von Olaf Zimmermann
Der Deutsche Kulturrat untersuchte in den letzten Jahren im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Kulturberufe in allen künstlerischen Sparten. Es wurde analysiert, inwiefern sich die Kulturberufe durch den Einsatz neuer Technologien verändern und wie Aus- und Weiterbildung auf die Veränderungen reagieren muss. Wird der Computer den Pinsel ersetzen? Wird in der Zukunft nur noch auf elektronischen Instrumenten musiziert? Werden künftig im Theater vornehmlich Videoaufnahmen von Künstlerinnen und Künstler zu sehen sein? Oder bleibt alles beim Alten? Und wie muss die Ausbildung und die Weiterbildung in den Kulturberufen aussehen?
Noch vor einigen Jahren wurde ein erhebliches Wirtschaftswachstum durch den Einsatz neuer Technologien erwartet. Neue Firmen im Schnittfeld zwischen Informatik und Kultur wurden etwa seit Mitte der 90er Jahr gegründet. Die Hoffnungsträger jener Jahre waren die so genannten "Startups". Es sind junge Unternehmen mit Ideen, wenig Kapital und hohem Arbeitseinsatz. Sie schienen die Zukunft zu präsentieren. Es bestand die Hoffnung, dass hieraus auch ein attraktiver Arbeitsmarkt für Künstler entstehen würde. Denn die weltweiten Netze erhalten ihre Bedeutung erst durch die Inhalte, die in ihnen angeboten werden. Es gab einen Bedarf an Arbeitskräften, die sowohl künstlerisch-kreative Fähigkeiten als auch Fertigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit neuen Technologien mitbringen.
Heute, im Jahr 2002, ist der erste Boom der Startups vorbei. Der so genannte Neue Markt leidet immer noch an wirtschaftlichen Einbußen und die ehemals expandierenden Unternehmen, die einen großen Hunger nach jungen Arbeitskräften hatten, entlassen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Demgegenüber steht eine immer noch wachsende Gruppe an Personen, die gerade erst ihre Ausbildung oder Weiterbildungsmaßnahmen im Umgang mit neuen Technologien absolviert hat und auf einen immer enger werdenden Arbeitsmarkt drängt. Fehlende Transparenz im Weiterbildungssektor im Bereich Neue Technologien, fehlende klare Bezeichnungen für die erworbenen Qualifikationen machen es den Ausgebildeten nicht leichter, sich auf einem härter gewordenen Markt zu platzieren.
War also die verstärkte Aus- und Weiterbildung in neuen Informations- und Kommunikationstechnologien nur ein Strohfeuer? War es nur ein kurzer Wachstumsimpuls? Geht der Internetbranche der Atem aus? Haben die so genannten traditionellen Medien gesiegt?
Alle diese Fragen können und müssen mit einem klaren und eindeutigen "Nein" beantwortet werden. Es kehrt vielmehr nach der einige Jahre vorherrschenden Internet-Euphorie nunmehr so etwas wie Ernüchterung ein. Diese Ernüchterung wird auch dazu beitragen, genau zu prüfen, wie tragfähig Aus- und Weiterbildungskonzepte mit Blick auf die Nutzung und Anwendung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sind. Es gilt also einen Schritt zurückzutreten und zu prüfen:
Die Ernüchterung, die allgemein in Hinblick auf den Nutzen und die Anwendungsmöglichkeiten neuer Informations- und Kommunikationstechnologien eingetreten ist, spiegelt sich gerade auch im Kulturbetrieb wieder.
Hier konnte man vor einigen Jahren noch eine Spaltung feststellen. Auf der einen Seite standen die Optimisten, die große Erwartungen in die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien setzten und erwarteten, der gesamte Kulturbetrieb werde sich ändern. Die Barrieren zwischen Kunstproduzenten und -konsumenten schienen eingeebnet zu werden. Die neuen Technologien ermöglichten es scheinbar jedem, ein Kunstwerk zu produzieren und zu verbreiten. Darüber hinaus wurde erwartet, dass mehr Menschen Zugang zu Kunst und Kultur erhalten und damit der Traum von "Kultur für alle" ein Stück näher rücken würde.
Die Pessimisten auf der anderen Seite sahen - salopp gesprochen - den "Untergang des Abendlandes" voraus. Sie befürchteten, dass Kenntnisse in den alten Techniken verloren gingen, dass weniger und nicht mehr Menschen sich Kunst und Kultur nähern, dass das Internet eine Sogwirkung entfaltet und so viele Zeitressourcen beansprucht, dass die so genannten traditionellen künstlerischen Ausdrucksformen und Veranstaltungsorte an Bedeutung verlieren.
Heute kann man feststellen, dass beide - Optimisten und auch Pessimisten - nicht recht hatten. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sind zu einem festen Bestandteil des Alltags geworden. Das Versenden von Informationen oder von Dokumenten per E-Mail, das Einholen von Auskünften und Informationen aus dem Internet hat längst den Reiz des Außergewöhnlichen verloren. Die neuen Technologien haben weder dazu geführt, dass die Theater und Konzertsäle leer sind. Sie haben aber auch nicht dazu beigetragen, dass jeder ein Künstler wird.
Neue Medien sind zu den alten hinzugetreten. Damit ist genau die Entwicklung eingetreten, die bereits bei der Einführung und Etablierung anderer Medien zu beobachten gewesen ist. So kam das Fernsehen zum Hörfunk hinzu. Der Hörfunk ist dadurch keineswegs obsolet geworden. Er hat vielmehr neue Funktionen im Rahmen der gesamten Mediennutzung erhalten. So wird voraussichtlich in einigen Jahren der Umgang mit dem PC und dem Internet selbstverständlich sein und Medienkompetenz sich u.a. darin erweisen, die unterschiedlichen Medien, also Buch, CD, Fernsehen, Hörfunk, Internet, jeweils so auszuwählen, dass ein möglichst hoher Nutzen für den jeweiligen Nutzer entsteht.
Mit Blick auf die künstlerische Auseinandersetzung befinden wir uns, was die neuen Medien betrifft, jedoch erst noch am Anfang einer Entwicklung, auch wenn bereits seit einigen Jahren mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien experimentiert wird. Ähnlich wie sich der Film in seinen Anfangszeiten am Theater orientierte und die Kinos als Filmtheater oder Filmpaläste einen ähnlichen Genuss wie Theater versprachen, rekurriert auch die Medienkunst noch auf Vorgefundenem und hat noch keine eigene Formensprache entwickelt. Auch die Literatur im Netz baut auf Erzählstrategien auf, die bereits seit Jahrhunderten gelten. Das gemeinsame Schreiben von Texten ist mit Hilfe neuer Informations- und Kommunikationstechnologien vielleicht technisch einfacher durchzuführen, es ist aber keine neue literarische Ausdrucksform, da es hierfür zahlreiche Vorbilder aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts gibt.
Die verschiedenen Beiträge in der Studie des Deutschen Kulturrates zeigen, dass die Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien im Kunst- und Kulturbereich sehr differenziert betrachtet werden muss. Für manche Berufsgruppen sind sie eine Erweiterung der Werkzeugpalette (z.B. Architektur, Grafik-Design), bei anderen bieten sie adäquate Aufzeichnungsmöglichkeiten (z.B. Notensatz), bei wiederum anderen unterstützen sie Lernprozesse (z.B. Musik), bei noch anderen stellen sie optimal Informationen bereit (z.B. Bibliotheken), für einige - bislang eher wenige - bieten sie neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten.
Beispiel: Berufsfeld Bibliothek
Zu den Veränderungen im Berufsfeld der Bibliothekarinnen und Bibliothekare nimmt Prof. Dr. Ute Krauß-Leichert in der Studie ausführlich Stellung. Aus dem Beitrag geht hervor, dass das Berufsbild Bibliothekar sich tiefgreifend gewandelt hat. Bis vor einigen Jahren noch unüberwindlich erscheinende Laufbahnunterscheidungen haben bei der Entwicklung des Berufsfeldes Bibliothek an Bedeutung verloren. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien sind im Bibliotheksalltag der Öffentlichen Bibliotheken ebenso selbstverständlich wie Videos, Hörbücher oder Printmedien. In Wissenschaftlichen Bibliotheken gehören elektronische Kataloge und Möglichkeiten, im Internet zu surfen, zum Standard. Der elektronische Dokumentenversand wurde in mehreren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Modellprojekten verbessert.
Im Internet zugängliche Verbundkataloge erleichtern die Online-Recherche nach Fachliteratur vom heimischen PC aus. Die Vernetzung der Bibliotheken wird von bibliothekarischer Seite vorangetrieben. Als Restriktion haben sich in den letzten Jahren bei der zunehmenden Informatisierung der Bibliotheksarbeit weniger die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als vielmehr die zur Verfügung stehenden Mittel erwiesen. Erstellung von Online-Katalogen, Erarbeitung von Verbundlösungen, Bereitstellung von Datenbanken sind nicht zum Nulltarif zu haben. Gerade die unumgänglichen Anfangsinvestitionen verringern zu Beginn nicht die Kosten sondern steigern sie. Dank Modellprojekten der Länder, des Bundes und der Europäischen Union konnte in den vergangenen Jahren einiges auf den Weg gebracht werden, Um den erreichten Standard zu halten, sind aber fortlaufende Investitionen erforderlich.
Parallel zum Wandel des Tätigkeitsbereiches "Bibliothek" fand eine Reform der Ausbildung statt. Im Dualen System wurde der Beruf der "Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste" entwickelt, der die Bibliotheksassistenten ersetzt hat. Die Fachhochschulen für Bibliothekswesen, die vornehmlich für
Kulturelle Bildung in der Wissensgesellschaft - Hrsg. von Olaf Zimmermann Bestellungen an: ConBrio Verlagsgesellschaft
|
In Bibliotheken beschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten in den vergangenen Jahren in Weiterbildungsmaßnahmen Kenntnisse mit Blick auf neue Informations- und Kommunikationstechnologien erwerben, erweitern und festigen. Entsprechende Angebote werden von den Arbeitgebern in der Regel getragen.
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des
Deutschen Kulturrates
Weberstraße 59a
D-53113 Bonn
E-Mail: post@kulturrat.de