Ausflug ins Netz der Zukunft
Das Evernet wird eine neue Dimension in die Kommunikation bringen

von Vera Münch

Weit in die Zukunft blickten die rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 8.AIK-Symposiums "Evernet - das Netz der Zukunft" Mitte Oktober an der Universität Karlsruhe. Der veranstaltende Verein Angewandte Informatik Karlsruhe e.V. (AIK) hatte das futuristische Thema gewählt, um damit den dreißigstn Geburtstag des Institutes für Angewandte Informatik und formale Beschreibungsverfahren (AIFB) der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften gebührend zu feiern.

Ideen gibt es viele für neue Dienste, Dienstleistungen und Anwendungsgeräte des "Immer-da, immer-drin"-Netzes der Zukunft; fantastische, fantasievolle und auch durchaus realistische. "Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorauszusagen, sondern darauf, auf die Zukunft vorbereitet zu sein". Mit diesem Zitat von Perikles (500 bis 429 v.Chr.) brachte Wolfgang Noszek, Bereichsleiter Strategie, Innovationsziele und Innovationsreporting bei der Deutschen Telekom AG, auf den Punkt, worum es den zehn Referenten und rund 150 Zuhörern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ging. Gemeinsam beschäftigten sie sich mit Visionen, Strategien, Planungen und Gefahren des Evernet, jenes imaginären Netzes, das nach Ansicht der Fachleute in absehbarer Zukunft die Menschheit als eine Art "AdHoc-Mobilnetz" permanent begleiten wird.

Sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, als auch Strategieplaner und Entwickler aus der Wirtschaft und der Politik beschäftigen sich schon seit geraumer Zeit mit den Fragen, die das Evernet in Bezug auf Technik und Gesellschaft aufwirft. Die Politik arbeite, erklärte Jörg Tauss (SPD) in Karlsruhe, an Vorgaben, die dazu beitragen sollen, dem Netz einen für alle Teile der Gesellschaft akzeptablen Rahmen zu geben. Der Bundestagsabgeordnete wies darauf hin, dass es notwendig sei, "e-Recht und e-Demokratie aktiv zu entwickeln" und das man in diesem Zusammenhang "intensiv über ein Informationsfreiheitsgesetz nachdenken müsse".

Die Deutsche Telekom geht nach Aussage von Wolfgang Noszek davon aus, dass im Jahr 2010 "Informationen und daran gekoppelte Dienste den Menschen überall, zu jeder Zeit, in einer einfachen, situationsangepassten, personifizierten Form angeboten werden". Die Infrastruktur stellt sie sich folgendermaßen vor: Zentrum werde ein rein optisches Kernnetz sein, das die Teilnetze und Endgeräte des Evernet - beim Symposium dem Publikum als "Eversets" vorgestellt - versorgt. Was diese Eversets betrifft, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. In der Telekom-Musterfamilie des Jahres 2010 liest der "TQ"-Roboter den Sprösslingen Gute-Nacht-Geschichten vor oder holt für sie auf Zuruf den Lieblingsfilm aus dem Netz. Das "T-Home-Pad" liefert dem Familienoberhaupt morgens persönliche und allgemeine Nachrichten im praktischen Mix auf den Frühstückstisch und auf dem Weg zur Arbeit checkt und bestätigt das Auto die Termine für den vielbeschäftigten Manager. Müge Klein und Daniel Sommer, beide wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut AIFB, reduzierten die Nutzung der mobilen Evernet-Dienste in ihrem Einführungsvortrag auf ein ultimatives "Everset", das der Evernetbewohner als All-in-One-Endgerät immer bei sich trägt. Es ähnelte einem Handy. Professor Dr. Dr. Hermann Maurer, kreativer, hochkompetenter Visionär der Informatik-Fachwelt, setzte dem noch eins drauf: Sein Everset der Zukunft ist eine ganz normal aussehende Brille mit durchsichtigem Glas, in die Mikrofon, Bildprojektion und Stereoton integriert sind. Er konnte davon sogar schon ein Bild zeigen: Die Studie des "Integrated Eyeglass Display Prototype" der Firma Micro Optical Corp.

Mit der Technik ist man auf dem Weg zur bedarfsgesteuerten, spontanen Vernetzung schon ein großes Stück weiter als mit der Beantwortung der daraus resultierenden, gesellschaftlichen Fragen. "Die Vorstellungen der Anwender werden in die Überlegungen zum Evernet derzeit noch viel zu wenig einbezogen", mahnte Professor Dr. Wolffried Stucky, Sprecher der kollegialen Institutsleitung des Institutes AIFB. Es sei ausgesprochen fraglich, so Stucky, ob es gesellschaftsverträglich sei und Sinn mache, sich durch ständige Anwesenheit im Netz einer totalen Überwachung auszuliefern oder gar einen TQ als Babysitter zu engagieren. "Für mich steht fest", so der Informatikprofessor, "dass die Entscheidung über das An- und Ausschalten - die An- oder Abwesenheit im Evernet - beim Anwender verbleiben muss. Man muss freiwillig entscheiden können, inwieweit man das Netz gewinnbringend nutzt oder es als gerade störend abschalten möchte". Die Technik müsse dem Menschen dienen, nicht umgekehrt.

In weiteren Vorträgen gingen die Referenten dann auf aktuelle Informatik-Entwicklungsfragen im Hinblick auf das Evernet ein. Die Informatik fasst diese unter dem Fachbegriff "Ubiquitous Computing" zusammen. Dabei ging es um die Organisation von Datenflüssen im Evernet, um Strategien für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und um konkrete Entwicklungsaufgaben für die Informatik. Im Bezug auf die Datenlogistik - die Fragen, welche Daten man wo speichern und wie für die Anwender wieder verfügbar machen wird - sagte Professor Dr. Andreas Oberweis von der Universität Frankfurt, das Problem würde in der Fachwelt untersucht und diskutiert, eine Lösung sei jedoch noch nicht gefunden. Die zentralisierte Datenhaltung stünde einer dezentralisierten Datenhaltung gegenüber. In einem Ausblick zeichnete Oberweis das Gedankenmodell einer unternehmensübergreifenden Datenlogistik auf Basis semistrukturierter, verteilter Datenbanken, die durch den Einsatz von Business-Prozess-Engineering-Verfahren Informationsqualität, technische Zuverlässigkeit und Nutzbarkeit kombinieren.

Die Vorträge sind, soweit sie von den Referenten bereitgestellt wurden, auf der Homepage des Vereins AIK einzusehen.

Nach dem Ausflug in die ferne Zukunft des Evernet wird das nächste, das 9. AIK-Symposium unter dem Titel "Semantic Web: Die nächste Generation des Internet" wieder etwas zeitnäher die Aufgabenstellungen der aktuellen Weiterentwicklung des Informations- und Wissensmanagements im Internet beleuchten. Es ist für 19. April 2002 in Karlsruhe geplant.

www.aifb.uni-karlsruhe.de
www.aifb.uni-karlsruhe.de/AIK


Zur Autorin

Vera Münch ist selbstständige Journalistin und PR-Beraterin mit Schwerpunkt Informations- und Kommunikationstechnologie

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