Zukunft der eBooks –
Eine Recherche der Bertelsmann Stiftung

von Klaus Meyer

„Gates statt Gutenberg“, „Mit dem Rocket eBook beginnt die E-Book-Ära in Deutschland“ und „Mit 100 Büchern in die U-Bahn“ – das sind nur einige von vielen verheißungsvollen Vorzeichen, unter denen die Diskussion um E-Books in den letzten beiden Jahren geführt wurde. Wie hat sich die Technologie entwickelt? Werden die Bedürfnisse der anvisierten Zielgruppen getroffen? Sind die positiven Erwartungen der Protagonisten in die neue Lesetechnologie erfüllt worden oder sind sie den Realitäten von Markt und Wettbewerb gewichen? Wie wird sich die Entwicklung des E-Book zukünftig auf die öffentlichen Bibliotheken auswirken? Mit diesen und anderen Fragestellungen setzte sich die Fachwelt in den vergangenen Jahren auseinander. Da sich die Anfragen der öffentlichen Bibliotheken häuften und auf großes Interesse hindeuteten, stellte die Bertelsmann Stiftung im Herbst letzten Jahres eine allgemeine Recherche zum Thema E-Book an. Im Folgenden soll eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Recherche erfolgen.

Noch vor wenigen Jahren hatten die E-Book-Geräte mit dem Stolperstein technischer Unausgereifheit zu kämpfen. Zu hohes Gewicht, zu kleine Bildschirme und zu lange Ladezeiten waren nur einige der neuralgischen Punkte, die von der Fachwelt bemängelt wurden. Seit dieser Zeit hat sich sowohl der Markt für elektronische Bücher als auch die Technikausstattung der verschiedenen Produktvarianten enorm weiterentwickelt. Speicherkapazitäten von 8 oder 16 MB, Farbbildschirme, bessere Bildauflösungen und ein geringeres Gewicht kennzeichnen den Standard der aktuellen Geräte und sorgen für den entsprechenden Lesekomfort. So steht mittlerweile weniger die technische Ausstattung der Lesegeräte im Vordergrund als vielmehr ihre Akzeptanz auf den Konsumentenmärkten.

Die Erwartungen und Prognosen der Hersteller sind nach wie vor durchweg optimistisch. So hofft der amerikanische Weltmarktführer GEMSTAR in den kommenden Jahren auf einen Absatz von mehreren 10 Mio. Geräten. Bis zum Jahr 2005 sollen 2 Mio. Geräte abgesetzt werden, womit E-Books in den USA einen Anteil von fünf Prozent am Buchmarkt erreicht hätten (www.epodium.de/news/2001_03_09.shtml, S.2). Diesen Hoffnungen stehen allerdings die Fakten gegenüber. Während in den USA erst maximal 50.000 E-Book-Lesegeräte verkauft wurden, ist die Marktdurchdringung in Deutschland mit etwa 1.000 abgesetzten Geräten vergleichbar gering (vgl. ebenda, S. 2). Welche Barrieren stehen der Verbreitung der Neuen Technologie also im Wege?

Noch immer sind die Kaufpreise für die Hardware zum Lesen elektronischer Bücher sehr hoch. Mit DM 650 liegt das Rocket eBook noch am unteren Ende der Preisskala. Der Softbook Reader, derzeit nur in den USA und Kanada erhältlich, kostet $ 600. Die neue Generation des Softbook, das REB 1200, stellt mit DM 1.500 das Preislimit der momentan erhältlichen Geräte dar. Aber schon im Sommer 2001 wird der Myfriend in Nordamerika und Europa auf den Markt kommen. Das Gerät, das in den USA entwickelt wird, verschiebt die Preisgrenze mit $ 1.200 noch weiter nach oben.

Zusätzliche Konkurrenz erhält das E-Book durch die Hersteller der Personal Digital Assistants (PDAs). Neben dem Lesen elektronischer Texte verfügen PDAs über eine Reihe weiterer Funktionen (z.B. Adressenverwaltung, Terminplanung, Notizen). Nicht zuletzt aus diesem Grund weisen diese Geräte eine wesentlich höhere Marktdurchdringung auf als ihre Verwandten. Ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis sorgt für einen weiteren Kaufanreiz. Lediglich die geringere Bildschirmgröße der PDAs erweist sich als Nachteil. Genau diese Marktlücke erkannte die Firma Franklin Electronic Publishing. Mit der Entwicklung des eBookman entwickelte man ein Gerät, das die Vorteile beider Systeme vereint. Je nach Ausführung liegt es mit DM 500 bzw. DM 600 sogar noch etwas unter dem Preis des Rocket eBook.

Aber nicht allein der Kaufpreis steht einer weiteren Verbreitung der E-Book-Technologie im Wege. Das Angebot verfügbarer E-Book-Texte ist noch sehr begrenzt. In Deutschland liegen derzeit etwa 1000 Titel vor, die bei BOL, dibi und anderen kleinen Online-Buchhändlern erhältlich sind. Verglichen mit 28 000 E-Book-Titeln, die allein der US-amerikanische Anbieter netLibrary in seinem Sortiment hat, ist die Anzahl der in Deutschland verfügbaren Titel verschwindend gering. Auch wenn das Angebot vorhandener E-Book-Titel langsam ansteigt, so spiegelt es nicht annähernd die Breite des Printmarktes wider. Das Kaufinteresse wird hierdurch nicht gerade gesteigert, zumal für gedruckte und elektronische Versionen von E-Book-Texten häufig der gleiche Preis verlangt wird.

Die mangelnde Orientierung an den Kundenbedürfnissen kommt nicht nur durch überhöhte Hardware-Preise und ein eingeschränktes Titelangebot zum Ausdruck. Ebenso zu überdenken ist die Verwendung einheitlicher Standards, die für den Betrieb von E-Books Voraussetzung ist. Am Markt durchgesetzt haben sich die Dateiformate OEB (Open eBook) und PDF (Portable Document Format). Alle neu erschienenen Lesegeräte basieren auf dem OEB-Standard, die meisten PDAs, unter denen die Palm Pilots am meisten verbreitet sind, lesen allerdings das PDF-Format. Das bedeutet für den Kunden, dass er sich mit dem Kauf eines bestimmten Lesegerätes auf ein Format festlegt. Damit schränkt der Kunde von vornherein die Anzahl der verfügbaren Titel auf diejenigen ein, die im jeweiligen Format erschienen sind. Ganz treffend vergleicht Reinhard Bröker im Newsarchiv des epodium den Kauf eines E-Book-Lesegerätes mit dem Kauf eines CD-Players, auf dem man nur einen Bruchteil aller CDs abspielen kann. Eine weitgehende Standardisierung des E-Book-Formates ist wünschenswert, derzeit allerdings noch nicht umfassend realisiert.

Immer noch ungeklärt sind die Fragen der elektronischen Sicherung und des Urheberrechtsschutzes digitaler Dokumente. Solange die Entschlüsselung elektronischer Texte möglich und ihrer unberechtigten Weitergabe damit Tür und Tor geöffnet ist, drohen den Autoren und Verlagen Milliardenverluste. In dem jüngst erschienenen Bericht „Content out of control“ prognostizierte das Marktforschungsinstitut Forrester Research den Buchverlagen und der Musikindustrie Verluste in Höhe von $ 4,6 Mrd. (www.epodium.de/news/2000_09_19.shtml).

Es bleibt festzuhalten, dass elektronische Bücher – in welcher Form auch immer – in der Zukunft der Bibliotheken eine Rolle spielen werden. Auch wenn die gegenwärtigen Modelle und Texte noch zu teuer, unhandlich, nicht standardisiert und für öffentliche Bibliotheken organisatorisch schwer zu handhaben sind: das nächste oder vielleicht das übernächste Modell werden deutliche Verbesserungen bringen und schließlich zu einer langsamen Marktdurchdringung führen.

Die ausführlichen Ergebnisse des Rechercheberichts können von der Homepage der Bertelsmann Stiftung (www.bertelsmann-stiftung.de) heruntergeladen werden. Klicken Sie auf Publikationen, anschließend auf Downloads und wählen Sie dann den Bereich öffentliche Bibliotheken an.


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Klaus Meyer

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