Multimedia als Herausforderung zukunftsgerichteter Bibliotheken

Der 91. Deutsche Bibliothekartag vom 2. bis 5. April 2001 in Bielefeld

von Max Furrer

Bibliotheken sehen sich in den letzten Jahren deutlich wachsenden Herausforderungen ausgesetzt: Steigende Wissensund Informationsflut, höhere Ansprüche der Kunden an die Qualität der Dienstleistungen, engere finanzielle Rahmenbedingungen, erweiterte Palette des Multimedia-Angebots, komplexere elektronische Datenverarbeitungssysteme, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das diesjährige Tagungsmotto des deutschen Bibliothekartages "Bibliotheken: Portale zum globalen Wissen" nimmt davon einen zukunftsweisenden Aspekt auf und drückt ihn in dialektischer Spannung aus: Bewirkt "Portal" als architektonischer, ja sakraler Begriff zunächst ein statisches Bild, so verweist "globales Wissen" auf die mit dem Internet verbundene Informationsdynamik. Die gewählte Formel charakterisiert treffend eine der zentralen gegenwärtigen und wohl auch künftigen Herausforderungen für Bibliotheken, die in stetig wachsenden globalen Netzen lokal wirken müssen.

"Portale" werden als umfassende Auftrittsysteme verstanden, die mit kundenfreundlicher Homepage Informations-,Dienstleistungs-, Volltext- sowie direkt nutzbare, vielfältige Medienangebote bereithalten. Darin zeichnet sich der Übergang vom bisherigen lokalen Gateway zum integrierten, möglichst vereinheitlichten und einfachen Zugang (in sogenannten "Webtunnels") zum globalen Wissen ab. Die sich rasant entwickelnde Informationswelt mit einer breiten Palette von Multimedia-Angeboten lässt in Konturen ihre künftigen Ansprüche erahnen, doch kann das Veränderungspotenzial noch kaum abgeschätzt werden. Zweifellos dürfte dieser fundamentale Wandel nicht nur öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken erfassen, betroffen werden sowohl Archive, Dokumentationsstellen, Museen und darüber hinaus alle kommerziellen und staatlichen Institutionen, die sich mit Medien, Wissen und Information (W+I) beschäftigen.

Multimedia als Herausforderung

Vermutlich erstmals an einer bibliothekarischen Tagung und als Großereignis hohe Erwartungen weckend, war ein Multimedia-Event zu verzeichnen: fünfstündige, mutig inszenierte "BiblioVisionen ­ Gefühle ­ Aktionen ­ Vorträge". Die fast hautnahe Zeitreise, beginnend mit einer Einlage von Flavius und Marcus, zwei als Römer gewandete Schauspieler ­ Hermann der Cherusker grüßt aus dem Teutoburger Wald ­, präsentierte unter anderem Vorträge zu Themen wie "Publizieren in der New Economy", "Mit Power in die Zukunft", "42!" oder: "Was nutzen die besten Antworten, ...", sowie kurze Filmsequenzen und eine fulminante Lasershow. Referate, die den gewohnten Rahmen mit auf Distanz gewöhnlich unlesbaren Folientexten sprengten, wirkten erfrischend und hielten die erwartungsvoll aufgebaute Spannung weitgehend aufrecht.

Der Vorstand des DBV wurde neu gewählt: v.l.n.r Albert Bilo, Dr. Claudia Lux, Dr. Hermann Leskien, Dr. Friedrich Geißelmann, Dr. Heinz-Jürgen Lorenzen, Brigitte Krompholz-Roehl, Christoph-Hubert Schütte  

Doch bald offenbarten sich Grenzen des Großleinwand-Spektakels, die deutlich die ambivalenten Seiten virtueller Welten zeigten. Während aus inhaltlicher Perspektive die gebotenen Darstellungen mannigfache Ansätze zu konträrer Diskussion boten, ist die Wahl der Themen bzw. die Wahl der Referierenden an Informationsveranstaltungen stets eine heikle Sache. Auf eine Gratwanderung begeben sich Bibliothekare, wenn heutigen bzw. künftigen Geschäftspartnern, die subtil oder durch ihre Machtstellung in bestimmten Bereichen durchaus in der Lage sind, ihre Bedingungen der Kooperation zu stellen, eine Plattform zur Darstellung ihrer Visionen geboten wird, die möglicherweise Bibliotheken in ihrer künftigen Handlungsfreiheit zu beeinflussen vermögen. Der Multimedia-Event zeigte zudem die verschiedenen Darbietungsformen der Medien (Bücher, Videos, CDs, D V D s , Minidiscs, E-Books), die Bibliotheken tiefgreifend herausfordern werden, zum Beispiel, was den Bestandsaufbau, die langfristige Erhaltung und die Qualität der Dienstleistung für Kunden betrifft. Als Konsequenz wird ebenso klar: Bibliothekare bedürfen vermehrt der Kompetenz zur Anleitung in der praktischen Nutzung dieses elektronischen Angebots, was hoher Anstrengungen im Bereich der Ausbildung künftiger W+I-Spezialisten und der Weiterbildung der Bibliothekare bedarf. Eine Erweiterung bisheriger Tätigkeitsbereiche zeichnet sich in diesem Bereich deutlich ab. Kooperationen mit verwandten Berufen wie z. B. Medienpädagogen oder kommerziellen Informationsvermittlern erweisen sich als sinnvoll, wobei sich Auswirkungen auf bisherige Kernaufgaben der Bibliothekare und ihr Berufsbild leicht erschließen lassen.

Zugänge zu Wissen + Information

Zugänge zum Wissen zu schaffen und zu erhalten, bildete und bildet nach wie vor eine der traditionellen Aufgaben von Bibliotheken ­ ein bei der Tagung intensiv diskutiertes Thema. Angesichts zunehmend kommerzieller Angebote, etwa im Bereich der elektronischen Zeitschriften, die Informationsbedürfnisse von Institutionen wie Privatpersonen erfüllen, beginnen sich für Bibliotheken existenzielle Probleme zu stellen. Einerseits gefährdet die Konkurrenz der Verlage und Datenbankfirmen deren bisherige Funktion als ­ vorwiegend kostenfreie - W+I-Vermittler, andererseits verfügen Bibliotheken als "Zwischenhändler" nicht mehr selbst über die elektronischen Daten bzw. Datenpools.

Das früher häufig als Beleg für den immateriellen Wert von Bibliotheken zitierte Wort Goethes, " ... Kapital, das unberechenbare Zinsen trägt ... ", könnte durch die Tatsache, dass Bibliotheken zwar über den Zugang zu Datenpools, hingegen nicht mehr unabhängig über "W+I" bestimmen, an Gültigkeit verlieren. Darüber hinaus belastet das weitgehend ungelöste Problem der langfristigen Sicherung elektronischer Dokumente - eine besonders dringliche Aufgabe, wenn es sich um wertvolle Texte handelt, die es für die Zukunft zu erhalten gilt.

Die Herausforderung durch elektronische Medien erfordert in der Konsequenz ein kooperatives Wissensmanagement aller Bibliotheken. Im öffentlichen Interesse muss sowohl der permanente Zugang zu W+I als auch ihre langfristige Sicherung gewährleistet bleiben.

Fazit

Aus verschiedenen, am 91. Bibliothekartag gehaltenen Referaten ging deutlich hervor, Zugänge zu W+I zu erhalten ist eine der wesentlichen künftigen Aufgabe für Bibliotheken. Um ihr gerecht zu werden, müssen sie sich in ihrem eigenen Interesse vernetzen, kooperieren und unabhängig über elektronisch gespeichertes Wissen ­ sowohl selbst erzeugt als auch käuflich erworben ­ verfügen. Finanzielle Aufwendungen sollten deshalb sinnvoller weise in denjenigen Bereichen getätigt werden, die ihren Wert für die Zukunft erhalten und darüber hinaus, durch formale und sachliche Erschliessung, Mehrwert erzeugen. Dass dafür heute und in Zukunft die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen, versteht sich von selbst.


Zum Autor

Max Furrer ist Leiter des Informationszentrums des Pestalozzianum Zürich

Institut zur Förderung des Schul- und Bildungswesens und der Pestalozzi-Forschung
Beckenhof 31-37
CH-8035 Zürich
E-Mail: max.furrer@pestalozzianum.che

B.I.T.online Innovationspreis zum 3. Mal überreicht

Am 2. April 2001 fand im Rahmen des Deutschen Bibliothekartages in Bielefeld das 4. Innovationsforum der Kommission Aus- und Fortbildung des BIB statt, gleichzeitig wurde zum dritten Mal der Innovationspreis der Zeitschrift B.I.T.online vergeben. Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Ute Krauss-Leichert, Vorsitzende der Kommission Aus- und Fortbildung, die Preisverleihung erfolgte durch Herrn Christoph-Hubert Schütte, Mitherausgeber der Zeitschrift B.I.T.online.

Die diesjährigen Preisträger und ihre Themen:

Anja Große   (Absolventin der FH Hamburg, Diplom-Bibliothekarin): Die neue Seite der Bibliothek: Beispiele und Tipps für Online-Marketing Öffentlicher Bibliotheken

Markus Felder   (Absolvent der FH Köln, Diplom-Bibliothekar): Der Bibliothekar als Freiberufler

Margarete Polok   (Absolventin der FH Köln, Diplom-Dokumentarin): Strategien und Konzepte zur Langzeitsicherung digitaler Publikationen in Bibliotheken.

Die Beiträge werden in B.I.T.online Innovativ Band 3 veröffentlicht und können demnächst wie die Beiträge von 1999 und 2000 beim Verlag zum Preis von jeweils DM 33,­ zzgl. Versandkosten bestellt werden.

B.I.T.online, Postfach 1564, 65005 Wiesbaden oder www.b-i-t-online.de, E-Mail: info@b-i-t-online.de