OmniCard 2002 - Der Chipkarten-Kongress in Berlin

von Clemens Deider

Zum 9. Mal traf sich die internationale Chipkartenwelt auf der OmniCard 2002 im Hotel Esplanad in Berlin. OmniCard ist eine hervorragende Kontaktbörse der Chipkartenbranche. Hier treffen sich Banken, Kreditinstitute, Ministerien, Systemhäuser, Trustzentren, Verwaltungen, sowie Chipkartenhersteller und -lieferanten. Sowohl im Programm als auch in der Teilnehmerliste sind sie alle aufgeführt; knapp unter 550 Personen nahmen teil, wie der Veranstalter Mathias Fluhr von inTIMEberlin während des Kongresses bekannt gab. Programm, Teilnehmerliste mit den Lebensläufen der Referenten, Ausstellerverzeichnis und eine ausführliche Dokumentation ergaben bzw. ergeben eine gute Basis für den Marktplatz der Meinungen, des Erfahrungsaustausches und der Visionen über die Zukunft der Chipkartenwelt. Das Programm der drei Tage bestritten 48 Referenten auf 13 thematischen Foren, die jeweils durch erholsame Pausen zum gegenseitigen Gedankenaustausch und persönlichen Kennenlernen unterbrochen wurden.

Das Forum "Eine vernetzte Welt und die Chipkarte" hob die Vorreiterrolle der Industrie als erste Anwender deutlich hervor. Nach dem diese gezeigt hat, dass die Chipkarte als elektronischer Ausweis, als Sicherheits-Token und als Zahlungsmittel eingesetzt werden kann, wendet sich nun offensichtlich die Verwaltung verstärkt dieser Technologie zu. Doch der Einsatz der Chipkarte fordert auf allen Ebenen erhebliche Koordinationsbereitschaft, um Interoperabilität und Akzeptanz sicherzustellen. Das geht hin bis zu der Forderung nach internationalen Vereinbarungen z.B. bei einem chipkartengestützten Ausweissystem im europäischen Länderverbund der EU. Im Bibliothekswesen wurde eine 1978 geschaffene u.a. mögliche Koordinationstelle, die sich dieses Problems hätte annehmen können, liquidiert, statt diese Einrichtung zu aktualisieren und den Anforderungen der Zeit flexibel anzupassen.

Beim "Banking" waren es die Finanz-Chipkarten, deren wesentliche Vorzüge bezüglich der Personalisierung, Sicherheit, Anwendungsbreite neben der Bequemlichkeit gegenüber der Magnetstreifenkarte hervorgehoben wurden. Deutlich wurde der Trend der Finanz-Chipkarte, hier der Geldkarte, zur Multiapplikation. Dazu zählen u.a. die Fähigkeiten der Zahlungsfunktion, die sie bald mit dem Handy teilen wird, der elektronischen Signatur, der PKI (Public Key Infrastructure)-Anwendungen. So führte der Zentrale Kreditkartenausschuss (ZKA) ein neues Chipkarten-Betriebssystem "SECCOS" (Secure Chip Card Operating System) ein, das diesen neuen Möglichkeiten der digitalen Signatur sowie weiteren Zusatzanwendungen geöffnet werden soll. Also Themen, die für Bibliotheken mit dem Blick auf das Internet ebenfalls von Interesse sein dürften. Anzumerken ist in dem Zusammenhang, dass die ec-Karte diese Zahlungsfunktion als elektronische Geldbörse schon beinhalten soll.

Das Forum "Biometrie" beschäftigte sich anschließend und somit folgerichtig mit der Frage der Sicherheit in einer vornehmlich recht kontrovers geführten Diskussion um den digitalen Fingerabdruck; B.I.T.online berichtete in vorangegangenen Ausgaben darüber. Diese Diskussion scheint aber noch nicht so recht abgeschlossen zu sein. Dabei stellt sich hier die Frage des Anspruchs an den für die Anwendung erforderlichen Grad der Sicherheit und so an die Verwendung der entsprechenden biometrischen Instrumente. In der dem Kongress angeschlossenen Ausstellung zeigten Firmen unterschiedliche "Fingerprint"-Erkennungsgeräte, die der Sicherheit bzw. Bequemlichkeit des Benutzers recht entgegenkommen. Auch in den Bibliotheken könnte die Chipkarte mit der "Fingerprint"-Identifikation (Abb. 1) das Leben von Benutzer und Bibliothekar erleichtern.

Das "E-Voting"-Forum bildete den sachlichen Abschluss des ersten Kongresstages, Online-Wahl via Internet - e-voting - statt Briefwahl. Professor Otten von der Universität Osnabrück wies darauf hin, dass Briefwahl, in der Schweiz besser als Korrespondenzwahl bezeichnet, eklatante Fälschungsmöglichkeiten bietet und so als verfassungswidrig eingestuft werden sollte. Internet biete u.a. höhere Sicherheit bei größerer Mobilität, wobei aber auf eigene Wahllokale nicht verzichtet werden sollte; für Bibliotheken ein Ansatzpunkt, sich mit ihrem technischen Equipment als Wahllokal anzubieten. Das von dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderte Online-Wahl-System "i-vote" der Universität Osnabrück hat in Testläufen bei Sozialwahlen der Technikerkrankenkasse 1999 und bei Personalratswahlen des Statistischen Landesamtes Brandenburg im Juni 2000, sowie bei der rechtsgültigen Wahl zum Studierendenparlament der Universität Osnabrück im Juni 2000 gezeigt, dass für Wahlen im Internet, also dem "e-voting", alle technischen Elemente verfügbar sind. Auch in Esslingen am Nekar wurde am 12. Juli 2001 der 3. Jugendgemeinderat in einer Präsenswahl ermittelt, u.a. in der Diskothek Nad. Das elektronische Verfahren erlaubte dort eine sofortige Auswertung per Knopfdruck; nachzulesen im 7. Vierteljahresbericht des Projektes Mediakomm Esslingen, ebenso in der OmniCard-Dokumentation ab Seite 152 folgende. Beide wurden auf dem Kongress verteilt.

Eine Aktion des Veranstalters von OmniCard, Mathias Fluhr von inTIMEberlin, gab den Teilnehmer/innen mit einer eigenen, personalisierten Chip-Wahlkarte (Abb. 2) die Gelegenheit, eine solche Abstimmung selbst nachzuvollziehen. Sie wurde mit breiter Unterstützung durch die ivl GmbH, der Deutschen Telekom AG, des bremer-online-service vom Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik (LDS) Brandenburg durchgeführt; umter "Wählen im Internet" (http://www.brandenburg.de/evoting) in dem Magazin (1/2001) des Landesbetriebes nachzulesen.

Im ersten Forum des folgenden Tages, "E-Commerce", wurde die Frage nach dem elektronischen Euro/¤ gestellt, also den europaweiten elektronischen Bezahlungsmöglichkeiten. Zwar ist die Kreditkarte seit langem bekannt, doch ihre vielfältigen, nicht immer positiven Möglichkeiten sorgen leider noch für Verwirrung. Erwerbungsabteilungen der Bibliotheken dürften an einem "elektronischen" Euro interessiert sein, besonders bei dem Zeitschriftenerwerb.

Mit etwas störender Hintergrundmusik führte Rita Viljanen (Finnland) im siebenten Forum ihre Zuhörer mit der Beschreibung des digitalen Personalausweises in das E-Government ein. Seit Dezember 1999 kann in Finnland der Smartcard-Ausweis von jedem der 5,2 Mio Finnen beantragt und an jeder Polizeidienststelle abgeholt werden. Über ein Lesegerät am heimischen PC, am Arbeitsplatz oder über das öffentliche Terminal in einer Bibliothek kann der Ausweis zur Identifikation gegenüber den Behörden genutzt werden. Ab Herbst 2001 soll u.a. auch ein Bibliotheksausweis via Internet beantragt werden können. Mit der FINEID (Finish electronic Identification) Card will man eine Vielzahl von Karten, die der Bürger heute noch mit sich herumträgt, ersetzen. Für die Bundesrepublik Deutschland legte Andreas Gördeler vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die Strategie des BMWi. im E-Government offen:

Hier gab es Ansatzpunkte für Fragen und Vorschläge der Bibliothekare, um Bibliotheken in die Überlegungen des Bundes besser einzubinden, ähnlich der finnischen FINEIDCard. Die Niederlande, so Michel Bouten, wollen im Jahr 2002 25% aller öffentlichen Serviceleistungen elektronisch zur Verfügung stellen und bis 2006 die restlichen 75% (Government portalsite).

Bei dem folgenden Thema "Transport" ging es ausschließlich um das elektronische Zahlungs- und Fahrgeldmanagementsystem im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) der Verkehrsbetriebe von Paris, Hongkong und Köln. Auch hier stand im Mittelpunkt zwischen Technik, Kundenanforderung/-Schnittstelle, Wirtschaftlichkeit, Geschäftsmodellen und so in der Gesamtschau mit Europa die Forderung nach der europäischen Standardieserung. Der Berichterstatter vermisste in diesem Forum den Gütertransport, da die berührungslose Chipkarte als Stückgutbegleiter dem Transpondereinsatz nicht unähnlich sein dürfte, daher also gut zu OmniCard gepasst hätte. Logistische Prozesse können mit Hilfe der Transpondertechnologie weitgehend verbessert und beschleunigt werden. Sei es im Geschäftsgang und in der Bestandsverwaltung der Bibliothek, im Büro einer Rechtsanwaltsocietät bei der Einzelidentifikation von gestapelten Büchern oder Akten, sei es im Lenken bzw. Verfolgen der Transportströme bibliothekarischer Medien zwischen den Bibliotheken auf regionaler, überregionaler Ebene. Vielleicht stellt sich auf der nächsten OmniCard 2003 in Berlin die Transponder-Card als logistisches Hilfsmittel in Verwaltung, Transport und Verkehr vor.

Im Abschnitt "Gesundheitswesen" ging es in der Hauptsache um den Krankenschein, die neue Versicherungskarte, das elektronische Rezept und den elektronischen Gesundheitspass in Gestalt der Chipkarte als Datenträger und Kommunikationsschnittstelle. Von dem Einsatzgebiet her gesehen schien es dort wenig Gemeinsames mit Bibliotheken zu geben; doch unter dem Blickwinkel der Datenbehandlung, der Nutzer-/Benutzerreaktionen bzw. deren Betreuung schien sich manch menschlich Gemeinsames zu zeigen.

Sicherheit/Security, eine Kernfrage der Vernetzung im Internet und des elektronischen Handels, wird zur Lebensfrage des ganzen elektronischen Systems, für alle Unternehmen im elektronischen Wirtschaftsleben. Hier stellt sich die Frage, welche Perspektiven eröffnet der Einsatz der Chipkarten- und verwandten Technologien, um Missbrauch zu reduzieren und Sicherheit zu realisieren. Referenten des Bundesministeriums für Wirtschaft, des Bundeskriminalamtes, des debis Systemhauses Information Security GmbH Bonn und der Softwarefirma Faktum versuchten den Zuhörern die Möglichkeiten der Sicherung im Zahlungsverkehr bei Kredit-/Debitkarten, generell bei der Kartenzahlung, deutlich zu machen. Die Firma Faktum bot dafür ein USB-Token als Sicherheitsmedium in Gestalt eines Schlüsselanhängers an. In der anschließenden Diskussion wurde die mangelnde Zusammenarbeit der tangierten verschiedenen Bundeseinrichtungen beklagt. Da zeigte OmniCard sein integrierendes Element, wo gegenseitige Information und Absprachen eingefordert und gelobt wurden.

Auch bei dem Forum "Management Customer Relationship" wären für Bibliothekare Denkansätze bezüglich Kunden-/Benutzerbetreuung gegeben gewesen. Allerdings war auf der Teilnehmerliste keine dem Bibliothekswesen nahestehende Person auszumachen.

An allen Kongresstagen wurde der offizielle Teil mit einem Grundsatzreferat und am letzten Tag mit der Diskussionsrunde "Was verhindert die Marktdurchdringung der Chipkarte?" abgeschlossen. Am ersten Abend stellte die Staatssekretärin im BMI, Brigitte Zypries, in Vertretung des Bundesinnenministers Otto Schily, die e-Government-Initiative der Bundesverwaltung "BundOnline 2005" vor. Bis zum Jahr 2005 sollen so 376 Dienstleistungen des Bundes über das Internet erbracht werden können. Erwin Staudt, Vorsitzender der Geschäftsführung der IBM Deutschland GmbH Stuttgart beschrieb am folgenden Abend, mit launigen Worten aber großer Intensität und großem Ernst, die diffizile Situation auf dem Weg in die Informationsgesellschaft. Bei der Diskussion um die Marktdurchdringung brachte es Helmut Schmid von TeleCash auf den Punkt: "Die Marktdurchdringung der Chipkarte verhindert nichts außer der Zeit."

Fazit

Es gelang den Veranstaltern des Kongresses, viele Facetten der aktiven Chipkartenavangardisten zusammenzubringen. Neben den fachlich fundierten Referaten trugen Firmen-Aussteller (s. Verzeichnis im Kongressprogrammheft), das verteilte Informationsmaterial und nicht zuletzt die internationale Mischung der Teilnehmer zum Gelingen bei. Die nächste OmniCard 2003 findet am selben Ort vom 15. bis 17. Januar 2003 statt.

Neben der Kongressdokumentation, die 45 Euro kostet (E-Mail: office@inTIME-berlin.de), hält der Veranstalter die PowerPoint-Präsentationen der Vorträge mit Password nach dem Kongress über www.omnicard.de abrufbereit.


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Dipl.-Volksw. Clemens Deider

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