Retrokonversion per Funk - UB Mainz geht technisch neue Wege

von Martina Jantz

1. Vorbemerkung

Im August 2001 hat die UB Mainz das Retrokonversionsprojekt Philosophicum gestartet. Ziel des ehrgeizigen Projekts ist es, den Gesamtbestand von 17 dezentralen geisteswissenschaftlichen Bibliotheken in den Online-Katalog der UB einzubringen und so die alten Zettelkataloge überflüssig zu machen. Veranschlagt ist eine Projektlaufzeit von fünf Jahren.

2. Rahmenbedingungen

Ein Großteil der Mainzer Geisteswissenschaften ist mitsamt den dazugehörigen dezentralen Bibliotheken im Gebäudekomplex Philosophicum auf dem Campus der Universität Mainz untergebracht. Das Philosophicum wurde in den 60er Jahren errichtet, ist inzwischen aber viel zu klein für die in Mainz traditionell starken Geisteswissenschaften. Zahlreiche Institute mussten deshalb in umliegende Gebäude ausweichen oder sogar, wie etwa das Institut für Vor- und Frühgeschichte, an weiter entfernten Standorten untergebracht werden. Das Philosophicum selbst stellt durch seine extreme räumliche Zersplitterung eine ständige Herausforderung für jedes Bemühen um Verbesserung seiner Infrastruktur dar.

Zersplitterung auf der einen, beengte Verhältnisse auf der anderen Seite kennzeichnen auch die Lage der im Philosophicum angesiedelten 17 dezentralen Fachbereichs(teil)bibliotheken aus fünf Fachbereichen. Die Bibliotheken sind auf ein Vordergebäude sowie einen rückwärtigen Gebäudeteil mit vier Quer- und zwei Längsflügeln verteilt und erstrecken sich inklusive aller Ausweichquartiere über insgesamt fünf Etagen. Die dazugehörigen BibliotheksmitarbeiterInnen haben ihre Arbeitsräume teils innerhalb, teils außerhalb der von ihnen betreuten Bibliotheken, in einem Fall sogar in einem anderen Gebäudekomplex des Campus.

3. Größenordnung

Die 17 Bibliotheken des Philosophicums enthalten einen geschätzten Bestand von ca. 600.000 Bänden, von denen erst etwa 25% im Online-Katalog der UB Mainz nachgewiesen sind. Das Retrokonversionsprojekt Philosophicum steht damit vor der Aufgabe, ca. 450.000 Bände zum Teil hochspezieller Literatur zu bearbeiten, die seit der Wiedereröffnung der Universität Mainz 1946 angeschafft wurden.

4. Katalogsituation

Die Katalogsituation im Mainzer Philosophicum ist typisch für den dezentralen Bereich zweischichtiger Bibliothekssysteme. Während einige große, leistungsstarke Institute bereits seit vielen Jahren von bibliothekarischem Fachpersonal betreut werden und wenigstens für die seitherigen Neuerwerbungen entsprechend gut geführte Zettelkataloge haben, gibt es auch heute noch mehrere Institute ohne jegliches bibliothekarisches Fachpersonal, in denen lediglich angelernte Hilfskräfte Katalogisate erstellen. Da eine derartige Konstellation früher auch in den heute besser versorgten Instituten die Regel war, ist die Nachweissituation selbst in deren Katalogen durch ein großes Qualitätsgefälle gekennzeichnet.

Trotz dieser Ausgangslage stand die Konzeption des Retrokonversionsprojekts Philosophicum von Anfang an unter der Prämisse, dass nicht retrokatalogisiert, sondern retrokonvertiert werden wird. Projektleitung und BibliotheksmitarbeiterInnen waren sich einig, dass die Standortkataloge in der Regel noch die beste Datengrundlage für eine Retrokonversion bieten würden. Zugleich erschien es sinnvoll, das Projekt so standortnah wie möglich zu organisieren, um bei problematischen Vorlagen den direkten Zugriff auf den Bestand zu erleichtern.

5. Technik

Unter diesen Rahmenbedingungen war es undenkbar, das Retrokonversionsprojekt Philosophicum auf der Basis von konventionellen EDV-Arbeitsplätzen mit ihrem relativ großen Platzbedarf und ihrer geringen Flexibilität zu planen. Um den strukturellen Problemen des Philosophicums gerecht zu werden, sind statt dessen größtmögliche Mobilität der ProjektmitarbeiterInnen und weitgehende Flexibilität des Arbeitseinsatzes erforderlich. Diese Anforderungen lassen sich am Ehesten durch den Einsatz von mobilen Endgeräten erfüllen.

Eine große Zahl mobiler Endgeräte auf konventionelle Weise mit einem Online-Zugriff auf die Produktionsdatenbank von Hebis-PICA auszustatten, kam allerdings von vornherein nicht in Frage. Die Netzinfrastruktur des Philosophicums war bereits bisher der Beanspruchung durch die EDV-Arbeitsplätze der BibliotheksmitarbeiterInnen und des Lehrkörpers sowie durch die Benutzerarbeitsplätze in den Bibliotheken mit Zugriff auf den Online-Katalog der UB nicht hinreichend gewachsen. Die Neuverkabelung des Gebäudekomplexes war zwar beabsichtigt; ihr vorgesehener Beginn und erst recht ihr wahrscheinlicher Abschluss lagen jedoch jenseits des für das Retrokonversionsprojekt Philosophicum geplanten Starttermins.

Verhandlungen mit dem Zentrum für Datenverarbeitung der Universität Mainz führten schließlich zu einem Vertragsabschluss, der als Übergangslösung bis zur Beendigung der Neuverkabelung des Gebäudes die Errichtung von zunächst drei, später weiteren vier Funkstationen vorsieht. Über diese access points greifen die mit Funkkarten ausgestatteten mobilen Endgeräte auf das Universitätsnetz zu. Das Zentrum für Datenverarbeitung übernimmt darüber hinaus die Grundinstallation der Geräte, spielt über Funk Makros und Updates auf und gewährleistet die technische Betreuung.

Eine eigens für das Projekt geschaffene Startseite stellt den Online-Zugriff der ProjektmitarbeiterInnen auf die Produktionsdatenbank sicher. Diese Startseite eröffnet ihnen gleichzeitig verschiedene Möglichkeiten der Übernahme von Fremddaten. Im Unterschied zu den regulären MitarbeiterInnen der Katalogisierungsabteilung und zu den bibliothekarischen ProjektmitarbeiterInnen melden sich die studentischen ProjektmitarbeiterInnen aber über eine Zugangskennung mit nur eingeschränkter Berechtigung an. Aus Sicherheitsgründen läuft die Anmeldeprozedur zudem für sie unsichtbar im Hintergrund ab.

6. Personelle Ausstattung

Angesichts des im Philosophicum vertretenen Fächerspektrums und der noch immer relativ schlechten Nachweissituation für hochspezielle geisteswissenschaftliche Literatur im Hebis-PICA-Verbund konnte die Projektplanung einen Fremddatenanteil von allenfalls 60% zugrunde legen. Weitere 20% des zu bearbeitenden Bestandes wurden als leichte, die restlichen 20% als komplexe Titelaufnahmen eingeschätzt. Erfahrungswerte im Hinblick auf Katalogisierungsleistung einerseits, eine vorgesehene Projektlaufzeit von fünf Jahren andererseits ergaben eine Stellenplanung mit insgesamt 9,75 zusätzlichen befristeten Projektstellen.

6,0 Stellen oder 231 WST wurden für studentische Projektkräfte (BAT VIII) vorgesehen, die für die angenommenen 60% Fremddaten Lokaldatensätze erzeugen sollen. Die studentischen ProjektmitarbeiterInnen wurden zu Projektbeginn in einer dreiwöchigen Schulung in RAK-wB und Hebis-PICA auf ihre Aufgabe vorbereitet. Derzeit sind 223 WST an 22 Studierende vergeben, wobei seit Projektbeginn im August ständig eine gewisse, wohl auch unvermeidliche Fluktuation herrscht. 1,5 Stellen wurden für Fachkräfte des mittleren Bibliotheksdienstes bzw. Bibliotheksassistenten (BAT Vc) eingerichtet, die die 20% einfachen Titelaufnahmen erstellen werden. Weitere 2,0 Stellen sind für Diplom-BibliothekarInnen eingeplant. Sie werden als Ersatzkräfte die im Philosophicum bereits vorhandenen Diplomkräfte von ihren Routineaufgaben entlasten, damit diese ihrerseits die angenommenen 20% komplexen Titelaufnahmen erstellen können. Zusätzlich wurde eine Betreuungsstelle (0,25 BAT VIb) für die studentischen ProjektmitarbeiterInnen geschaffen; diese Projektmitarbeiterin wird als erste Anlaufstelle bei Hard- und Softwareproblemen Hilfestellung leisten. Alle Fachkräfte stehen darüber hinaus den studentischen ProjektmitarbeiterInnen als Ansprechpartner zur Verfügung.

7. Finanzierung

Das Projekt wird zu einem Großteil aus zentralen Mitteln der Universität finanziert, zu denen ein nicht unerheblicher Eigenanteil der Universitätsbibliothek hinzukommt. Die Projektleitung liegt bei der Universitätsbibliothek.

8. Projektbeginn

Begonnen wurde das Projekt mit den Beständen der Bibliothek des Deutschen Instituts, des Englischen und des Historischen Seminars. Nach und nach werden weitere 13 Bibliotheken des Philosophicums sowie die Bibliothek des Instituts für Vor- und Frühgeschichte, das in der Mainzer Schillerstraße untergebracht ist, in das Projekt einbezogen werden.

9. Schlussbemerkung

Die UB Mainz hat sich für die Retrokonversion der Zettelkataloge im Philosophicum für ein Verfahren entschieden, das ganz auf die intellektuelle Bearbeitung und wenigstens teilweise auf den Einsatz von Fachpersonal setzt. In Zeiten, in denen andernorts in großem Stil gescannt, also einem maschinellen Verfahren der Vorzug gegeben wird, muss eine derartige Entscheidung zumindest den Geldgebern gegenüber gerechtfertigt werden. Für den in Mainz gewählten Weg gibt es allerdings mehrere gute Gründe. Zunächst die Uneinheitlichkeit und die schlechte Qualität des Ausgangsmaterials, die bei Einsatz von Scanverfahren entweder ein stark fehlerhaftes Produkt zur Folge gehabt oder aber eine aufwendige intellektuelle Nachbearbeitung erforderlich gemacht hätte. Hinzu kommt die Absicht, den Benutzern den Gesamtbestand in nur einem, qualitativ möglichst einheitlichen und möglichst hochwertigen Katalog anzubieten, der bequem über eine einzige Recherchemaske abgefragt werden kann. Diese Bibliothekspolitik hat sich in Mainz vielfach bewährt.

Vor allem aber ist es unser Ziel, einen auch in Zukunft bearbeitbaren Katalog zu erzeugen, der nicht lediglich eine Festschreibung der derzeit bestehenden Verhältnisse vornimmt. In Mainz steht in naher Zukunft eine Fachbereichsneuordnung an; bisherige Zuordnungen werden dadurch und sicherlich auch künftig in Frage gestellt. Angesichts der beengten räumlichen Verhältnisse im Philosophicum bei gleichzeitigem stetigem Bestandszuwachs ist zudem absehbar, dass Auslagerungen von seltener genutzten Beständen bald unvermeidbar sein werden.


Zur Autorin:

Dr. Martina Jantz leitet das Retroprojekt Philosophicum. Sie ist Koordinatorin der dezentralen geisteswissenschaftlichen Bibliotheken, Koordinatorin für Öffentlichkeitsarbeit und Fachreferentin an der

Universitätsbibliothek Mainz
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