Editorial

Nichts wird mehr sein, wie es einmal war!

So oder in abgewandelter Form lauteten viele Schlagzeilen der Medien nach den spektakulären und traurigen Terrorereignissen des 11. September. Umfangreiche Schutzvorkehrungen sind seitdem weltweit getroffen worden, um sensitive Bereiche wie Kernforschungsanlagen, Forschungszentren, Flugplätze, wehrtechnische Einrichtungen oder exponierte Gebäude wie Hochhäuser und Brücken besonders zu schützen. Aber Bibliotheken? Wer wird schon auf die Idee kommen, solche (friedlichen) Einrichtungen mit terroristischen Anschlägen zu überziehen? Aber gerade solche Einrichtungen, die vielleicht gar nicht wissen, nicht einmal ahnen, dass sie gefährdet sein könnten, haben es da viel schwerer, ihr Gefährdungspotenzial einzuschätzen, die Gefährdungsmöglichkeiten zu definieren und schließlich Schutzvorkehrungen zu benennen.

Exponierte Gebäude gibt es auch im Bibliotheksbereich zur Genüge: man denke an die vier Türme der neuen Bibliothèque de France in Paris, an den hohen Turm der University of Massachusetts im amerikanischen Amherst, und auch bei uns in Deutschland gibt es solche Tumrbibliotheken. Sicherlich muss man hier nicht gleich mit terroristischen Anschlägen rechnen, gegen deren Vielfalt man sich ohnehin nicht schützen kann, aber undenkbar ist heute nichts mehr!

In der heutigen Zeit und insbesondere in der Folge der erwähnten jüngsten Ereignisse scheint die allgemeine Gewaltbereitschaft, ja Brutalität, zuzunehmen und aufgestaute kriminelle Ernergie sich zu entladen. Auch Bibliotheken können davon betroffen werden, wie wir es wiederholt schon aus den USA gehört haben, wo vor allem Öffentliche Bibliotheken in Mitleidenschaft gezogen wurden. Randale, Vandalismus, Alkoholismus, Drogenhandel, physische Gewalt sogar mit Todesfolge - wie in den frühen 90er Jahren an der Cleveland oder New Orleans Public Library - sind bekannt geworden. Der Verfasser erinnert sich von seinen USA-Reisen in den 70er Jahren, damals mit Erstaunen, dass bewaffnete Polizei oder Sicherheitsbeamte an den Zugängen zahlreicher Bibliotheken postiert waren und jeden Besucher genau beobachteten. Auch die starke Zunahme von Literatur in jener Zeit über Sicherheitsfragen von Bibliotheken ist ein Ausdruck dieses Phänomens.

Diese Entwicklung wurde natürlich begünstigt durch die immer stärker gewordene Öffnung der Bibliotheken für das Publikum. Jedermann sollte freie (demokratische) Zugänglichkeit zu den Informationsmitteln gewährt werden, am besten rund um die Uhr, möglichst mit wenig Personal, sogar im Ein-Mann-Betrieb. Bei den Öffentlichen Bibliotheken galt es, diese als „Marktplatz“ zu organisieren und zu gestalten. Diese Tendenz spiegelt sich in den Bibliotheksplanungen bis in die heutige Zeit wider und ist auch bei den in dieser Ausgabe vorgestellten Bibliotheksbeispielen anzutreffen. Aber es ist doch zu überlegen, ob wir heute, nach den Ereignissen des 11.Septembers, auf diesem Weg so weiter gehen können? Der Bibliothekar muss - und das schon immer - eine Balance finden zwischen der freien Zugänglichkeit und dem Schutz des Bestandes und seiner Einrichtung. Damit ist auch das Personal gemeint, das meist auf heikle oder Konfliktsituationen überhaupt nicht vorbereitet und/oder dafür geschult ist.

Deshalb tut sich hier im Bereich des Personalmanagements, der Bibliotheksorganisation und der Bibliotheksbauplanung noch ein weites Aufgabenfeld auf, auf das uns der 11. September aufmerksam gemacht haben sollte, denn danach wird nichts mehr sein, wie es einmal war!

Ihr Dr. Rolf Fuhlrott
Chefredakteur