Editorial

Bibliotheken – Portale zum globalen Wissen?

Solche und ähnliche zukunftsweisenden Programme wie auch „Grenzenlos in die Zukunft“ oder „Produktionsfaktor Wissen“ prägen seit einiger Zeit immer häufiger die Themenspektren bibliothekarischer Tagungen und Kongresse – wohl um von einem etwas antiquiert gehaltenen Image der traditionellen Bibliothek oder gar eines reinen Bücherspeichers abzulenken und sich dadurch innovativ zu geben.

Daher wurden solche Tagungen auch zunehmend von der Frage der Diversifizierung bibliothekarischer Leistungen bestimmt und diese als Produkt zu definieren versucht mit Marketingmethoden im Rahmen einer Neuorientierung auf den Bibliotheksbenutzer. Denn dieser muss heute gleichsam umworben werden seit das World Wide Web durch Vernetzung von Bibliotheken und Informationseinrichtungen weiteste Bevölkerungskreise verbindet und mit Informationen sowie Daten versorgt.

Wie soll sich da nun die Bibliothek von heute positionieren? Entweder durch Konzentration auf die traditionellen Kernaufgaben oder durch Eingehen auf die oft hohen Anforderungen von Nutzerwünschen? Diese Frage haben wir in diesem Heft zu einem Schwerpunktthema gemacht, dem Rafael Ball mit seinem Eingangsbeitrag nachgeht.

Dem freien Markt der Kräfte unterliegen dabei die Bibliotheken natürlich nicht; sie sind gebunden an ihren gesetzlichen Auftrag wie auch an die Erwartung ihres Unterhaltsträgers. Aber sie unterliegen damit immer mehr einem Leistungsvergleich der mitbewerbenden anderen Bibliotheken. Wie die Universitäten selbst zunehmend einem Leistungsdruck unterliegen und sich in Form von Rankings wiederfinden, kommt auch auf die Bibliotheken das Problem zu, ihre Leistungen – Produkte! – zu evaluieren und miteinander zu vergleichen.

Deshalb weisen wir unter unseren Rezensionen gerne auf die Grazer Dissertation von Gerhard Reichmann hin, der in seiner Untersuchung „Universitätsbibliotheken im Vergleich“ 132 Universitätsbibliotheken in Deutschland, Österreich, der Schweiz, den USA, Australien und Kanada einem internationalen Leistungsvergleich unterzogen hat; und die Unterschiede sind erheblich, auch wo man vergleichbare Anforderungen vorfindet.

Das A und O jeder Bibliothek, auch um im Ranking ganz vorne zu stehen, ist der uneingeschränkte Zugang und die Nutzungsmögklichkeit durch ihre Nutzer, d.h. ihrer eigenen Bestände und Nachweis von Fremdbeständen sowie deren Beschaffung. Das ist wohl nur möglich mit einer Öffnung rund um die Uhr, einer sog. 24-Stunden-Bibliothek. Dieses Konzept wurde erstmals von der Universitätsbibliothek Karlsruhe in die Planung für den dortigen Erweiterungsbau eingebracht und bislang einzig in Baden-Württemberg in Konstanz und Pforzheim verwirklicht, so umfassend wie es jeweils dort vor Ort momentan möglich ist.

Wohl nur auf dieser Grundlage werden sich neue Konzepte im Sinne einer „customer orientation“ für die Bibliotheken entwickeln lassen. Wir hoffen, unseren Lesern und Leserinnen über diese interessante Entwicklung in Baden-Württemberg – oder auch anderswo – in Zukunft weiter berichten zu können.

Die Modernisierung der Bibliotheken läuft aber nicht nur durch Neubauten, sondern auch durch die organisatorische und technische Optimierung der Ausstattung, besonders im Internet- und Medienbereich. Deshalb zeigen wir in einem zweiten Schwerpunktthema neue Entwicklungen in dieser Hinsicht am Beispiel der Städtischen Bibliotheken Dresden auf. Arend Flemming und Detlef Tempel zeigen, wie in einer der ältesten deutschen Fahrbibliotheken jetzt der volle Service einer Stadtteilbibliothek online angeboten wird. Vor einem Jahr ging in Dresden eine neue Jugendbibliothek ans Netz. Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung legt deren neues Marketingkonzept vor und wie dort auch neue elektronische Kommunikationswege erprobt werden. Alles in allem, neue Lösungen aus dem Bereich der Öffentlichen Bibliotheken.

Natürlich berichten wir auch wieder über zahlreiche, im Frühjahr stattgefundene Tagungen und Ausstellungen, allen voran die CeBIT, über die uns wiederum Clemens Deider einen bibliothekarischen Überblick zu geben versucht; aber auch über andere, wie die AspB-Tagung, die IuK-Jahrestagung, den Wissensmanagement-Kongress und nicht zuletzt den Bielefelder Bibliothekartag wiederum mit der B.I.T.online Innovationspreisverleihung. Ob das immer alles das geneigte Interesse unserer Leserinnen und Leser findet, hofft die Redaktion natürlich stets, kann sich dessen aber nur sicher sein, wenn sie dazu auch Reaktionen aus dem Leserkreis erhält, was selten genug geschieht, weshalb wir auch in diesem Heft eine dieser Raritäten abdrucken. So arbeitet weiter gerne in Zuversicht und Hoffnung

Ihr Dr. Rolf Fuhlrott
Chefredakteur