Bau und Funktion der neuen Bibliothekszentrale der Universität Ulm

von Siegfried Franke


1. Architektur und Bestände
2. EDV-Infrastruktur

3. Die Bibliothek - ein Lernort

4. Zukunftsentwicklungen im Bereich Volltexte, Konsortien, Online-Dienste

5. Öffentlichkeitsarbeit


Abbildung 1: Außenansicht der Bibliothekszentrale mit
Haupteingang und Verbindungssteg zur Uni-West-Schiene
Nach 36 Jahren "provisorischer" Unterbringung der Universitätsbibliothek Ulm im ehemaligen Kloster Wiblingen sowie in neun Bereichsbibliotheken an Michelsberg, Safranberg, Hochsträß und Eselsberg ist erstmals die Konzentration wesentlicher Bestände auf ein mit moderner Informationstechnologie ausgestattetes Gebäude gelungen. Seit dem 2. April 2001 steht die neue Bibliothekszentrale in der Albert-Einstein-Allee 37 bei neuen Öffnungszeiten (werktags von 8 bis 22 Uhr - in der vorlesungsfreien Zeit bis 20 Uhr - sowie samstags von 9 bis 16 Uhr) allen Nutzern offen. Die Ausleihtheke ist im Semester bis 21:30 Uhr (samstags bis 15:30 Uhr) geöffnet, die Selbstverbuchung (in Planung) ist derzeit noch nicht realisiert; Verlängerungen sind telefonisch oder per Mail möglich.

1. Architektur und Bestände

Bei einem Finanzierungsvolumen von ca. 20 Millionen DM entstand der Bau in einer relativ kurzen Zeit von 2½ Jahren. Mit einer Hauptnutzfläche von 3.900m2 ist jetzt Stellfläche geschaffen für 5.700 laufende Meter an aktuellem Literaturbestand: das entspricht einer Größenordnung von 170.000 Bänden (im Verhältnis zu 661.500 Bänden Gesamtbestand, der zum Großteil im Wiblinger Magazin verbleibt).


Abbildung 2: Haupteingang mit
Multimediaraum (gelbes Halbrund)
Die neue Bibliothekszentrale liegt am Ende der Südschiene der Universität West, an der Schnittstelle zwischen Universität Ost und West. Von außen imponiert sie in ihrer strengen geometrischen Geschlossenheit wie ein "Wissenskubus" (Abb. 1). Architektonischer Grundgedanke war es, der hochkomplexen High-Tech-Wissenschaftswelt ein "low-tech-Konzept" entgegenzusetzen: ein einfacher quadratischer Baukörper wird durch sechs Innenhöfe (je 7 x 7 Meter groß) eingeschnitten und gegliedert. Dadurch tut sich im Innern ein lichtdurchflutetes Innenraum-Kontinuum auf, das faszinierende polyperspektivische Ein- Aus- und Durchblicke in alle Richtungen gewährt und die vier Ebenen des Gebäudes miteinander verbindet. Die Naturelemente Steine - Bäume - Pflanzen - Wasser in den Innenhöfen schaffen meditative Oasen und ergeben raffinierte Spiegelungen auf den verschiedenen Ebenen.

Der Neubau ist ein Gebäude, in dem sich die Bibliothek als realer und zugleich virtueller Ort im Cyberspace materialisiert. Programmatisch wird der Haupteingang (Abb. 2) durch das im warmem Gelb gehaltene Halbrund des Multi-Media-Raumes im 1.OG dominiert. So wird sinnfällig die Portal-Funktion des Wissens in einer sich rasant wandelnden Medienwelt in Szene gesetzt.


Abbildung 3: Lichtdurchflutetes Foyer
im Eingangsbereich
Das weiträumige Foyer (Abb. 3) ist als multifunktionaler Veranstaltungsort konzipiert: es dient als kommunikativer Treffpunkt und als Ausstellungsraum. Herzstück des Eingangsbereiches der Bibliothek ist die zentrale "Information" (Abb. 4), an die der Benutzer sich persönlich oder telefonisch (in der Woche bis 18 Uhr, samstags bis 13 Uhr) mit Fragen aller Art wenden kann, dahinter befindet sich die Ausleihtheke (Abb. 5). Im Erdgeschoss sind zudem die Lehrbuchsammlung (25.000 Bände) sowie der studium-generale-Bestand lokalisiert, außerdem der Auskunftsbestand an gedruckten Fachbibliographien sowie ein Teil des Fachbestandes. Die Benutzer-Arbeitsplätze (insgesamt 160) sind der Schwerpunkt dieser Ebene, die sich über Lichthöfe und Lufträume zu einer großen zweigeschossigen Bibliothekshalle entwickelt, die einen modernen und zugleich klassisch anmutenden Lesesaalcharakter hat (Abb. 6). Im 1. Obergeschoss liegen Tageszeitungen und aktuelle Zeitschriftenhefte aus, und gebundene Zeitschriften-Jahrgänge und der weitere Block der Fachmonographien sind dort zu finden. 20 Arbeitskabinen ermöglichen hier, gruppiert um die Innenhöfe, ein ungestörtes Arbeiten, allein oder in der Kleingruppe.


Abbildung 4: Informationstheke

Abbildung 5: Ausleihtheke, im
Hintergrund die Informationstheke
Durch die Zusammenlegung der bisherigen Bereichs-Bibliotheken OE 1, OE 2, OE 4, OE 5 und 6 gelingt es nun in der Zentrale die Fachgebiete Allgemeine Naturwissenschaften, Biologie, Chemie, Physik, Informatik, Ingenieurwissenschaften unter einem Dach zu konzentrieren. Hinzu kommt noch ein großer Bestand an Medizin-Literatur: die theoretische Medizin komplett; die klinische Medizin mit den Schwerpunkten Innere Medizin, Zahnmedizin, Dermatologie, Neurologie. Das Fachgebiet Chirurgie verbleibt zunächst (bis zur Fertigstellung des Neubaus der Chirurgischen Klinik auf dem Oberen Eselsberg) in der Bereichsbibliothek Safranberg; die Fachgebiete Anästhesie, Augenheilkunde, Gynäkologie, Kinderheilkunde, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Urologie sind in der weiterbestehenden Bereichsbibliothek Michelsberg vertreten. Beide Bereichsbibliotheken wurden parallel zum Neubaubezug - infolge der Auflösung der Klinikbibliothek - teilrenoviert. Erhalten bleiben als Bereichsbibliothek außerdem die BB Helmholtzstraße (Mathematik,Wirtschaftswissenschaften) sowie die BB Hochsträß (mit den psychosozialen Fächern (Psychologie, Soziologie, Psychotherapie etc.).


Abbildung 6: Blick in den Lesebereich

Abbildung 7: OPAC-Stationen im Bereich
der Informationstheke

Fotos: Wolfram Engel
Als nächste Baumaßnahme steht in der Bibliothekszentrale der Ausbau eines Kompakt-Magazins im Untergeschoss bevor, um auf 900 m2 einen großen Zeitschriftenbestand aufnehmen zu können. Durch den kurzfristigen Einzug der Klinikbibliotheksbestände ergibt sich bis zur Fertigstellung dieses Kompakt-Magazins leider eine Dreiteilung des bisherigen Zeitschriftenbestandes der Bereichsbibliotheken. Neben den Beständen der Bibliothekszentrale befinden sich Zeitschriften vor 1980 aus den Bereichen Theoretische Medizin und Naturwissenschaften im Eselsberg-Magazin 025 (geöffnet Mo, Mi, Fr jeweils ganztags) sowie ältere Jahrgänge von Zeitschriften aller Fachgebiete im Wiblinger Magazin (W 02-Bestand).

Im projektierten zweiten Bauabschnitt der Bibliothekszentrale soll langfristig die Zahl der Arbeitsplätze (einschließlich der jetzt noch fehlenden Gruppenarbeitsräumen) wesentlich erweitert und Platz für Bestandszuwachs geschaffen werden.

2. EDV-Infrastruktur

In den vergangenen Jahren wurde die EDV der UB grundlegend modernisiert und konsequent ausgebaut. Es entstand eine weiträumig vernetzte Informationsinfrastruktur mit heute etwa 120 PCs für Mitarbeiter und Benutzer, die zentral über Server versorgt werden und Standardprogramme sowie für den bibliothekarischen Betrieb erforderliche Applikationen bereitstellen. Ein Zugang zum Internet ist selbstverständlich.

Neben dem integrierten Bibliothekssystem Horizon, das in seiner derzeitigen Ausbaustufe mit den Modulen Ausleihe, OPAC und Katalogisierung verwendet wird, schließlich aber alle traditionellen bibliothekarischen Geschäftsgänge abbilden wird, kommen verschiedene weitere EDV-gestützte Dienstleistungen hinzu, die teilweise echte Eigenentwicklungen der UB darstellen oder in Kooperation mit anderen Einrichtungen entstanden sind: der Digitale Dokumentenservice DDS (Lieferung von Aufsatzkopien auf elektronischem Weg), ein moderner, datenbankgestützter Webserver, ein CD-ROM Datenbankserver sowie der Volltextserver der Universität Ulm (VTS). Im Rahmen einer regionalen Zusammenarbeit betreibt die UB Ulm auch die Datenbanken für die Fachhochschule Ulm sowie die Pädagogische Hochschule Schwäbisch-Gmünd.

Der Bezug der neuen Bibliothekszentrale brachte nochmals eine deutliche Verbesserung der EDV-Infrastruktur. Das vom URZ konzipierte und betriebene Netzwerk entspricht dem aktuellen Stand der Technik und verfügt über einen Gigabit-Backbone. Die PCs und anderen vernetzten Endgeräte der Bibliothek können mit bis zu 100 MBit/s (Fast Ethernet) an den Backbone angeschlossen werden. Damit steht auch für die Zukunft eine ausreichend große Reserve an Bandbreite zur Verfügung, um anspruchsvolle Multimediaanwendungen (z.B. videointensive Lernsoftware) realisieren zu können. Dies setzt natürlich die Finanzierung entsprechend ausgestatteter Endgeräte voraus.

Die Herzstücke der Bibliotheks-EDV, die diversen Server, wurden während der Schließungszeit der UB umgezogen und fanden in einem mit USV und Klimatisierung ausgerüsteten Serverraum im Neubau ihr jetziges Domizil. Die Ausleih- und Informationstheken im öffentlichen Bereich wurden mit modernsten PCs und Flachbildschirmen ausgestattet. Neue und leise Quittungsdrucker ermöglichen eine noch schnellere Abwicklung von Ausleihvorgängen. Von den Benutzern wurde in der Vergangenheit immer wieder der Wunsch geäußert, von den öffentlich zugänglichen PCs auch Ausdrucke (z.B. von Rechercheergebnissen) erzeugen zu können. Diese Möglichkeit wird in nächster Zukunft durch die Aufstellung eines vernetzten Fotokopiergerätes geschaffen. Die Bezahlung der Ausdrucke erfolgt dabei entweder über ein Münzgerät oder über die üblichen universitätsinternen Kopierkarten.

Für die Benutzer stehen in der Bibliothekszentrale auf zwei Ebenen insgesamt 21 PCs für Recherchen im OPAC (Abb. 7) sowie in anderen bibliothekarischen Ressourcen via WWW zur Verfügung. Sechs dieser Geräte sind auch zur Nutzung von CD-ROM Datenbanken vorgesehen, die aus technischen oder lizenzrechtlichen Gründen nicht auf dem zentralen CD-ROM Server aufgelegt werden können.

3. Die Bibliothek - ein Lernort

Die UB Ulm ist eine Institution des neu gegründeten "Kommunikations- und Informationszentrums" der Universität Ulm und beherbergt daher neben den Arbeitsräumen für die meisten der insgesamt etwa 90 Bibliotheksmitarbeiter im 2. Obergeschoss auch ein modernes Aufnahmestudio sowie Projekträume des "Bereichs Medien" des "Kommunikations- und Informationszentrums". Durch die Zusammenführung von Bibliothekszentrale und fünf Bereichsbibliotheken ergaben sich auch Synergieeffekte, die neuen Aufgabenfeldern, die in den letzten Jahren im Bibliothekswesen an Bedeutung gewonnen haben, mehr Gewicht geben. In Zeiten zunehmender Technologisierung des Informationszugangs ist die Bibliothek nicht nur ein physischer und zugleich virtueller Lernort, sondern auch ein Ort zum Lernen-lernen.


Abbildung 8: Grundriss Erdgeschoss
Diese gewichtiger gewordenen Arbeitsgebiete der UB Information und Schulung - beides intermedial / multimedial - sind mit dem Ausbau einer Abteilung "Medienservice" auch organisatorisch gebündelt worden. Hier werden gedruckte Informationsblätter mit allen praktischen Hinweisen zur Bibliotheksnutzung erstellt, die WWW-Angebote (z.B. Elektronische Zeitschriften, Datenbanken, u.a.m.) ständig redaktionell überarbeitet und nun in verstärktem Maße Schulungsangebote konzipiert und durchgeführt. Dafür bietet der mit zeitgemäßer Präsentationstechnik versehene (auf 10 Teilnehmer ausgelegte) Schulungsraum im Erdgeschoss (Abb. 8) der Bibliothekszentrale ein angenehmes Ambiente. Darin werden sowohl Kurse für Benutzer wie auch interne Fortbildungsveranstaltungen für Mitarbeiter stattfinden; er kann zudem inneruniversitär auch von anderen Interessenten genutzt werden.

4. Zukunftsentwicklungen im Bereich Volltexte, Konsortien, Online-Dienste

Der Auftrag der Universitätsbibliothek, Wissenschaftlern und Studierenden den Zugriff auf den fachlichen Wissensstand weltweit zu ermöglichen, lässt sich nicht mehr auf herkömmlichem Weg allein bewerkstelligen: Das quälend langwierige wissenschaftliche Publikationsverfahren (bis ein Forschungsergebnis der Scientific Community in Form eines Zeitschriftenartikels zur Kenntnis gelangt, dauert es ein oder mehrere Jahre), die Informationslawine (allein schon ein Jahrgang der in der Medizindatenbank Medline aufgenommenen Zeitschriften ergäbe aufeinander geschichtet einen 250 m hohen Stapel) und die notorisch angespannte Finanzlage zwingen zu konsequenter Rationalisierung mit völlig neuen institutionellen Rahmenbedingungen.

Statt unübersichtlichem Quellenmosaik bieten Wissensportale ein überschaubares Service-Angebot:

All diese Komponenten sollen letztlich zu einer leistungsfähigen virtuellen Bibliothek zusammengeführt werden, deren Ulmer Knoten die Universitätsbibliothek ist.

5. Öffentlichkeitsarbeit

Führungen

Um den Benutzern der Bibliothek das neue Haus und seine Einrichtungen möglichst schnell bekannt zu machen, werden jeden Mittwoch 45minütige Führungen - "Einführung in die Bibliotheksbenutzung" - angeboten. Auf Wunsch werden auch Architekturführungen sowie Führungen für spezielle Interessentengruppen durchgeführt (Anfrage an der Infotheke).

Einweihung

Nachdem das Haus bereits im April für das Publikum geöffnet werden konnte, wurde am 6. September 2001 der neue Bibliotheksbau in einem Festakt förmlich übergeben, wobei nicht nur der Dank, sondern auch der Wunsch nach einer schnellen Realisierung des 2. Bau-abschnitts zum Ausdruck gebracht wurde. Interessenten können die CD (http://UniversiTV.uni-ulm.de) oder die Publikation anfordern, die anlässlich dieser Veranstaltung entstanden ist:

"Universität Ulm: Neubau Bibliothek".
Ein Projekt der Staatlichen Vermögens- und Hoch-bauverwaltung Baden-Württemberg.
Hrsg. Vom Finanzministerium Baden-Württemberg. Ulm 2001, 40 S.

Über den Newsletter der Bibliothek sowie die Bibliotheks-Homepage http://www.bibliothek.uni-ulm.de können weitere Informationen und Neuigkeiten abgerufen werden.


Zum Autor:

Siegfried Franke ist Direktor der

Universitätsbibliothek Ulm
Albert-Einstein-Allee 37
D-89081 Ulm
E-Mail: siegfried.franke@bibliothek.uni-ulm.de