Für ein besseres Leben in der Informationsgesellschaft

"Menschenzentriert" statt "Computerzentriert"

von Helmut M. Artus

Wie du deinen Computer anlächelst, so lächelt er zurück.

Die Idylle trügt. Die 400 Experten, die sich vom 5. bis 8. März in Bad Honnef am Fuße des Drachenfels zu der Konferenz „Mensch & Computer 2001“ zusammengefunden haben, sind nicht an Rhein-Romantik und Nostalgie interessiert, sondern planen die Zukunft. Jedenfalls ein bisschen.

In der „Informationsgesellschaft“, die immer konkretere Formen annimmt, werden die Menschen in zunehmendem Maße zu Nutzern von Computern. Das muss nicht der PC am Arbeitsplatz oder im Kinderzimmer sein. Der Computer kann auch in ganz anderer Form daherkommen, verkleidet als intelligente Maschine, die in der Bank Geld ausgibt, den Zugang zu sicherheitsempfindlichen Gebäuden kontrolliert oder die Funktionen von Waschmaschine, Toaster und Videorecorder steuert. Die Bordelektronik von Autos ist – glaubt man einem aktuellen Werbespot – mittlerweile umfangreicher als die der Mondrakete Apollo 11.

Was bei dieser rasanten Ausbreitung der Elektronik oft ins Hintertreffen gerät, ist die Benutzbarkeit. Davon sind keineswegs nur ältere und behinderte User betroffen. Mitverantwortlich dafür ist vor allem die Tatsache, dass die Beteiligten zu wenig Kontakt miteinander haben. „Der Diskurs zwischen Informatik und andere Disziplinen, Fördereinrichtungen und Industrie findet bisher eher sporadisch statt“, wie die Veranstalter beklagen. Und genau das wollen sie mit der jetzt neu begründeten Konferenzreihe korrigieren. „Fachübergreifend“ heißt die Devise, unter der Informatiker und Designer, Psychologen und Soziologen sich zusammenfinden sollen, um eine menschenfreundlichere Computerzukunft zu planen und zu entwickeln. Und nicht nur Wissenschaftler und Forscher sollen sich an einen Tisch setzen, sondern auch Vertreter von Politik und Industrie.

Vor allem „menschenzentriert“ soll die Entwicklung verlaufen, so wird hervorgehoben, nicht mehr computerzentriert. Der Computer soll mitdenken, um die Kreativität des Nutzers zu unterstützen und ihn von lästiger Routine zu entlasten, wie Georg Trogemann in seinem Grundsatzreferat forderte. Das wäre ein veritabler Paradigmenwechsel der Informatik.

Der Ausbruch aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft wurde in Honnef bereits teilweise realisiert. Eine beträchtliche Zahl von Entwicklungsprojekten aus der Industrie stellte ihre Ergebnisse vor. Und auch die Ansätze zur Interdisziplinarität waren zu spüren. Eine ganze Reihe der Forschungsteams, die ihre Ergebnisse präsentierten, vereinen bereits Informatiker und Sozialwissenschaftler. (Von diesem Aspekt wird unten noch zu reden sein.)

In der begleitenden Ausstellung, in der weitere industrielle Entwicklungen vorgestellt wurden, trieb die technische Imagination bunte Blüten. Publikumslieblinge waren zweifellos die „Tele-Buddies“, bunte Puppen mit Glubschaugen und reichem elektronischen Innenleben, die wie Rucksäcke getragen werden und über Kamera und Mikrofon eine weltweite Kommunikation ermöglichen, zugleich aber dank ihrer menschlichen Träger auch beweglich sind und mit ihren Kameraaugen genau das näher anschauen (und übertragen) können, was der Partner in fernen Landen gerade sehen möchte.

Gar nicht mehr besonders futuristisch mutet inzwischen das Auto-Cockpit an, das auf gesprochene Befehle die gewünschte Musik auflegt, auf Gefahrensituationen hinweist und den Fahrer lautstark warnt, wenn er zu lange in die Gegend schaut oder einzunicken droht. Weniger spektakulär ist ein anderer Computer, der ebenfalls seinen Herrn überwacht. Schaut der gerade woanders hin, weiß der Computer, dass jetzt eine optische Mitteilung auf dem Bildschirm zwecklos wäre, und äußert sich akustisch.

Zu erwähnen ist auch der Konferenzteilnehmer, der Videokamera, Mikrofon und ausklappbaren Mini-Bildschirm in seine Mütze eingebaut hat. Diese „elektronische Gedächtniserweiterung“ erinnert ein wenig an Daniel Düsentrieb, den genial-verrückten Erfinder aus den Micky-Maus-Heften. Die Wirklichkeit hat aber oft genug die bunte Comic-Vision schon hinter sich gelassen, auch wenn der Informatik-Student mit dem eben beschriebenen Outfit eher eine Kuriosität am Rande war.

Mensch und Elektronik: Wer trägt wen huckepack? - Telebuddy und (menschlicher) Träger

Im Vergleich zu den technischen Präsentationen nimmt sich nicht nur der Unterhaltungswert der Fachvorträge bescheiden aus, sondern auch ihre Verständlichkeit. Worin der Sinn der „Computersteuerung durch Gebärden“ liegt oder warum die „Berücksichtigung kultureller Unterschiede bei der Mensch-Maschine-Interaktion“ wichtig ist, lässt sich noch einsichtig machen. Sinn und Nutzwert von Vorträgen über die „Benutzungsschnittstelle als Akteur-Netzwerk-Portal“ oder „Awareness durch Video Conferencing und Application Sharing“ erschließt sich aber wohl nur dem Experten.

Echte Schwerpunkte unterhalb des Generalthemas „Nutzbarkeit“ lassen sich kaum ausmachen. Ein Blick ins Programm zeigt, wie vielfältig und weitgestreut die Themen und Fragestellungen trotz der Einengung auf Nutzbarkeit immer noch sind. Fünf thematische Gruppen enthielten nur je zwei oder drei Vorträge („Informationsgeräte im Alltag“, „Mobile Systeme“, „Computer & Lernen“, „Kooperatives Handeln“ und „Multimodalität“), zwei weitere vier bzw. fünf Vorträge („Visualisierung & Design“, „Usability Engineering und Evaluationsmethoden“), und nur der achte umfasste neun Vorträge – allerdings unter der Sammelüberschrift „Nutzbarkeit für Alle“.

In letzterem Bereich fand sich auch der Vortrag von Claudia Moranz, Kai-Christoph Hamborg und Günther Gediga (alle Universität Osnabrück), die über einen Vergleich von Bibliothekssoftware berichteten. Im empirischen Test standen das natürlichsprachliche Bibliothekssystem OSIRIS und das strukturiertsprachliche OPAC gegeneinander. In drei Evaluationsuntersuchungen (einer Feldstudie und zwei Laboruntersuchungen) ging es nicht abstrakt darum, welches System „besser“ sei, sondern vor allem, welche Rolle Vorerfahrungen der Nutzer spielen. Dabei zeigte sich, dass erfahrene Nutzer mit OPAC effektiv arbeiten, wenn auch etwas unflexibel, während unerfahrene mit dem natürlichsprachlichen OSIRIS bessere Ergebnisse erzielten, wohingegen die mit OPAC vorerfahrenen neue, zusätzliche Möglichkeiten von OSIRIS oft nicht erkannten. Gleichwohl warnen die Forscher vor der verbreiteten Vorstellung von der Einfachheit und unmittelbaren Verständlichkeit natürlichsprachlicher Systeme und plädieren für die Implementierung von Unterstützungskonzepten, die dem Nutzer eine vielfältige Hilfe geben können.

Neben den Fachvorträgen umfasste das wissenschaftliche Programm nicht weniger als 24 Workshops. Auch diese Form interaktiver Veranstaltungen kam bei den Teilnehmern sehr gut an und wurde als willkommene Auflockerung begrüßt. „Nicht immer nur Frontalunterricht“, wurde gelobt. Einzelne Veranstaltungen mussten sogar wegen überfüllung geschlossen werden.

Unter dem Strich kann die Konferenz nur als voller Erfolg gewertet werden, in jeder Hinsicht. Mit 200 bis 250 Teilnehmern hatte man gerechnet, in Tagträumen war auch schon einmal die Rede von 300. Am Ende waren es genau 398. Genauso bemerkenswert wie der zahlenmäßige Erfolg des Kongresses war sein hohes Niveau, das allgemein hervorgehoben wurde und Ergebnis einer harten Vorauswahl war. Auch ihrem inhaltlichen Ziel, zu einem „besseren Leben in einer sich entwickelnden Informationsgesellschaft“ beizutragen, wie es Prof. Oberquelle, einer der Veranstalter, auf den Punkt brachte, ist die Konferenz sicherlich nähergekommen.

Und doch: Dem Thema „Mensch & Computer“ wurde die Konferenz letztlich nur teilweise gerecht, weil sie durch ihre Verhaftung in der Informatik von vornherein den größten Teil all dessen ausschloss, was man füglich unter diesem Konferenztitel erwarten könnte, müsste. Der Mensch ist – auch und gerade da, wo es um seine Beziehung zum Computer geht – eben nicht nur User. Weil der Computer ihn nicht nur dann betrifft, wenn er unmittelbar mit ihm umgeht (ihn „nutzt“), sondern auch in seine sozialen Beziehungen, seine Arbeit, seine Freizeit, seine gesamte Lebenswelt und Kultur eingreift, ist der Mensch in multipler Hinsicht auch Betroffener. Er ist Objekt und Subjekt der Interaktion, ist Opfer und Täter und Vernachlässigter und noch viel mehr – eben: Mensch.

Die Fragestellung der Konferenz war konstruktiv („Wie können wir dies & jenes technisch realisieren?“) und affirmativ („Was können wir tun, damit Computer eine noch höhere Akzeptanz und Verbreitung finden?“). Das Thema „Mensch und Computer“ ist jedoch wesentlich weiter, als in in dem solchermaßen abgesteckten Rahmen gesehen wird. Wie der Computer in Leben und Welt des Menschen eingreift, wie er Gesellschaft und soziale Beziehungen verändert, wäre die typische Fragestellung der Soziologie. Und auch ihre typische Vorgehensweise ist eine andere: nicht konstruktiv und affirmativ, sondern reflexiv, analysierend, hinterfragend und kritisch.

Nicht von ungefähr war das programmatische Logo der Konferenz der Smiley, ein freundlicher Computer, zusammengesetzt aus dem Zeichensatz der Computer-Tastatur: eckige und runde Klammern, Punkte, Striche. Die Botschaft ist offensichtlich: Wie du deinen Computer anlächelst, so lächelt er zurück. Was aber wäre, wenn ich meinem Computer einmal böse wäre? Oder – noch schlimmer – er mir? Wo das Lächeln endet, fängt die Soziologie an.

Das, so scheint es, ist bisher im Konzept des Konferenz und der Konferenz-Serie, die sie begründen soll, nicht mitgedacht. Kurz gesagt: Soziologie und Psychologie kommen zwar vor, aber die Informatik führt sie an der kurzen Leine.

Das (durchaus beachtliche) Wissen und Können dieser Disziplinen wäre vielleicht in einem „zweiten Diskurs“ nutzbar zu machen, in dem es um Reflexion geht, um Entwicklung und Bewertung von Zielen, Visionen und Folgen. Gerade wenn die Informatik „den Menschen“ zu entdecken versucht, sollte sie den engen Kontakt mit jenen suchen, die für ihn zuständig sind und ihn nicht zum User verkürzen.

Der überraschend starke Erfolg bestärkt die Veranstalter in ihrer Absicht, der Veranstaltung 2001 1 weitere folgen zu lassen. Die erste Folgekonferenz ist bereits terminiert. Sie findet im September 2002 in Hamburg statt.

Tja, dann also: Keep smiling: :-).


Anmerkung
1. Der Tagungsband liegt vor und ist über den Buchhandel zu beziehen: H. Oberquelle/ R. Oppermann/ J. Krause (Hrsg.): Mensch & Computer 2001 – 1. Fachübergreifende Konferenz, B. G. Teubner: Stuttgart, Leipzig und Wiesbaden 2001, 465 Seiten, 118,– DM, ISBN 3-519-02748-8. – Die Auflage ist beim Verlag bereits vergriffen. Die Möglichkeit eines Nachdrucks wird zur Zeit geprüft.


Zum Autor

Dr. Helmut M. Artus

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