Zimmer, Dieter E.: Die Bibliothek der Zukunft.
Text und Schrift in den Zeiten des Internets


- Hamburg: Hoffmann und Campe 2000, 331 S.
ISBN 3-455-10421-5, DM 39.90

Dieter E. Zimmer ist Träger des Helmut-Sonntag-Preises 1997, der ihm vom Deutschen Bibliotheksverband wegen seiner außerordentlichen Leistungen verliehen wurde. Er hat in der national und international renommierten Wochenzeitung "Die Zeit" den radikalen Umbruch, der sich im Bibliothekswesen vollzieht, einer großen Leserschaft kompetent, einleuchtend und kritisch vermittelt. Aus dieser auch nach der Preisverleihung fortgesetzten Artikelserie ist das Buch "Die Bibliothek der Zukunft" entstanden.

Ein Bibliothekar sucht in diesem Buch sicherlich nach Antworten für seine berufliche Zukunft. Findet er sie? Vor allem findet er viele Fakten über "Text und Schrift im Internet". Dies wird in den zahlreichen Rezensionen, die in den letzten Monaten erschienen sind, positiv vermerkt. Das Buch findet viel Anklang, kein Rezensent bemerkt eine überflüssige Facette. Alle stimmen Zimmer zu, wenn er darauf hinweist, "dass im Bereich der Schriftlichkeit zur Zeit die dramatischste Umwälzung nicht seit Gutenberg, sondern seit der Erfindung der Schrift vor 5100 Jahren in Mesopotamien im Gange ist".

Mit der Zukunft der Bibliothek und der Bibliothekare beschäftigen sich die Rezensenten so gut wie gar nicht, obwohl Zimmer, wie er selbst im Mai in der Zeit (4.5.2000) schreibt, sich selbst mit der Artikelserie einen Überblick verschaffen wollte, wie der Computer die Bibliothek verändert hat und wahrscheinlich weiter verändern wird. Doch, der Bibliothekar findet Antworten: Die Bibliothek wird "fortbestehen als ein Gebäude aus Stein, Beton und Glas". Sie müsse eng mit dem Rechenzentrum verkoppelt und flexibel sein, bis in die Raumaufteilung. "Sie ist das Archiv der Wissenschaften und Künste und muss sammeln sogar das, was im Moment keine Benutzer interessiert."

Der Beruf des Bibliothekars würde sich mit den Bibliotheken verändern hin zum "Bibliothekar-Informatiker-Dokumentaristen". So wie der Bibliothekar und der Beruf sich ändern, würden sich auch die Nutzer ändern müssen. Manch einer auch unter den Wissenschaftlern würde es mit Sorge sehen und der traditionellen Bibliothek nachtrauern. Und nichts würde den Wissenschaftler zwingen, die Bibliothek der Zukunft in Anspruch zu nehmen - nur die Tatsache, dass er sich selber ausschlösse, wenn er sich nicht auf sie einstellte.

Zimmers "Die Bibliothek der Zukunft" ist sicher eine bemerkenswerte Orientierungshilfe und faszinierend in der Darstellung der Geschichte, der Gegenwart und der aus der Analyse gefundenen Zukunftsperspektiven der Bibliothek. Faszinierender ist jedoch, dass Zimmer sich auch nach Erscheinen des Buches weiter mit dem Thema beschäftigt und in der "Zeit" verdeutlicht, dass sich eine dramatische Entwicklung anbahne: Ein Großteil der wissenschaftlichen Fachzeitschriften erscheine heute sowohl als E-Journal als auch in einer Papierfassung, die aus zwingenden Gründen einstweilen weiterlebe. Gleichzeitig bekomme damit aber die verhängnisvolle Preisspirale einen neuen Kick. Die elektronische Parallelfassung verteuert das Abonnement einer Zeitschrift noch weiter, als es sich ohnehin verteuern würde, und das in einer Zeit der Schrumpfung der Bibliotheksetats. Zeitschriften werden abbestellt, die Auflagen sinken, die Preise steigen, wodurch die Auflagen weiter sinken - und so weiter, bis das ganze gegenwärtige System eines Tages zusammenbricht. Dass es zusammenbrechen müsse, sei mit den Jahren immer sicherer geworden. Für Dieter E. Zimmer scheint heute die Frage entschieden zu sein, dass die neuen digitalen Publikationsformen den Buchdruck und die traditionelle Bibliothek wirklich ablösen. Das Gedruckte würde zwar noch vorhanden sein, aber zunehmend am Rande. Eine virtuelle Weltbibliothek sei tatsächlich im Entstehen begriffen. In 10 bis 20 Jahren dürfte darin mehr zu finden sein als in der größten traditionellen Bibliothek.


Anschrift des Rezensenten:
Christoph-Hubert Schütte
Universitätsbibliothek Karlsruhe
Postfach 4920
D-76049 Karlsruhe
E-Mail: schuette@ubka.uni-karlsruhe.de