Internet der Zukunft

von Clemens Deider


Multimedia, seine Verbreitungswege, und mit ihm das Internet sind einem ständig wachsendem Datenaufkommen ausgesetzt. Bisher eingesetzte Datenwege reichen für ein neues interaktives, multimediales Internet nicht mehr aus. Neue Hochgeschwindigkeitsnetze werden das neue Internet bestimmen. Und seit der Liberalisierung der letzten Meile zum Endverbraucher ist es möglich, Unternehmen bzw. deren Gebäude direkt an neue Hochgeschwindigkeitsnetze anzuschließen. Mit Wireless Local Loop (WLL) steht eine Alternative zu den herkömmlich drahtgebundenen Anschlussmöglichkeiten zur Verfügung. Bilden Glasfaserkabel das breitbandige Rückrat (Backbone) der schnellen Netze, bieten verschiedene Firmen über breitbandigen Richtfunk eine schnelle, zuverlässige Anbindung zum Endverbraucher an. Es ist der breitbandige Multimediaanschluss der einzelnen Haushalte und Unternehmen, um den sich die Netzbetreiber bewerben.

Und was interessiert das die Bibliotheken? Bibliotheken sind Vermittler von großen Datenmengen, von Inhalten, Texten, Bildern, Tönen, wie deren Kombination in der Videowiedergabe der Ton-Filme. In digitale Form gebracht sind es ungeheure Datenmengen, die schnell und sicher übertragen werden müssen, will die Bibliothek nichts von ihrer Existenzberechtigung einbüßen. Das Vermittlungsnetz in Gestalt des Internets ist vorhanden, digitale Inhalte, wenn auch noch in völlig unzureichendem Umfang, liegen vor; die Zahl der Bibliotheksbenutzer, die mit dem Internet umgehen kann, wächst ständig. Interessierte Firmen fördern Schulen und Bildungseinrichtungen mit Hard-/Software, kostenfreien Internetzugängen und Schulungskursen. Und sie bauen ihre breitbandigen Netze aus. Netze, die große Datenmengen interaktiv mit weit höheren Geschwindigkeiten als das geläufige ISDN transportieren.

FirstMark ist eine dieser Firmen, deren Produkte bzw. Dienstleistungen sich vornehmlich an kleine und mittlere Unternehmen, also auch an wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken richten. Das Überwinden der "letzten Meile" war für FirstMark Communications Anlass genug, um im August 2000 in Berlin im Ludwig-Erhard-Haus die Deutschlandpremiere ihres Breitbandpunkt- zu Multipunkt-Richtfunknetzes zu feiern. Im Januar 1998 gegründet, Hauptsitz Luxemburg, erhält FirstMark im September die Lizenz für Pilotversuche im Bereich Breitband-Richtfunk in Lyon, im Oktober in Brüssel. Und in Deutschland erhält FirstMark im September 1999 landesweit 129 Richtfunklizenzen. Im Jahr 2000 folgen Richtfunklizenzen in Spanien und der Schweiz; während in Frankreich der Aufbau eines landesweiten Glasfasernetzes beginnt. Am Tag der Deutschlandpremiere stehen für Deutschland landesweit 148 Richtfunklizenzen zur Verfügung. Zielgruppe ihrer Kommunikationsangebote sind kleinere und mittelständische Unternehmen, regionale Telekommunikationsanbieter, Internet-Service-Provider und alternative Netzbetreiber. In diesem Rahmen, besonders kleine und mittlere Unternehmen, dürften sich auch Bibliotheken wiederfinden. So galt 1999 ein Pilotprojekt einer öffentlichen Bibliothek in Lyon. Mit Wireless-Local-Loop (WLL) will FirstMark den Flaschenhals der "Letzten Meile" aufbrechen. Übertragungsgeschwindigkeiten von mindestens 2 Megabit pro Sekunde, dem 32fachen der Übertragungsgeschwindigkeit eines einfachen ISDN-Anschlusses, sollen dies bewirken.

Das Richtfunksystem besteht aus den zwei wesentlichen Elementen, den Außenanlagen mit Empfangsantenne und den Anschlussgeräten für den Innenbereich.

Abbildung 1: Hochgeschwindigkeitsfasernetz FirstMark
Mit der Punkt zu Multipunkt Richtfunktechnologie kann FirstMark in äußerst kurzer Zeit eine schnelle, zuverlässige Anbindung z.B. eines Bibliotheksnetzwerkes oder eines Gebäudes einer Bibliothek an moderne Kommunikationsinfrastrukturen bereitstellen; ohne Straßenarbeiten zum Verlegen neuer Kabelleitungen und jederzeit rückbaufähig. Auch bei historischen oder denkmalgeschützten Gebäuden, was bei Bibliotheken öfter der Fall sein könnte, dürfte es wegen der Unauffälligkeit der Außenanlagen keine ästhetischen Bedenken gegen die Installation einer Empfangsanlage geben. Der Antennentyp 1 ist eine kleine quadratische Antenne (25 x 25 x 25 cm). Typ 2 ist eine Hornantenne (33 x 18 x 5 cm). Einwände bezüglich der Strahlung einer von FirstMark eingesetzten Antenne sind nach Firmenaussage geringer als die eines Mobiltelefons, da die Sendeleistung nur ein Viertel der eines GMS-Handys betragen soll. Gleichfalls soll die Abhörsicherheit der Richtfunkverbindung durch ein proprietäres Übertragungsprotokoll des Systems gewährleistet sein.

In Deutschland betreibt FirstMark, Sitz in Hannover, ein Hochgeschwindigkeitsglasfasernetz, das sich über 4.000 km erstreckt und 23 Städte miteinander verbindet (Abb. 1). In Frankreich wird es ein 4.800 km langes Glasfasernetz sein, an das 16 Städte angeschlossen werden sollen. Das Netz in Deutschland und seine Verbindungen zu mehreren Nachbarländern dürfte auch für internationale Verbindungen der Bibliotheken von Interesse sein. Der Vollständigkeit halber seien noch weitere Richtfunkanbieter einschließlich ihrer Internetadresse genannt (Abb. 2), die das Problem der "Letzten Meile" so geschickt lösen und in der Folge nicht mehr auf die Leitungen der Deutschen Telekom angewiesen sind.

Abbildung 2: Richtfunkanbieter

Auch das Heinrich-Hertz-Institut für Nachrichtentechnik GmbH (HHI) in Berlin Charlottenburg (Einsteinufer 37, 10587 Berlin, Tel.: 030/31002-519 Wolfgang Schlaak; www.hhi.de) bemüht sich um das Internet der Zukunft. Das Internet der Zukunft wird nach Vorstellung des Institutes auf optischen Netzen aufbauen. Dafür werden im HHI neuartige photonische Komponenten entwickelt, die mit der Firma Alcatel als Industriepartner getestet werden. Die Photoniknetze des HHI werden sich auf optische Frequenz- und Zeitmultiplexe stützen. Mit diesen Techniken soll sich die Kapazität bereits verlegter Glasfaserkabel wesentlich vervielfachen lassen können. Das Institut untersucht hierzu geeignete Sende- und Empfangssysteme, Transponder, Modulatoren und Cross-Connects. Eine ultimative Kostensenkung bei Massenproduktion optischer Module wird von der Einführung optischer/optoelektrischer ICs, sogenannter Photonischer ICs (PICs) bzw. Optoelektronischer ICs (OEICs) erwartet. Dies und das Übertragungsleistungspotential von 40 Gigabit/Sek (d.h. 40 Milliarden BIT/Sek) stimmen das HHI sehr optimistisch, dass die Glasfaser bis in den einzelnen Haushalt geführt wird. Hinzu kommt, dass jetzt eine Übertragungsstrecke von 240 Kilometern Faserlänge ohne Impulsverstärker möglich ist (statt der bisherigen 50 km). Was jetzt ISDN in einer Stunde abarbeitet, soll später in 1 Sekunde bewältigt werden. Das würde bedeuten: 40 Gigabit gleich einer Milliarde Bit entspräche etwa einem der 15 Bände von "Meyers großem Universallexikon"; dieser Band würde in einer zehntel Sekunde übertragen werden. Diese kaum vorstellbare Leistung beruht u.a. auch auf der vom HHI entwickelten Vermittlungsstelle auf einem optischen Chip als optischen Filter unterschiedlicher Lichtfarben. Diese durchdringen sich störungsfrei gegenseitig, so dass bis 10.000 unterschiedliche Datenbahnen auf einer derartigen Glasfaser befahren werden können. Hinzu kommen noch die bekannten Eigenschaften der Glasfaser, keine Störungsanfälligkeit gegenüber elektromagnetischen Einflüssen, wegen derer gerade die Deutsche Bundesbahn mit einer Berliner Bezirksverwaltung im Streit liegt. Dort sollen die elektrischen Oberleitungsströme der Bahn die Arbeiten an den Personalcomputern des in der Nähe der Gleise liegenden Bezirksamtes erheblich stören. Auch von Elektrosmog kann bei der optischen Datenübertragung keine Rede sein. Wie oben schon angesprochen, soll auch keine Impulsverstärkung etwa alle 200 bis 300 Meter, wie bei der Richtfunk- bzw. TV-Datenübertragung, erforderlich sein. Auch gegenüber der Satellitenübertragung sehen die Mitarbeiter des HHI einen wesentlichen Leistungsvorsprung. Ebenfalls werden keine Probleme durch elektromagnetische Sonnenwinde bzw. Sonneneruptionen gesehen, wie sie in der Satelliten-/Datenfunkübertragung auftreten können. Zum augenblicklichen Zeitpunkt gehen Glasfaser als Backbone und Richtfunktechnik eine ideale Verbindung für ein modernes multimediales Internet ein. Ob nun in acht bis zehn Jahren, wovon das HHI ausgeht, fast jeder Haushalt bzw. jedes Unternehmen über Glasfaser mit dem Internet verbunden sein wird, ist noch offen; denkbar allerdings schon, da Glasfasern auf unterschiedlichsten Wegen, sei es durch Abwasserrohre oder sonstige Ver- oder Entsorgungsleitungen, gezogen werden können. Doch auch an anderen Verbreitungswegen wie Powerline, Datenübertragung über das Stromnetz oder TV-Kabelnetzen wird gearbeitet. Das Thema Richtfunktechnik und Powerline wurde in B.I.T.online 2/2000 im Zusammenhang mit dem CeBIT-Bericht 2000 S. 254 wiederholt angesprochen.

Abbildung 3: Blickgesteuerte 3D-Multimediastation von HHI

Es ist nun Aufgabe des Anwenders, hier im speziellen Falle der Bibliotheken, für welche Technik er sich entscheidet. Kurzfristig spricht viel für die Breitband-Richtfunktechnik, wie sie in Berlin von First-Mark vorgestellt wurde, zumal ein Glasfasernetz auch im Angebot der Firma steht.

Viel Zeit zum Planen und Entscheiden dürfte nicht mehr sein. Neben der Internetnutzung des Datensurfens und der Datenbankrecherche werden es für Bibliotheken Videokonferenzen, Telearbeit und virtuelle Arbeitsnetze zeitbegrenzter Arbeitsprojekte sein, die ein leistungsfähigeres Internet fordern. Auch e-mailing und e-commerce werden bei Bibliotheken ihren Internettribut fordern. So wird der elektronische Zahlungsverkehr für Bibliotheken an Bedeutung gewinnen, wenn sie ihre elektronischen Dienstleistungen gegen Gebühren abgeben müssen. B.I.T.online berichtete im Zusammenhang mit "net 900" ausführlich darüber.

Im Zuge der Expo 2000-Anerkennung stellte das HHI nicht nur sein Internet der Zukunft vor, sondern auch als modernes Endgerät die so genannte blickgesteuerte 3D- Multimediastation (Abb. 3). Nimmt man vor dem Bildschirm Platz, stellen zunächst Kameras an den Seiten das Gerät auf den Benutzer ein ­ kalibrieren heißt das. Überall sieht man sich selbst.

Abbildung 4: Farbmultiplexing bei einem 3D-Display mit Farbfilterstreifen. Benachbarte Farbauszüge werden durch die Zylinderlinsen in separate Betrachtungszonen abgebildet. R und L sind Bildstreifen des rechten und linken Teilbildes.
Aber dann meint man plötzlich, während der Präsentation auf 3D-Bildern die reale Welt zu erkennen. In einen Innenhof fällt ein Lichtstrahl. Ein Blick über die Dächer Berlins ­ man meint tatsächlich, aus dem Fenster zu sehen, und aus dem Bildschirm scheint dem Betrachter die Discovery entgegen zu kommen, so dass man nach ihr greifen möchte. Und das alles ohne die von der Stereoskopie her bekannten rot/grünen Brille auf der Nase. Bei der stereoskopischen Wiedergabe entsteht der räumliche Bildeindruck dadurch, dass die beiden Augen des Betrachters zwei unterschiedliche Bilder empfangen, die ­ in Analogie zum natürlichen beidäugigen Sehen ­ die räumliche Szene aus geringfügig unterschiedlichen Perspektiven zeigen. Ein vom HHI entwickeltes in ein Display integriertes optisches System sorgt dafür, dass jedes Auge nur das ihm zugeordnete stereoskopische Teilbild sehen kann ­ optische Adressierung. Der Trick des Systems: Bei den Bildschirmen werden sehr feine, vertikal verlaufende Zylinderlinsen oder auch eine spezielle Streifenstruktur für die selektive optische Adressierung der beiden Augen des Betrachters verwendet (Abb. 4), das heißt, rechtes und linkes Bild werden streifenförmig ineinander verschachtelt.

Neben dem räumlichen Sehen bildet der HHI-PC eine autostereoskopische multimediale Benutzerschnittstelle, Steuerung mit einfachen Handbewegungen und Sprache. Weil Kameras die Bewegungen der Augen verfolgen, kann man Oberflächenfelder durch Blicke steuern, und über das Mikrofon sagt man einfach "Start", statt mit der Maus auf der Mausplatte hin- und herzufahren. Die computerunterstützte Telearbeit in virtuellen Projektgruppen gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Abbildung 5: Virtuelle und reale Objekte werden in den gemeinsamen Interaktionsraum integriert.
Neuartige Display- und Visualisierungs-
techniken helfen dabei, die räumliche und psychologische Distanz zwischen den Beteiligten zu überbrücken. Virtuelle und reale Objekte werden nahtlos in den gemeinsamen Interaktionsraum integriert (Abb. 5). Intelligente videobasierte Sensoren erfassen Blickbewegungen und Handgesten und ermöglichen auf diese Weise neue Formen der intuitiven Direktmanipulation virtueller Objekte. Eine am HHI entwickelte 3D-Technologie unterstützt insbesondere die räumliche Wiedergabe von Objekten im Nahbereich (Greifraum) des Anwenders; Entwicklungen, die auch körperbehinderten Bibliotheksbesuchern von Nutzen sein können und das hoffentlich bald, denn derzeit kosten die Bildschirme nur etwa doppelt so viel wie herkömmliche; können also nach bisherigen Erfahrungen mit elektronischen Geräten nur noch preiswerter werden.


Zum Autor

Dipl.-Volksw. Clemens Deider

Fuggerstraße 18
D-10777 Berlin
Tel.: (030) 2135274