Wersig, Gernot:
Informations- und Kommunikationstechnologien

- eine Einführung in Geschichte, Grundlagen und Zusammenhänge


- Konstanz: UVK Medien, 2000. 209 S.
ISBN 3-89669-276-3. DM 38,-

In der traditionellen bibliothekarischen Ausbildung gab es ein Lehrgebiet mit der Bezeichnung "Wissenschaftskunde", das als eigenständiges Fach gelehrt wurde - wie am Institut für Bibliothekswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin - oder in andere Fächer integriert wurde (z.B. Bibliographie, Buchkunde oder Bibliothekslehre). Immer kompliziertere Zusammenhänge und Entwicklungen der Wissenschaft führten zu einer Verlagerung der Inhalte in die Fortbildung. Aber es gibt ein "Kernwissen" der Wissenschaftswissenschaft, das der Bibliothekar in der täglichen Arbeit beherrschen und anwenden sollte. Dazu gehören die Informations- und Kommunikationstechnologien, mit denen der Bibliothekar seit Bestehen von Bibliotheken gelernt hat umzugehen. Aus diesem Grund ist das Lehrbuch von Gernot Wersig eine Pflichtlektüre für jeden angehenden Bibliothekar.

Die Ausführungen des Autors gehen auf ein seit 1986 existierendes Skript zurück, das er für die 1995 eingestellte (!) Pflichtvorlesung "Informations- und Kommunikationstechnologien" im Grundstudium des Studienfaches Informationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und später für die Wahlpflichtveranstaltung "Systematik der Informations- und Kommunikationstechnik" an der gleichen Universität verwendete. Eine überarbeitete Version, "korrigiert, neu formatiert, aktualisiert" (S. 7), wird hier vorgelegt. Dem lag die Beobachtung des Autors zugrunde, dass an vielen anderen Hochschulen und Ausbildungseinrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz "in den kommunikations-, medien-, publizistikwissenschaftlichen und -praktischen Studiengängen [hier fehlen die "bibliothekswissenschaftlichen" / D.S.] die über lange Zeit wenig beachteten technischen Grundlagen eine zunehmend wichtig Rolle spielen." (S. 7) Der Autor will einen breiten Überblick geben, "der bereits in den frühen Technikstufen ansetzt, als dass er gegenwärtig wirksame Technik in allen Details darstellt. Es schien mir ganz wichtig, nicht auf das reine Funktionieren der Technik abzustellen, sondern ihre evolutionäre Komponente, die auch immer verknüpft ist mit der Entwicklung menschlicher Bedürfnisse, anzudeuten - und diese kommt häufig in den Anfängen und den Strukturen der technisch primitiven Problemlösung deutlicher zum Ausdruck als in den späten industriellen und damit auch weitgehend anonymen und in Laboren verborgenen Entwicklungsstufen. Diese Herangehensweise war in der vorhandenen Literatur fast nie anzutreffen" (S. 8). Das ist ein ausgezeichneter Ansatz, der der bibliothekarischen Methodologie sehr entgegenkommt.

Eine derartige Darstellung, so der Autor, darf sich nicht auf die technische Ebene beschränken, weil "ohnehin nach dem Riepleschen Gesetz auch die alten, analogen, technisch eigentlich überholten Technologien und Medien nicht einfach verschwinden werden, sondern sich nach funktionaler Veränderung ihre Nischen erobern werden"(S. 7). Dem Rezensenten ist allerdings kein "Rieplesches Gesetz" begegnet, der Verfasser nennt leider auch keine Quelle (1). In der wissenschaftswissenschaftlichen Literatur wird dieser Sachverhalt wie folgt erläutert (2): Die Gesetzmäßigkeiten des Wachstums, des Veraltens und der Verbreitung von Informationen führen in jeder Epoche der Entwicklung von Wissenschaft und Technik zu spezifischen Veränderungen in der menschlichen Kommunikation, aber es besteht eine Besonderheit darin, dass die bisherigen Methoden und Mittel nicht abgelöst, sondern bei Schwerpunktverlagerung von einer Gruppe von Methoden und Mitteln auf eine andere ergänzt und verändert werden. Erstes Beispiel: Das Entstehen des auf Gutenbergsche Art gedruckten Buches führte nicht dazu, dass handgeschriebene Manuskripte, Briefe und persönliche Mitteilungen zwischen den Menschen verschwanden, es änderte sich nur ihre Stellung im System der Kommunikation. Zweites Beispiel: Das Entstehen der Zeitschrift führte nicht zum Verschwinden des Buches, sondern nur zur Veränderung von dessen Funktion im System der Kommunikation. Drittes Beispiel: Das Entstehen von Firmenschriften, Patenten, Normen und anderen Kategorien von Informationsquellen hat nicht zum Verschwinden irgendeiner Kategorie vorher existierender Formen geführt, sondern immer nur zu ihrer veränderten Stellung im System der Kommunikation. Daraus ergibt sich die Frage: Warum sollte entgegen vielhundertjähriger Erfahrung das Buch durch die elektronischen Methoden und Mittel ersetzt werden? Auch hier wird nur sein Platz neu zu bestimmen sein.

Die Ausführungen von Gernot Wersig sind auf dem neuesten Stand . Sein Lehrbuch ist ein gelungener Versuch, Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Informations- und Kommunikationstechnologien in Entwicklungslinien, Definitionen und Begriffen darzustellen.

Das 1. Kapitel enthält "Vorklärungen" zu Begriffen wie Technik und Technologie, Informations- und Kommunikationstechnologien und Technikevolution einschließlich ihrer historischen Etappen im Sinne von Definitionen, ohne die die nachfolgenden Kapitel nicht verständlich wären. Das 2. Kapitel beschäftigt sich mit klassischen trägerorientierten Technologien (Druck, Fotografie, Bewegtes Bild, Schallplatte, Elektromagnetismus und Tonband), das 3. Kapitel mit klassischen Übertragungstechnologien (Telegrafie, Telefon, Funk), das 4. Kapitel mit der elektronischen Datenverarbeitung, das 5. Kapitel mit Multimedia und das 6. Kapitel mit neuen Netzen (neben dem Vorschlag zu einer Typologie der Netze und der Erläuterung von Grundbegriffen liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung der Netze, der Digitalisierung der Netze und Entwicklungstendenzen).

Den Lesern dieses sehr nützlichen Buches sollten zwei Äußerungen von Thomas L. Friedman über die Folgen moderner Kommunikationstechniken mit auf den Weg gegeben werden (3):


Anmerkungen

1. Hier handelt der Autor nach dem Dugganschen Gesetz der gelehrten Forschung: "Das wichtigste Zitat ist das, zu dem du die Quelle nicht angeben kannst. Ableitung: Die Quelle für ein nicht belegtes Zitat wird auch in der freundlichsten Rezension deiner Arbeit erscheinen." In: Bloch, Arthur: Gesammelte Gründe, warum alles schiefgeht, was nehegfeisch kann. München, 1989. S. 155. (Goldmann Taschenbuch; 10046)

2. Michajlov, A.I.: Wissenschaftliche Kommunikation und Informatik / A.I. Michajlov; A.I. Cernyj; R.S. Giljarevskij. Leipzig, 1980. S. 59-60. - Grundlagen der Wissenschaftsforschung. Berlin, 1988. S. 140-142.

3. Friedman, Thomas L.: Nur noch drin: Über die Folgen moderner Kommunikationstechniken. In: Wirtschaftswoche Nr. 7 vom 8.2.2001, S. 190.


Anschrift des Rezensenten:
Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin