Die IuK-Initiative der wissenschaftlichen Fachgesellschaften im Spannungsfeld von gestern und morgen

Die IuK-Jahrestagung 2001 "Kooperative Systeme" in Trier

von Michael Stumpf

Die fächerübergreifenden Anforderungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die neuen Medien und umgekehrt zu bestimmen und zu vertreten - das bietet reichlich Stoff für Diskussionen und Projekte. Im Rahmen des Aufbaus elektronischer Informations- und Kommunikations-Infrastrukturen in ihren Disziplinen, aber auch zur Neuordnung des Informations- und Kommunikationswesens für die Wissenschaft insgesamt haben sich 1995 zunächst die vier wissenschaftlichen Fachgesellschaften der Chemie, Informatik, Mathematik und Physik zur "IuK- Initiative"1 zusammengeschlossen, um ihre Aktivitäten auf diesem Gebiet zu koordinieren und aufeinander abzustimmen und ihre Kräfte zu bündeln. Mittlerweile vertritt die Initiative die Interessen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zwölf Disziplinen2 mit insgesamt 120.000 Mitgliedern. Sie kooperiert mit Hochschulen, Bibliotheken, Fachinformationszentren und Verlagen sowie weiteren maßgeblichen Beteiligten und beschäftigt sich unter anderem mit der Vernetzung fachbezogener Informationssysteme, mit Standards für Homepages von Wissenschaftlern und Fachbereichen aller Fächer, mit der Kennzeichnung von wissenschaftlichen Dokumenten zur professionellen Auffindbarkeit durch Suchmaschinen sowie mit Fragen des Einsatzes neuer Medien in der Lehre. Manches Projekt der Initiative ("DissOnline") ist bereits erwachsen und institutionalisiert, andere sind noch im Anfangsstadium und zeigen, dass sich die Initiative keineswegs überlebt hat. Wesentliches Element der Arbeit ist die Förderung eines intensiven Informationsaustausches zwischen den Fachdisziplinen; dazu führt die IuK-Initiative seit 1995 eine jährliche, jeweils von einer anderen Fachgesellschaft betreute wissenschaftliche Fachtagung durch.

Die Jahrestagung 2001 wurde unter das Motto "Kooperative Systeme" gestellt. "Systeme" bezog sich dabei sowohl auf Menschen als auch auf Verbundsysteme wie etwa Verlage und Förderorganisationen; auch der Begriff "Kooperation" war entsprechend weit gefasst. Das interdisziplinär zusammengesetzte Programmkommittee legte den Fokus auf Lehr- und Lernforschung, Konzepte der Virtuellen Universität und der Virtuellen Fachbibliotheken, neue Kommunikationsformen in den Wissenschaften, Daten-Darstellungsformen sowie auf juristische Aspekte von Informationssystemen.

Die Tagung wurde organisiert von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs)3, vertreten durch das Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID)4, und fand vom 11.-14.3.2001 auf dem modernen Campus der jungen Universität in Trier statt und führte etwa 130 Teilnehmer und 50 Referenten aus dem In- und Ausland in einem sehr dichten, auch Satellitenkonferenzen und Arbeitskreissitzungen umfassenden Programm5 zusammen. Die Stände der Aussteller und die zahlreichen Vorführungen boten Gelegenheit zur Informationsbeschaffung und zum Knüpfen von Kontakten. Erfreulich war, dass sich auch Vertreter der Rechtswissenschaften und der neu zur IuK-Initiative hinzugestoßenen Fachgesellschaften wie "Sportwissenschaft" und "Medien in den Wissenschaften" zu Wort meldeten und ihre fachspezifische Sichtweise auf die Bereiche Simulation, Animation und virtuelle Lehre vorstellten.

Eine Reihe von Vorträgen befasste sich mit dem Bereich der Lehr- und Lernforschung im Hinblick auf den Einsatz neuer Medien in den Hochschulen und allerorten wie Pilze aus dem Boden sprießenden virtuellen Universitäten. Neben der inhaltlichen Gestaltung von Lehrveranstaltungen wurden auch psychologische Anhaltspunkte zur Förderung des Lernens mit neuen Medien angesprochen. Die Beiträge kamen aus etlichen an der IuK-Initiative beteiligten Fachgesellschaften; dies darf als Zeichen für die hohe Relevanz des Themas gewertet werden. Gleichzeitig wurde der unterschiedliche Stellenwert elektronisch unterstützter Lehre und der unterschiedliche erreichte Stand in den einzelnen Fachdisziplinen betont, was die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit zusätzlich deutlich machte.

Bei allem technischen Fortschritt bleibt der Mensch im Mittelpunkt des Interesses - ob als Vision oder als Bremse mag dabei eine Frage des Standpunktes sein. Mauri Collins vom Rochester Institute of Technology jedenfalls sprach sich mit "Small is still beautiful" nachdrücklich und gut begründet für einen technologischen Minimalismus im 21. Jahrhundert aus. Nur breit einsatzfähige und benutzerfreundliche Technik wird auch tatsächlich genutzt - mehr wird rasch zu nutzlosem "eye candy", nach dessen Genuss man sich die Augen reiben muss.

Das FIZ ist tot - es lebe das FIZ! Im Zeitalter von Internet und Informationsexplosion hat das alte Konzept des manuellen Sammelns, Katalogisierens und der Weitergabe der Datenbank an einen Host weitgehend ausgedient - und doch sind die Fachinformationszentren und Bibliotheken mehr denn je gefordert. In etlichen Fachdisziplinen sind sie - oft in Zusammenarbeit mit den von der DFG geförderten fachspezifischen Sondersammelgebieten - die Motoren der neuen virtuellen Fachbibliotheken oder direkt an der Entwicklung fachspezifischer Informationsportale für das Internet beteiligt. Den Anschub liefern gelegentlich kleine Projekte wie etwa die "ACM SIGMOD Anthologie" von Michael Ley aus Trier, "DissOnline" der IuK-Initiative oder "psychologie.de" von André Hahn aus Berlin - für eine Institutionalisierung auch im Sinne einer Nachhaltigkeit des Angebots empfehlen sich die Fachinformationszentren oder wie im Fall "DissOnline" die Deutsche Bibliothek in Frankfurt nachdrücklich.

Martin Grötschel vom Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik in Berlin, eine der bekanntesten Personen im deutschsprachigen IuK-Bereich, führte den Zuhörern in seinem Vortrag die bei aller erreichten Fortschritte weiter bestehende Beschränktheit der aktuellen Recherchemöglichkeiten vor Augen - das tatsächlich recherchierbare "visible" Web ist im Vergleich zur insgesamt verfügbaren Information ("deep" Web) sehr klein. Er entwickelte ein Anforderungsprofil an zukünftige Informationsportale und mahnte eine höhere Professionalisierung etwa der existierenden virtuellen Fachbibliotheken an. Selbst das Aushängeschild "MathNet"6 sei im Vergleich etwa zum kommerziellen "Google"7 noch im Versuchsstadium.

Ein weiterer Themenschwerpunkt der Tagung war die Gewinnung, Repräsentation, Visualisierung und Speicherung von 3D- und 4D-Daten. In Vorträgen aus den Bereichen Biologie, Chemie, Lufterkundung wurde eindrücklich demonstriert, welche Relevanz diesen Daten zukommt. Da die Visualierung derzeit meist in Form von 2D-Projektionen oder bestenfalls VRML-Modellen geschieht, wird die Archivierung und nachhaltige Verfügbarmachung der zugrundeliegenden Rohdaten angemahnt. Hier und da wird dieser Problematik bereits Rechnung getragen, z.B. in Teilen der Chemie, den Sozialwissenschaften (GESIS) oder der Psychologie (ZPID).

Ist das wissenschaftliche Verlagswesen jetzt schon am Ende oder erst in einigen Jahren? Sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler es leid, für den Druck eines Textes Geld zu bezahlen, um ihn zwei Jahre später gegen Entgelt selbst lesen zu dürfen? Sollten deutsche Hochschulen analog zum US-amerikanischen Vorbild eigene Hochschulverlage gründen? Zur Diskussion dieser Fragen ist neben technischen Gesichtspunkten die Kenntnis des rechtlichen Rahmens äußerst wichtig. Dieser wurde in der vom Sprecher der IuK-Initiative Roland Schwänzl launig moderierten und über MBone ausgestrahlten Podiumsdiskussion zum Thema "Juristische Aspekte von Informationssystemen" abgesteckt, in der kompetente Experten eine interessante, anregende und kurzweilige Diskussion lieferten.

Dabei vertrat Gabriele Beger von der Berliner Zentral- und Landesbibliothek die Interessen der Bibliotheken, Peter Diepold von der Berliner Humboldt-Universität und Martin Grötschel vom Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik in Berlin repräsentierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Rolle als Produzenten, Anbieter und Konsumenten wissenschaftlicher Literatur. Maximilian Herberger vom Institut für Rechtsinformatik in Saarbrücken nahm die Rolle eines Mentors ein, der es verstand, den Laien die schwierige Materie anschaulich zu vermitteln. Stephan Ory, Rechtsanwalt, ging in seiner Eigenschaft als Berater von Verlagen auf deren Interessen, entsprechende Möglichkeiten zur formalen Umsetzung und auf das Wechselspiel der Anbieter und Konsumenten ein.

Es wurde eine Vielzahl von Teilbereichen angesprochen wie z.B. die technische Realisierung der elektronischen Verwaltung der Rechte an elektronischen Dokumenten, die Haftung für Links sowie die Rechtslage bei und die Gestaltung von Verträgen zwischen Autoren und Verlagen inkl. eines Mustervertrages8. Die Experten sprachen sich gegen eine gesetzgeberische über- und für eine De- Regulierung im Bereich neuer Medien aus.

Das für die lokale Organisation verantwortliche Team unter der Leitung des Psychologen und Leiters des Trierer Zentrums für Psychologische Information und Dokumentation Leo Montada leistete hervorragende Arbeit sowohl bei der langfristigen Vorbereitung der Tagung als auch bei der konkreten Durchführung. Die Kaffee- und Mittagspausen, ein attraktives Buffet in der Mensa und das festliche Abendessen im hoch über der ältesten Stadt Deutschlands auf der anderen Moselseite gelegenen Robert-Schumann-Haus, boten hinreichend Zeit für anregende Gespräche, Diskussionen und das Schmieden weiterer Pläne.

Die IuK-Jahrestagung hat Konkurrenz bekommen, was zwar einerseits die Relevanz der Thematik bestätigt, andererseits aber zu einer Zersplitterung führt, die für Veranstalter und Teilnehmer nicht glücklich ist. Die zeitlich und thematisch benachbart liegenden "Mensch & Computer 2001"9 in Bad Honnef und die "EUNIS"10 in Berlin, aber auch die Jahrestagung der Gesellschaft für Medien in den Wissenschaften (GMW)11 und die Jahrestagung der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation (DINI)12 sprechen teilweise recht ähnliche Themen an. Insbesondere in Bezug auf DINI bietet sich zumindest ein engerer Dialog an, weil die IuK-Initiative dort ohnedies mit der Arbeitsgemeinschaft der Medienzentren der deutschen Hochschulen (AMH), den

Zentren für Kommunikation und Informationsverarbeitung in Lehre und Forschung (ZKI) und dem Deutschen Bibliotheksverband (DBV) eng zusammenarbeitet. Dabei muss das originäre Anliegen der IuK-Initiative erhalten bleiben: die fächerübergreifende Vertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und der intensive Austausch zwischen den einzelnen Fachdisziplinen im Rahmen der Jahrestagung und der Arbeitskreise.

Die nächsten Veranstaltungen werden die traditionell in Blaubeuren stattfindende Herbsttagung der IuK vom 7. - 9.10.2001 sowie die Frühjahrstagung 2002 sein, die vom Verband Deutscher Biologen ausgerichtet werden wird. Informationen werden rechtzeitig auf der Homepage der IuK-Initiative http://www.iuk-initiative.org bekanntgegeben werden.


Anmerkungen
1. http://www.iuk-initiative.org
2. Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS), Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV), Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (DVS), Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), Gesellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM; assoziiert), Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI; kooperierend), Gesellschaft für Informatik (GI), Gesellschaft für Medien in den Wissenschaften (GMW; kooperierend), Informationstechnische Gesellschaft (ITG) im Verband Deutscher Elektrotechniker, Verband Deutscher Biologen (VDBiol).
3. http://www.dgps.de
4. http://www.zpid.de
5. http://www.zpid.de/iuk2001/program/
6. http://www.math-net.org
7. http://www.google.de
8. Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Autorennormvertrag: http://www.boersenblatt.net/sixcms/media.php/8/normvertrag00.rtf; Wissenschaftliche Vertragsnormen: http://www.boersenblatt.net/sixcms/media.php/8/wiss_vertragsnormen00.pdf
9. 5. - 8.3.2001 in Hamburg; http://mc2001.informatik.uni-hamburg.de
10. 7th International Conference of European University Information System in Berlin, 28. - 30.3.2001, http://www.hu-berlin.de/EUNIS2001/
11. Virtueller Campus: Szenarien - Strategien - Studium in Hildesheim, 19. - 21.9.2001; http://www.unihildesheim.de/zfw/vc/tagung
12. 4.12.2001 in Bonn; http://www.dini.de


Zum Autor

Dipl.-Math. Michael Stumpf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der

Abt. Allgemeine Psychologie des
Psychologischen Instituts der
Universität Freiburg
E-Mail: stumpf@psychologie.uni-freiburg.de