Wissenschaftsrat verabschiedet Empfehlungen zur digitalen
Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken

Digitalen Publikationen - auf CD-ROM oder als Publikationen im Internet - kommt heute bereits in vielen Bereichen von Wissenschaft und Forschung eine große Bedeutung zu, sie wird in Zukunft noch stark zunehmen. Für die Hochschulbibliotheken bedeutet der Umgang mit digitalen Informationen und Publikationen einen weitreichenden Wandel der Aufgaben und der Arbeitsbedingungen und -anforderungen ihrer Mitarbeiter. Der Wissenschaftsrat stellt fest, dass die Bibliotheken sich noch nicht hinreichend zu Zentren der Versorgung mit digitalen Informationen und Publikationen entwickelt haben; sie unterstützen Lehrende und Lernende mit entsprechenden Schulungen und Dienstleistungen nicht in ausreichendem Maße.

Auf absehbare Zeit werden "Hybridbibliotheken", die sowohl gedruckte als auch digitale Publikationen und Informationsquellen bereitstellen, das vorherrschende Modell sein. Mit einer ausgeprägten Benutzerorientierung sollten sie neben der traditionellen Aufgabe der Speicherung vorhandenen Wissens auch und vor allem wissens-organisierende und damit inhaltlich orientierende Funktionen übernehmen. Bibliotheken werden künftig die meisten Dokumente nicht mehr selbst vorhalten, sondern vielmehr weltweite Zugänge und Zugriffe auf die gewünschten Informationen ermöglichen. Der Wissenschaftsrat empfiehlt den Bibliotheken, künftig dem Nutzer die benötigten Informationen schnell und kostengünstig am jeweiligen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen ("Bring-Bibliotheken").

Die lokale Hochschulbibliothek wird diese Dienstleistungen nicht allein erbringen können, sie muss vielmehr integriert werden in ein System vernetzter und kooperierender nationaler und internationaler Bibliotheken wie beispielsweise den Fachportalen der Virtuellen Fachbibliotheken, Informationsverbünden und den wissenschaftlichen Fachgesellschaften.

Mit Zunahme der digitalen Literaturversorgung ist auf absehbare Zeit keine Minderung der Kosten für die Informationsbeschaffung und keine Entlastung der Erwerbungsetats der Hochschulbibliotheken verbunden. Aufgrund der kurzen technischen Innovationszyklen und der damit verbundenen Folgekosten besteht auch auf Dauer ein hoher Reinvestitionsbedarf. Der Wissenschaftsrat gibt zu bedenken, dass dies nicht ohne Mittelumschichtungen und zusätzliche finanzielle Mittel geschehen kann. Dies wird auch notwendig sein, um die vorhandenen Defizite bei der Literaturerwerbung zu mildern. Der Wissenschaftsrat spricht sich für eine Anpassung der Erwerbungsetats an die Preisentwicklung und an den wachsenden Umfang der Publikationen aus, um eine auch international vergleichbare und konkurrenzfähige Informationsversorgung für Wissenschaft und Forschung nachhaltig zu gewährleisten. Die Bereitstellung der erforderlichen Mittel könnte durch eine Finanzierung über Förderprogramme, eine Erhöhung des Globalbudgets der Bibliotheken durch Schwerpunktsetzungen im Globalhaushalt der Hochschulen sowie durch eine Mitbeteiligung der institutionellen Nutzer an der Finanzierung erreicht werden.

Unabhängig von den neuen Anforderungen an Hochschulbibliotheken setzt eine global orientierte wissenschaftliche Informationsversorgung ein hohes Maß an technischer Standardisierung und internationaler Abstimmung voraus. Der Wissenschaftsrat empfiehlt:

Der Wissenschaftsrat sieht zudem die folgenden Rahmenbedingungen als zentral für die Förderung einer digitalen Informationsversorgung an: Das Prinzip der Pflichtabgabe für deutsche konventionelle Publikationen sollte auch für digitale Publikationen Anwendung finden. Die Deutsche Bibliothek sollte die Funktion einer überregionalen Pflichtexemplarbibliothek für digitale Verlagspublikationen übernehmen.

Wissenschafts- und Förderorganisationen sollten dafür Sorge tragen, das mit ihrer Förderung erzielte und dokumentierte wissenschaftliche Wissen für eine wissenschaftliche Nutzung auf Dauer frei verfügbar zu machen. Auch die Ergebnisse aus der Forschungsförderung von Stiftungen sowie privater Initiativen sollten in gleicher Weise zugänglich gemacht werden.

Autoren sollten ihre Verwertungsrechte mit der Freigabe zur wirtschaftlichen Verwendung nicht pauschal an Verlage abtreten. Im Wissenschaftssystem sollte Einvernehmen darüber bestehen, dass dem Autor das Recht zur Zweitverwertung erhalten bleibt, um eine elektronische Neuauflage (Re-Print) beispielsweise über den Server einer Hochschule oder über Fachportale anbieten zu können.

Das Internet bietet den Wissenschaftlern auch die Alternative, Publikationen selbst zu publizieren, ohne hierbei auf die Leistungen von Verlagen oder Bibliotheken angewiesen zu sein. Hierzu zählen die Internetseite einer Forschergruppe oder verlagsungebundene Zeitschriften und Dokumentenserver. Für bestimmte Gebiete der Naturwissenschaften bietet es sich für die Hochschulen zudem an, neue Publikationswege entweder unabhängig von Verlagen oder in neuartigen Kooperationsformen mit ihnen zu erschließen. Dies setzt nach Auffassung des Wissenschaftsrates jedoch voraus, ein System der Qualitätssicherung mit vergleichbarer wissenschaftlicher Reputation, wie sie bisherigen Verlagsveröffentlichungen zugeschrieben wird, zu etablieren.

Hinweis: Die Empfehlung zur digitalen Informationsversorgung durch Wissenschaftliche Bibliotheken (Drs. 4935/01) ist im Netz als Volltext veröffentlicht, sie kann aber auch bei der Geschäftsstelle des Wissenschaftsrates schriftlich oder per E-Mail angefordert werden.

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