Bornhöft, Margit:
Bibliothekswissenschaft in Deutschland - eine Bestandsaufnahme


- Aachen: Verl. Mainz, 1999. 189 S.
ISBN 3-89653-532-3, DM 49,80

Margit Bornhöft hat eine ausgezeichnete Vorarbeit für eine umfassende Geschichte der Bibliothekswissenschaft in Deutschland geleistet. Sie legt eine Bestandsaufnahme zur Geschichte der Bibliothekswissenschaft in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert vor, mit allen Fortschritten und Rückschlägen, Brüchen und Verwerfungen, besonders den durch die Teilung des Landes bedingten z.T. sehr unterschiedlichen Auffassungen.

Sie hat die Veröffentlichungen, Stellungnahmen und Protokolle zu diesem Thema m.E. vollständig akribisch erfasst und exakt ausgewertet. Sie will einen "Überblick über das Für und Wider geben, dem diese Wissenschaft in Deutschland seit 1808 ausgesetzt ist." (S. 4)

Die Autorin beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung zur Mehrdeutigkeit des Begriffs Wissenschaft (Kap. 1), gefolgt von Ausführungen zur Bibliothekswissenschaft im 19. Jahrhundert (Kap. 2), zu den ersten bibliothekswissenschaftlichen Zeitschriften (Kap. 3) und zu den Anfängen der Ausbildung von Bibliothekaren (Kap. 4). Mit einem Abschnitt zum schwierigen Weg des Bibliothekswesens in das 20. Jahrhundert (Kap. 5) beginnt die Aufarbeitung des vergangenen Jahrhunderts (die Entstehung des mittleren Dienstes in Kap. 6, die Bibliothekswissenschaft bis zum Ende der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus in den Kap. 7 und 8).

Eine Zäsur stellt das Jahr 1945 dar. Der Zeit bis 2000 widmet die Autorin 50% ihrer Ausführungen (Kap. 9-28 auf den Seiten 53 bis 145): Die Entwicklung der Bibliothekswissenschaft in Ost- und Westdeutschland, u.a. mit Abschnitten über das Wesen der Informations- und Dokumentationswissenschaft (Kap. 24), die bibliothekswissenschaftliche Forschungstätigkeit am Institut für Bibliothekswissenschaft und wissenschaftliche Information sowie die Bibliothekswissenschaft nach der Wiedervereinigung bis zum Ende des 20. Jahrhunderts (Kap. 26-28).

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis, mit 38 Seiten immerhin 20% des Buches (S. 151-189), schließt die Publikation ab.

Margit Bornhöft hat nach einem chinesischen Sprichwort gehandelt, das sie dem Leser auf der Seite nach dem Titelblatt mitteilt: Wer die Vergangenheit nicht kennt, hat keine Zukunft. Sie sollte ihre Untersuchungen fortsetzen und sich auch zur Zukunft der Bibliothekswissenschaft in Deutschland äußern. Erste Ansätze zu dieser Thematik sind in Form von Programmen, Zeitschriftenaufsätzen und Beiträgen in Festschriften erschienen, z.B. in der Festschrift für Peter Vodosek (1), in einem themengebundenen Heft der Zeitschrift Bibliothek (2) und in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Fachhochschule für Bibliothekswesen Stuttgart (3).

Das Buch von Margit Bornhöft gehört als Bestandsaufnahme zu Begriff und Inhalt der Bibliothekswissenschaft in Deutschland von 1808 bis 2000 in den Bücherschrank eines jeden Bibliothekars, in den Grundbestand der bibliothekarischen Ausbildungsstätten und der großen Wissenschaftlichen und Öffentlichen Bibliotheken.

Der Rezensent möchte abschließend der Autorin und dem Leser einige Gedanken zur Weiterführung und Vertiefung der Entwicklung der Bibliothekswissenschaft von ihren Anfängen im 17. Jahrhundert bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts mitteilen. Das betrifft

  1. die stark pädagogisch geprägte Vorgeschichte der Bibliothekswissenschaft im 17. und 18. Jahrhunderts, die der Rezensent - aufbauend auf den Erfahrungen des mehrfach im Literaturverzeichnis erwähnten Hochschullehrers am Institut für Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin Othmar Feyl - untersucht hat (4),
  2. die Ansätze von Engelbert Plassmann, der zu einer komplexeren Betrachtung der Bibliotheksgeschichte auffordert, "z.B. die Entwicklungen der wichtigsten Bibliotheksträger ins Auge zu fassen und - da dies die staatlichen und kommunalen Einrichtungen sind - sich u.a. mit der Verfassungsgeschichte" zu beschäftigen (5) sowie die faszinierenden Ansätze zur Betrachtung der Bibliotheken von Nikolaus Wegmann in seinem Buch "Bücherlabyrinthe: Suchen und Finden im alexandrinischen Zeitalter"(6) mit philosophischen, ideengeschichtlichen, literaturwissenschaftlichen und bibliothekswissenschaftlichen Exkursen in die Vergangenheit;
  3. die Nutzung der Methoden der in der Aus- und Fortbildung der Bibliothekare in Deutschland vernachlässigten komparativen Bibliothekswissenschaft, um die Geschichte der Bibliothekswissenschaft in Mitteleuropa in Vergleichen darstellen zu können (erst dann kann man ermessen, welche Leistungen die Bibliothekswissenschaft in Deutschland erbracht hat) (7);
  4. die Diskussion zur Situation und zu den Perspektiven der sog. Kleinen Fächer in Deutschland, an denen sich die Bibliothekswissenschaftler offensichtlich nicht beteiligen (8).


Anmerkungen

1. Bibliothek in der Wissensgesellschaft: Festschrift für Peter Vodosek. München, 2001.

2. Bibliothek 24 (2000) 1, S. 11-62. (Inhalt: Editorial von Peter Vodosek, gefolgt von Beiträgen aus Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Schweden, Spanien und Ungarn)

3. Bibliothek - Kultur - Information. München, 1993.

4. Schmidmaier, Dieter: Die bibliothekarische Wissenschaftspädagogik im deutschsprachigen Raum - ihre Vorgeschichte, ihr Stand und ihre spezifischen Aufgaben in der DDR. Bd 1. 2. Freiberg, Diss. vom 26.2.1970. - Schmidmaier, Dieter: Die Herausbildung der bürgerlichen Bibliothekswissenschaft im 17. Und 18. Jahrhundert. In: Rostocker wissenschaftliche Manuskripte. Heft 1 (1978) S. 107-115. - Schmidmaier, Dieter: Die Entstehung der bürgerlichen Bibliothekswissenschaft. Freiberg, 1974. 135 S.

5. Bibliothekswissenschaft in Berlin / Institut für Bibliothekswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Wiesbaden, 1999. S. 87.

6. Wegmann, Nikolaus: Bücherlabyrinthe: Suchen und Finden im alexandrinischen Zeitalter. Köln, 2000. XII, 368 S.

7. Freytag, Jürgen: Nachholbedarf für Deutschland: Überlegungen zu einer Vergleichenden Bibliotheks- und Informationswissenschaft (VBIW). In: Buch und Bibliothek 53 (2001) 9, S. 582-585.

8. Nischen der Forschung?: Zur Situation und Perspektive der Kleinen Fächer in Deutschland. Mainz, 1999. 136 S.


Anschrift des Rezensenten:
Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin