von Rafael Ball
Bereits zum siebenten Mal veranstaltete am 4./5. Juni 2001 das Institut of Library and Information Science der Jagiellonen Universität Krakau eine internationale Konferenz zu aktuellen Themen des Bibliotheks- und Informationswesens. Das unter der Leitung von Professor Maria Kocójowa stehende Institut hat ca. 25 Mitarbeiter und bildet mit rund 30 Dozenten mehr als 500 Studenten mit dem Ausbildungsziel Bachelor oder Master of Information and Library Science aus (Kasten 1 zeigt einen Ausschnitt aus dem Lehrplan für die Kandidaten des MA-Studiengangs). Wissenschaftliche Schwerpunkte des Instituts sind modernes Management im Bibliothekswesen, Bedeutung von online-Informationen in der lernenden Gesellschaft, Bedeutung von Buch, Literatur und Information im Kommunikationsprozess sowie die Rolle von Bibliotheken im gesellschaftlichen Wandel.
Die diesjährige Konferenz in Krakau trug den Titel " Electronic Publications in Libraries and Information Centers: Research and practice".
Den Veranstaltern der Konferenz, (Institut of Library and Information Science der Jagiellonen Universität in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Generalkonsulat in Krakau) ist sowohl bei der thematischen Schwerpunktsetzung, als auch bei der Auswahl der Vortragenden eine gute Mischung gelungen, hatten sie doch für eine ausgeglichene Verteilung zwischen Theorie und Praxis sowie zwischen warnenden Tönen und forschem Optimismus bezüglich elektronischer Informationen in den Bibliotheken gesorgt.
Die Eröffnung und die Vorträge des ersten Tages der Konferenz fanden im wunderschönen historischen Kollegium Novum der Jagiellonen Universität, der nach Prag ältesten Universität Europas, statt. Es gehört Mut dazu und Tradition (beides Tugenden, auf die man in Polen stolz ist), eine Tagung zu elektronischen Medien mit altpolnischer Chormusik unter den strengen Blicken des Universitätsgründers beginnen zu lassen. Doch das Porträt des großen naturwissenschaftlichen Sohnes Krakaus, Nikolai Kopernicus, dem Revolutionär des geozentrischen Weltbildes konnte dann doch als Allegorie auf die elektronischen Medien in den Bibliotheken gedeutet werden.
Und so war es nicht verwunderlich, dass die Themen der Redner um die drei Schwerpunkte "Theorie des Bibliothekswesens", "Geschichte des Bibliothekswesens" und "Bibliothekarische Praxis" gruppiert waren.
Simon Elliot entführte seine Zuhörer in die Welt der klassischen und elektronischen Bibliothekskataloge und konnte anhand ausgewählter Beispiele aufzeigen, dass es durchaus sinnvoll sein kann, eine Suche auch in klassischen Karten- oder gar Bandkatalogen durchzuführen. Besonders bei älteren Werken oder unklaren Suchbegriffen sei der OPAC dem traditionellen Katalog nicht immer überlegen. Sein Vortrag war denn auch überschrieben mit dem Titel "Electronic catalogues, electronic registers, electronic texts - and a gentle warning" . Für einen Historiker sei es durchaus wichtig, auf den Erhalt von historischen Katalogen zu bestehen, damit hier am realen Objekt und nicht nur am virtuellen Abbild Studien getrieben werden könnten.
Eine ganz ähnliche Position vertrat auch Peter Hoare, ehemaliger Direktor der Universitätsbibliothek Nottingham, jetzt Privatgelehrter in Sachen Biblotheksgeschichte. In seinem Vortrag "Electronic Information and the history of Libraries" stellte er eine Vielzahl von bibliothekshistorischen Projekten vor, die sich digital im Netz befinden oder gar die Netzpublikation als Medium gewählt haben. Weit mehr als andere Historiker bedienten sich Bibliothekswissenschaftler umfassend der neuen Medien. Aber auch Hoare ermahnt alle Digitalisierungsenthusiasten: "It is important for the historian, that the information contained in old catalogues is not lost". Der pure Inhalt der Katalogkarten allein reiche für autentische Studien nicht mehr aus.
In einem zweiten Panel ging es um aktuelle Probleme der elektronischen Bibliothek. Nancy Rajczak, Leiterin der Abteilung Bibliotheks- und Informationswesen des amerikanischen Generalkonsulats in Frankfurt/M,. hob anhand des "Digital Library Projects" in den USA die Rolle der Bibliotheken beim electronic publishing hervor. Durch den virtuellen Zusammenschluss von Bibliotheken seien elektronische Informationsressourcen nicht nur besser zu handeln, sondern auch ortsunabhängig nutzbar. Vor diesem Hintergrund schilderte Christa-Rose Huthloff von der Fachhochschule Hannover die digitalen Publikationsinitiativen in Deutschland ("Electronic Dissertations in German Libraries") und erläuterte die praktischen und technischen Grundprinzipien ihrer Erfassung und Nutzung. Rafael Ball, Leiter der Zentralbibliothek der Forschungszentrum Jülich GmbH, machte in seinem Vortrag eine ganze Reihe von ungelösten Problemen beim Handling und Management von elektronischen Informationsressourcen deutlich und stellte sechs zentrale Qualitätskriterien für elektronische Informationen vor ("Handling and Quality of Electronic Library Services").
Im Krakauer Generalkonsulat der USA fand am Nachmittag dann eine Videokonferenz mit Dr. Peter Givler, Executive Director of Association of American University Presses und Dr Robert Scott, Head of the Electronic Text Services for the Columbia University statt. Eine internationale Expertengruppe diskutierte auf Krakauer Seite in dieser technisch wie inhaltlich hochklassigen Veranstaltung Fragen, Probleme und Lösungen insbesondere der Bedeutung von Universitätsverlagen zur Lösung der aktuellen Bibliothekskrisen in Europa. Als Quintessenz wurde herausgearbeitet, dass Universitätsverlage zwar die professionellen Verlage nicht ersetzen wollen und können, dass sie jedoch durchaus professionell und erfolgreich arbeiten. Auf die interessante Frage eines Teilnehmers nach der Preiskalkulation elektronischer Produkte wiesen die Spezialisten auf die gleiche Unsicherheit hin, wie sie weithin auch im kommerziellen Bereich vermutet werden: Belastbare und vernünftige Kalkulations- und Bilanzierungmodelle existieren für diese neuen Informationsressourcen offensichtlich noch nicht.
Der zweite Konferenztag mit den vier Themen-Sessions "Perspectives", "Projects", " Access" und "Standards" richtete sich durch die Wahl der Konferenzsprache Polnisch vornehmlich an das interne, aber aus ganz Polen angereiste Auditorium. Trotzdem waren die Themen breit gefächert und trotz Kürze der Beiträge auch für einen ausländischen Gast hochinteressant und kaum von den Problemen etwa in Deutschland verschieden. Zentrale Themen waren die Konsortialbildung für den Bezug elektronischer Zeitschriften, Ästhetik und Benutzerfreundlichkeit der Oberflächen von elektronischen Informationsquellen, Fragen des Missbrauchs, Diebstahls, Verlusts und des Vandalismus bei elektronischen Informationen bis hin zur Präsentation des ersten elektronischen Bulletins für bibliothekarische Mitarbeiter, herausgegeben vom Institut of Library and Information Science der Universität Wroclaw.
Alle Beiträge sind übrigens im Konferenzband der Tagung, der rechtzeitig zu Beginn der Veranstaltung zur Verfügung stand, enthalten. Leider sind nur die internationalen Beiträge englisch und polnisch abgedruckt, bei den durchaus lesenswerten polnischen Beiträgen hat man bedauerlicherweise auf eine vollständige Übersetzung verzichtet und muss sich mit dem englischen Abstract begnügen.
Auch die social events kamen nicht zu kurz und ermöglichten, wiederum in bemerkenswertem historischen Ambiente der Universität, den direkten Kontakt zu den polnischen Kollegen.
So gelang es dem Veranstalter auch diesmal, eine internationale Konferenz mit bedeutenden Themen mit einer nationalen Tagung zu kombinieren und einen fruchtbaren Austausch zwischen den Beteiligten herbeizuführen, der auch in diesem Jahr wieder konkrete gemeinsame Projekte vorweisen kann.
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Dr. Rafael Ball
Forschungszentrum Jülich Gmbh
Zentralbibliothek
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E-Mail: r.ball@fz-juelich.de