsg. vom VdDB. Bearb. von Rita Dopheide.
­ Frankfurt am Main: Klostermann, 1998. ­ VII, 167 S.: Ill., graph. Darst., Kt.; 24 cm
(Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie: Sonderhefte; 71)
ISBN 3-465-02708-6 Ln. DM 78.00

Ein Blick zurück

Die Festschrift des Vereins Deutscher Bibliothekare (VDB) ist eine runde Sache: Man hat sich entschieden, anlässlich des hundertjährigen Jubiläums die Geschichte des Vereins gründlich aufzuarbeiten, was Herausgebern und Beitragenden bestens gelungen ist. Nach den obligatorischen Grußworten wird zunächst die Gründungszeit, dann die Zeit des Nationalsozialismus und sodann die Periode nach 1945 jeweils in mehreren Artikeln behandelt. Es folgen die Geschichte der Satzung, der Kommissionen, der Zusammenarbeit mit anderen bibliothekarischen Vereinigungen, der Ausbildung, des Jahrbuchs der Deutschen Bibliotheken, des Verhältnisses mit der Zeitschrift "Zentralblatt des Bibliothekswesens", der Frauen im "Höheren Dienst" und der Arbeit der Landesverbände. Bedauerlicherweise ist die Bibliographie des VDB wegen ihres Umfangs nicht enthalten, sondern einer gesonderten Veröffentlichung vorbehalten, weswegen sie hier nur kurz mit ihrer Systematik vorgestellt wird. Ein Personenregister und Autorenverzeichnis runden die Festschrift ab.

Das jeweilige Thema ist so eng wie möglich gefasst, d.h. man beschränkt sich auf den VDB und auf die Quellen, ohne ­ außer im speziellen Artikel über die Kooperation mit anderen Vereinen ­ einen vergleichenden Blick auf andere bibliothekarische Vereine zu lenken. Schwerpunktmäßig ist die Zeit bis 1945 aufgearbeitet, die Nachkriegszeit wird lediglich in einem Übersichtsartikel behandelt, auch in den Artikeln zu speziellen Aspekten kommt die Nachkriegszeit zu kurz. Damit wird die neuere Hälfte der Vereinsgeschichte vernachlässigt, von der neuesten Geschichte ganz zu schweigen.

Gäbe man diesen Band einem Fachfremden in die Hand, so wäre sein Informationsgewinn bezüglich der Geschichte des Vereines groß, der Erkenntnisgewinn hingegen, was die Politik des Vereines und die Tätigkeitsfelder seiner Mitglieder anbelangt, relativ gering.

Ein nicht geringes Ärgernis aus der Sicht anderer Vertreter des Berufes Bibliothekarin/Bibliothekar ist, dass sich die höheren Herren und Damen in den Texten meist als die einzigen Vertreter/innen dieses Berufs definieren. Der Begriff "Bibliothekar" wird fast ohne Ausnahme synonym mit dem "Höheren Dienst" verwendet, obwohl dieser doch nur eine Laufbahn von mehreren darstellt (von den zahlenmäßigen Proportionen der betroffenen Personen ganz zu schweigen ...). Insbesondere der Aufsatz über die Professionalisierung des Berufes handelt nur von diesem Berufszweig; dabei wäre es ein überaus lohnender Aspekt des Themas gewesen, die Entwicklung unseres Berufes einerseits als eine fortschreitende Qualifizierung und andererseits als parallel stattfindende fortwährende Substitution durch Kräfte mit geringerer Qualifikation zu beschreiben. Diplomkräfte sind zwar dem "Höheren Dienst" untergeordnet, substituieren aber mittlerweile seine Tätigkeiten in mancher Hinsicht, ebenso wurde durch die "Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste ­ Fachrichtung Bibliothek" (früher: Assistenten/Assistentinnen, so genannter "Mittlerer Dienst") zwar eine Laufbahn unter dem "Gehobenen Dienst" eingeführt, in manchen ­ öffentlichen und wissenschaftlichen ­ Bibliotheken arbeiten diese aber anstelle von Diplomkräften. Und gibt es nicht viele One-Person Libraries, die durch Fachfremde geführt werden: Wissenschaftler, Lehrer, Sekretärinnen etc.?

Eine recht eng angelegte Vorgehensweise ist auch beim Umgang mit dem Quellenmaterial ­ meist Dokumente des Vereinsarchivs ­ zu konstatieren. In der Tat ist es wissenschaftlich, zunächst die Quellen richtig auszuwerten, andererseits wäre es noch wissenschaftlicher, Vergleiche mit anderen, vergleichbaren Einheiten (andere Laufbahnen, andere Vereine, andere Zweige des Bibliothekswesens etc.) anzustellen, was aber weitgehend unterblieb. Ein wenig entschädigt der Artikel von Uwe Jochum dafür, der anhand der Geschichte der Ausbildung zum "Höheren Dienst" mannigfaltige Ambivalenzen des Berufsbildes aufzuzeigen vermag, nicht zuletzt jene, dass dieser Berufszweig ­ u.a. aus tariflichen Gründen ­ sich immer noch als "wissenschaftlich" zu definieren versucht, obwohl sich im Tätigkeitsfeld mittlerweile kaum noch Spurenelemente wissenschaftlichen Arbeitens finden. In diesem Lichte gesehen könnte man konstatieren, dass die Autorinnen und Autoren des Werkes offensichtlich kräftig kompensieren mussten.

Ein Blick nach vorn

Die Festschrift des VdDB ist ebenfalls eine runde Sache: Wiederum nach den obligatorischen Grußworten wird zunächst ein Überblick über die Vereinsgeschichte in tabellarischer Form und in Form einer Abhandlung durch die derzeitige Vorsitzende des Vereins gegeben. Von den folgenden neun Artikeln unter der Rubrik "Streifzüge durch die Vereinsgeschichte" sind nicht weniger als vier von ehemaligen Vorsitzenden geschrieben, die allesamt von den langwierigen Bemühungen um Kooperation und Fusion der Personalverbände berichten. Weitere Artikel behandeln die Mitgliederentwicklung, die Integration der Kollegen und Kolleginnen aus der DDR in den Verein, die Arbeit der bibliothekarischen Auslandsstelle u.a. Es folgen ein Bericht über die Sacharbeit der Kommissionen des VdDB sowie exemplarisch die Darstellung der Tätigkeit der Kommission Neue Technologien durch ihre Vorsitzende. Sodann wird die regionale Arbeit der "Beiräte" behandelt. Nach einem "Ausblick" in das sich wandelnde Berufsbild folgt dann ein "Bibliothekarisches Kaleidoskop" mit einem Strauß von zwölf Beiträgen zu verschiedenen Tätigkeitsfeldern unseres Berufes. Damit der Humor nicht zu kurz kommt, findet man unter der Rubrik "Satirisches" einen "Beitrag zu einer Theorie der Marginalität" und einen mäßig gelungenen Kabarett-Text. Zum Abschluss wird die Bibliographie der Vereinsveröffentlichungen aufgeführt. Im Anhang befinden sich das Faksimile der Vereinssatzung und Bilder von der Mitgliederversammlung im Jubiläumsjahr.

Wenn man dieses Buch wiederum Fachfremden in die Hand gäbe, bekäme er nicht nur gute Einblicke in die Geschichte des Vereins, sondern auch eine Vorstellung von der Politik desselben in verschiedener Hinsicht sowie der Tätigkeitsfelder jener, die dem Verein angehören. Das ist viel und das ist alles, was man von einer solchen Veröffentlichung erwarten kann. Angenehm fällt zudem auf, dass die Beiträge durchaus selbstkritisch und ohne Rechthaberei geschrieben sind. Was fehlt, ist ein Register, was freilich eher als Versäumnis des Verlages als jenes des Vereines gewertet werden sollte.

Man könnte zynisch anmerken, dass jene, die in der Berufsausübung durch ihre Laufbahn eher auf weniger anspruchsvolle Tätigkeiten festgelegt sind, sich eben mehr regen müssen. Vielleicht ist die "Marginalität" gar nicht nur humorvoll, sondern sehr real zu konstatieren? Nein, der Inhalt der Festschrift spricht da eine andere Sprache!

Die Festschriften im Vergleich

Die beiden Festschriften präsentieren sich unterschiedlich in Aussehen und Konzeption, nur dass Outfit und Inhalt jeweils diametral entgegengesetzt sind. Prangt auf der VDB-Festschrift das neue Logo, mit modernem Schriftzug und diesem Hintergrund in Türkis-Blau, der wahrscheinlich die Bits and Bytes des Informationszeitalters symbolisieren soll, so kommt die VdDB-Festschrift im schlichten, altbackenen Blau und Leinen der ZfBB-Sonderhefte daher. Ganz anders der Inhalt der Bände: Während der VDB vor allem wissenschaftlich gefärbte Rück- und Nabelschau betreibt, zeugen die Beiträge in der VdDB-Festschrift von einer durchweg politischen Sicht nach vorne, in die Zukunft. Ist diese Aussage zu plakativ, vielleicht gar ungerecht?

Es mag ungerecht sein, die beiden Festschriften zu vergleichen und zum Schluss zu kommen, dass es sich beim VDB um einen rückwärtsgewandten, unpolitischen Verein berufsständischer Art und beim VdDB hingegen um einen politischen Verein handelt, der professionell und marketingmäßig für sich und sein Klientel zu werben vermag. Nicht nur unterscheiden sich die Konzeptionen der beiden Bücher, sondern auch in der VDB-Festschrift findet man die Politik des Vereins an vielen Stellen behandelt, allerdings oft auf den eigenen Verein und den eigenen Berufszweig beschränkt und eher implizit formuliert. Im Gegensatz dazu finden sich in der Festschrift des VdDB nicht nur viele Stellen, wie sich der Gehobene Dienst des wissenschaftlichen Bibliothekswesens im Verhältnis zum "Höheren Dienst" definiert (hat), wie er sich zum Berufszweig des öffentlichen Bibliothekswesens verhält und wie man sich anderen Beruf(szweig)en im BID(Bibliothek, Information, Dokumentation)-Sektor ­ Dokumentaren, Informationsmanagern, Archivaren etc. ­ öffnen müsse. Sehr zu empfehlen ist in dieser Hinsicht die Lektüre von Bernward Hoffmanns Artikel zu den Personalverbänden, welcher die Entwicklung unseres Berufes in Bezug zur technischen Entwicklung und zum gesellschaftlichen Umfeld setzt, um daraus vielfache Forderungen für die weitere Politik des Berufsverbandes zu ziehen. Es liegt mir fern, den VDB als rückständig und wenig fortschrittlich zu charakterisieren. Beispielsweise sprechen die inhaltliche Ausrichtung der Bibliothekartage, die vereinsinterne Diskussion um ein neues Berufsbild sowie die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen selbst eine ganz andere Sprache. Jedoch kommt in der Festschrift davon recht wenig zum Vorschein. Man hat die Chance genutzt, die weiter zurück liegende Vergangenheit aufzuarbeiten, aber jene verfehlt, ein Plus an Außenwirkung, und sei es nur für verwandte Berufszweige, zu erzielen.

Im Gegensatz dazu hat der VdDB die Gelegenheit wahrgenommen, beim Rückblick auch die Zielsetzungen, Bedingungen und Ambivalenzen der Vereinspolitik offen zu legen und auch die Tätigkeitsfelder des eigenen Klientels zu vermitteln, obwohl die Schrift weit weniger als die Hälfte des Umfanges der VDB-Festschrift umfasst. Somit zeigt sich der VdDB als der politischere Verein. Um den Verbleib seiner Anliegen und Inhalte nach der Fusion im neuen Berufsverband Information Bibliothek (BIB) muss man sich keine Sorgen machen.


Anschrift des Rezensenten:
Dr. Jürgen Plieninger
Bibliothek des Instituts für Politikwissenschaft
Universität Tübingen
juergen.plieninge@uni-tuebingen.de