Zusammenarbeit des Goethe-Instituts mit Bibliotheken in Balkanländern
Zwei vom Stabilitätspakt für Südosteuropa ermöglichte mehrjährige Projekte

von Gudrun Krivokapic

Die Bibliotheken der Goethe-Institute in Mittel-, Ost- und Südosteuropa waren es, die in den neunziger Jahren als erste begannen, eine neue Konzeption umzusetzen, die den Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit mit Bibliotheken, bibliothekarischen Fachverbänden, aber auch Verlegern des Gastlands und auf die Vermittlung von Informationen legte. Dies hing mit der Situation in den Gastländern zusammen, deren Institutionen an Fachkontakten überaus interessiert waren und einen großen Bedarf an Informationen aus allen Bereichen hatten. Die Kooperation reichte von Plakat- und Buchausstellungen zu Leben und Werk deutscher Dichter über partnerschaftlich veranstaltete Workshops und Seminare zu Management und Marketing in Bibliotheken bis zu einer Reihe regionaler Konferenzen unter dem Generalthema "Öffentliche Bibliotheken in einem neuen Europa". Durch die Einrichtung von inzwischen bald fünfzig deutschen Lesesälen an Bibliotheken der Gastländer wurden die Goethe-Bibliotheken auch institutionell mit Bibliotheken des Gastlands verbunden und erweiterten ihren Wirkungsbereich. Die Gastbibliotheken wiederum erhielten ein attraktives Zusatzangebot für ihr Publikum, sie wurden nach Möglichkeit auch in weitere Aktivitäten des Goethe-Instituts eingebunden und gewannen einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Bibliothekswesen.

Vor diesem Hintergrund sind die beiden aus Mitteln des Stabilitätspakts finanzierten subregionalen Projekte im Bibliotheksbereich zu sehen, die seit dem Jahre 2000 in Südosteuropa durchgeführt werden und beide insgesamt vier Jahre dauern sollen. Die Bibliothekskooperation erhält mit ihnen ein neues Volumen und eine neue Bedeutung. Konzipiert wurden sie vom zuständigen Fachreferat des Goethe-Instituts, mit der Koordination wurde die Bibliothek des GI Belgrad betraut und an der Durchführung ist auch das Goethe-Institut Zagreb beteiligt. Beide Projekte dienen letzten Endes, gestützt auf je unterschiedliche Medien, demselben Ziel: der Erleichterung des Zugangs zu Informationen für ein Publikum, das vom weltumspannenden Informationsfluss im Laufe von mehr als einem Jahrzehnt immer stärker abgekoppelt worden war. Dies traf die Menschen um so härter, als sie, im Gegensatz zu den Staaten des Ostblocks, während der vorausgegangenen Jahrzehnte ungehinderten, wenn auch aus materiellen Gründen eingeschränkten Zugang zu Informationen aus aller Welt gehabt hatten.

Das erste Projekt ermöglicht den Benutzern von zunächst 12 – inzwischen 13 – Bibliotheken in regionalen Zentren von vier Ländern (Albanien, Bosnien-Herzegowina, muslimisch-kroatischer und serbischer Teil, Jugoslawien, d.h. Serbien und Montenegro, Makedonien) einen kostenlosen Internetzugang. Dazu wurden in den beteiligten Bibliotheken Internet-Stationen mit durchschnittlich 2-3 Rechnern eingerichtet, das zugehörige Mobiliar und der Internet-Anschluss wurden ebenfalls gestellt. Alle laufenden Kosten gehen während der Laufzeit des Projekts zu dessen Lasten. Eigenleistungen erbrachten die Bibliotheken im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Raumgestaltung, bei der Ausgestaltung der Einweihungsfeiern und – last not least – in ihrer kontinuierlichen und z.T. hochprofessionellen Öffentlichkeitsarbeit. Die Akzeptanz des Projekts, um nicht zu sagen die Begeisterung, ist über Erwarten groß, beim Publikum wie bei den Bibliotheken selbst. Was die kleinen Internetzentren für sie bedeuten, wird vielleicht besser verständlich, wenn man weiß, dass deren Rechner in manchen Bibliotheken die ersten und immer noch einzigen verfügbaren PCs sind und dass die Bibliotheken großenteils mit einem unvorstellbar geringen Etat wirtschaften müssen.

Beim zweiten Projekt, an dem zunächst fünf bedeutende öffentlich zugängliche Bibliotheken in Bosnien-Herzegowina und Jugoslawien – die National- und Universitätsbibliotheken beider Entitäten in Sarajevo und in Banja Luka, die Universitätsbibliothek Belgrad, die Bibliothek der ältesten serbischen Kulturinstitution, der Matica Srpska, in Novi Sad/Vojvodina, und die Stadtbibliothek in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica – beteiligt waren, geht es um eine Aufstockung des Erwerbungsetats. Jeder von ihnen standen während der bisherigen Projektlaufzeit jährlich zwischen 25.000 und 40.000 DM zur Verfügung. Davon ist ein Viertel für deutschlandbezogene Literatur auszugeben, den Rest verwenden die Bibliotheken frei nach ihren Bedürfnissen. Dieses Konzept, das zugegebenermaßen von der Goethe-Bibliothek in Belgrad angesichts der nicht zu übersehenden Überbetonung des Nationalen in den mit ihrer Identitätsfindung beschäftigten Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien zunächst recht skeptisch betrachtet wurde, hat sich nach den bisherigen Erfahrungen gut bewährt. Gerade die selbständige, nur den üblichen Qualitätskriterien verpflichtete Medienauswahl ohne Bevormundung ist ein von den Bibliotheken gern betonter Vorzug unseres Projekts. Sie fühlen sich als Partner ernst genommen und anerkannt, dadurch aber auch in die Pflicht genommen. Die Qualität der Medienerwerbungen ist unterschiedlich, insgesamt aber erfreulich hoch. In den ambitioniertesten Bibliotheken werden mit den verfügbaren Mitteln nicht nur Lücken im einheimischen und deutschen, sondern daneben insbesondere auch in den anderen fremdsprachigen Beständen gefüllt und unentbehrliche Standardwerke, Enzyklopädien, Lexika, Wörterbücher angeschafft. Nachträglich wurden noch drei regional bedeutende öffentliche Bibliotheken mit Jahresförderungsbeträgen von je 10.000 DM in das Projekt aufgenommen. Diese relativ geringe Summe bedeutete für manche eine Aufstockung des Anschaffungsetats um 100 Prozent, was ihre Begeisterung einsichtig macht. Alle Bibliotheken stellten die Neuerwerbungen aus Projektmitteln zunächst aus, eröffneten die Ausstellungen, häufig zu einem Bibliotheksjubiläum, gemeinsam mit Vertretern des Goethe-Instituts medienwirksam im Beisein von Prominenz bis hin zum Ministerrang, verbanden sie gelegentlich auch mit einem deutschen Literaturabend und gaben liebevoll gestaltete Kataloge heraus. In ihrer Öffentlichkeitsarbeit nehmen die Projekte während ihrer ganzen bisherigen Laufzeit einen wichtigen Platz ein und auf ihren Homepages wird darüber berichtet.

Die Probleme bei der Durchführung der beiden Projekte waren keineswegs gering, aber sie waren ganz überwiegend technischer Natur. Grenzüberschreitende Unternehmungen in der Region werden beträchtlich erschwert durch Mängel der Infrastruktur wie schlechte und daher sehr zeitraubende Kommunikationsverbindungen und gänzlich fehlenden bzw. nur auf Umwegen funktionierenden Zahlungsverkehr. Angesichts der besonders schwierigen Verhältnisse im Kosovo ist es nicht verwunderlich, dass das Projekt bedauerlicherweise gerade dort bisher nicht realisiert werden konnte. Eine gemeinsame Projektwebsite, geplant zunächst von den Bibliotheken in Serbien und dem serbischen Teil von Bosnien-Herzegowina, mit dem Ziel, sie später auf alle Projektteilnehmer auszuweiten, scheiterte bereits in der ersten Phase – nur eine Bibliothek lieferte die benötigten Daten. Zu interethnischer Zusammenarbeit kam es gelegentlich, nicht in großem Umfang und immer da, wo es realen Interessen diente: die Bibliotheken waren einander bei der Medienbeschaffung aus den jeweils anderen Regionen behilflich, so wie sie auch sonst Kontakte unterhalten. Kleine Schritte; aber mehr zu erwarten wäre verfehlt. Wie ja gerade die deutsche Erfahrung gezeigt hat, entwickeln sich Versöhnung und neues Vertrauen nicht über Nacht.

Die Bilanz nach nominell zwei, in Wirklichkeit eineinhalb Jahren Projektlaufzeit ist jedenfalls insgesamt sehr positiv. Für die beteiligten Bibliotheken haben die Projekte nach eigener Einschätzung einen ungeheuren Aufschwung gebracht, der nach mehr als zehn mageren Jahren um so augenfälliger ist und von ihrem Umfeld auch deutlich und geradezu dankbar wahrgenommen wird. Die doch relativ bescheidenen Mittel von insgesamt etwa 400.000 DM im Jahr erzielen die intendierte nachhaltige Wirkung. Die Resonanz dieser beiden Projekte trägt dazu bei, ein positiv geprägtes Deutschlandbild zu vermitteln und zu verbreiten. Die Bibliothek des Goethe-Instituts Belgrad gewann eine neue Position im Bibliothekswesen des Gastlands und ist in ein Netz von Partnerinstitutionen eingebettet.


Zur Autorin

Gudrun Krivokapic ist Leiterin der Bibliothek im Informationszentrum des

Goethe-Institut Inter Nationes
Knez Mihailova 50
11000 Belgrad
URL: goethe.de/ms/bel/deibib.htm