Von Melkkühen, lahmen Pferden und toten Tieren:
Bibliotheksdienstleistungen in der Portfolio-Analyse 1

von Rafael Ball


Abstract

1. Einleitung: Veränderte Rahmenbedingungen
2. Instrumente zur Serviceanalyse

3. Bibliothekarische Dienstleistungen in der Portfolio-Analyse

4. Zusammenfassung


1. Einleitung: Veränderte Rahmenbedingungen

Das Informations- und Bibliothekswesen wird seit einigen Jahren durch dramatisch veränderte Randbedingungen determiniert. Die finanzielle Krise und die permanente Unterversorgung zumindest öffentlich finanzierter bibliothekarischer Einrichtungen einerseits, die sich rasch wandelnden, technischen Rahmenbedingungen sowie die informationspolitischen Veränderungen andererseits, verlangen nicht nur reaktive Anpassungen im Bibliothekswesen sondern vermehrt ein proaktives Handeln aller Bibliotheksverantwortlichen.

Die finanzielle Unterversorgung braucht nicht näher erläutert zu werden, sie ist, zumindest für Deutschland, Fakt. Die technischen Rahmenbedingungen haben sich in mehrfacher Hinsicht in den letzten Jahrzehnten verändert. Da ist zum einen die Vielfalt der Medien, die in signifikanter Weise gestiegen ist. Papier, als das ursprünglich primäre Medium zur Verbreitung und zur Speicherung von Information und Wissen, wurde zunehmend verdrängt von Mikroformen und wird heute schrittweise substituiert von digitalen Medien (CD-ROM, online-multimedia-Produkte, WEB-basierte, dynamische, digitale Dokumente). Die Umwälzungen in der Informationstechnologie im Verlaufe des 20. Jahrhunderts haben nicht nur bibliothekarische Strukturen nachhaltig verändert und die Informationsversorgung auf völlig neue Beine gestellt. 2 Mit dem Beginn der digitalen Information in den 60er Jahren, wurden Bibliotheken zunächst mit der Großrechnertechnologie konfrontiert. Ein Wendepunkt war in den 70er Jahren die Etablierung des PCs und die Anwendung von Massenspeichern. 1985 startete die CD-ROM-Technologie in den Bibliotheken mit Metadaten und Volltexten, was die Informationsversorgung revolutionierte. Heute verbindet das WEB durch weltweite Vernetzung von Bibliotheken, Wissenschaft, Kultur, Politik und kommerziellen Bereichen größte Bevölkerungskreise. In Folge dieser Entwicklungen (gepaart mit der dramatischen Zunahme an wissenschaftlicher Literatur in den letzten Jahrhunderten), wurden nicht nur alte Medien und alte Informationsformen, sondern auch deren Speicher- und Distributionsorte, die Bibliotheken nämlich, zunehmend in Frage gestellt. Vor allem die bisher eher traditionell orientierten wissenschaftlichen Bibliotheken galten nicht mehr länger als Selbstzweck, sondern begannen auf der Grundlage einer in den 60er Jahren entstandenen „customer orientation“, mit dem Aufbau einer permanenten Legitimation ihrer Arbeit und Leistungsfähigkeit. Vor dem Hintergrund, dass Information „aufgrund der neuen technologiegestützten Distributions- und Generierungsmöglichkeiten den Charakter eines marktfähigen Gutes“ 3 erlangten, wurden Marketingstrategien in Bibliotheken etabliert und die bibliothekarischen Leistungen als „Produkte“ definiert. „The articulation of changing customer needs through market mechanisms, the growths of competition and complex social and commercial alliances and the emergence of new technological opportunities, all demand that a library must have sufficient awareness and expertise to ensure that its assets are fully exploited; properly and easily available to those who can appreciate and benefit from their value”. 4

In dem nun komplizierter gewordenen Geflecht von Markt, Produkt und Kunden ist zu fragen, wie eine Bibliothek sich unter den oben geschilderten, veränderten Rahmenbedingungen mit ihrer Dienstleistungspalette positionieren soll. Im Spannungsverhältnis von Diversifizierung der Bibliotheksdienstleistung versus Konzentration auf das Kerngeschäft, muss auf Basis einer Ist-Analyse der Leistungen die zukünftige Position der Bibliothek bestimmt werden. 5

2. Instrumente zur Serviceanalyse

2.1 Die Marketingstudie

Wer die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Angebote eines Dienstleistungsunternehmens (hier die einer Bibliothek) untersuchen und seine Position am Markt bestimmen will sowie den Wert für die Kunden und für die Unterhaltsträger eruieren möchte, kommt an einer ausführlichen Marketinganalyse nicht vorbei. Eine Bibliothek als Dienstleister, die über Jahrzehnte hinweg Leistungen unverändert erbringt und nicht auf Optimierung der Angebote abzielt, wird über kurz oder lang nicht nur an Attraktivität verlieren, sondern auf vollständige Unterstützung bei Kunden und Unterhaltsträgern verzichten müssen „One of the lesson learned by the analysis is: if you are not growing or innovating, you are most likely declining or even dying.“ 6 Eine Marketinganalyse umfasst die folgenden fünf Kernbereiche: 7

Bibliotheksmarketing ist, wie jede Marketingstrategie, ein systematischer Ansatz mit den Bereichen:

Neben einer Aufgabenbestimmung, die in die strategische Bestimmung künftiger Ziele eingebunden sein muss, kommt der Marktanalyse und der Ressourcen- bzw. Produktanalyse eine wichtige Rolle zu. Ohne in die Details einer Marketingstudie einsteigen zu wollen, sollen hier einige Aspekte erläutert werden.

Eine Markanalyse umfasst im Rahmen der Erstellung eines Kunden- und Benutzerprofils die Bibliothekskunden, die Produktkonkurrenten auf dem Markt und diskutiert die Preispolitik für bibliothekarischen Leistungen. Die Ressourcenanalyse hingegen untersucht die vorhandenen Produkte und die Effizienz für ihre Erbringung. Eine schonungslose Stärken/Schwächen-Analyse mit den wichtigsten Kriterien gilt als Voraussetzung. Für die Frage nach dem optimalen Dienstleistungsportfolio einer Bibliothek, ist der Blick auf die jeweiligen Produkte (die Produktanalyse) zentraler Ausgangspunkt.

Abbildung 1: Natürlicher Lebenszyklus
eines Produktes

2.2 Lifecycle-Management

In diesem Zusammenhang ist das Konzept des „Lifecycle-Management“ von großer Bedeutung. 8 Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich die Einsicht, dass eine Einrichtung (sei es nun ein Produzent von Investitions- oder Konsumgütern oder ein Dienstleistungsunternehmen wie eine Bibliothek), nicht auf Jahre oder Jahrzehnte hinaus immer die gleichen Produkte anbieten kann. Selbst wenn es sich um Basisprodukte des täglichen Lebens handelt, ist eine permanente Innovation zur Verteidigung und zum Ausbau von Marktpositionen unabdingbar. Produkte, also auch Services von Bibliotheken, unterliegen einem natürlichen Lebenszyklus (Abbildung 1). Dieser wird meist als ein Zeit-Raum bezogenes Marktreaktionsmodell beschrieben, auf dessen Abszisse die Zeit, und auf deren Ordinate Umsatz und Gewinn aufgetragen sind (Abbildung 2).

Abbildung 2: Lebenszyklus eines Produktes
als Funktion von Zeit und Umsatz
9

 

In der Entstehungsphase werden die Produkte „geboren“ (Ideen werden in Produkte verwandelt), beworben und auf den Markt zum Kunden gebracht. Während der Wachstumsphase wird das Produkt in immer größeren Kundenkreisen bekannt und akzeptiert. Es entwickelt sich schnell zu einem wichtigen Produkt innerhalb des gesamten Dienstleistungsspektrums einer Bibliothek; diese Reifephase ist gekennzeichnet durch weitere Expansion bei gleichzeitigem Rückgang der Zuwachsraten. Hat das Produkt dann seinen Lebenshorizont überschritten, wird die Akzeptanz durch die Kunden geringer und das Produkt ist mittelfristig nicht mehr marktfähig (Phase der Marktsättigung). Seine Bedeutung im Dienstleistungskatalog der Bibliothek sinkt, bis es schließlich aus dem Angebot herausgenommen werden muss und damit seinen Lebenszyklus beendet hat (Degenerationsphase).

Es ist eine ganz entscheidende Frage herauszufinden, an welcher Stelle sich die Produkte einer Bibliothek befinden, welche Produkte nachwachsen können und welche bereits als „poor dog“ abgeschrieben und künftig nicht mehr angeboten werden müssen. Eine Möglichkeit zur Eruierung der jeweiligen Position der verschiedenen Produkte und der Bewertung des gesamten Produktprogramms ist die Portfolio-Analyse bzw. die Analyse auf der Basis der Portfolio-Methode.

2.3 Die Portfolio-Methode

Unter dem Namen „Portfolio Selection Theory“ wurde in den 50er Jahren die Portfolio-Methode im finanzwirtschaftlichen Bereich entwickelt. Die ursprüngliche Aufgabe der Portfolio-Methode war die optimale Ausgestaltung von Wertpapier-Portfolios nach Risiko- und Rendite Gesichtspunkten. Erst in den 70er Jahren wurde die Portfolio-Methode in den Produktbereich übertragen und ist heute als beinahe unangefochtene Managementtheorie etabliert. 10 Während bei der Lebenszyklusanalyse (Kapitel 2.2) eine isolierte Betrachtung von einzelnen Produkten betrieben wird, bietet die Portfoliomethode die Möglichkeit, die Gesamtheit der Produkte oder Produktlinien bezüglich ihrer Wachstums- und Marktchancen zu beurteilen. Ziel ist dabei die Ausgewogenheit des Gesamtportfolios der Angebote und ein Produktprogramm, innerhalb dessen sowohl Produkte mit hohem als auch mit niedrigem Wachstumspotenzial bzw. Angebote mit hohem und niedrigem Investitionsbedarf in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.

Abbildung 3: Lebensphasen eines Produktes
im Koordinatensystem
verschiedener Marktparameter

Zu Beginn einer Portfolio-Analyse sind zunächst einmal diejenigen Parameter zu bestimmen, die den langfristigen Erfolg des Gesamtportfolios sicherstellen. Zur Wahrung der übersicht beschränkt man sich meist auf zwei Schlüsselgrößen. Im Profit-Bereich sind dies häufig Wettbewerbsstärke (gemessen am Marktanteil) und Marktattraktivität (gemessen am Marktwachstum), wenn es um die Ist-Analyse des Produktportfolios geht.

Die Methode eignet sich jedoch auch zur Bestimmung eines Zielportfolios. Hierzu müssen die Parameter anders gewählt werden. Als Beispiel sind in Abbildung 3 „Strategische Bedeutung“ und „Leistungsnachfrage“ genannt. Wird das Portfolio nun auf diese Bestimmungsgrößen hin untersucht, lassen sich künftiger Investitionswille und -bedarf herausfinden. Die Methode wird in dieser Form zur Unterstützung strategischer Entscheidungen nutzbar.

Abbildung 4: Produkte im Portfolio und Lebenszyklus mit
Bewertung für Investitionsaufwand und Deckungsbeitrag

 

Auf Basis des oben erläuterten Lebenszyklus eines Produktes oder einer Dienstleistung, wird im Portfolio zwischen vier verschiedenen Phasen unterschieden: der Entstehungs-, der Wachstums-, der Reife- und der Sättigungsphase. Diese Bereiche werden jeweils einem Quadranten eines Koordinatensystems zugeordnet, auf dessen Achsen die zuvor ermittelten Schlüsselgrößen eines Produktes aufgetragen sind (Abbildung 4).

In der Entstehungs- und Sättigungsphase werden die Kosten eines Produktes vor allem durch die zentralen Umsätze gedeckt. Die Wachstumsphase eines Produktes bedeutet Steigerung von Umsatz und Umsatzrendite bei guter Wettbewerbsposition. In der Reifephase hingegen bildet sich, wegen der steigenden Konkurrenz und der damit einhergehenden Sättigung des Marktes, die Gewinnkurve langsam zurück. In der Sättigungs- und Alterungsphase eines Produktes (das Ende des Lebenszyklus), werden die Wettbewerber auf dem Markt sehr zahlreich, es entstehen Billigsurrogate und die Umsatzrendite des Produktes sinkt so sehr, dass es aus dem Produktportfolio genommen werden muss. 11

Termininologieblock

Children = question marks = junge Pferde

Produkte in der Entstehungsphase mit noch geringer Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke.
Stars = Rennpferde Produkte, deren Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke hoch sind.
Cash cows = Melkkühe = Arbeitspferde Produkte, deren Wettbewerbsstärke nach wie vor hoch ist, deren Marktattraktivität jedoch bereits am Sinken ist.
Poor dogs = lahme Pferde Produkte, deren Wettbewerbsstärke und Marktattraktivität bereits gering sind.

Dead animals Produkte, die als Totgeburt" den Lebenszyklus erst gar nicht durchlaufen haben (Fehlentwicklungen).

Phantasievolle Namen charakterisieren diese vier Segmente im Lebenszyklus eines Produktes im Koordinatensystem (Siehe Terminologieblock).

Die Methode der Portfolio-Analyse eignet sich nicht nur für die Bewertung von Produkten aus dem Konsum- und Investitionsgüterbereich, sondern auch für die Beurteilung von Dienstleistungen. Auch zur Bewertung von bibliothekarischen Dienstleistungen wird die Portfolio-Methode verschiedentlich herangezogen. Dieser Ansatz ist allerdings nicht neu. Es gibt einige Berichte über den Einsatz der Portfolio-Analyse im bibliothekarischen Arbeitsbereich. Eine konsequente Umsetzung jedoch und ein klares Durchforsten des Produkt-Portfolios aufgrund dieser Analyse ist aber noch in den seltensten Fällen erfolgt. 13

3. Bibliothekarische Dienstleistungen in der Portfolio-Analyse

3.1 Einleitung

Die Bestimmung der Position im Lebenszyklus eines Produktes erfolgt nicht unabhängig von den äußeren Rahmenbedingungen. Bei der Ist- und Sollanalyse der Produkte bzw. des ganzen Produkt-Portfolios haben Einrichtungen, die einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen haben, einen etwas geringeren Spielraum als Unternehmen, deren Ziel die ausschließliche Gewinnmaximierung ist. So sind Bibliotheken mit ihren Dienstleistungen eingezwängt zwischen gesetzliche Aufträge, Kundenwünsche sowie Ansprüche und Erwartungen von Unterhaltsträgern. 14 Da diese externen Randbedingungen vielfach gesellschaftspolitisch motiviert sind, ist die reine Orientierung des Produktes nach Marktgesichtspunkten (und damit auf Gewinnorientierung) nicht voll umsetzbar. Dennoch eignet sich die Portfolio-Analyse zur Bewertung der vorhandenen Dienstleistungsangebote einer Bibliothek. Die Portfolio-Analyse:

Abbildung 5: Zuordnung von ausgewählten Bibliotheksdienstleistungen
zu den Lebenszyklusphasen (Zuordnung geschätzt)

 

Im schon zitierten Beitrag von Ceynova wird klar, dass die Identifikation von einzelnen Produkten bereits die erste Hürde auf dem Weg zu einem optimalen Portfolio darstellt. Vor dem Hintergrund des möglichen Auftrages von Bibliotheken und dem Wunsch der Kunden und Unterhaltsträger, müssen die entsprechenden Schlüsselgrößen im Unterschied zu den Schlüsselparametern im reinen Profit-Bereich ausgewählt werden.

Ceynova hat in seinem Beitrag auf der Abszisse die Leistungsnachfrage von Produkten aufgetragen, auf der Ordinate die strategische Bedeutung der Produkte im Rahmen der Bibliotheksstrategie. An diesem Beispiel zeigt sich, dass sowohl „Strategische Bedeutung“ und wie „Marktattraktivität“ Parameter sind, die beide auf bibliothekarische Dienstleistungen zutreffen. Es hängt aber vom jeweiligen Ziel der Portfolio-Analyse ab, ob die strategische Bedeutung eines Produktes begutachtet oder ihre reine Marktattraktivität (ungeachtet möglicher Strategien) ermittelt werden soll.

Da das Ziel erfolgreicher Unternehmensführung (auch die Leitung einer Bibliothek ist Unternehmensführung) ein ausgewogenes Produkt-Portfolio sein muss, fasst Meffert die konkreten Schritte zusammen: 15

Die folgenden Beispiele zeigen, dass die Portfolio-Methode nicht geeignet ist absolut objektive Kriterien für bestimmte Produkte und deren Position auf dem Markt zu erarbeiten. Im komplizierten Spannungsverhältnis von Kundschaft, Auftrag und strategischer Ausrichtung, kann sich jedoch eine bibliothekarische Einrichtung sehr leicht klar machen, an welcher Position des Lebenszyklus sich ihre Produkte befinden. Sind alle Dienstleistungen einer Einrichtung in dieser Weise beurteilt, lässt sich erkennen, ob die Einrichtung künftig noch Produkte in der „pipeline“ hat oder ob durch veränderte Rahmen- und/oder Marktbedingungen die Einrichtung samt ihrer Produkte überflüssig werden können.

3.2 Traditionelle bibliothekarische Dienstleistungen

Zu den traditionellen bibliothekarischen Dienstleistungen zählen die Bestandsbildung, Bestandserhaltung und Bestandspflege als Teile der Erwerbung, die Katalogisierung sowie die Zurverfügungstellung von Beständen. Häufig sind diese Leistungen an einen gesetzlichen oder an einen anderen Auftrag gekoppelt, so dass Mechanismen von Markt und Wettbewerb für diese traditionellen bibliothekarischen Dienstleistungen keine Rolle spielen. Ein Auftrag muss erfüllt werden, unabhängig davon, ob eine wirkliche Nachfrage besteht oder das Produkt attraktiv ist (Die Portfolio-Analyse könnte hierbei lediglich hilfreich sein, den gesetzlichen Auftrag aufgrund der ersichtlichen Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke neu zu bedenken). Viel interessanter jedoch ist der genaue Blick auf Teilprodukte innerhalb der genannten traditionellen bibliothekarischen Dienstleistungen, etwa die Ausleihe verschiedener Literatur- und Medienarten.

Eine der traditionellen bibliothekarischen Dienstleistungen ist auch die Bereitstellung des Lesesaals mit seinen Beständen (die Nutzung des Lesesaals selbst ist nicht die eigentliche Dienstleistung!). Teilprodukte sind hier der Lesesaalbestand, die Atmosphäre, die Arbeitsbedingungen usw.

Abbildung 6: Traditionelle bibliothekarische
Dienstleistung im Portfolio einer kleinen
öffentlichen Bibliothek

 

Auch die Ausleihe von Magazinliteratur ist ein traditionelles Dienstleistungsangebot einer Bibliothek, ebenso die Auskunftserteilung innerhalb der bibliothekarischen Präsenzräume. Werden diese Produkte nun im Portfolio-Schema zur Ist-Bestimmung aufgetragen, so lässt sich mit den Schlüsselgrößen „Marktposition“ und „Wettbewerbsattraktivität“ zunächst die Ausgewogenheit der angebotenen Produkte – wenn auch nicht im Gesamtprogramm der Bibliothek so doch in den ausgewählten Teilbereichen – feststellen und die Position der einzelnen Produkte im Lebenszyklus bestimmen. Darüber hinaus sind jedoch noch Aussagen zur Position der Produkte im Vergleich zu denen weiterer Wettbewerber auf dem Markt möglich.

Die Abbildungen 6 und 7 zeigen am Beispiel des Produkts „Lesesaal“, wie die unterschiedliche Position von gleichen Produkten im Portfolio zweier Bibliothekstypen von den Rahmenbedingungen abhängt. Die Wettbewerbsstärke ist in einer kleineren, öffentlichen Bibliothek sicher hoch. Vor dem Hintergrund fehlender Produktalternativen und Mitbewerber gilt dies auch für die Marktattraktivität. In diesem Fall sind die traditionellen bibliothekarischen Dienstleistungen gar als "Rennpferde" ("stars") zu bewerten.

Abbildung 7: Traditionelle bibliothekarische
Dienstleistung im Portfolio einer
naturwissenschaftlich-technischen Bibliothek

 

Untersucht man dieses Produkt etwa im Portfolio einer modernen, naturwissenschaftlich-technischen Spezialbibliothek (Abbildung 7), so ist die Nutzung der Lesesaalbestände und die Ausleihe aus den Magazinen vor dem Hintergrund anderer Produkte, die um die Gunst der Kunden konkurrieren, sicherlich eher gering anzusetzen. Auch die Wettbewerbsstärke dürfte sich nicht besonders hoch ausnehmen, werden hier die traditionellen bibliothekarischen Dienstleistungen eher als „poor dogs“ („lahme Pferde“) angesehen.

Wählt man hingegen „Strategische Bedeutung“ und „Leistungsnachfrage“ als Parameter im Portfolio, so spiegelt sich hier die konkrete Bibliotheksstrategie vor dem Hintergrund der Produktnachfrage.

In einer traditionellen Bibliothek, geführt von einer traditionellen Bibliotheksleitung in einem traditionellen Umfeld, wird die strategische Bedeutung von klassischen bibliothekarischen Dienstleistungen sicher hoch bewertet. Wenn gleichzeitig keine Alternativen auf dem Markt vorhanden sind, ist auch die Wettbewerbsstärke hoch, so dass hier ebenfalls traditionelle bibliothekarische Dienstleistungen als „stars“ im Portfolio erscheinen. Ist die Bibliotheksleitung progressiver, wird man die strategische Bedeutung dieser Dienstleistungen nicht allzu hoch ansetzen. Wenn sie trotzdem eine hohe Nachfrage aufweisen, sind diese Leistungen im Portfolio „Melkkühe“ („cash cows“). Moderne Avantgarde-Bibliotheken, die sich digitalen Informationsdienstleistungen verschrieben haben, werden diese Produkte weder allzu hoch in ihrer strategischen Bedeutung einschätzen, noch werden sie von den Benutzern umfangreich nachgefragt werden. Somit ergibt sich die Einschätzung der traditionell bibliothekarischen Dienstleistungen in dieser Bibliothek als „lahme Pferde“ („poor dogs“), wenn nicht gar schon wie in der einen oder anderen Experimentalbibliothek als „dead animals“ und jenseits von Strategie und Leistungsnachfrage nicht mehr existent.

3.3 Moderne bibliothekarische Dienstleistungen

Abbildung 8: Moderne bibliothekarische
Dienstleistungen im Portfolio

 

Moderne bibliothekarische Dienstleistungen unterscheiden sich von traditionellen bibliothekarischen Dienstleistungen dadurch, dass sie das Ergebnis einer Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen darstellen. Sie unterscheiden sich von den später zu besprechenden innovativen Dienstleistungen dadurch, dass sie nicht proaktiv Dinge vorwegnehmen und maßgebend sind, sondern dass sie als Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen maßnehmend bleiben. Dennoch sind moderne bibliothekarische Dienstleistungen zentrale Produkte im bibliothekarischen Umfeld. Beispiele sind digitale CD-ROM-Produkte, elektronische Zeitschriften (e-journals) sowie digitale Kataloge etwa in Form eines OPAC, sowie sämtliche Formen des modernen document delivery anstelle der traditionellen Fernleihe. Im Portfolio-Schema mit marktorientierten Schlüsselgrößen („Wettbewerbsstärke“ und „Marktattraktivität“) nehmen elektronische Zeitschriften und CD-ROMs durchaus eine Position ein, die von hoher Marktattraktivität gezeichnet ist. Gleichzeitig hängt die Wettbewerbsstärke dieser Produkte von der jeweiligen Bibliothek und ihrem Kundenumfeld ab. Es ist zu erwarten, dass eine relativ hohe Wettbewerbsstärke existiert und moderne bibliothekarische Dienstleistungen als „stars“ („Rennpferde“) im Portfolio erscheinen. Sie stehen im steilsten Bereich der Lebenszykluskurve und haben ihren Horizont noch nicht überschritten. Ihre Attraktivität ist außerordentlich hoch (Abbildung 8).

Werden hingegen „Leistungsnachfrage“ und „Strategische Bedeutung“ abgefragt, hängt die Positionierung dieser modernen Dienstleistungsprodukte von der jeweiligen strategischen Ausrichtung ab. Trotz hoher Leistungsnachfrage kann ein Produkt wie ein elektronisches Journal bereits als „Rennpferd“ („cash cow“) gelten, dessen Horizont bereits überschritten ist und in das nichts mehr investiert werden wird. Wird hingegen die strategische Bedeutung von der Bibliotheksleitung hoch eingeschätzt und ist gleichzeitig die Leistungsnachfrage (noch) sehr niedrig, liegen noch „junge Pferde“ („questionmarks“) vor. Ob aus ihnen dann „Starprodukte“ werden, hängt von der Marketingstrategie der Bibliothek und der Leistungsnachfrage der Kunden ab.

Hier wird wieder die Flexibilität der Methode sichtbar: Je nach Wahl der Schlüsselparameter, ändert sich der Blickwinkel. Bei marktorientierten Größen wird die Position der Produkte im Portfolio mit objektiven Messgrößen bestimmt, im zweiten Fall ist die politisch-strategische, subjektiv festzulegende und festgelegte Meinung für die Position des Produktes im Portfolio maßgebend.

3.4 Innovative, proaktive Bibliotheksdienstleistungen

Abbildung 9: Innovative bibliothekarische
Dienstleistungen im Portfolio

 

Innovative Bibliotheksdienstleistungen sind Produkte, die weder auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren, noch zu den klassischen Aufgaben einer Bibliothek im traditionellen Verständnis gehören. Diese Produkte, es seien nur als Beispiele die übernahme von fachbereichsübergreifenden Aufgaben, etwa Verlag, Publikationswesen, übernahme von anderen Dienstleistungen, die bisher außerhalb der Bibliotheksverantwortung erbracht wurden, die Bereitstellung von Controllinginstrumenten für das Wissenschaftsmanagement etc. genannt, zeichnen sich allesamt durch eine noch geringe Wettbewerbsstärke bei gleichzeitiger geringer Leistungsnachfrage aus. Es hängt also von der Marktattraktivität dieser innovativen Bibliotheksdienstleistungen und der ihnen beigemessenen strategischen Bedeutung ab, ob sie zu den „questionmarks“, („jungen Pferden“) im Portfolio gehören, also zu jenen Produkten, die sich bei entsprechender Wettbewerbstärke und Leistungsnachfrage zu „Starprodukten“ entwickeln) oder ob sie bei geringer strategischer Bedeutungseinschätzung und entsprechend geringerer Marktattraktivität zu den „poor dogs“ und damit zu Auslaufmodellen in der Produktpalette mutieren (Abbildung 9).

Hier ist ähnlich wie im Profitbereich bei der Einführung neuer Produkte eine ganze Reihe von Parametern zu beachten, die mit darüber entscheiden, ob ein Produkt einen nur verkürzten Lebenszyklus durchläuft und damit nicht zur Reife gelangt (zum Fehlläufer wird) oder ob das Produkt als „cash cow“ künftig Rückgrat eines Produktportfolios in einer Bibliothek werden könnte. Die Einführung und Etablierung solcher Dienstleistungen (vorbereitet und begleitet von einer entsprechenden Marketingstrategie), hängt demnach von der Risikobereitschaft und der Einschätzung der Verantwortlichen ab.

Gleichzeitig muss immer die gesamte Produktpalette der bibliothekarischen Einrichtung bewertet werden. Nur dann ist erkennbar, ob das Dienstleistungsportfolio ausgewogen zusammengesetzt ist. Eine Einrichtung, die nur „stars“ und „children“ anbietet, der aber die „Arbeitspferde“ („cash cows“) fehlen, ist ebenso ungesund und langfristig nicht überlebensfähig wie eine Bibliothek, die sich nur auf „cash cows“ sützt. Nur zu schnell werden im Laufe des Lebenszyklus aus „Melkkühen“ „poor dogs“. Wenn dann die „children“ und „stars“ fehlen, ist die Produktpipeline leer und eine Entwicklung ausgeschlossen.

4. Zusammenfassung

Ausgehend von der Frage, ob die Diversifizierung von Bibliotheksdienstleistungen oder die Konzentration auf das Kerngeschäft die bessere Strategie für eine künftige stabile Position einer Bibliothek innerhalb ihrer Trägerorganisation ist, bietet die vorgestellte Portfolio- und Lebenszyklus-Methode zur Analyse der Produkte, ihrer Position und Entwicklungsmöglichkeit ein praktikables Basisinstrument. Vor dem Hintergrund der sich verändernden technischen und medialen Rahmenbedingungen ist die Konzentration auf das Kerngeschäft in einer bibliothekarischen Einrichtung nicht unproblematisch. Die Diversifizierung von Bibliotheksdienstleistungen ist eine mögliche Strategie, um ein ausgewogenes und lebendiges Produkt-Portfolio auch künftig unter veränderten Rahmenbedingungen sowie veränderten Wünschen der Kunden und Unterhaltsträger aufbauen zu können. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Konzentration auf das Kerngeschäft keine überlebenschance bietet: Voraussetzung jedoch ist immer eine ausgewogene Produktpalette im Portfolio. Ob die Konzentration auf das Kerngeschäft oder die Diversifizierung von Bibliotheksdienstleistungen die erfolgversprechende Zukunftsstrategie einer bibliothekarischen Einrichtung darstellt, hängt immer ab von der Ausgewogenheit des Produktportfolios vor dem Hintergrund der politischen und strategischen Rahmenbedingungen. Das Basisinstrument der Portfolio-Analyse hilft jedoch bei der Bestimmung eines ausgewogenen Produktkataloges für eine leistungsfähige, zukunftsorientierte und vor allem zukunftsfähige bibliothekarische Einrichtung.

 


Anmerkungen

1. Erweiterte und veränderte Fassung eines Vortrages auf dem österreichischen Bibliothekartag 2000

2. Vgl. hierzu auch: Kurz, Eberhard, Altgeld, Jochen: Informations- und Kommunikationstechnologien – treibender Faktor für innovative Dienstleistungen. In: Dienstleistung der Zukunft: Märkte, Unternehmen und Infrastrukturen im Wandel. Tagung des BMBF in Berlin, 1995/ Hrsg: Hans-Jörg Bullinger. S. 455-470

3. Hofmann, Ulrich: Strategisches Informationsmanagement in Bibliotheken. In: Bibliothek: Forschung und Praxis, 15 (1), 1991, S. 113

4. Smith, Malcom: Global marketing of managed information access. In: The Electronic Library, Vol. 9 (2), 1991, p. 91.

5. Ball, Rafael: Die Diversifizierung von Bibliotheksdienstleistungen als überlebensstrategie. In: B.I.T. online, Heft 2, Ausgabe 1, 1999, S. 11-22.

6. Eriksson, Jörgen; Mørch, Frede: The Tilburg Experience. In: Nordinfo-Nytt, Nordiska Samerbetsorganet for Vetenskap, 1996, No. 3, p. 50.

7. Vgl. hierzu: Kotler, Philip: Marketing-Management. C.E. Poeschel: Stuttgart, 1989.

8. vgl. hierzu: Sturz, Wolfgang: Von der Produktidee bis zum Produktrecycling. In: Wissensmanagement, 5/00, S. 4-6.

9. Abbildung in Anlehung an: Meffert, Heribert: Marketing: Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Gabler, Wiesbaden 1998, S. 329

10. Meffert, Heribert: Marketing: Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Gabler, Wiesbaden 1998, S. 340 ff

11. Füser, Carsten: Modernes Management. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1997.

12. Abbildung in Anlehung an: Meffert, Heribert: Marketing: Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Gabler, Wiesbaden 1998, S. 342

13. vergleiche dazu: Ceynova, Klaus: Von der Kostenverwaltung zum Kostenmanagement. In: Bibliotheksdienst 32. Jahrgang. 1998, Heft 2, S. 263–287.

14. Hochschulbibliotheken etwa, haben andere Unterhaltsträger, andere Zielvorgaben und andere gesetzliche Grundlagen als öffentliche Bibliotheken. Diese wiederum unterscheiden sich von den besonderen Verpflichtungen und Zielvereinbarungen von Firmenbibliotheken oder anderen Spezialbibliotheken.

15. Meffert, Heribert: a.a.O., S.343


Zum Autor

Dr. Rafael Ball ist Leiter der Zentralbibliothek des Forschungszentrum Jülich GmbH


D-52425 Jülich
E-Mail: r.ball@fz-juelich.de