Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Bibliothek:
Festschrift für Konrad Marwinski zum 65. Geburtstag
Hrsg. von Dorothee Reißmann.
München : Saur, 2000.
ISBN 3-598-11438-9. DM 148.
Warum bekommen Festschriften mit ihrem Sammelsurium an Themen stets Titel, die zuviel verheißen? Ein Rätsel, das wohl kaum je gelöst werden wird. Jedenfalls wird sich der Haupttitel dieser Festschrift schwerlich überbieten lassen. Die pragmatischere Frage ist jene, ob sich in der Vielzahl von Beiträgen einer Festschrift, die oft als Vortrag, Aufsatz oder Projektbericht bereits anderweitig veröffentlicht wurden, so viele "Perlen" finden, dass sich eine Lektüre, schärfer formuliert: die Anschaffung, lohnt? Das ist hier der Fall. Gehen wir nach dieser generellen Empfehlung näher auf den Inhalt ein.
Das Buch ist in zwei Hauptteile gegliedert: "Bibliothek und Medien" und "Bibliotheken und ihre Entwicklung". Themen des ersten Teils sind: Druckverzeichnisse, Regionalbibliotheken, Dokumentationen, Bibliotheksbau, Zensurfällen, Multimedia in Hochschulbibliotheken und Ausbildungsfragen. Man fragt sich vergebens, warum das alles unter "Bibliothek und Medien" subsumiert wird, aber das ist wieder unser Anfangsdilemma, dass Titel nicht notwendigerweise etwas mit dem Inhalt zu tun haben müssen. Zudem zielt diese Kritik an den durchweg lesenswerten Beiträgen vorbei, weswegen sie hier im einzelnen kurz referiert werden sollen:
- Der Aufsatz von Helmut Claus über ein Verzeichnis von Drucken aus dem 16. Jahrhundert (VD 16) ist eine bibliotheksgeschichtliche Abhandlung und dokumentiert, wie ein in der DDR-Zeit begonnenes Projekt dann in der Zeit nach der Wende durch DFG-Förderung aufgegriffen und beendet wurde.
- "Regionalbibliotheken im Informationszeitalter" von Bernd Hagenau schildert die Herausforderungen, welche die technische Entwicklung für die Regionalbibliotheken im Unterschied zu den Hochschulbibliotheken bieten und wägt die Notwendigkeit von Investitionen in die technische Ausstattung gegen den Bedarf anderer Bereiche, z.B. bei der Bestandserhaltung, ab.
- Der Aufsatz von Joachim-Felix Leonhard über die Initiative der UNESCO, welche unter dem Projekttitel "Memory of the World" wichtige Dokumente der Menschheit speichern möchte, diskutiert im Zusammenhang mit diesem Beispiel breit auch die grundsätzlichen Probleme der Dokumentation.
- Gottfried Mälzer macht sich programmatische Gedanken über "Bibliothek und Bildung" und meint mit Bildung die humanistische. Seine These ist, Bildung als Arbeitsfeld von Bibliotheken sei weniger von Geld als vom Wollen abhängig. Dennoch bleibt bis zum Schluss unklar, in welche Richtung das "Plädoyer" eigentlich zielt.
- Konkreter wird Elmar Mittler in seinem Beitrag "Bibliotheken Tor zur Information", in dem er verschiedene Leitbilder in der Bibliotheksgeschichte allerdings nur jener der wissenschaftlichen Bibliotheken referiert (Bibliothek als Tresor, Pultbibliothek, Saalbibliothek, dreigeteilte Bibliothek, offene Bibliothek, postmoderne Bibliothek), um dann den Einfluss der elektronischen Medien auf die Dienste der Bibliothek und dann insbesondere die konkreten Anforderungen, welche die elektronischen Medien und Dienstleistungen an die Bibliotheksgebäude stellen zu beschreiben.
- Georg Ruppelt stellt groteske Zensurfälle aus fünf Jahrhunderten dar und entwickelt eine Typologie der Zensur. Sehr interessant! Jedoch hat der Beitrag wenig mit Bibliotheken zu tun.
- Barbara Schneider-Eßlinger behandelt das Thema "Multimedia in den Hochschulen" und mithin einen Bereich, der an verschiedenen Hochschulen noch in heftiger Entwicklung begriffen ist und meist in die Kompetenz sowohl von Rechenzentren als auch der Bibliotheken fällt. Die Autorin schildert Aufgaben- und Anforderungsprofile und stellt Konzepte und Modelle dar, zum Teil exemplarisch anhand der Situation an ihrer Hochschule in Potsdam.
- Schlussendlich werden in dem Aufsatz von Rosemarie Werner und Engelbert Plassmann beide vom Institut für Bibliothekswissenschaft der HU Berlin über die Ausbildung des Bibliothekars seit dem Zweiten Weltkrieg, knapp und prägnant die Entwicklungen in der Bundesrepublik und der DDR rekapituliert. Da die Ausbildung sowohl auf geänderte Berufsbilder als auch auf sich ändernde Arbeitsinhalte reagiert, ist dies zugleich eine heimliche Geschichte der fortwährenden Umbrüche in unserem Beruf, nicht zuletzt in der letzten Dekade.
Im zweiten Teil werden verschiedene Aspekte des Bibliothekswesens fast ausschließlich anhand einzelner Hochschulbibliotheken der neuen Bundesländer (Leipzig, Rostock, Weimar, Magdeburg, Erfurt und Halle; die Ausnahmen sind Düsseldorf und Bremen) behandelt. Die Themen sind wieder breit gestreut, es finden sich u.a. Beiträge zur Bibliotheksgeschichte, Bestandserhaltung, zu konzeptionellen Fragen (z.B. Marketing oder Umwandlung zur Informationsbibliothek), Kooperation zwischen Bibliotheken und Strukturfragen einschichtiger Bibliothekssysteme. Insgesamt werden sowohl die Geschichte des Bibliothekswesens der DDR als auch der Umbruch und z.T. Neuanfang in der letzten Dekade anhand von Beispielen sehr anschaulich dargeboten. Man kann diese Beiträge also sowohl unter dem bibliotheksgeschichtlichen Aspekt zur Kenntnis nehmen als auch unter dem jeweiligen Sachaspekt.
An den zweiten Teil angehängt findet sich eine Liste der Veröffentlichungen Marwinskis und ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren. In der Liste der Beiträger finden sich bekannte Namen wie die schon genannten Leonhardt, Ruppelt, Mittler und Plassmann, die Beiträge im zweiten Teil wurden mehrheitlich von den Leitern/Innen der betroffenen Bibliotheken verfasst. Schön auch, dass in mehreren Beiträgen auf Konrad Marwinski Bezug genommen wird, der ja dem (gesamt-)deutschen Bibliothekswesen als Herausgeber von "Bibliothek, Forschung und Praxis" seit 1991 und der "Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie" (ZfBB) seit 1993 ein Begriff war.
Anschrift des Rezensenten:
Dr. Jürgen Plieninger
Bibliothek des Instituts für Politikwissenschaft
Universität Tübingen
E-Mail: juergen.plieninger@uni-tuebingen.de