Trends der Virtuellen Hochschule:

Eindrücke von der Learntec 2001 in Karlsruhe

von Regine Tobias

Bereits zum neunten Mal fand die Learntec vom 30.1.2001 bis zum 2.2.2001 in Karlsruhe statt. Dieser Kongress mit eigener Fachmesse für Bildungs- und Informationstechnologie hat sich inzwischen als wichtiger europäischer Anlaufpunkt für das Geschäft mit der Kommunikation entwickelt. Die rege Beteiligung durch die annähernd 300 Aussteller und rund 8000 Besucher aus aller Welt spiegelt dies wider. Der Sprung über den Atlantik auf den großen amerikanischen Bildungsmarkt ist noch etwas zögerlich, dafür bekam der Besucher einen guten Überblick über die Entwicklungen in Deutschland und in Europa. Weitere Internationalisierungsanstrengungen wurden jedoch vollzogen - erstmals wurde in Kooperation mit der UNESCO eine Expertenkonferenz zum Thema "Distance Learning" durchgeführt. Damit folgt die Learntec dem Trend der Globalisierung der Bildungsmärkte. Chancen und Möglichkeiten der neuen Informationstechnologien und Lehrmethoden sollen für den Aufbau von Partner- und Fernunterrichtsprogrammen in anderen UNESCO-Ländern erprobt werden.

Entwicklungen im Bereich des "E-Learning"

Auf der Learntec 2001 drehte sich alles um das "Lifelong Learning". Die Dynamik und Vielfalt, mit der sich die Anbieter von Lehrinhalten und Kommunikationssoftware auf der Learntec präsentierten, zeigen, dass für viele Unternehmen E-Learning längst Programm und ein Instrument der strategischen Unternehmensentwicklung geworden ist. In einem wirtschaftlichen Umfeld, in dem die Halbwertszeit von Wissen rapide sinkt, kommen den Bereichen der Weiterbildung und der permanenten Weiterqualifikation der Mitarbeiter eine Schlüsselrolle zu.

Auf der Learntec konnte eindrücklich verfolgt werden, dass das Angebot an multimedialen Lerninhalten inzwischen den Schritt vom computerunterstützten Lernen (CBT) zum webbasierten online-Lernen (WBT) vollzogen hat. Beim netzbasierten online-Lernen steht dem Lernenden im Gegensatz zum reinen eigenverantwortlichen Selbstlernen in der Regel ein Tutor zur Verfügung, der hilft, Fragen beantwortet und auch die individuellen Lernfortschritte überwacht. Über Chatrooms und E-Mail stehen die Lernenden mit anderen Seminarteilnehmern in Kontakt.

In einigen Kongressbeiträgen wurde WBT eng in den Kontext unternehmensweiter E-Learning-, Knowledge-Network- und Corporate University-Strategien gestellt. Diese Ansätze verstehen E-Learning als ganzheitliches Konzept, das auch einen wichtigen Beitrag für das Innovationspotenzial von Unternehmen leistet. Dafür ist als Motivationsbasis eine entsprechend kommunikativ ausgerichtete Unternehmenskultur wichtig. Diese muss zeitgleich mit den Methoden des E-Learning entwickelt und ausgebaut werden. Die auf der Learntec vorgestellten Entwicklungen, v.a. im Bereich der Softskills und auch der Lerndidaktik, unterstreichen die Bedeutung, die dieser Thematik beigemessen wird.

Virtuelle Hochschule

Die Unternehmen haben die Chancen und Notwendigkeiten des E-Learning erkannt. Auf der Learntec wurde deutlich, dass diese Ansätze bis auf die Ebene der handwerklichen Betriebe vorgedrungen sind.

Die Präsenz nahezu aller Bundesländer auf der Learntec zeigt aber auch, dass die Hochschulen diesen Trend ebenfalls erkannt haben. Aber welchen Weg auf dem Bildungsmarkt schlagen sie ein? Wie sieht die Hochschule der Zukunft aus, welche Funktion hat sie in der Gesellschaft?

In einem auf der Learntec eigens dafür eingerichteten Forum Hochschule - Wirtschaft wurden einzelne Ansätze aus den Bundesländern und einige Beispiele aus dem europäischen Ausland vorgestellt und diskutiert.

Gestiegene technische Möglichkeiten und die Entwicklungen in Wirtschaft und Unternehmen im Zuge der Globalisierung haben den Druck auf die staatlichen Bildungsträger erhöht. Die Hochschulen versuchen sich als regionaler und weltweiter Dienstleister zu etablieren und stehen dabei im Wettbewerb mit anderen Bildungsanbietern. Der Multimedia-Entwicklung kommt strategische Bedeutung zu, die Universität ist einer der Anbieter multimedialer Lehr- und Lernmodule, die auf dem Bildungsmarkt miteinander konkurrieren. Durch den Einzug von E-Learning in die Hochschulen werden sich die Hochschulstrukturen verändern. Eigen- und Fremdproduktionen werden gleichermaßen eingesetzt werden. Hinter dem verstärkten Ausbau der virtuellen Lehre an den Hochschulen steht aber auch die Hoffnung, durch eine "offene" Lehre neue Qualitätsmaßstäbe setzen zu können. Das Studium wird so effizienter und die einzelnen Hochschulstandorte attraktiver.

Die Produktion multimedialer Lehr- und Lernmaterialien an den Hochschulen hat unterschiedliche Ausprägungen: Während auf privatwirtschaftlicher Seite eher kundenspezifische und projektbezogene Lösungen vorherrschen - als Ausnahme mag das inzwischen breit gefächerte Angebot an CBT- und WBT-Kursen im IT-Bereich gelten -, werden an den Universitäten vornehmlich E-Learning-Produkte entwickelt. Gegenstand dieser eher produktbezogenen Ansätze sind einzelne Fachdisziplinen.

Noch vollzieht sich die gesamte Entwicklung an den Hochschulen im Rahmen von wenigen, aber z.T. qualitativ hochwertigen Beispielen. Insgesamt verläuft die Veränderung eher träge, die Mittel und planerischen Spielräume sind begrenzt. Jedoch zeichnet sich deutlich ab, dass das Umdenken in der universitären Lehre bereits begonnen hat.

Folgende Trends bei der Entwicklung der virtuellen Lehre zeichnen sich ab:

Länderbeispiele

Jedes Bundesland verfügt über ein eigenes Rahmenprogramm für die Etablierung netzgestützter Angebote an den Hochschulen. In der Mehrzahl sind daraus vereinzelte Projekte entstanden, die die technischen und didaktischen Möglichkeiten der neuen Medien evaluieren sollen. Nur wenige Ansätze versuchen den großen Wurf. Die ersten virtuellen Kursangebote sind bereits an vielen Standorten in die Erprobungsphase getreten. Hier werden die Entwicklungen in zwei Bundesländern kurz vorgestellt, um unterschiedliche Vorgehensweisen zu beleuchten.

1. Bayern

Mit der "Virtuellen Hochschule Bayern" propagiert dieses Bundesland einen ganzheitlichen Ansatz. Ein zentral geplantes Vorgehensmodell treibt die Enwicklung in den Universitäten und Fachhochschulen einheitlich voran.

Die "Virtuelle Hochschule Bayern" (http://www.vhb.org) ist ein Verbundinstitut (vhb) der bayerischen Universitäten und Fachhochschulen, die allesamt in die Entscheidungsstrukturen der vhb integriert sind. Der Pilotbetrieb wurde im Mai 2000 aufgenommen und inzwischen stehen den Studierenden rund 50 Kurse der Fachrichtungen Informatik, Ingenieurwissenschaften, Medizin und Wirtschaftswissenschaften zur Verfügung. Daneben können sie unter Kursen zu bestimmten Schlüsselqualifikationen wie z.B. Electronic Publishing, Grundkurs Multimedia, Einführung in das Wissensmanagement etc. auswählen. Durch dieses Angebot soll die Präsenzlehre ergänzt und das Studieren insgesamt effektiver, orts- und zeitunabhängiger werden. Rund 1200 Studierende haben im ersten Semester Kurse belegt, die alle durch Betreuer über das Netz begleitet werden.

Das Verbundinstitut betreibt mit Hilfe eines aufwendigen Begutachtungsverfahrens durch in der Organisation verankerte Fachräte die Qualitätssicherung der angebotenen Kurse in den einzelnen Projektphasen. Bereits beginnend mit der Projektauswahl über die Entwicklungszeit bis zur Freigabe sowie im Lehrbetrieb werden die Kurse laufend evaluiert. Dieses Verfahren soll garantieren, dass nur die besten Angebote der bayerischen Hochschulen für das virtuelle Studium ausgewählt werden.

Momentan ist das Kursangebot noch zu gering, um komplette Studiengänge anzubieten, jedoch sind Anstrengungen in diese Richtung im Gange.

2. Baden-Württemberg

Eine andere Strategie verfolgt das Land Baden-Württemberg. Hier kommt es durch die Förderung von sechs größeren Verbundprojekten im Bereich Multimedia zu einer Art Clusterbildung. Die Verbundprojekte haben unterschiedliche spezifische Aspekte der virtuellen Hochschule zum Ziel.

Seit Frühjahr 1998 fördert die "Virtuelle Hochschule Baden-Württemberg" (http://www.virtuelle-hochschule.de) mit 50 Millionen DM die unterschiedlichen Leitprojekte, die sich alle auf der Leantec präsentiert haben. Auch an den Hochschulen in Baden-Württemberg sind die ersten Ergebnisse in der Erprobungsphase.

In diesem Beitrag werden nur zwei der Leitprojekte kurz vorgestellt, um beispielhaft die unterschiedlichen Vorgehensweisen an den einzelnen Standorten zu verdeutlichen. Anhand dieser Beispiele lässt sich auch das potenzielle Spektrum der verschiedenen Ausprägungen bei der Entwicklung multimedialer Lehrmodule je nach intendiertem Einsatzgebiet aufzeigen.

VIROR

Im Verbund der vier oberrheinischen Hochschulen VIROR (http://www.viror.de) gehören die ersten Teleseminare und Televorlesungen bereits zum Lernalltag. Die Universitäten Karlsruhe, Freiburg, Heidelberg und Mannheim übertragen Vorlesungen und Seminare aus verschiedenen Fachbereichen von einer Universität in die andere. Ihr Lehrangebot wird so bereichert und geht über das, was eine Einrichtung alleine anbieten kann, hinaus. Gemeinsame Seminare werden in Form von Telekonferenzen durchgeführt.

Zeitliche und örtliche Flexibilität in der Lehre werden bei VIROR durch multimediale Bausteine erreicht, die unter Einsatz von "Authoring on the Fly"-Verfahren erstellt werden. Dabei werden Life-Lehrveranstaltungen (z.B. eine Whiteboard-Applikation) zunächst aufgenommen und daraus anschließend automatisch integrierte, annotierte Dokumente erstellt. Der Lernende kann in diesen Dokumenten später bequem navigieren und seine gewünschten Folien abrufen. Durch Verfahren dieser Art werden Kosten und die Erstellungszeit von Lehrsoftware minimiert, der Lvfe-Charakter des Materials kann beibehalten werden (Näheres hierzu unter http://www.ad.informatik.uni-freiburg.de/aof).

In dem hier abgebildeten Beispiel aus einem Kurs zu geometrischen Algorithmen an der Universität Freiburg kann der Betrachter mit Hilfe von Thumbnails aus den einzelnen Folien auswählen und durch Aktivieren des Audiostreams die Wiedergabe des Vortrags ab dem Zeitpunkt des Folienwechsels zur entsprechenden Folie fortsetzen (http://www.viror.de/lernen/lernmodule/informatik/algorithmen/ressource/kurse/geometrische/uebersicht.htm).

VIROR verfügt auch über ein zentrales Nachweis- und Speicherungssystem für die entwickelten Lernmodule und deren Metadaten. Das "Knowledge-Pool"-System wurde im Rahmen des EU-Projektes ARIADNE entwickelt. Durch den Einsatz dieses Systems in den EU-Ländern ist ein Zugriff und die Verwertung weiterer Lernmodule auch in anderen europäischen Universiäten und Institutionen möglich.

DOCS´N DRUGS

Der Einsatz von Multimedia hat sich v.a. für den Bereich Medizin als äußerst sinnvoll erwiesen und verläuft hier sehr dynamisch. Auf der Learntec findet aus diesem Grund traditionell an einem Veranstaltungstag ein eigener Sonderkongress "Learntec-Medizin" statt.

Das Verbundprojekt "Docs´n Drugs" (http://www.docs-n-drugs.de) wird seit drei Jahren entwickelt und gehört an der Universität Ulm bereits zum Lehrplan im Medizinstudium. Rund 250 Studierende nutzen jedes Semester diese Möglichkeit des Praxisbezugs. Ziel des Projekts ist die Ergänzung der konventionellen Ausbildung der Medizin durch interaktives Lernen am virtuellen Patienten. In der Multimediaanwendung stellt ein Patient sich und seine Beschwerden auf dem Bildschirm vor. Er wird anschließend virtuell untersucht und behandelt. Der Studierende kann so Behandlungsmethoden trainieren, ohne dass sein virtueller Patient Schaden erleidet. Die über 120 in die Datenbank eingespeisten Fälle stammen allesamt aus dem realen medizinischen Alltag.

Der Einsatz von 10 Informatikern und eineinhalb Stellen für medizinische Fachbetreuung in diesem Projekt zeigen jedoch den immensen Aufwand, der für diese Art der hochwertigen Multimedia-Produktion notwendig ist. Entwicklungen dieses Ausmaßes werden deshalb trotz ihrer sinnvollen Anwendungsmöglichkeiten in der Ausbildung auf Einzelfälle beschränkt bleiben.

Ausblick

Es bleibt festzuhalten, dass die Hochschulen langsam, aber stetig in den multimedialen Bildungsmarkt eingestiegen sind und diese Entwicklungen in den nächsten Jahren weiter vorantreiben werden. Momentan ist die Mehrzahl der multimedialen Lehr- und Lernmodule der Hochschulen an einzelnen regionalen Standorten oder auf Lehrstuhlebene angesiedelt.

Übergeordnete Konzepte für den zentralen Nachweis und Zugang der virtuellen Lehrinhalte stehen bis auf wenige Ausnahme noch aus.


Zur Autorin

Dipl.-Volksw. Regine Tobias ist wiss.Mitarbeiterin im Rahmen der AG Multimedia an der Universitätsbibliothek Karlsruhe und Abteilungsleiterin für das Bibliothekssystem

Universität Karlsruhe
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E-Mail: tobias@ubka.uni-karlsruhe.de