Modernste Papierentsäuerungsanlage Europas
in der Schweiz eingeweiht

von Willi Treichler

Der seit Beginn des 19 Jahrhunderts rasant steigende Bedarf an billigen Gebrauchspapieren rief nach neuen, in großer Menge verfügbaren Rohstoffen für die Papierherstellung. Es wurde fast ausschließlich eine saure Harz-Alaun-Leimung sowie Holz verwendet. Das mit diesen Stoffen industriell gefertigte Papier ist sauer und zerfällt nach etwa 150 Jahren. Daher sind viele Bücher und andere Dokumente bereits angegriffen und können nicht mehr lange im Original erhalten werden. Allein in der Schweizerischen Landesbibliothek (SLB) (Nationalbibliothek) und im Schweizerischen Bundesarchiv (BAR) lagern heute rund 3.000 Tonnen säurehaltige Dokumente, in weiteren Bibliotheken und Archiven der Schweiz dürften es nochmals weitere 10.000 Tonnen sein. 1990 haben sich die beiden nationalen Institutionen zusammengeschlossen und gemeinsam den Bau einer schweizerischen Anlage zur Papierentsäuerung initiiert.

Als Standort wurde ein früherer, heute privatisierter Armeebetrieb in Wimmis im Berner Oberland, unweit des Thunersees, evaluiert. Diese Industrieanlage bot auch in entsorgungs- und sicherheitstechnischer Hinsicht überzeugende Vorteile. Die heutige Betreiberin der Anlage, die Nitrochemie Wimmis AG (NCW), ist auch in der Lage, das chemotechnische Knowhow zur Verfügung zu stellen. So entstand eine partnerschaftliche Lösung, indem der Bund eine Entsäuerungsanlage als Eigentümer bauen ließ, diese aber nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen von der NCW betrieben wird. Als Prozess wird das verbesserte und weiterentwickelte papersave-Verfahren der Battelle Ingenieurtechnik GmbH angewandt. Die Anlage wurde zudem mit einer Rekonditionierungsanlage erweitert und ist damit weltweit die modernste und größte ihrer Art. Sie wird zu je einem Drittel von der SLB und dem BAR genutzt, das restliche Drittel (rund 40 Tonnen/Jahr) steht Institutionen aus der Schweiz und aus dem benachbarten Ausland zur Verfügung.

Das auf Grund der hohen Qualitätsanforderungen neuentwickelte papersave swiss-Verfahren neutralisiert die in den Papieren vorhandene Säure und baut eine alkalische Reserve auf. Dabei werden große Mengen von Büchern oder Akten in einer Unterdruckkammer getrocknet und mit einem Lösungsmittel getränkt. Mit diesem Lösungsmittel werden Titan- und Magnesiumalkoholate transportiert, die sich in das Papier einlagern und die Säure binden. Anschließend wird das Lösungsmittel abgepumpt und das Papier wird erneut getrocknet. In speziellen Rekonditionierungskammern wird dem Papier die natürliche Papierfeuchte wieder zurückgegeben, die alkalische Reserve wird aufgebaut und die Lösungsmittel werden restlos entfernt.

Für diese sehr anspruchsvolle neue Konservierungsmethode entstand ein Qualitätssicherungskonzept, dessen Standards Teil des Betreibervertrags bilden. Die Standards legen die Anforderungen an die Qualität des Behandlungsergebnisses fest. Sie regeln ferner die Sicherheitsvorkehrungen, die Infrastrukturvorgaben sowie die gesamte Prozesslogistik, eingeschlossen die Transporte vom Auftraggeber zum Behandlungsstandort und zurück.

Die einfache Projektidee und die logische Raumorganisation spiegeln sich in der architektonischen Gestaltung der Anlage, die aus einem bestehenden, restaurierten Baukörper und einem langgestreckten, formal klar gestalteten neuen Anbau besteht. Die Anlage ordnet sich unauffällig in die fast als klassisch zu bezeichnende Gruppe von Industriebauten aus den Fünfzigerjahren am Fuße der Berner Voralpen ein.


Zum Autor

Dr. Willi Treichler

Schweizerische Landesbibliothek Bern
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