Ein Plan für das Vorgehen im Katastrophenfall bei Bibliotheken
Rettungsmaßnahmen und Ausbildung des Personals der Schweizerischen Landesbibliothek

von Susan Herion und Chantal Karli


1. Einleitung
2. Entstehungsgeschichte und Aufbau des Planes der SLB

3. Personal-Ausbildungsprogramm

4. Rettungsübung im Brandfall

5. Fazit

1. Einleitung

Die Rettung und Behandlung von Sammlungen nach einem Feuer oder einem Wasserschaden stellt Bibliotheken und Archive vor große fachliche und logistische Probleme. Der Plan der Schweizerischen Landesbibliothek (SLB) soll panikartige Reaktionen verhindern und den Rettungsablauf im Notfall nach logischen Kriterien steuern. Der Plan der Schweizerischen Landesbibliothek ist in fünf Kapitel gegliedert, wobei das erste Kapitel die Sicherheit der Personen beinhaltet, das zweite die ersten Reaktionen nach Freigabe des Gebäudes, das dritte die Rettung der Objekte und das vierte die Klärung der Situation nach der Katastrophe. Das fünfte Kapitel schließlich betrifft die Auswertung der im Katastrophenfall gemachten Erfahrungen. Eine Kopie des Katastrophenplans, wie auch ein Ausbildungsvideo, kann bei der Schweizerischen Landesbibliothek bestellt werden.

2. Entstehungsgeschichte und Aufbau des Planes der SLB

Die Schweizerische Landesbibliothek leidet seit vielen Jahren an Platzmangel. 1994 konnte mit einem Ausbau- und Umbauprogramm begonnen werden. Die erste Etappe, abgeschlossen im Jahr 1997, war die Errichtung eines neuen unterirdischen Magazins unter dem östlichen Vorgarten. Da die Bibliothek auf instabilem Grund steht, traten infolge der Bauarbeiten in der Gebäudehülle Spannungen auf. Die Aushubarbeiten verursachten Bewegungen und Risse in Magazinräumen, in denen sich eine Reihe wertvoller Sammlungen befand.

Im Zusammenhang mit der Bautätigkeit drängte sich die Ausarbeitung eines konservatorischen Plans für den Katastrophenfall als absolute Notwendigkeit auf: Ein Plan für die Rettung der Bibliotheksdokumente nach erfolgter Feuer- und Wasserkatastrophe. Der Katastrophenplan ist Teil der umfassend definierten Konservierungstrategie der Schweizerischen Landesbibliothek, die präventive und aktive Bestandserhaltungsmaßnahmen für die Originale, sowie Maßnahmen der Informationserhaltung umfasst.

Über einen Katastrophenplan zu verfügen hat den Vorteil, dass nach einem Feuer- oder Wassereinbruch Schäden an Dokumenten verringert oder Totalverluste vermieden werden können. Zudem verhilft ein Katastrophenplan dazu, den Unterbruch der täglichen Arbeit auf ein Minimum zu reduzieren, so dass die Institution ihren Auftrag relativ rasch wieder aufnehmen kann. Eine erste Fassung des Plans lag 1995 vor; sie wurde 1998 unter Berücksichtigung der bevorstehenden zweiten Bauetappe revidiert.

Ein Plan für den Katastrophenfall geht von der Annahme aus, dass dieser Fall tatsächlich eintreten kann. Er reduziert das Risiko einer Panik und deren Auswirkungen und erleichtert das richtige und logische Handeln für die Involvierten. Der Plan zeigt ein Vorgehen auf, das alle erforderlichen Schritte zur effizienten Rettung einschließt.

Nach einem zeitlichen Ablauf gegliedert, bespricht der Katastrophenplan der Schweizerischen Landesbibliothek folgende Maßnahmen in fünf Kapiteln:

"Während der Katastrophe"
Dieses Kapitel befasst sich hauptsächlich mit der Sicherheit der Personen. Es legt die verschiedenen Alarm-Arten und die Informationswege zu den Personen, die aufgeboten werden müssen, fest.

"Erste Reaktionen oder: Wer macht was wie?"
Das zweite Kapitel enthält alle Hinweise und Adressen, um zweckmäßig, rasch und wirksam den Ablauf der Rettungsaktion der Bibliotheksbestände zu organisieren. Es enthält Bestimmungen, die den Zutritt zum Gebäude regeln und maßgebend sind für die Beurteilung von Lage und Vorgehen durch die verantwortlichen Personen.

"Die Rettungsaktion"
Für die eigentliche Rettung der Objekte ist der Einsatz aller "Schlüssel"-Personen erforderlich. Das dritte Kapitel enthält Hinweise und Anordnungen, die sich auf die Behandlung aller vorkommenden Materialtypen, herkömmlicher und moderner Medien beziehen, also Antwort geben auf Fragen wie:

"Nach der Katastrophe"
Dieses Kapitel beschreibt das Vorgehen nach der Krisensituation. Es regelt Zwischenlagerung und Rückführung der Dokumente in die renovierte Schadenszone. Besprochen werden ebenfalls die langfristigen Konservierungsarbeiten und das Vorgehen bei der Aufstellung der Dokumente am früheren Standort.

"Erfahrungsauswertung"
Nach dem Schadensereignis und der Umsetzung des Katastrophenplans ist es wichtig, die Meinung der Beteiligten einzuholen, die Tauglichkeit des Plans zu beurteilen, Verbesserungen vorzunehmen bzw. ihn zu revidieren. Das letzte Kapitel gibt hierfür Anweisungen und Vorgehensvorschläge.

Der Plan der Schweizerischen Landesbibliothek für den Katastrophenfall bezieht sich auf ihre eigenen Sammlungen, einschließlich derjenigen des Schweizerischen Literaturarchivs. Beim gegebenen Umfang dieser Bestände und dem in Abhängigkeit davon zu erwartenden Schadensausmaß könnte der Konservierungsdienst der SLB allein eine größere Katastrophe nicht bewältigen. Daher wurden "Einsatzgruppen" gebildet, die sich aus Mitarbeiter/innen des Konservierungs- und des Magazindienstes zusammensetzen. Dank gezielter Ausbildung sind sie in der Lage, sachgerecht zu reagieren. Darüber hinaus ist aber die Mitwirkung des gesamten Personals der SLB erforderlich, d.h. die Problematik muss allen Mitarbeiter/innen bekannt sein. Das setzt regelmäßige Information voraus. Als fruchtbar und notwendig hat sich zudem die Zusammenarbeit mit dem Kulturgüterschutz, mit der Berufsfeuerwehr der Stadt Bern und mit externen Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Restaurierung/Konservierung erwiesen.

3. Personal-Ausbildungsprogramm

Ein wesentliches Element, das die Tauglichkeit eines Plans "Katastrophenfall" bestimmt, ist die Ausbildung des Personals. Je besser Vorbeuge- und Schutzmaßnahmen eingeübt, je genauer die Risiken bekannt, je präziser das Vorgehen im Gefahrenfall festgelegt sind, desto geringer werden die Schäden sein und mit desto mehr Erfolg können die Rettungsaktionen durchgeführt werden. Es ist deshalb wichtig, die Mitglieder von Einsatzgruppen auch am konkreten Objekt zu schulen und richtiges Verhalten im Katastrophenfall auch von dieser Seite her zu veranschaulichen.

Wir haben den Aspekt "praktische Ausbildung" in sechs Etappen umgesetzt. Zunächst erfolgten breit gestreute Informationen allgemeinen Charakters mit dem Ziel der Sensibilisierung des gesamten Personals für das Thema "Katastrophenschutz". Dann wurden die Informationen mehr und mehr auf die Einsatzgruppen zugeschnitten. Die Einsatzgruppen haben zwei Aufgaben:

Das Ausbildungsprogramm der SLB, das die zu diesem Zweck unverzichtbaren theoretischen und praktischen Kenntnisse vermittelte, hat sich über zwei Jahre erstreckt und umfasste sechs Veranstaltungen:

4. Rettungsübung im Brandfall

4.1 Brandversuche


Abbildung 1: Regal mit Bibliotheksmedien
vor der Inbrandsetzung

Ort der Rettungsübung war ein spezielles Gebäude, in dem regelmäßig Brandbekämpfungsübungen durchgeführt werden. Im Innern des Gebäudes waren Originalgestelle der auch im Bibliotheksmagazin verwendeten Kompaktusanlage montiert, (Abb. 1) die verschiedene Typen von Bibliotheksmaterialien enthielten. Die Feuerwehrleute setzten den Bestand in Brand. Nach ein paar Minuten wurde ein Sprinkler in Betrieb gesetzt. Ein erstes Mal manuell. Beim zweiten Versuch setzte die Sprinklertätigkeit automatisch ein, so dass festgestellt werden konnte, wie lange es dauert, bis die 70°C erreicht sind, die den Sprinkler auslösen. Alle Bücher wiesen starke Feuer-, aber relativ geringe Wasserschäden auf. Man konnte auch bei der Wiederholung des Vorgangs konstatieren, dass der Sprinkler viel Wasser versprühte, der Löscheffekt aber ungenügend blieb, da die Bücher weiterglimmten.

Abbildung 2: Regal mit Bibliotheksmedien
nach gelöschtem Brand

Bei der zweiten Durchführung der Übung am Nachmittag wurde das Feuer auf traditionelle Weise, nämlich mit Druckwasser aus dem Feuerwehrschlauch gelöscht. Die Löschung erfolgte bedeutent rascher und benötigte erheblich weniger Wasser. Allerdings bildete sich ein Rußfilm. Hitzeeinwirkung und Ruß waren auch an den, auf den ersten Blick "unbeschädigten Beständen" festzustellen. (Abb. 2)

4.2 Verhalten der "neuen Medien" auf Feuer

Nach der Löschung der traditionellen "papiernen" Bibliotheksmaterialien wurden die Gestelle ein zweites Mal mit "modernen" Medien gefüllt: Disks, CDs, Tonbändern, Hüllen aus Polyester, Einbänden aus PVC und Nitrocellulose usw. Es bot sich die einzigartige Gelegenheit, die Reaktion solcher Materialtypen mit Feuer aus der Nähe zu beobachten. Wegen der hochgradig giftigen Emmissionen (Chlorwasserstoff), die von den synthetischen Materialien ausgingen, musste auf eine Bergung und Handhabung der Dokumente direkt im Anschluss an den Löschvorgang verzichtet werden. Das Feuer fasste sofort und mit großer Intensität; es entwickelte sich eine dichte dunkle Rauchwolke. Nachdem das Feuer gelöscht war, konnte man erkennen, dass die "modernen" Medien in der Regel bereits schon bei tieferen Temperaturen sehr empfindlich reagieren. Sie waren ausnahmslos geschmolzen. Immerhin ist zu bemerken, dass in Kartonhüllen aufbewahrte Dokumente verzögert angegriffen wurden und Hitze und Flammen besser standhielten.

Die mehrstufige Verbrennungs- und Löschaktion der Bibliotheksmaterialien beruhte nicht auf einer "wissenschaftlichen" Versuchsanordnung. Unsere Schlussfolgerungen beruhen auf empirischer Beobachtung und sind in diesem Sinne nicht als abschließend oder vollumfänglich zu verstehen.

4.3 Massnahmen nach Brand und Löschung

Nachdem alles Material gelöscht war, instruierte die Rettungskoordinatorin die Teilnehmer/innen über das weitere Vorgehen:

Bei Unsicherheiten oder Fragen konnten sich die Mitwirkenden an die Rettungskoordinatorin oder an die Behandlungsverantwortlichen wenden. Die Mitwirkenden hatten Gelegenheit, alle Phasen der Rettungsorganisation kennenzulernen. Am Schluss jeden Übungsteils fand eine Diskussion und ein Informationsaustausch statt.

Eine kleine Sammlung von repräsentativen Dokumenten wurde von einer spezialisierten Firma aus Seftigen, CH, gefriergetrocknet. Dieses Material steht zukünftig für Demonstrationszwecke zur Verfügung. Zudem wurde der Ablauf der Übung gefilmt. Aus dem Filmmaterial ist ein Instruktionsvideo erstellt worden, der über die Schweizerische Landesbibliothek/Dienst Konservierung bezogen werden kann.

4.4 Auswertung der Übung

Die Teilnehmenden waren begeistert und haben aktiv an der Übung teilgenommen. Brennendes Bibliotheksmaterial ist sehr eindrücklich. Der immense Schaden, der in kürzester Zeit entsteht, sensibilisiert die Teilnehmenden in hohem Maße.

Die Reihenfolge der Rettungsmaßnahmen hat sich als logisch und richtig erwiesen. Die Mitarbeit der Feuerwehr war präzise und äußerst konstruktiv. Zudem wirkte sie zusätzlich motivierend für die Bibliotheksmitarbeitenden. Alle Teilnehmenden konnten neue Kenntnisse und Erfahrungen gewinnen.

5. Fazit

Obwohl sich der grundsätzliche Ablauf des Katastrophenplans als kohärent erwies, haben sich durch das praktische Durchspielen der einzelnen Maßnahmen wichtige Verbesserungsmöglichkeiten gezeigt und neue Ideen sind entstanden. Die Verbesserungsideen werden in der nächsten Revision des Katastrophenplans miteinbezogen. Zudem wird ein detailliertes Kapitel betreffend der Handhabung von Neuen Medien integriert.

Die ganztägige Rettungsübung hat den theoretischen Katastrophenplan für alle Teilnehmenden praktisch anschaulich gemacht und notwendige Handfertigkeiten vermittelt. Heute können die Teilnehmenden einer Katastrophe sicherer gegenüber stehen, angemessener handeln und präziser Anleitungen einem erweiterten Helferkreis geben.

Der Informationsaustausch unter Archiven, Bibliotheken und Museen im Bereich des Katastrophenschutzes und der langfristigen Erhaltung der Kulturgüter ist wichtig. Die Schweizerische Landesbibliothek stellt ihren Katastrophenplan, wie auch das Video, gern auf Anfrage anderen Institutionen zur Verfügung.

Anfragen richten Sie bitte an:

Schweizerische Landesbibliothek

Leiterin der Konservierung
Susan Herion
Hallwylstraße 15
CH - 3003 Bern
Tel.: 0041 - (0)31 - 322 89 91
Fax: 0049 - (0)31 - 322 84 63
E-Mail:
Susan.Herion@slb.admin.ch

oder an:
Dienst Konservierung/Bestandserhaltung
Corinne Merle
Tel.: 0049-(0)31 325 58 50
E-Mail: corinne.merle@slb.admin.ch

Weitere Informationen über den Katastrophenplan und die Konservierungsaktivitäten der Schweizerischen Landesbibliothek sind abrufbar unter der URL: http//www.snl.ch


Zu den Autorinnen

Susan Herion, dipl. Betriebsökonomin FH, ist Leiterin der Konservierung der Schweizerischen Landesbibliothek und verantwortet Aufbau und Umsetzung der bibliotheksinternen Konservierungsstrategie.

Schweizerische Landesbibliothek Bern
Hallwylstraße 15
CH-3003 Bern
E-Mail: Susan.Herion@slb.admin.ch

Chantal Karli, freiberufliche Restauratorin, verantwortet als Projektleiterin die Erstellung des Plans und die Ausbildung des Personals.

CH-1000 Lausanne
Schweiz