Die nationale Umsetzung von EU-Projekten in Österreich

von Sigrid Reinitzer

Am 21. Juni 2001 fand in Wien der "Nationale Informationstag für Bibliotheken, Museen und Archive" statt. Die Tagung, organisiert vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie vom Cultural Service Center, hatte zum Thema das 6. Rahmenprogramm der EU und die nationale Umsetzung von EU-Projekten in Österreich. Für den Bibliotheksbereich trug die Autorin folgende Gedanken zu den Ist-Programmen aus der Sicht der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB) vor.

Die Vorteile und Probleme im Zusammenhang mit den IST-Programmen der EU lassen sich kurz so darlegen:

Schon seit jeher waren die Programme der Kommission im Bereich "Libraries, Archives, Cultural Heritage" vom Prinzip getragen, den Zugang zu diesen Informationen zu fördern und zu verbessern. Das ist sehr wichtig, vollkommen richtig und begrüßenswert.

Auf der anderen Seite wird aber völlig übersehen, dass der Zugang zur Information von ihrer physischen Existenz abhängt, die weder bei den Werken in Bibliotheken noch bei den audiovisuellen und elektronischen Dokumenten von vornherein gegeben ist, da diese Dokumente entweder weltweit nur einmal oder sehr selten verfügbar sind oder schützenswert, fragil, vielfach volatil sind. Es ist eine Standardklage der professionellen Dokumentenbewahrer, dass die Kommission der EU die europaweit bestehenden Bewahrungsprobleme nicht, oder nur sehr unzureichend fördert. Wenn man sich das IST-Programm anschaut und die Maßnahmen, die im Bereich des Datenzugangs und der kulturellen Bewahrung (Cultural Heritage etc.) gesetzt werden, dann handelt es sich um zunehmend spezialisierte Themenbereiche, die den Zugang und die Verknüpfung von Daten auf höchst elaborierter Ebene fördern und entwickeln, wobei von der völlig falschen Prämisse ausgegangen wird, dass alle diese Daten, zu denen man den Zugang benötigt - frei von Voraussetzungen - vorhanden wären.

Forschende aus dem Bereich der Entwicklungstechnologie für die BID-Bereiche meinen zumeist, dass sowieso alle wesentlichen gedruckten - und AV-Daten bereits digital verfügbar und daher mit den neu entwickelten Accesstools ohne weiteres zugänglich seien. Fachleute müssen immer wieder darauf hinweisen, dass weder die urheberrechtlich freien Werke der wissenschaftlichen Bibliotheken, noch die Audiobestände der AV-Archive so aufbereitet sind, wie das heute erwartet wird, und dass auch die Überführung von bereits digitalen Daten in einen Zustand, der neu entwickelte Accesstools anwendbar macht, einen sehr hohen Aufwand bedeutet. Das zeigt, dass die von der Kommission geförderten Programme offenkundig von IT-Spezialisten inspiriert und getragen werden, die (zunehmend) den Bezug zu den primären Problemen der Bibliotheken nicht oder noch nicht besitzen.

Natürlich wird die Sinnhaftigkeit der IST-Forschungsprogramme keinesfalls in Frage gestellt, aber es muss darauf hingewiesen werden, dass hier keine - oder zumindest zu wenig - Rücksicht auf die reale Situation der Mehrheit der BID-Einrichtungen genommen wird, die die Ergebnisse dieser Forschungen auch anwenden sollten und müssten, um die bereits vorhandene Information jedermann bereitzustellen. Wir befinden uns in einem Zustand, in dem die IT-Fachleute über die Realität in den Institutionen, für die sie eigentlich ihre Forschungen unternehmen, "hinwegforschen". Es gibt derzeit noch keine oder zu wenige Anstrengungen, die mittels Forschungsprogrammen geförderten Entwicklungen auch tatsächlich in die Infrastruktur der BID-Institutionen zu implementieren, wobei derartige Maßnahmen sowohl von nationaler, wie auch von europäischer Seite aus erfolgen müssten. Verschärft wird diese Situation durch den Umstand, dass die mit europäischen Geldern gemachten Entwicklungen dann, wenn sie von dem einen oder anderen nach mehreren Jahren eingesetzt werden könnten, bereits überholt sind - vielleicht nicht im Ansatz, aber in den technologischen Details.

Es scheint, als ob mit den EU-Projekten, die mit viel Engagement durchgeführt werden und gute Ergebnisse erzielen aber dennoch nur "Prototypen-Friedhöfe" entstehen, da danach die kontinuierliche Umsetzung in die Praxis fehlt, da hierfür in den derzeitigen Strukturen weder von der EU noch im nationalen Bereich Geld aufgebracht werden kann. Hier seien erwähnt Projekte wie DIEPER (Digitalisierung europäischer Zeitschriften), ALO (Österreichische Literatur Online), oder von der UNESCO die Digitalisierung von Handschriften im Rahmen des Programms "Memory of the World".

In der Analyse der Situation scheint die Ursache für dieses "Hinwegforschen" darin zu liegen, dass die Kommission keinen geregelten Kontakt zu den professionellen NGOs (Non-Governmental Organizations) hat, in unserem Fall zu LIBER (Ligue des Bibliothèques Européennes de Recherche), zur IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions), ICA (International Council on Archives), IASA (International Association of Sound and Audio-visual Archives) ECPA (European Commission on Preservation and Access) etc. Durch diesen Mangel werden die Programme insbesondere von vorwärts stürmenden IT-Menschen betrieben, die ihrerseits die Umsetzung in die Praxis nicht leisten können, wodurch das eigentliche Ziel dieser Entwicklungen leider in jenen Ländern nicht erreicht wird, die für die Umsetzung keine budgetären Mittel bereitgestellt haben.

Ohne Förderung der Infrastruktur sind die attraktivsten und phantasievollsten Accesstools zur Erschließung und Nutzbarmachung der Information in den BID-Einrichtungen leider fast unwirksam. Dies gilt vor allem für den bedeutenden Kulturschatz an unseren großen BID-Einrichtungen, der nicht aus kleinen Musterstücken besteht, sondern nur in einem laufenden Großprojekt erschlossen und bereitgestellt werden kann.

Ein wesentliches Instrument zur Verbesserung dieser schwierigen Situation wäre die Einbindung von NGOs, das heißt die Befassung der nationalen und internationalen Fachorganisationen und deren Lobbyisten als Regulativ zur rasch voranstrebenden Arbeit der IT-Spezialisten. Auch wäre ein regelmäßigerer Kontakt zu unseren Delegierten bei den einschlägigen IST-Programmen der EU wünschenswert.

Die lokalen BID-Einrichtungen arbeiten in vielfältiger Weise und auch im Rahmen von Projekten zusammen. Es werden Grundlagenforschungen wie beim New Book Economy-Projekt durchgeführt, das die Notwendigkeit der verschiedenartigen Fortbildung der Fachleute in den BID-Berufen aufzeigte. Doch die Studie, die einen vielfachen Mangel vor allem im Fortbildungsbereich aufzeigte, konnte nicht in die Tat umgesetzt werden. Hingegen werden wieder neue Projekte gestartet, die Kräfte binden. Es muss bei den EU-Gremien und in den nationalen Stellen erkannt werden, dass durch die Entwicklung von neuen Technologien noch keine Projekte umgesetzt werden und dass durch das Aufzeigen eines Mangels dieser noch nicht behoben ist.


Zur Autorin

Hofrätin Dr. Sigrid Reinitzer ist Präsidentin der VÖB und Direktorin der Universitätsbibliothek der Karl-Franzens-Universität Graz

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E-Mail: sigrid.reinitzer@kfunigraz.ac.at