Die Bibliothekstheke - Herzstück oder Barrikade?

2. Fachtagung 2000 in Brandenburg:
Psychologische und organisatorische Aspekte

von Brigitte Nottebohm

1. Vorbemerkungen

Unter o.g. Motto trafen sich Beschäftigte aus Bibliotheken und Hersteller von Bibliotheksmobiliar am 18.und 19. Mai 2000 in der Fachhochschule Brandenburg. Worum ging es?

Es handelte sich bereits um die zweite wissenschaftlich begleitete Fachtagung einer längerfristig angelegten Reihe der Arbeitsgemeinschaft Fachhochschul-Bibliotheken im Deutschen Bibliotheksverband / Sektion IV Wissenschaftliche Bibliotheken 1 . Die 28 TeilnehmerInnen kamen aus 15 Bibliotheken und 11 Städten.

Ausgangspunkt für diese Tagungsreihe war ein Beschluss, den die Fachhochschul-Bibliotheken auf ihrem 1999er Fachkongress "Deutscher Bibliothekartag" in Freiburg/Br. gefasst hatten: Ein Projekt zur optimierenden Gestaltung von Ausleih- und Auskunftstheken durchzuführen.

Thekenarbeitsplätze und deren Konstruktion, ergonomische, technische und ästhetische Gestaltung werden nach Auffassung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Fachhochschulbibliotheken häufig nicht ihrer zentralen Bedeutung entsprechend geplant, gestaltet, in Auftrag gegeben und aufgestellt. Häufig sind sie ästhetisch, aber nicht funktionell - oder aber funktionell und weniger ästhetisch. Selbst unter günstiger - das heißt intensiver - Mitarbeiterbeteiligung entwickelte Theken sind oft nicht optimal, da ihre Konstruktion "festgemauert in der Erden" ist, anstatt mobil und flexibel (höhenverstellbar, unkompliziert, veränder- und erweiterbar) zu sein, um jeweils auf sich häufig verändernde Bedingungen der Arbeitsumgebung und -organisation der dort Arbeitenden eingehen zu können. Beschäftigte werden bei der Thekenplanung oftmals nicht ausreichend oder gar nicht beteiligt. Auftraggeber oder Vorgesetzte sind sich nach dem Eindruck der Mitarbeiter oft der Schaufensterfunktion der Theke für die Bibliothek oder die gesamte Hochschule nicht ausreichend bewusst.

2. Der Tagungsverlauf

Im Mittelpunkt dieser 2. Thekentagung standen psychologische und arbeitsorganisatorische Aspekte. Die für Öffentlichkeitsarbeit und Leitbildfragen ausgewiesene Referentin Marion Schmidt, Berlin führte die TagungsteilnehmerInnen offen, effizient, kreativ und zielorientiert in psychologische und kommunikationstheoretische Grundsätze ein. Sie baute Brücken von der Abstraktion theoretischer Erkenntnisse zur Konkretion des Beziehungsalltages in der Bibliothek - insbesondere zwischen den an der Theke Arbeitenden untereinander und gegenüber ihren "Dienstleistungsnehmern" - also den Benutzern - in der Außenwirkung. Unkompliziert und memofähig sowohl für den Tagungsablauf als auch für den Gebrauch im späteren Berufsalltag vermittelte sie unterschiedliche Moderations- und Präsentationsmethoden (z.B. Metaplan-Methoden, Kreativitäts-Übungen, arbeiten mit dem Flipchart, mindmapping mit dem Strukturbaum-Prinzip).

Die innerhalb der 13stündigen Tagung agierenden 14 Arbeitsgruppen erreichten unter der wohltuenden Moderation von Marion Schmidt in vergleichsweise kurzer Zeit zahlreiche zielorientierte und in der späteren Praxis verwendbare Arbeitsergebnisse.

3. Ein inhaltlicher Streifzug

Zur Veranschaulichung hier einige Streiflichter der von den TagungsteilnehmerInnen ausdrücklich gewünschten oder von der Referentin vorgeschlagenen Themenkomplexe:

3.1 Fragen der Arbeitsorganisation an der Theke

Welche Aufgaben laufen im "Thekengeschäft" gleichzeitig nebeneinander?

Welche Abarbeitungsprioritäten setzen wir uns bei den gleichzeitig nebeneinander her laufenden Arbeiten?

Welche Akzeptanz finden immer wiederkehrende - oft auch monotone - Tätigkeiten im Thekengeschäft?

Welche Pro- und Kontra-Positionen gibt es bei der Bewertung von Mischarbeit zwischen Theken- und Hintergrund-Tätigkeiten bei den MitarbeiterInnen? Inwieweit müssen diese Fragen für Bibliotheken sehr unterschiedlicher Größe differenziert betrachtet werden?

3.2. Aspekte der Kommunikation bei der Thekenarbeit

An die Theke kommen alle Benutzer und fragen Alles, ganz gleich, ob es Fragen zur Theke, zur Bibliothek oder zur Fachhochschule insgesamt sind. Wie gehen wir damit um?

Wie organisieren wir eine Dienstbesprechung für ein Thekenteam?

Was ist bei der Umstellung vom konventionellen zum DV-technisch organisierten Betrieb zu beachten?

Welches sind häufig gestellte Fragen an der Theke?

Welche sprachlich und mental unterschiedlichen, nebeneinander her oder gegeneinander laufenden Kommunikationsebenen zwischen Theken-MitarbeiterInnen und BenutzerInnen gibt es?

Personal und BenutzerInnen sprechen unterschiedliche (Fach-) Sprachen und haben oft recht unterschiedliche Interessen. Zu welchen typischen Konflikten kann es dabei an der Theke kommen und wie gehen wir damit um?

Was unternehmen wir angesichts der Tatsache, dass viele unserer BenutzerInnen unsere Dienstleistungen insgesamt nicht kennen und uns statt dessen an der Theke mit Fragen überschwemmen?

Welches sind die uns bekannten BenutzerInnentypen im "Thekengeschäft"?

Welche Informations- und Qualifizierungsangebote haben wir für unsere Benutzerinnen und Benutzer beziehungsweise benötigen wir für uns selbst?

3.3. Die andere Theke

Was lief / läuft derzeit schief?

Was hat sich an den gegenwärtigen Theken bewährt?

Was sind die wesentlichen Punkte für die Ausschreibung einer neuen Theke (z.B. Flexibilität)?

Wie konzipiert man dafür eine Checkliste?

4. Kreativitätsübung

Den Abschluss der von Marion Schmidt moderierten Tagungsphase bildete eine assoziative Kreativitätsübung:

Welche Begriffe (A-Z) fallen uns ein, wenn wir an das Wort Theke denken? Hier die Antworten: Arbeitsplatz, Bar, Circus, Domäne, Elfenbeinturm, Fundgrube, Geheimtipp, Handelsplatz, Infopult, Joggingplatz, Kampfplatz, Loge, Meetingpoint, Nachlese, Orientierung, Palazzo, Quintessenz, Roman, Sammelsurium, Tummelplatz, Underground, Vorhölle, Wühltisch, Zentrale.

5. Fortgang des Projektes

Als Themen für die Folgetagungen stehen im Mittelpunkt:

6. Werbemaßnahmen für das Projekt

Die TeilnehmerInnen überlegen, wie sie Werbemittel konzipieren und entwickeln können, die kreativ und kostengünstig sind und einen möglichst großen Kreis von InteressentInnen für das Projekt erreichen. Die Werbemittel sollen für die Teilnahme an dem Projekt und damit an der Fachtagungsserie werben, insbesondere aber das Interesse an wissenschaftlichen, planerischen und arbeitsorganisatorischen Aspekten der Thekenarbeit in dem sehr heterogenen Kreis der NutzerInnen, AuftraggeberInnen und PlanerInnen von Theken fördern. Als Werbemittel könnten Faltblätter, Plakate und eigene Homepages dienen. Auch Anregungen für Seminar- und Diplomarbeiten und deren Begleitung in verschiedenen Fachbereichen (z.B. Architektur, Biblio-thekswesen, Betriebswirtschaft) der jeweiligen Fachhochschule wären sinnvoll.

Bei der Debatte wird deutlich, dass fast alle TeilnehmerInnen an dieser Fachtagung wenig Erfahrung mit Werbung, Marketing und Lobbyarbeit haben. Die Frage, ob die eigene Bibliothek Mitglied des Deutschen Bibliotheksverbandes ist, bleibt weitgehend unbeantwortet. Diese beiden weißen Stellen auf der Landkarte der zu bearbeitenden Verbandsaufgaben sollten durch eine entsprechendeVorstands-, Seminar- und Tagungsarbeit an Farbe gewinnen.

7. Impressionen aus der Fachhochschule Brandenburg

Noch etwas zum Ambiente: Die TeilnehmerInnen bedanken sich ausdrücklich beim damaligen Rektor der Fachhochschule Brandenburg, Dr.Hofacker, diese Tagung in den wunderschönen historischen Räumen ermöglicht zu haben. Frau Dr.Zänker, Leiterin der Bibliothek der Fachhochschule Brandenburg, und ihrem Team gebührt der Dank für eine perfekte Organisation in angenehmer Umgebung und bei optimaler Verköstigung. Dieses Dankeschön wird auch weitergegeben an die Firma H+H und die Mensa der Fachhochschule Brandenburg. Für die LeserInnen dieses Berichts - soweit sie nicht Angehörige der Fachhochschule Brandenburg sind - hier ein Hinweis auf die vorgenannten historischen Räumlichkeiten. Das zentrale Hochschulgebäude der Fachhochschule Brandenburg wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Kürassierkaserne in Klinkerbauweise errichtet; das vor dem Gebäude stehende Klinkertor dient als Vorbild für das Logo der Fachhochschule. Im zugehörigen ehemaligen Marstall wurde die heutige Bibliothek eingerichtet. Gusseiserne Stützen tragen die Gewölbedecken und bestimmen das räumliche Bild der Bibliothek. Das Engagement aller Beteiligten bei der Gestaltung dieser wunderbaren Gebäudesubstanz für eine Bibliothek springt geradezu bei jedem Detail ins Auge. Man kann die Hochschule zu dieser Bibliothek und ihrem engagierten Team nur beglückwünschen. Ein interessanter Artikel mit Farbabbildungen in der Zeitschrift "Bausanierung" berichtet über die Umwandlung des Marstalls in die Bibliothek. [BauSanierung (1997) 4, S.14-25; Deutsches Architektenblatt (1997) 2, S.166-171]

Nach der Tagung erhielt ich eine interessante Führung durch die Bibliothek und spazierte auch auf eigene Faust über das Gelände und durch alle Etagen des Fachhochschulgebäudes, schaute, unterhielt mich mit Studierenden und MitarbeiterInnen, nahm Prospekte mit. Diese interessanten Eindrücke sind jedoch ein extra Kapitel, das heute nicht geschrieben wird.

8. Touristisches

Ein kleines Postskriptum zu meinem Eindruck als "Brandenburg-Touristin": Wenn ein zweiter Besuch in der Stadt Brandenburg davon abhängig wäre, ob Initiativen der Stadt oder Initiativen der Fachhochschule mich motiviert hätten, so wäre meine Antwort:

In der Fachhochschule habe ich mehr über Brandenburg, die Landschaft, die Umgebung, Kultur und Wirtschaftsentwicklung der Stadt erfahren - obwohl ich nur wenige Stunden da war - als in der Stadt selbst, die mich am Bahnhof mit Tristesse und keinerlei Informationen über die Stadt selbst (ein in der Bahnhofshalle hängendes Luftbildplakat der Stadt ausgenommen) empfangen hat, so dass ich am liebsten nach dem Aussteigen wieder abgereist wäre. Ein junger Taxifahrer, der mich am Nachmittag nach der Tagung kreuz und quer durch die Stadt Brandenburg fuhr, hat dieses Defizit der Touristik- und Wirtschaftsabteilung der Stadt Brandenburg ein wenig heilen können. Die Lokalpolitik hat da nach meinem Eindruck Defizite, die nicht nur etwas mit vorhandenen - oder nicht vorhandenen - Finanzmitteln zu tun haben.


Anmerkung
1. Die erste Thekentagung fand im November 1999 in der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin-Hellersdorf statt. Es wurde darüber in B.I.T.online 3 (2000) Nr.1, S.102 berichtet.


Zur Autorin

Brigitte Nottebohm ist Leiterin der Bibliothek der Fachhochschule Frankfurt am Main und Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Fachhochschulbibliotheken innerhalb der Sektion IV Wissenschaftliche Bibliotheken des DBV/Deutscher Bibliotheksverband

Nibelungenplatz 1
D-60318 Frankfurt a.M.
E-Mail: nottebom@bibl.fh-frankfurt.de