Österreich auf dem Weg zu Volltext-Konsortien

von Helmut Hartmann


1. Einleitung
2. Volltext-Konsortien

3. Datenbanken

4. Teilnahme an der EZB Regensburg und der ARGE Konsortien

5. Schlussbemerkung

1. Einleitung

In Abwandlung des klassischen Zitats haben sich nun auch die österreichischen wissenschaftlichen Bibliotheken "der Not und dem eignen Triebe gehorchend" auf den Weg ins Land der Konsortien aufgemacht. Die Notwendigkeit immer umfangreicherer Onlinedienste, der Wunsch, Lehrende und Studierende optimal mit den Möglichkeiten des neuen Medientyps zu versorgen, und die Hoffnung, auf diese Weise durch Synergieeffekte die schmerzhaften Budgetkürzungen wenigstens zum Teil wettzumachen, haben offenbar den manchmal recht steinigen Boden doch so weit aufbereitet, dass inzwischen die ersten zarten Keime zu sprossen beginnen. Die folgende knappe Darstellung des Entwicklungsstandes befasst sich in erster Linie mit dem Bereich der elektronischenVolltext-Zeitschriften, die gemeinsame Nutzung von Datenbanken soll nur im Überblick behandelt werden, ehe in einem dritten und letzten Teil über den im Sommer erfolgten Beitritt Österreichs zur EZB Regensburg und zur ARGE Konsortien berichtet wird.

2. Volltext-Konsortien

Mit der Einrichtung eines bezahlten ScienceDirect-Testzugangs für 12 österreichische Universitätsbibliotheken und die beiden Zentralbibliotheken für Medizin und Physik am 1. Juni 2000 wurde in Österreich das erste landesweite Volltext-Konsortium Wirklichkeit. Ausgehend von den Erfahrungen der UB Graz, die als einzige österreichische Bibliothek bereits mit 1. Jänner 1999 einen eigenen Dreijahresvertrag mit Elsevier abgeschlossen hatte, war es das Ziel der Verhandlungen, mit diesem Testzugang einen gleichsam gleitenden Einstieg in die permanente Nutzung der elektronischen ScienceDirect-Volltexte zu ermöglichen. Befristet bis 31.12.2000 können die teilnehmenden Bibliotheken das gesamte Online-Angebot von ScienceDirect nutzen und bekommen sehr detaillierte monatliche Nutzungsstatistiken als Entscheidungsgrundlage für die weitere Vorgangsweise. Jede Bibliothek erhält so für ihren Bereich eine Aufstellung, welcher Titel wie oft aufgerufen wurde, ob der Aufruf auf Grund einer Suche mit der verlagseigenen Suchmaschine erfolgte oder durch Browsing der Journal-Inhaltsverzeichnisse, ja sogar, ob die Artikel im HTML- oder PDF-Format angefordert wurden. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels laufen die Verhandlungen über den Abschluss einer Lizenz für 2001 und das Folgejahr, wobei eine Verlängerung um weitere drei Jahre möglich sein soll.

Das zweite landesweite Konsortium umfasst alle online verfügbaren Kluwer-Titel, für die bis Ende 2000 ein kostenfreier Testzugang installiert wurde. Das Ziel ist auch hier, den Testzugang in einen permanenten mehrjährigen überzuführen. Die Chancen dafür stehen gut, da die finanziellen Rahmenbedingungen realisierbar erscheinen.

Springer-Zeitschriften sind hingegen derzeit in Österreich nur an einzelnen Universitäten entsprechend den jeweiligen Print-Holdings zugänglich. Doch bestehen sehr konkrete Bestrebungen einiger Universitätsbibliotheken, gemeinsam einen Vertrag mit Springer abzuschließen, der zumindest Cross-Access zu den Beständen der am Kosortium teilnehmenden Bibliotheken ermöglichen würde. Ob es allerdings zu einer Einigung kommt, wird davon abhängen, wie weit der Verlag auf die finanziellen Möglichkeiten der Bibliotheken eingeht.

Erst in letzter Zeit wurden Verhandlungen mit dem Institute of Physics aufgenommen, das gerade für kleinere Bibliotheken mit geringen Print-Holdings interessante Paketlösungen im Rahmen eines Konsortiums anbietet, wobei ab 2002 auch Online-Only-Lieferungen möglich sein sollen. Hier zeigen sich begreiflicherweise in erster Linie die Bibliotheken der Technischen Universitäten, der Montanistischen Universität, aber auch der Universitäten mit naturwissenschaftlicher Fakultät interessiert. Gelingt es noch, die Fachhochschulen mit einzubeziehen, so könnte eine vom Preis-Leistungsverhältnis her geradezu vorbildliche Lösung erreicht werden.

Die Zeitschriften des Verlags Lippincott, Williams and Wilkins sind vor allem für Universitäten mit medizinischer Fakultät ein hochrangiges Desiderat. Der freie Zugang zu etlichen Titeln dieses Verlags endet am 31.12.2000, so dass es geradezu zwangsläufig dazu kommen wird, dass die eine oder andere Lizenz erworben werden muss. Einzellösungen sind relativ teuer, und so sollte es auch hier zur Bildung von, wenn auch kleinen, Konsortien kommen. Der Verfasser ist seit längerem mit dem Verlag im Gespräch, doch wurden bis jetzt von dessen Vertretern keine Angebote unterbreitet.

Last but not least soll nicht unerwähnt bleiben, dass Wiley, AcademicPress und auch OCLC durchaus Optionen für die Zukunft sind, auch wenn es derzeit keine konkreten Verhandlungen gibt.

An dieser Stelle ist ein grundsätzliches Wort zu den Vorbedingungen für die Bildung von Konsortien in der österreichischen Bibliothekslandschaft angebracht. Bedingt durch das UOG'93 sind die Universitäten in die Teilrechtsfähigkeit entlassen worden. Was ursprünglich als Abkoppelung vom Gängelband der ministeriellen Bürokratie bejubelt wurde, beginnt nun seine Kehrseite zu zeigen: Es gibt de jure in Österreich keine Zentralstelle mehr, die einer gemeinsamen Planung und Finanzierung bedürfende Aktivitäten der Universitäten und ihrer Bibliotheken koordinieren könnte und dürfte. Waren früher die UBs direkt dem Ministerium unterstellt, sind sie nunmehr eine Dienstleistungseinrichtung der jeweiligen Universität und damit deren Rektor untergeordnet. So ist jede Bibliothek gewissermaßen zum Einzelkämpferdasein verurteilt und finanziell und administrativ abhängig von der jeweiligen Universitätsverwaltung. Zentrale Mittel, die für die Gründung und den Betrieb von Konsortien äußerst förderlich sind ­ man denke an die glückliche Schweiz und ihre Millionen Franken für den Konsortienausbau während der nächsten vier Jahre oder an NESLI ­ sind in Österreich in der Regel nicht zu erhalten.

Darüber hinaus gibt es auch keine Instanz, die von ihrem Amt her zur Verhandlungsführung oder gar zur Vertragsunterzeichnung in Sachen Konsortien berechtigt wäre. Vielmehr müssen mehr oder minder spontan Arbeitsgruppen gebildet und Verhandlungskomitees ins Leben gerufen werden, die dann ihrerseits wieder mühsam die Zustimmung aller Beteiligten einzuholen haben. Die ARGE der BibliotheksdirektorInnen würde sich natürlich als Plattform für derartige Unternehmungen anbieten, leidet aber in der Praxis unter den divergierenden Interessen ihrer Mitglieder. Wie weit vielleicht die für den Betrieb des österreichischen Verbundkatalogs ALEPH verantwortliche AGBA hier Aufgaben übernehmen könnte oder die ÖNB, ist schwer abzuschätzen.

Doch selbst wenn der große Wurf gelungen ist und das Konsortium steht, bereitet die finanzielle Abwicklung rein administrativ große Probleme, weil es eben keine zentrale Verrechnungsstelle gibt. Als mögliche Lösung erscheint hier die Einbeziehung eines Aggregators (wie z.B. SWETS), der die Verrechnung übernimmt, oder eine Bibliothek erklärt sich bereit, die gesamte Zahlung an den jeweiligen Verlag zu leisten, muss sich aber die rechtzeitige Überweisung der Anteile der Konsortialpartner vertraglich garantieren lassen. (Dieses Verfahren wurde für den Science-Direct-Testzugang gewählt.)

Trotz all dieser Hürden auf dem Weg zu funktionierenden Konsortien darf jedoch nicht übersehen werden, dass diese Organisationsform mit ihren Synergieeffekten gerade einem relativ kleinen Land wie Österreich letztlich nur Vorteile bringen kann. Der Verfasser denkt hier an die in den letzten Jahren gerade in strukturschwachen Gebieten entstandenen Fachhochschulen, deren bibliothekarische Versorgung im Wesentlichen von den Universitätsbibliotheken mitzutragen ist.

Diese neuen Bildungsstätten müssen unbedingt in das Netz der Online-Dienste aller Art eingebunden werden, denn ­ abgesehen von ihrem Recht auf adäquate Versorgung ­ kann durch ihren Anteil auch die Qualität des Angebots gesteigert werden. Ebenso gibt es eine Reihe von gemeinnützigen, wissenschaftlich tätigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die vehement auf eine Beteiligung an den in Gründung befindlichen Konsortien drängen, etwa das Institut für Höhere Studien, das Wirtschaftsforschungsinstitut oder die Gesellschaft der Ärzte in Wien. Hier öffnen sich vollkommen neue Perspektiven einer Zusammenarbeit über enge administrative Grenzen hinweg, die Mut zu in Österreich noch unkonventionellen, im angelsächsischen Raum allerdings durchaus üblichen Lösungen erfordert.

3. Datenbanken

Wie fruchtbringend eine Zusammenarbeit über Bibliotheksgrenzen hinweg ist, beweisen seit langem die in aller Welt existierenden Katalogverbünde. Im Grunde genommen könnten sie als Vorläufer der in letzter Zeit so in Mode gekommenen Konsortien gesehen werden, und auch die gemeinschaftliche Nutzung von Datenbanken durch mehrere Bibliotheken unter einem Vertrag ist letztlich eine konsortiale Organisationsform. Aus diesem Grund soll in einer Darstellung der Konsortienverhältnisse in Österreich auch dieser Sektor ­ zumindest im Überblick ­ behandelt werden.

Es darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass in Österreich vor etwa zwei Jahren der Bibliotheksverbund BIBOS durch ALEPH ersetzt wurde und dass diesem Verbund die Mehrzahl der österreichischen wissenschaftlichen Bibliotheken angehört.

Auf dem Gebiet der Datenbanken gibt es dagegen nur mehr oder minder spontan erfolgte Zusammenschlüsse einzelner Bibliotheken. So wird die an der Zentralbibliothek für Medizin angesiedelte unter SilverPlatter-Oberfläche laufende Medline nur von einigen Bibliotheken genützt, während zu der an der ZB für Physik angesiedelten ebenfalls unter SilverPlatter-Oberfläche laufenden INSPEC/INIS-Datenbank immerhin zehn teilnehmende Bibliotheken Zugang haben. CrossFire/ Beilstein wird wiederum nur von fünf Bibliotheken genutzt ­ das allerdings schon seit mehr als drei Jahren, während die Teilnahme an den CurrentContents der ZB für Medizin wegen der angespannten budgetären Lage von manchen Bibliotheken nicht mehr finanziert werden kann. So gut wie sicher ist hingegen die Verwirklichung eines WebofScience-Projekts, an dem die UB Wien, die UB Innsbruck und die UB Graz beteiligt sein werden.

4. Teilnahme an der EZB Regensburg und der ARGE Konsortien

Mit der zunehmenden Nutzung der elektronischen Volltexte durch die österreichischen Bibliotheken wurde es notwendig, eine benutzerfreundliche Oberfläche einerseits und eine brauchbare Administrationsgrundlage andererseits zu schaffen. In mehr oder weniger kreativer Weise versuchte jede Bibliothek das Problem zu lösen, und erst allmählich kristallisierten sich gewisse gleichbleibende Grundanforderungen heraus. So wurde vom Verfasser in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Bibliothekssysteme für die UB Graz eine Oberfläche entwickelt, die durch grüne, orange und gelbe Farbkästchen für jede der Kategorien Inhaltsverzeichnis, Abstract und Volltext den Grad der Zugänglichkeit bzw. das Vorhandensein zu erkennen gibt. Das Regensburger System zeigt dagegen ­ zumindest in seiner derzeitigen Gestalt ­ Zeitschriften nicht an, die zwar Abstracts online bieten, aber keinen Volltext.

Dennoch hat sich auch die UB Graz nach gründlichem Studium aller Funktionalitäten der EZB entschlossen, die eigene Oberfläche zugunsten der Teilnahme an der EZB aufzugeben. Die im administrativen Bereich erzielbaren Synergieeffekte haben bisher insgesamt acht Bibliotheken in Österreich bewogen, ihre Elektronischen Zeitschriften über den Server der EZB zugänglich zu machen, weitere sollen in nächster Zeit folgen. Aus diesem Grund gibt es seit kurzem im Optionen-Fenster der EZB ein eigenes Drop-Down-Menü für die österreichischen Bibliotheken, ebenso konnte die Eingabe der URLs der Konsortienpakete von Elsevier und Kluwer für die österreichischen Bibliotheken zentral vorgenommen werden.

Im Jänner 2000 konstituierte sich in der Bayerischen Staatsbibliothek in München eine Arbeitsgemeinschaft aller Konsortien der deutschen Hochschulbibliotheken, der Max-Planck-Gesellschaft und des Konsortiums der Schweizer Hochschulbibliotheken. Österreich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vertreten. Erst die Bildung des Elsevier-Konsortiums im Juni 2000 schuf die Grundlage für eine Teilnahme an der ARGE, so dass in der Person des Verfassers in der Sitzung am 12. 7. 2000 erstmals auch ein österreichischer Vertreter begrüßt werden konnte.

5. Schlussbemerkung

Verglichen mit der Situation vor einem Jahr, haben die österreichischen Bibliotheken einen Quantensprung in der Versorgung ihrer BenutzerInnen mit elektronischen Volltexten gemacht. Dennoch ist in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass dies aller Voraussicht nach nur der Anfang einer Entwicklung ist, die in den kommenden drei bis fünf Jahren einen exponentiell ansteigenden Verlauf nehmen wird ­ man denke an eBooks oder Multimedia-Supplemente wie Audio- und Video-Files als Zugabe zu den Volltext-Zeitschriften. Die finanzielle und organisatorische Ausstattung dieses neuen Bereichs universitärer Bibliotheksarbeit wird massiv einzufordern und letztlich nur im Verbund mit den übrigen Universitätsbibliotheken (wohl auch Länder übergreifend) zu leisten sein.


Zum Autor

Helmut Hartmann ist Electronic Resource Librarian
und Leiter des Zeitschriftenlesesaals der

Universitätsbibliothek Graz
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