Der Neubau der Zentralbibliothek der Ernst-Moritz-Arndt-Universität zu Greifswald

von Robert Klaus Jopp

Ende November 2001 wurde der Neubau der Zentralbibliothek der Ernst-Moritz-Arndt-Universität zu Greifswald eingeweiht. Dies geschah nach einer ungewöhnlich kurzen Planungs- und Bauzeit, noch dazu lagen die abgerechneten Baukosten um rund zehn Prozent unter den nach der HU Bau veranschlagten Kosten.

Zur Geschichte

Doch zunächst in Kürze etwas zur Geschichte der Universität und ihrer Bibliothek. Die Universität wurde 1456 von Herzog Wratislav IX. von Pommern auf Initiative des Greifswalder Bürgermeisters Heinrich Rubenow gegründet, verfiel aber während des Vordringens der Reformation in der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts und wurde erst 1558 von Herzog Philipp I. von Pommern als protestantische Hochschule wiederhergestellt. 1591 erhielt die Universität ein neues Gebäude, an dessen Stelle 1750 ein dreigeschossiger Barockbau nach einem Entwurf des Mathematikprofessors Andreas Mayer errichtet wurde. In der Mitte des Gebäudes liegt die durch zwei Geschosse reichende Bibliothek (siehe Abb. 1 und 2); der Raum wird seit 1888 als Aula genutzt. Eine neue Bleibe fand die Bibliothek in dem von dem Architekten Martin Gropius, einem Onkel von Walter Gropius, 1882 errichteten Backsteinbau (siehe Abb. 3). Der Bau beherbergte bis jetzt die Zentralbibliothek (siehe Abb. 4) und wird auch weiterhin für bestimmte alte Teile des Bestandes genutzt werden.

Brockhaus' Konversations-Lexikon von 1908 vermerkt, dass die Universitätsbibliothek 140.000 Bände, 800 Handschriften und 200 Inkunabeln zählt. Derzeit verfügt die Zentrale Universitätsbibliothek Greifswald (Zählung Ende 2000) über 1.065.513 Bände sowie 776.549 sonstige Medien und 578.238 Dissertationen; dazu kommen in 48 Fachbibliotheken weitere 915.339 Bände, 231.844 sonstige Medien und 68.420 Dissertationen. Etwa die Hälfte der Bestände ist zur Zeit im geschlossenen Magazin in Fahrregalanlagen untergebracht. Das Bibliothekssystem der Universität Greifswald versorgt heute die Studenten, deren Zahl in allerletzter Zeit bis auf 8000 angewachsen ist, sowie 250 Professoren und steht natürlich auch allen nicht zur Universität gehörenden Benutzern zur Verfügung.

Zur Planung

Nach der Wende wurde es mit der Entscheidung, Greifswald als Universität beizubehalten und mit fünf Fakultäten für 6000 Studenten auszubauen, notwendig, dafür weitere Bauten außerhalb des bisherigen Standortes, das heißt ausserhalb des alten Stadtkerns, zu errichten. Eine solche Entwicklung zeichnete sich bereits zu DDR-Zeiten ab, als auf einem Gelände östlich der Altstadt Kliniken, das Rechenzentrum und ein Arboretum angesiedelt wurden. 1995 wurde ein städtebaulicher Wettbewerb für diesen Bereich veranstaltet, in dessen Gefolge zunächst die Planung der zentralen Einrichtungen des Campus in Angriff genommen wurde, zuerst die für die Zentrale Universitätsbibliothek; bis 2003 sollen Mensa, Hörsaalgebäude und Rechenzentrum folgen. Für den Neubau der Zentralen Universitätsbibliothek wurde kein Architektenwettbewerb durchgeführt, sondern es wurde vom Finanzministerium von Mecklenburg-Vorpommern in einem europaweiten Ausschreibungsverfahren aus den Ideenentwürfen einiger Planungsbüros der Entwurf des Berliner Architektenbüros BSP Baesler Schmidt Schwacke für die Ausführung ausgewählt. Das Verfahren mag aus Sicht der Architektenschaft Anlass zu Kritik geben. Die Anmerkung der beauftragten Architekten, dass "... anders als im klassischen Wettberb ... die durch den Bauherrn gewählte Beauftragungsform und die damit verbundene Entwurfssstrategie die Gewähr ständiger Korrektur und Rückkoppelung ... die Verankerung der Formfindung in einem ganzheitlichen sozialen und kulturellen Prozess ... biete" ist nicht so recht nachvollziehbar, weil eine solche Kooperation in jeder Art von Planungsprozess selbstverständlich sein sollte. Das Ergebnis ist nichtsdestoweniger beachtlich, nicht zuletzt, weil durch dieses Verfahren die Zentrale Bibliothek schneller zu einem neuen Gebäude gekommen ist.

Der Neubau

Die Zentrale Universitätsbibliothek verfügt nun insgesamt über eine Hauptnutzfläche (HNF) von 8.651 m², die sich in 5.721 m² für die Buchstellflächen, 1.865 m² für Bibliotheksfunktionen sowie 1.065 m² für Verwaltung und Sonderbereiche aufteilt (Pläne: EG, 1. OG und Schnitt). Die Zahl der Leseplätze beträgt insgesamt 498, davon 40 in 4 Gruppenarbeitsräumen und 24 in Carrels. Ein Vortragsraum mit 90 Plätzen und ein Ausstellungsraum mit ca.140 m² ergänzen den Benutzungsbereich. (Pläne: EG, 1. OG und Schnitt)

Das Gebäude stellt sich von außen als großes rechteckiges Volumen dar (siehe Abb. 5), aus dem seitlich der Verwaltungstrakt herausgehoben ist. Weitere geplante Universitätsbauten in der unmittelbaren Umgebung werden sicherlich dieses Erscheinungsbild relativieren. Der Benutzungstrakt ist mit grün vorpatiniertem Kupferblech verkleidet; die Glaswand der Eingangshalle schafft die Verbindung zu dem Verwaltungstrakt mit seiner gelben Klinkerfassade (siehe Abb. 6 und 7).

Von dem Forum aus - dem zentralen Platz des in der Entwicklung befindlichen Hochschul-geländes - betritt der Benutzer die große Eingangshalle, von der aus klar erkennbar sich zur Linken in vier offenen Geschossen die Lesesaalbereiche und die Buchstellflächen und zur Rechten der auch im Inneren aus gelben Klinkern gebaute Verwaltungstrakt erheben. Die Eingangshalle wird von Nordosten und Südwesten sowie durch Dachoberlichter belichtet. Einige Räume des Verwaltungsbereiches, das heißt der Buchbearbeitung, haben Fenster nur zu der Eingangshalle, ohne direkten Sichtkontakt nach draußen, was in Bezug auf die Arbeitsstättenrichtlinien nicht unbedenklich erscheint. Die Akustik der Eingangshalle ist recht gut, was sie auch für musikalische Veranstaltungen, wie zum Beispiel die Eröffnungsfeier gezeigt hat, gut geeignet macht; wieweit allerdings diese gute Akustik auch den Geräuschpegel der Eingangshalle in die Lesebereiche transportiert, muss die Erfahrung im Betrieb erweisen. Garderobenschränke befinden sich - leider nur für nicht gehbehinderte Benutzer - im Untergeschoss; von dort kann man hinter einer Glaswand auch die Fahrregalanlagen des Magazins sehen. Die vertikale Erschließung der Lesesaalgeschosse erfolgt durch einen zentral angeordneten und freistehenden Personenaufzug mit Hydraulikantrieb, was die Geräuschbelästigung auf ein Minimum reduziert; die gleich daneben frei im Raum stehende Treppe in Stahlkonstruktion (siehe Abb. 8) sorgt allerdings für einen "ausgleichenden", das heißt höheren, Geräuschpegel. In den Lesesaalbereichen wurde ein textiler Bodenbelag verlegt. Auch für die in der Nähe oder auch am Rand der offenen Geschossterrassen angeordneten Leseplatzbereiche dürfte der aus der doch recht halligen Eingangshalle herrührende Geräuschpegel ein nicht unerhebliches Problem darstellen. Schwerer allerdings wiegt ein anderes Problem: Die raumlufttechnische Behandlung, mit anderen Worten: Klimatisierung, von vier offenen Geschossen in einem derart großen Raumvolumen, ist schwer beherrschbar und führt zwangsläufig zu auf die Dauer sehr unzuträglichen Zugerscheinungen insbesondere für die an den Ausleih- und Informationstheken tätigen Mitarbeiter der Bibliothek, was diese bereits nach nur wenigen Wochen seit dem Betriebsbeginn beanstanden.

Geringere Baukosten - etwa durch fehlende räumliche Abtrennung mehrerer Geschoss-ebenen - dürfen keine Rechtfertigung für gesundheitliche Beeinträchtigung der Mitarbeiter sein. Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare müssen unbedingt aufgefordert bleiben, Baumaßnahmen neben der Funktionalität im Allgemeinen auch unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter und der Benutzer zu beurteilen und entsprechenden Einfluss auf die Planer zu nehmen, wobei ein Dilemma darin besteht, dass erfahrungsgemäß nur wenige Bibliothekare in der Lage sind, im Voraus die erwähnten Nachteile zu beurteilen. In gleicher Weise obliegt es natürlich auch den Planern, bei der Entwicklung der Konzeption eines Bibliotheksgebäudes Raumakustik, Lüftung und Belichtung/Beleuchtung in Hinsicht auf bibliothekarische und Nutzungsfunktionen zu berücksichtigen. Neue Bibliotheksbauten im In- und Ausland geben hier leider oft Anlass zu Kritik!

Zur technischen Ausstattung: Die Regale im Benutzungsbereich lieferte die Firma Ronniger, die Fahrregalanlagen im Magazin lieferte die Firma Luhe-Werk Sültmann (früher Bode Panzer). Im Benutzungsbereich und im Verwaltungsbereich ist eine vorgesteuerte Sprinkler-anlage installiert. Die Bibliothek hat sich für eine Buchsicherungsanlage der Firma Sensormatic entschieden.

Der Standort bringt für das Gebäude besondere bautechnische Anforderungen mit sich. Der Grundwasserspiegel liegt normal etwa 5 m unter Geländehöhe, weshalb der unterirdische Gebäudeteil eine schwarze und weiße Wanne erforderlich machte; die Fenster an den Lichtschächten der Werkstatträume im Verwaltungstrakt mussten zudem wegen der gelegentlichen Hochwassergefahr bis in Höhe der Erdgleiche wasserdicht ausgeführt werden ("Aquarium").

Die Planung wurde im Juni 1997 begonnen, das Gebäude konnte bereits im November 2001 eingeweiht werden. Die nach der HU Bau kalkulierten Kosten von DM 50.270.000 (~ EUR 25.702.650,-) wurden in der Endabrechnung um ca. 10 % unterschritten!

Die Bibliotheksleitung, der Architekt und die zuständige Bauverwaltung äußerten sich sehr befriedigt über die gute und zügige Zusammenarbeit bei der Verwirklichung des Bibliotheksbaues. Wünschen wir, dass sich das Gebäude auch im Betrieb gut bewährt!


Literatur

Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald; Neubau 2001
Hrsg. Dr.Hans-Armin Knöppel, Direktor der UB Greifswald
Greifswald: UB Greifswald 2001


Abbildung 1: Die barocke Universitätsbibliothek Greifswald aus: J.C.Daehnert, Cat.Acad.Grypeswaldensis 4/1775, Stich von F.C.Krüger

Abbildung 2:Universitätsbibliothek Greifswald:Lesesaal im Barockbau des 18.Jahrhunderts; heute Aula der Universität

Abbildung 3: Universitätsbibliothek Greifswald: Bau von Martin Gropius 1882

Abbildung 4: Universitätsbibliothek Greifswald: Lesesaal im Gropius-Bau von 1882

Abbildung 5: Universitätsbibliothek Greifswald: Neubau 2001

Abbildung 6: Universitätsbibliothek Greifswald: Blick in die Eingangshalle und auf die offenen Galerien des Benutzungsbereichs

Abbildung 7: Universitätsbibliothek Greifswald: Blick in die Eingangshalle und auf den Verwaltungstrakt

Abbildung 8: Universitätsbibliothek Greifswald: Stahltreppe im Lesesaalbereich


Zum Autor

Robert Klaus Jopp ist Architekt und Bibliotheksbauberater

Fürstenstraße 6
D-14163 Berlin
Tel.: (030) 805 809 57