Willke, Helmut: Systemisches Wissensmanagement.
Mit Fallstudien von Carsten Krück, Susanne Mingers, Konstanze Piel, Torsten Strulik und Oliver Vopel


- Stuttgart: Lucius & Lucius Stuttgart 2001. 2. neubearb. Aufl.
(UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher 2047)
ISBN 3-8252-2047-8. Euro 22,90

Das handliche rote Taschenbuch über systemisches Wissensmanagement enthält fünf Kapitel mit vier theoretischen Teilen (Einleitung, Wissensarbeit, Wissensmanagement und Wissensgesellschaft) und ein Praxiskapitel mit sechs verschiedenen Fallstudien über die Anwendung von Wissensmanagement. Aufgabe des Buches, so definiert der Autor, ist es, "Wissensmanagement als Element eines Zusammenhanges gesellschaftlicher, organisationaler, technologischer und individueller Faktoren zu betrachten" (S. 6). Dabei geht es dem Autor nicht um ein weiteres Buch über Wissensmanagement, deren es schon so unzählig viele gibt1, sondern um die konkrete Frage nach systemischem Wissensmanagement. Der Autor umgeht dabei die undankbare Aufgabe, die Termini "Daten", "Information", "Wissen" und "Weisheit" genau zu definieren und voneinander abgrenzen zu müssen und vermeidet es, damit eine weitere unbefriedigende Antwort auf diese zu oft gestellten Fragen zu geben.2 Überhaupt verzichtet Willke in seinem Buch auf allzu viel theoretisches Gedankengut. Aber es gelingt ihm in seiner Einleitung und in den theoretischen Kapiteln, die eigentlichen Fragen des systemischen Wissensmanagements aufzuzeigen, der Definition, Anwendung, Umsetzung und vor allem die Konsequenzen für die Wissensgesellschaft. Willke leistet eine gute Hinführung zum Thema, differenziert personales Wissen von organisationalem Wissen, und wer die Einführung über 18 Seiten aufmerksam gelesen hat weiß, wovon die Rede ist und wovon im weiteren Verlauf des Buches die Rede sein wird. Dass Wissensarbeit die Basis von modernen Gesellschaften sein muss und sein wird, dass sich Wissensarbeit aber dennoch von Wissenschaftlerarbeit klar unterscheidet, macht der Autor im 2. Kapitel "Wissensarbeit" deutlich. Besonders wichtig ist dem Autor das Zusammenspiel von Person und Organisation, vor dessen Hintergrund die Expertise des einzelnen einer kontinuierlichen Revision unterworfen ist. Wissensarbeit ist die veränderte Arbeit unter Bedingung von wissensbasierten Gesellschaften und Organisation, und Willke erarbeitet ein System, das personales Wissen in organisationales Wissen überleitet. Statt Geld und Macht in traditionellen Organisationen ist die Expertise das Steuerungselement wissensbasierter Gesellschaften. Die entscheidende Erkenntnis - und für Willke einer der wichtigsten Punkte - ist die Notwendigkeit, personales und organisationales Wissen zu organisieren. Eine Abkehr von der Fixierung auf die Person ist erforderlich, wenn es um das Wissen geht.

Für den Umgang mit organisationalem Wissen stellt Willke drei Forderungen auf: 1. die Organisation selbst muss über geeignete Beobachtungsinstrumente verfügen, 2. die Organisation benötigt eigenständige Relevanzkriterien für die Bewertung von Daten und Informationen und 3. muss die Organisation dafür sorgen, dass ein zusammenhängender Erfahrungskontext geschaffen und lebendig gehalten wird.

Im Kapitel "Wissensmanagement", das sich in die Unterkapitel "Das Lernen der Organisation", Das "Management von Expertise" und "Wissensmanagement als Geschäftsprozess", sowie "MikroArt" differenziert, definiert der Autor "Wissensmanagement" als die Gesamtheit organisationaler Strategien zur Schaffung einer intelligenten Organisation (S. 39). Damit hebt sich die Definition Willkes maßgeblich von anderen Definitionen von Wissensmanagement ab.3 In einfachen und übersichtlichen Schaubildern wird der Leser mit den Kulturen des Lernens konfrontiert und darauf vorbereitet, dass Teamlernen mehr ist als die Summe des Einzellernens. Insbesondere wiederholt Willke in Kapitel 3.2 die Aussage, dass wissensbasierte Ökonomien anders gemanagt werden müssen als traditionelle Ökonomien. So sind etwa bei der Anwendung der Balance Score Card Wissen und Expertise nicht wie andere Leistungsindikatoren zu behandeln. Im Unterschied zu den drei bereits etablierten Modellen von Wissen als Geschäftsprozess (den eher formalen Zusammenhang von Komponenten des Wissensprozesses im Rahmen üblicher Vorstellungen von Management, etwa Probst, Raub und Rombardt4, das theoretisch fundierte und weit verbreitete Modell von Nonaka und Takeuchi5 mit der Idee der Wissensspirale und dem Ansatz von Wissensmanagement als systemischen Prozess von Dorothy Leonard-Barton6), geht Willke bei seiner Vorstellung von Wissen als Geschäftsprozess von einer doppelten Wissensbuchführung aus. Ähnlich wie die Einführung der doppelten Buchführung durch einen venezianische Mönch im Jahre 1494 sollen Kosten und Nutzen des Wissensmanagements genannt und quantifiziert, und Knowledge Management als Mittel zum Zweck definiert werden. Nur damit werde man dem Potential von organisationalem Wissen gerecht. Einen praktischen Exkurs liefert der Autor im Kapitel 3.4 "MikroArt", wo er eine Methode beschreibt, wie praktisches Wissensmanagement in Organisationen geleistet werden kann. Es gibt bereits eine Reihe von Unternehmen, die diese Methode einsetzen. MikroArt ist nichts anderes als die Abkürzung für Mikroartikel und umfasst im wesentlichen die entscheidenden Dinge, die ein Mitarbeiter eines Unternehmens bei der Schaffung von Neuem in einem halb- bis einseitigen Paper zusammenfasst und in einer Datenbank hinterlegt. Da diese Mikroartikel sämtliche Funktionen eines wissenschaftlichen Artikels erfüllen, gewinnt man damit praktisch die Essenz der Sache und kann sie, sofern man einheitlich strukturiert, allen Mitarbeitern eines Unternehmens zur Verfügung stellen. Die Lesbarkeit wird dadurch erhöht, dass feste Strukturrahmen vorgegeben werden, so dass MikroArt einem schnellen und dennoch formlosen Instrument zur Umsetzung von organisationalem Wissen entspricht.

Praktische Fallbeispiele nehmen einen großen Bereich des Buches ein, die die Ko-Autoren bei Unternehmensberatungen, beim Investmentbanking, bei Finanzmärkten und -banken und Unternehmenskooperationen beschreiben. Sie hier wiederzugeben macht wenig Sinn, sie zu lesen ist allenfalls zur Anfütterung der theoretischen Kapitel mit Praxisbeispielen sinnvoll, aber durchaus vernachlässigbar. Es schadet dem an Wissensmanagement interessierten Lesern nicht, diese Kapitel zu überspringen und direkt auf das Schlusskapitel "Wissensgesellschaft" überzugehen, in dem Willke die Aspekte von Arbeit, Suprastrukturen und globalem Kontext beleuchtet. Unter den Schlagworten wie "Exterritorialisierung", Übergang von der kapitalistischen Ordnung zur wissensbasierten Gesellschaft, hin zu Suprastrukturen und Politik in der Wissensgesellschaft, zeigt Willke die Auswirkungen von wissensbasierten Organisationen und Gesellschaften im globalen Kontext und macht deutlich, dass sie nicht ohne Folgen für Politik, Wirtschaft, Ethik und Gesellschaft bleiben können. Suprastrukturen werden sich bilden, politische Interventionen bleiben folgen- und wirkungslos, die Territorialisierung wird aufgehoben und es entsteht eine neue Schicht von Wissensarbeitern. Dass vieles davon ohne unser Zutun abläuft, dass Infrastrukturen gebildet werden, die nicht mehr sichtbar sind, aber schon lange funktionieren, weiß der an Wissensmanagement interessierte Leser auch ohne Willkes Ausführungen. Dennoch ist dieses Werk ein lesenswertes Taschenbuch, das das Thema - ergänzt um die praktischen Fallbeispiele - kurz, knapp, prägnant und ohne viel theoretischen Überbau auf den Punkt bringt. Und manch ein Leser wird sogar erschrecken, wenn er sich klarmachen lässt, wohin die Reise in der Wissensgesellschaft gehen wird.


Anmerkungen

1. Eine Sammelrezension von vielen grundlegenden und einführenden Werken in Knowledge-Management sowie eine allgemeine Zusammenfassung grundlegender Theorien findet sich in: Aulinger, A., Fischer, D.: Einige Daten und Informationen zum Wissensmanagement. In: DBW, 60 (2000),5, S. 642-667

2. Auf das Problem der Unterscheidung von Daten, Information und Wissen soll hier nicht eingegangen werden, wenngleich auch eine grundlegende Unterscheidung von Informations- und Wissensmanagement gemacht wird. Sie basiert auf der Unterscheidung von purer Information, die meist als Daten im Zusammenhang von Prozessen entstehen und Wissen als zweckorientierter Vernetzung von Information (Heid, Ulrike: Ein Konzept für Wissensmanagement. In: nfd, 51(2000), S.415-424).

3. Ausgesuchte Definitionen von Wissensmanagement:

4. Probst, G.; Raub, S.; Rombardt, K.: Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource nutzen, Vieweg, Wiesbaden, 1997.

5. Nonaka, I.; Takeuchi, H.: Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen. Campus, Frankfurt 1997

6. Leonard-Barton, Dorothy: Wellsprings of knowledge: building and sustaining the sources of innovation / Dorothy Leonard-Barton, Boston, Mass.: Harvard Business School Press, 1995


Anschrift des Rezensenten:
Dr. Rafael Ball
Forschungszentrum Jülich
D-52435 Jülich
r.ball@fz-juelich.de