Bericht von der IATUL-Konferenz 2002 in Kansas City, USA
Partnerships, consortia and 21st library service

von Irmgard Lankenau

Die 23. Konferenz der International Association of Technical University Libraries (IATUL) fand dieses Jahr vom 2. bis 6. Juni 2002 in Kansas City, Missouri, in den USA statt. Auf der Homepage <www.IATUL.org> werden auch bald die Texte der Vorträge zu finden sein.

Um es vorab zu sagen: wie schon bei früheren IATUL-Konferenzen hat sich auch dieses Mal der Eindruck bestätigt, dass Anzahl und Homogenität der Teilnehmer nahezu optimal sind und dass deshalb ein intensives Arbeiten und Diskutieren erheblich erleichtert wird, so dass die Nachhaltigkeit der Eindrücke sowie neue Erfahrungen bzw. Anregungen besonders hervorzuheben sind. Daher soll am Beginn des Beitrages die Information zur nächsten Konferenz stehen: sie findet vom 2. bis 5. Juni 2003 an der Middle East Technical University in Ankara (Türkei) statt.

Als gemeinsame Gastgeber hatten die Linda Hall Library of Science, Engineering and Technology <www.lindahall.org> und die Miller Nichols Library der University of Missouri <http://www.umkc.edu/library> für die diesjährige Konferenz ein anspruchsvolles Vortrags- und Diskussionsprogramm ausgearbeitet, das genügend Zeit für Bibliotheksbesichtigungen und Erfahrungsaustausch zwischen Teilnehmern und mit den Gastgebern bot.

An der diesjährigen Konferenz nahmen 163 Delegierte aus 21 Ländern teil. Sehr erfolgreich war die Initiative von IATUL und den beiden Veranstaltern, Bibliothekaren aus Schwellen- und Entwicklungsländern die Teilnahme zu ermöglichen. So konnten aus zahlreichen Bewerbungen 17 Bibliothekarinnen und Bibliothekare ausgewählt werden, die mit Hilfe eines Reisekostenzuschusses zum überwiegenden Teil erstmals an einer internationalen Konferenz teilnehmen und mit Berichten und Posters über die Situation von Bibliotheken in ihren Ländern informieren konnten.

Der Programmablauf sah - wie meistens bei den IATUL-Konferenzen - auch Führungen in benachbarten Bibliotheken vor und so konnte man sich für einen Besuch in der Truman Presidential Library <www.trumanlibrary.org> oder in der Bibliothek der University of Kansas in Manhattan <www.lib.ksu.edu> entscheiden.

Sowohl während der Konferenz als auch bei den Besuchen in den verschiedenen Bibliotheken kristallisierten sich für die Teilnehmer sehr schnell drei Bereiche heraus, die derzeit das Bibliothekswesen beschäftigen:

Zum ersten Punkt ist zu berichten, dass die Konsortienfrage weiterhin eine viel und kontrovers diskutierte ist. Die Lösungen in den verschiedenen Bibliotheken reichen von der Abbestellung aller teuren elektronischen Zeitschriften bis hin zur Teilnahme am "Big Deal", d.h. dem Abonnement aller elektronischer Zeitschriften eines Verlages ohne jede Auswahl. Ken Frazier (University of Wisconsin in Madison) stellte seine Antwort auf die Preissteigerung bei Zeitschriftenpreisen von mehr als 225% seit 1986 vor: nämlich den Paradigmenwechsel von "Holding" zu "Access". Um eine umfassende Versorgung mit Zeitschriftenliteratur zu gewährleisten, wurde ein ausgefeilter elektronischer Desk-Top-Lieferdienst aufgebaut, der jedoch die Kosten der Zeitschriftenabonnements nahezu erreichen dürfte. Aber selbstverständlich auch die Teilnehmer am "Big Deal" sind beunruhigt über die Kostenexplosion, denn die Seitenpreise bei wissenschaftlichen Zeitschriften bewegen sich heute zwischen 103,55 c und 0,27 c pro Seite. Es wurde sehr deutlich aufgezeigt, dass als Konsequenz aus dieser Situation einige Initiativen entstanden sind, die das Ziel haben, alternative Entwicklungen in der wissenschaftlichen Kommunikation zu unterstützen. Neben SPARC <www.sparc.org> ist hier besonders BIOONE zu nennen, ein Zusammenschluss von wissenschaftlichen Gesellschaften, Bibliotheken u.a., der über das Internet Volltexte aus dem Bereich Biologie, Umwelt und Biotechnologie anbietet. Mitterweile können mehr als fünfzig elektronische Zeitschriften, die sonst lediglich als gedruckte Versionen zugänglich waren, kostengünstig abonniert werden. Bemerkenswert ist auch, dass BIOONE die gesamte Infrastruktur für die Veröffentlichung von Texten im Netz zur Verfügung stellt (author and editor tools, electronic manuscript submission tools, peer-review-software). Inzwischen wird auch damit begonnen, Lehrbücher zum Thema online aufzubereiten und anzubieten <www.bioone.org>.

Ein konsequentes Beispiel für die Umsetzung von "e-only" ist die Fiedler Engineering Library an der University of Kansas in Manhattan <www.lib.ksu.edu/branches/fiedler/fiedler>. Dort gibt es lediglich noch die gedruckten Bücher und Zeitschriften, die elektronisch (noch) nicht verfügbar sind. Aber auch andere Bibliotheken propagieren "Bücher aus den Regalen" und stattdessen die Nutzung von Fernleihdienstleistungen und kostengünstigen elektronischen Angeboten. Auch rechnet man damit, dass in naher Zukunft mehr und mehr Lehrbücher online vorhanden sein werden und die Entwicklung parallel zu der im Zeitschriftenbereich verlaufen könnte. Aber auch Bibliotheken haben die Möglichkeit, zur gemeinsamen "e-only-library" ihren Beitrag zu erbringen, indem sie die bei ihnen vorhandenen Materialien (Texte, Photographien, Manuskripte, Videos, Landkarten etc.) digitalisieren und ins Netz stellen. Ein Beispiel von Kooperation in diesem Bereich stellte Adrian Alexander, Executive Director der Greater Western Library Alliance vor. Allerdings müsse - so Alexander - in diesem Bereich noch viel Abstimmung geleistet werden, da doch einige Doppelarbeit geleistet wird, weil es (noch) keinen zentralen Nachweis für elektronische Ressourcen gibt. Der naheliegende Vorschlag, nämlich diese flächendeckend und konsequent in die nationalen Bibliothekskataloge aufzunehmen, wurde entsprechend positiv bewertet.

Ein weiteres Thema, das ausführlich diskutiert wurde, ist das Angebot von multimedialen Dienstleistungen in Bibliotheken und entsprechenden Kooperationsmodellen zwischen Bibliotheken, Rechenzentren und Multimediaeinrichtungen. Hier wurden einige Modelle vorgestellt, deren gemeinsames Merkmal die Integration der Dienstleistungen ist. Dieser Ansatz findet konsequenterweise seine Fortsetzung in der Entwicklung und dem Aufbau von virtuellen Auskunftsdiensten, die sich nicht nur auf klassische bibliothekarische, sondern auch auf EDV- und multimediale Dienstleistungen beziehen. Hierbei ist auch zu beobachten, dass sich regionale und überregionale Initiativen und Modelle entwickeln, um einen 24 Stunden Auskunftsdienst an 7 Tagen in der Woche zu ermöglichen. Dazu gehört auch das unter Führung der Library of Congress ins Leben gerufene "Question point" (Slogan: local touch, global reach).

Leider konnten noch keine Zahlen über Nutzungsfrequenz und -qualität dieser Angebote gemacht werden. Es wäre sicherlich interessant zu erfahren, ob mit einem Online-Auskunftsdienst mehr Benutzer erreicht werden als mit konventionellen Dienstleistungen vor Ort bzw. ob sich die Qualität der Anfragen geändert hat.

Ein weiterer neuer Trend im Bereich Virtueller Dienstleistungen für Benutzer wurde von Ari Muhonen von der Helsinki University of Technology Library vorgestellt: diese als innovativ bekannte Bibliothek macht sich die Tatsache zu nutze, dass in Finnland Mobiltelefone flächendeckend verbreitet sind und schickt den Benutzern via SMS Nachrichten aus der Bibliothek. Diese werden z. T. aus dem Bibliothekssystem erzeugt und dienen für Erinnerungen zur Buchrückgabe, zum Bestätigen von Verlängerungen usw. Der Benutzer kann sich aber auch einen Kontoauszug auf sein Mobiltelefon schicken lassen. Dieses System befindet sich noch in der Erprobungsphase und erste Ergebnisse zeigen, dass vor allem die studentischen Benutzer diese Dienstleistung gerne annehmen, da sich diese offensichtlich dem gewohnten Kommunikationsverhalten anpasst.

Der dritte Bereich, Vermittlung von Informationskompetenz durch Bibliotheken, war auf der diesjährigen Konferenz weniger stark als in den Vorjahren vertreten. Jedoch ist auch in diesem Bereich zu bemerken, dass mehr und mehr nach Kooperationen - auch auf internationaler Ebene - gesucht wird. Nach der anfänglichen Euphorie scheint nun auch in diesem Bereich eine gewisse Ernüchterung eingekehrt zu sein: nicht, dass die Aufgabe geringer eingeschätzt wird, vielmehr hat man erkannt, dass es nahezu unmöglich ist, für alle Fächer und lokalen Gegebenheiten eigene Tutorials zu entwickeln und anzubieten. Es kündigt sich an, dass die Vermittlung von Information Literacy vom "teaching" zum "learning" geht: es werden nämlich Produkte entwickelt, die sich in vorhandene fachliche Online-Kurse integrieren lassen und die zum Selbststudium geeignet sind und dann genutzt werden können, wenn die fachliche Veranstaltung dies erfordert. Es wird auch darüber nachgedacht, diese Tutorien an Lehr- und Lernsoftware anzupassen. Damit wird dem Wunsch nach der Integration von Vermittlung von Informationskompetenz in die Lehre Rechnung getragen. Auch die Bibliotheken, die während der Konferenz besichtigt werden konnten, haben umfangreiche Angebote und zahlreiche fachspezifische Kurse zur Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz in ihrem Dienstleistungsspektrum. Ein interessanter Aspekt kam durch die Präsentation von Susan Ardis von der University of Texas in Austin in die Diskussion: die zunehmende Mobilität von Wissenschaftlern und Studenten, die z.T. nur geringe Kenntnisse der Sprache des Gastlandes besitzen. Aus diesem Grunde wurden einige Tutorials mit sogenannter voice over-web technology ausgestattet; d.h. die Texte der Tutorials bleiben zwar in Englisch, aber zusätzlich gibt es verbale Erläuterungen in der Muttersprache. Daran knüpfte sich eine kontroverse Diskussion an, die jedoch zeigte, dass sich Bibliotheken mit ihren Angeboten durchaus der Benutzergruppe "Nicht-Muttersprachler" öffnen müssen.

Die Konferenz endete mit drei herausragenden Vorträgen, die sich mit der Zukunft der Bibliotheken im Digitalen Zeitalter beschäftigten. Clifford Lynch, Direktor der Coalition for Networked Information, hob die Bedeutung der Bibliothekare für die Wissenschaft hervor und forderte eine noch engere Zusammenarbeit zwischen beiden Bereichen. Gerade die zukünftigen Herausforderungen, nämlich u.a. das Anwachsen von verschiedenen Daten in allen Wissenschaften, erforderten Spezialisten bei der Aufbereitung und dem Angebot von Fachinformationen. Auch ein verbessertes Datamining und die dauerhafte Archivierung von digitalen Dokumenten sieht Lynch als wichtige Aufgaben der nächsten Jahre. Seine Vision der "Technological Future of Information" sieht den Bibliothekar verstärkt als Partner der Wissenschaft, der nicht nur unterstützend tätig ist, sondern kooperativ arbeitet und Fähigkeiten als Lehrer, Computerspezialist und als "Brücke" zum Benutzer besitzen muss.

Ähnlich sah auch James Michalko, Präsident der Research Libraries Group, in seinem Beitrag "Cyber-Research" die Entwicklung der Dienstleistungen von Bibliotheken. Er unterstrich vor allem, dass Serviceorientierung und neue, benutzerorientierte Dienstleistungen eine immer wichtigere Rolle spielen werden. Auch Michalko stellte den "Cyber-Researcher" vor, der den Bibliothekar als Spezialisten für die Ordnung der verschiedensten Angebote benötigt, und hob die bleibende Bedeutung des Gedruckten hervor und schlug mit der Erinnerung an die fünf Gesetze für Bibliotheken von Ranganathan den Bogen zur der bibliothekarischen Tradition, die heute in Vergessenheit zu geraten droht, obwohl sie auch im digitalen Zeitalter noch gültig ist:

"Books are for use
Every Reader his/her book
Every book, its reader
Save the time of the reader
A library is a growing organisation".

Zum Abschluss präsentierte Gery Houk von OCLC seine Vision von der Zukunft der Bibliotheken. Dabei wies er auf den Zwiespalt hin, den David Weinberger so ausdrückte: "We don't know what the Web is for but we've adopted it faster than any technology since fire". Vor allem folgende Herausforderungen sieht Houk im Zusammenhang mit der Entwicklung von webbasierten Diensten auf Bibliotheken zukommen:

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass diese Konferenz sowohl organisatorisch als auch inhaltlich viele Höhepunkte hatte. Auch wenn man bemängeln möchte, dass die Rednerliste ziemlich "USA-lastig" war, so muss man doch konstatieren, dass nach wie vor Innovation bei amerikanischen Bibliothekaren groß geschrieben wird und dass dort trotz mancher Klagen noch immer viele (Dritt-)Mittel für die Weiterentwicklung von Dienstleistungen zur Verfügung stehen. Zudem zeigt die Erfahrung, dass die meisten Entwicklungen und Trends wegen der heutigen internationalen Ausrichtung von Informationsdienstungen und -märkten auch sehr bald in anderen Ländern zu beobachten sein werden, wenn sie nicht sogar parallel verlaufen. Sicherlich werden nicht alle Zukunftsvisionen Wirklichkeit werden, aber ohne Visionen bewegt sich ja bekanntermaßen auch nichts. So kann man sich als aufmerksamer Konferenzteilnehmer kaum der Aufforderung widersetzen, die der scheidende Vizepräsident von IATUL, Egbert Gerrits von der University of Pretoria, den Teilnehmern mit auf den Weg gab: "Be an explorer type, take the lead and take the risk, if you don't, others will do it". Oder wie schon Mark Twain es ausdrückte: "Twenty years from now you will be more disappointed by things you didn't do than by the ones you did. So throw off the bowlines ... Explore. Dream. Discover."

Die Autorin möchte sich bei "Bibliothek International" für die Unterstützung bedanken.


Zur Autorin

Dr. Irmgard Lankenau ist Direktorin der

Universitätsbibliothek Koblenz-Landau
Im Fort 7
D-76829 Landau
E-Mail: lankenau@uni.koblenz-landau.de