Die MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung in Wien
Das Phänomen Fachbibliothek für angewandte Kunst

von Kathrin Pokorny-Nagel

In den Statuten des k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie steht: "Die Bibliothek ist eine Fachbibliothek und hat solche Werke zu enthalten, welche sowohl durch Abbildungen, als durch historische, künstlerische oder wissenschaftliche Erläuterungen die Zwecke des Museums zu fördern geeignet sind." (§ 4, 1864).

1. Zur Geschichte und Aufgabe der MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung

Die 1864 gegründete Institution eines k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie war inhaltlich stark von Gottfried Sempers Idee einer Synthese von Wissenschaft, Industrie und Kunst beeinflusst. Dem Ideal aber, sowohl Bildung und Wissen zu vermitteln als auch Künstlern und Handwerkern den Zugang zu Geschmack und historischer Kenntnis zu erschließen, konnte nur durch den systematischen Aufbau einer Bibliothek entsprochen werden.


Fassade, MAK-Österreichisches
Museum für angewandte Kunst Wien

Gründungsdirektor Rudolf von Eitelberger erachtete daher die Bibliothek als eine Einrichtung im Sinne des antiken "museions", als ein geistiges Zentrum, und begründete damit eine bis heute in Europa einzigartige Fachbibliothek und Vorbildersammlung für angewandte Kunst. Eitelberger war es von Anfang an ein Anliegen, Industriellen und modernen Kunsthandwerkern gleichermaßen den Zugang zu schriftlichen und graphischen Vorlagen zu ermöglichen. Demzufolge sollte die Bibliothek nicht nur aus Fachbüchern, Literatur zu Kunst und Kunstgewerbe aus Geschichte und Gegenwart bestehen, sondern ebenso Ornamentstiche, graphische Entwürfe und Musterblätter umfassen. Das Buch selbst sollte in seiner künst-lerischen Gesamtheit gesehen werden. Neben der Informationsvermittlung sollten gleichermaßen Schrift, Druckerzeichen, Illustrationen, Vorsatzpapiere und Einbandgestaltung als Vorbilder für Neuschöpfungen dienen.

2. Systematisierung und Erschließung der MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung

"Im neuen Gebäude konnte sich in einem großen Bibliothekssaal die Sammlung der Bücher bequem und systematisch nach ihrem Inhalt geordnet aufstellen lassen. Man sah, wie viel bereits beschafft war, aber auch, wo die Lücken waren", schrieb Bruno Bucher 1873 (In: Das k.k. Österreichische Museum für Kunst und Industrie, S.8).

Die zur Zeit des Historismus gegründete Bibliothek hat ihren damals festgelegten Aufbau, Bücher und Kunstblätter sachlich konsequent den einzelnen Zweigen des Kunsthandwerks zuzuordnen, bis heute bewahrt. Damit unterscheidet sie sich nicht nur wesentlich von anderen Kunstbibliotheken, sondern stellt ein Museum von größtem kulturgeschichtlichem Wert im Gesamtverband eines Museums dar. Aktuelle Aufgabe ist, die gewachsene systematische Ordnung nach Hilfsquellen für die Erforschung aller kunstgewerblichen Techniken zu erhalten, die aber mit allen Mitteln moderner Erfahrung und Technik immer mehr dem Publikum erschlossen wird.

Bereits zum Zeitpunkt der Gründung wurde mit einem Zettelkatalog begonnen, ein alphabe-tisch geordneter Nominalkatalog, ein nach eigenen Regeln entwickelter Schlagwortkatalog und ein nach Geografikum geordneter Ausstellungskatalog. Parallel werden seit 1864 das Bücherinventar und das Kunstblätterinventar in chronologischer Reihenfolge nach numerus currens geführt.

Der erste systematisch geordnete Katalog der Bibliothek des kais. Kön. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie erschien im Oktober 1869 mit immerhin 2415 Titeln. Diese Systematisierung war der erste Versuch von wissenschaftlicher Ordnung einer für die Zwecke des Kunstgewerbes angelegten Bibliothek und folgte der von Jacob von Falke für das Museum gefundenen Systematik und Einteilung in Klassen beziehungsweise Kategorien nach Materialien.

Der Bibliotheksvorstand Franz Schestag verfasste den ersten, nach den einzelnen Zweigen des Kunstgewerbes gesonderten, der Museumssystematik entsprechenden und damit dem Vor-bilddenken verpflichteten Ornamentstichkatalog.

Bereits 1865 erschien das erste Verzeichnis der im k.k. Österreichischen Museum für Kunst und Industrie befindlichen Photographien, und Ludwig Angerer, der Leiter des Photographischen Ateliers des Museums, veröffentlichte Photos aller Objekte der ersten Aufstellung im Museum.

Dem Drang nach Systematisierung im 19. Jahrhundert folgten Jahrzehnte konsequenter Weiterführung der definierten Systeme bis die Möglichkeiten der Neuen Medien den Wunsch nach der Erneuerung weckten.

3. Zum Aufbau der MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung

Dem Aufbau des Museums entsprechend, Bücher und Kunstblätter den einzelnen Zweigen des Kunsthandwerkes zuzuordnen, wurde aus dem Kernbestand der Privatbibliothek Eitelbergers seit der Gründung des Museum eine bis heute herausragende Bibliothek für angewandte Kunst geschaffen.

Auf Initiative Kaiser Franz Josephs wurde dieser Kernbestand bereits im Gründungsjahr des Museums sowie auch während der ersten Jahre des Bestehens durch zahlreiche Spenden aus Adelsbibliotheken, die vor allem einen reichen Zuwachs an Druckwerken des 15. bis 18. Jahrhunderts brachten, erweitert.


Lesesaal, MAK-Österreichisches Museum
für angewandte Kunst Wien

Als eine der ersten Erwerbungen für das Museum wurden 5000 Blätter Ornamentstiche erworben, die den eigentlichen Kern der Kunstblättersammlung darstellen. Weiters wurde die gesamte Bibliothek (200 Werke in 355 Bänden) und die aus 5775 Blättern bestehende Mustersammlung der Wiener Porzellanmanufaktur der Bibliothek übergeben. 1867 wurde die Kunstblättersammlung durch über 13.000 Initialen erweitert, ein Bestand von ornamentierten Buchstaben, die aus Manuskripten, Frühdrucken und Druckwerken des 15. bis 18. Jahrhunderts ausgeschnitten und in alphabetischer Ordnung auf Kartons aufgeklebt worden waren, wodurch bedeutende Werke mittelalterlicher und neuzeitlicher Literatur in ihrer Gesamtheit zerstört wurden.

Anlässlich der Wiener Weltausstellung 1873 glückte der wohl sensationellste Ankauf, der als Vorbild und Anregung für die Textilindustrie dienen sollte. Man erwarb 60 Pergamentblätter des indo-persischen Heldenromanes Hamza aus der Zeit Akbars des Großen, geschrieben und gemalt zwischen 1540 und 1570. Es ist dies bis heute der größte, in einem Museum auf-bewahrte Bestand des ursprünglich 1400 Blatt umfassenden Epos', von dem weltweit lediglich weitere 70 bis 80 Blätter erhalten sind.

Eine außerordentliche Bereicherung der Druckschriften- beziehungsweise Ornament-stichsammlung stellen das 1875 erworbene Gantz new Modelbuch von Wilhelm Hoffmann aus dem Jahre 1607 dar, das nur in dem einzigen in der Bibliothek vorhandenen Exemplar vorhanden ist, sowie die aus 28 Bänden bestehende Gesamtausgabe der Werke der Piranesi, die anlässlich der Silberhochzeit des Kaiserpaares 1879 der Bibliothek gewidmet wurde.

1905 war ein Jahr fortschrittlicher Sammlungspolitik. Die ersten japanischen Farbholzschnitte des 18. und 19. Jahrhunderts, die maßgeblich die Kunst der Wiener Secession beeinflussten, kamen durch Kauf an die Bibliothek des Museums. Photos und Glasdias wurden als Anschauungsmaterial für die regelmäßig stattfindenden Vorträge gesammelt und füllten die Sammlungslücken, vor allem aber erwarb man erstmals einen Bestand moderner Druckerzeugnisse für die Bibliothek. Ein Konvolut französischer Plakate wurde 1902 erworben und damit der Beginn eines neuen, bis heute außerordentlich wichtigen Sammlungsbereiches gesetzt.

Bedeutend für die Erweiterung und Bereicherung der Bibliothek waren außerdem die Übernahme von Künstler- und Firmennachlässen. Allen voran sind dabei die etwa 15.000 Entwurfszeichnungen aus dem 1932 aufgelassenen Archiv der Wiener Werkstätte zu nennen, deren systematische Aufarbeitung im nächsten Jahr abgeschlossen sein wird, und die in den letzten Jahren erworbenen Nachlässe des Architekten Carlo Scarpa und des Gebrauchsgraphikers Joseph Binder.

So umfasst die MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung heute über 200.000 Bände an Handschriften, Inkunabeln, Druckwerke vom 15. Jahrhundert bis heute sowie eine Fach-bibliothek für angewandte Kunst ab dem 18. Jahrhundert und über 500.000 Kunstblätter bestehend aus Ornamentstichen des 15. bis 18. Jahrhunderts, einer Sammlung von Vorlageblättern, Stilkopien des 19. Jahrhunderts und einer eigenen Plakat- und einer Photosammlung. Dazu kommen Zeichnungen, Aquarelle und Pläne von Künstlern und Architekten vom Historismus bis zur Gegenwart.

Beim systematischen Ausbau des Buchbestandes wird heute der Schwerpunkt beim Aufbau einer Sammlung von Künstlerbüchern und Neuen Medien und dem Ausbau der Bereiche angewandte Kunst, Kunst, Design und Architektur der Gegenwart gesetzt. Ziel ist, alle Neuerscheinungen von Büchern zu diesen Themen zu erwerben, um die Stellung als Fachbibliothek von großer Bedeutung zu erhalten.

4. Zur Zukunft der MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung

Die Bibliothek und Kunstblättersammlung war und ist als "Dienstleistungsbetrieb" für das Museum ebenso gedacht wie als eigenständige wissenschaftliche Institution, als Sammlungszentrum für alle das Kunstgewerbe betreffenden Fragen.

Die meisten kunstgewerblichen Fachbibliotheken wurden größeren Bibliotheksverbänden untergeordnet und von den graphischen Beständen getrennt, womit die nach Ganzheit strebende Gründungsidee zerstört wurde.

Der hohe Anspruch, die MAK-Bibliothek und Kunstblättersammlung als gewachsene Einheit jetzt und in Zukunft zu erhalten und weiter zu entwickeln, muss mit einer Steigerung des Services einhergehen. Neue Formen der Erschließung zu erarbeiten und benutzerorientierte Arbeitsbedingungen zu schaffen wurden als wichtigste Aufgabe innerhalb der zu den musealen Sammlungen bezogenen Bibliothek und Kunstblättersammlung erkannt.

Daher wird der Bestand derzeit dem Benutzer mit modernsten technischen Mitteln erschlossen.

Der Zettelkatalog aller Erwerbungen der Bibliothek bis 1994 wurde im letzten Jahr eingescannt und ist über die MAK-Homepage unter der Adresse www.mak.at/service/8_bibl.html abrufbar. Der Imagekatalog bietet die Möglichkeit direkt ansteuerbarer Suchabfragen. Diese erfolgen im digitalen Katalog über einen Schlagwortkatalog und einen geografischen Katalog (Ort, Jahr); im Nominalkatalog (Autor, Titel) ist eine alphabetische Suche möglich. Die über das Web recherchierten Bücher können während der Öffnungszeiten des Lesesaals (Di - So 10.00 - 18.00 Uhr, Mo geschlossen; freier Eintritt) bestellt und sofort eingesehen werden.

Durch den Beitritt der MAK-Bibliothek zum "Online-Katalog des Österreichischen Bibliothekenverbundes" im März werden bis Jahresende auch die aktuellen Erwerbungen der MAK-Bibliothek über das Internet abrufbar sein. Damit wird der Gesamtbestand der MAK-Druckschriften im Web präsent sein.

Die über 500.000 Kunstblätter werden durch Forschungs- und Ausstellungsprojekte schrittweise bearbeitet und in einer Filemaker-Datenbank erfasst. So konnten während der letzten Jahre alle österreichischen und französischen Plakate der Sammlung (über 6.000), alle 1.800 Emblemata und über 500 Fotos der Wiener Weltausstellung 1873, letztere auch mit Images, digital aufgearbeitet werden. Bis März 2002 werden alle 10.000 Entwurfszeichnungen des Archivs der Wiener Werkstätte und der Gesamtbestand von über 15.000 Ornamentstichen in einer Datenbank erfasst.

Nach dem Umbau des Museums verfügt die Bibliothek über klimatisierte Depoträume. Ein neuer, von den Designern Ursula Aichwalder und Hermann Strobl entworfener Lesesaal bietet die Möglichkeit, den reichen Bestand auch unter optimalen Arbeitsbedingungen zu nutzen und als lebendiges Kommunikationszentrum innerhalb des Museums zu wirken. Der 1993 eröffnete neue Lesesaal hat sich, nicht zuletzt wegen der Öffnungszeiten an den Wochenenden, als ein Zentrum des Dialogs und der Informationsvermittlung etabliert


Zur Autorin

Mag. Kathrin Pokorny-Nagel

Leiterin Bibliothek und Kunstblättersammlung
MAK-Österreichisches Museum für angewandte Kunst
Stubenring 5
E-Mail: pokorny-nagel@mak.at