eBooks - eine Chance?

von Horst Neißer

Ein Missverständnis muss vordringlich ausgeräumt und definiert werden: Der Begriff "eBooks" umfasst alle Bücher und Aufsätze, die elektronisch publiziert werden und beschränkt sich nicht auf Reader wie das Rocketbook von Gemstar. Das eBook ist also die Datei, die die Texte transportiert, und nicht das Gerät, mit dem diese Datei gelesen werden kann - sonst wäre nämlich auch der Wald- und Wiesencomputer ein eBook.1

Diese Definition ist nötig, um der Begriffsverwirrung zumindest ein wenig Einhalt zu gebieten. Unter diesem Blickwinkel wird dann auch klar, dass eBooks so neu nicht sind.

Seit Jahren existiert das "Projekt Gutenberg" sowohl in Deutschland, als auch auf internationaler Ebene mit einer Fülle von urheberrechtsfreien Titeln2. Wissenschaftliche Verlage publizieren Beiträge zum Teil nur noch in elektronischer Form. Im Internet gibt es eine kaum noch überschaubare Anzahl von Seiten, von denen man Texte mit und ohne Bezahlung herunter laden kann. Viele Autoren, die keinen Verleger finden, stellen inzwischen ihre Werke ins Netz in der Hoffnung auf eifrige Leser. Und dann gibt es natürlich noch die Freaks, die sich einen Spaß daraus machen, aktuelle Bücher, Belletristik oder Sachbücher, in mühevoller Arbeit einzuscannen und über das WEB illegal zu verbreiten.

Im Börsenverein trifft sich eine wichtige und hochkarätig besetzte Arbeitsgruppe "Elektronisches Publizieren", und für Promotionen genügt inzwischen auch die elektronische Publikation der Dissertation.

Bedenkt man also diese nicht mehr überschaubare Flut von elektronischen Veröffentlichungen, so spielen die eBook-Reader, einer davon ist das schon erwähnte Rocketbook, nur eine marginale Rolle. Aber unter diesem Gesichtspunkt wird auch deutlich, wie müßig die Diskussion ist, ob dem eBook die Zukunft gehört. Es spielt schon in der Gegenwart eine bedeutende Rolle.

Und doch entzünden sich die Diskussionen am Rocketbook und seinen Geschwistern. Das sind Lesegeräte, die aus dem Internet bestückt und von den Verlagen boykottiert werden. Gerade den deutschen Verlagen sitzt nämlich die Angst vor dem Napster-Phänomen und der Aufweichung der Buchpreisbindung in den Knochen. Wenn dann doch von einigen ganz mutigen Häusern Lizenzen an die Readerhersteller vergeben werden, sind sie mit solchen rigiden Auflagen verbunden, dass der Marketing-Misserfolg quasi vorprogrammiert ist.

So darf der Käufer die elektronische Buch-Datei, die er zum vollen Ladenpreis erstanden hat, nicht etwa zu Hause abspeichern und aufbewahren, sondern muss sie im Internet in einem virtuellen Bücherregal lagern. Außerdem ist die Datei an das spezifische Rocketbook gebunden und kann nicht mit einem alternativen Exemplar der gleichen Firma genutzt werden. Jedem erdenklichen Missbrauch will man so schon von vorn herein vorbeugen -schließlich könnte ein böswilliger Freak doch sogar einen geschützten, nicht kopierbaren File knacken!

Bedenkt man außerdem noch die Kosten der Reader, die zwischen 400 und 800 Euro liegen, und dass die Texte in elektronischer Form genauso teuer sind wie als gebundenes Buch, dann war und ist der ökonomische Flop dieser neuen Entwicklung absehbar.

Mit welchem zusätzlichen Nutzen könnte man wohl einen Käufer überzeugen, 800 Euro für ein unhandliches Gerät auszugeben? Für das viele Geld erwirbt er sich schließlich lediglich ein umständliches Handling und nicht einmal einen Preisvorteil bei der Software - sprich eBook.

Nein, das, was uns auf diesem Sektor seit ein paar Jahren geboten wird, ist ein Antimarketing und Vertriebsflop, und entsprechend bewegt sich der Marktanteil dieser Innovation auch im Promille-Bereich.

Wie könnten die eBook-Reader gepuscht werden?

Da ist zuerst einmal der hohe Preis, der subventioniert werden müsste. Auch das Handy hätte sich nicht mit dieser rasanten Geschwindigkeit durchgesetzt, wenn der tatsächliche Einkaufspreis von damals über tausend Mark beibehalten worden wäre. Statt dessen haben die Telefongesellschaften die Geräte bezahlt und ihre Unkosten über die Gebühren wieder amortisiert. Das gleiche ist auch auf dem eBook-Sektor vorstellbar.

Dann sind für den eBook-Reader andere Inhalte nötig. Einen Roman liest man noch immer am liebsten als schönes, gebundenes Buch - schließlich sind die meisten Menschen in dieser Gesellschaft mit dem Printmedium sozialisiert worden. Würde man hingegen einem Juristen, der zwei Aktentaschen gefüllt mit schweren Kommentaren und Gesetzestexten herumschleppt, den Palandt auf einem eReader mit komfortabler Suchfunktion anbieten, dann würde er sicher mit leuchtenden Augen in das neuartige Gerät investieren. Das Gleiche gilt cum grano salis für viele andere Berufsgruppen.

Doch so lange die Geschäfte mit dem gedruckten Buch noch einigermaßen laufen, sehen die Verlage keine Notwendigkeit, sich auf das unbekannte Territorium zu begeben. Dort könnten schließlich Gefahren, wie z.B. das Raubkopieren, lauern.

Rückzug auf das sogenannte Kerngeschäft ist das Motto der Stunde. Der Buchbranche geht es nämlich schlecht und überall wird geklagt. Buchhandlungen und Verlage haben zum Teil erschreckende Umsatzeinbußen. Doch dies ist keine Krise, die es irgendwie zu überstehen gilt, sondern ein Strukturwandel. Das haben bisher leider nur viel zu wenige begriffen. Der Rückzug auf das Kerngeschäft ist deshalb nicht die Rettung, sondern verlangsamt nur die unerbittliche Abwärtsbewegung.

In einer gemeinsam geförderten und beworbenen eBook-Aktion könnte aber für die Branche eine kaum zu überblickende Chance liegen. Das elektronische Medium, das den Reiz des Neuen, des Innovativen und Außergewöhnlichen vermittelt, könnte auch dem Printmedium als solchem einen neuen Drive geben. Besonders junge Leute wären auf diesem Weg ansprechbar und zu begeistern. Über das elektronische Buch lässt sich deshalb auch das gebundene Buch neu verkaufen.

Nur, eine solche Aktion darf man nicht halbherzig ins Leben rufen und nach einem viertel Jahr, wenn sich nicht sogleich der Erfolg einstellt, wieder beerdigen.

Publikums- und Fachverlage sollten doppelgleisig fahren und ihre Produktion in einer elektronischen und einer Print-Version anbieten. Dazu finanziell erschwingliche Reader und Kompatibilität der Dateien (warum nicht das pdf-Format?). Das wäre die Initialzündung, der Push, den die kränkelnde Branche braucht. Das wäre ein Vorwärtsschreiten, ohne übrigens in blinde Internet-Euphorie zu verfallen, und kein Rückzug auf das Kerngeschäft mit der Pleite vor Augen.

Bei Diskussionen in Fachkreisen kommt an diesem Punkt immer das Argument der unterschiedlichen Speicher-Formate. Scheinbar hat jedes Verlagshaus seine eigene Software, deren Produkte mit nichts auf der Welt kompatibel sind. Doch auch da gibt es Abhilfe. So ist zum Beispiel eine Münchner Firma mit Namen ePodium GmbH auf derartige Konvertierungen spezialisiert. Wenn man Lösungen finden will, dann gibt es sie auch.

Noch einmal: Will man einen wirklichen Schritt in die Zukunft machen, dann genügt es nicht, eine unzulängliche und viel zu teuere Alternative zum gedruckten Buch, wie das Rocketbook, auf den Markt zu bringen. Man muss vielmehr die neuen Möglichkeiten des eBooks und der Reader ausloten und sich darauf konzentrieren.

Für Bibliotheken ist es zum Beispiel kaum von Interesse, nun statt eines gebundenen und foliierten Buches ein elektronisches Gerät auszuleihen, auf dem sich der Text befindet. Da wäre es schon erheblich sinnvoller, den Kunden aus einer Fülle elektronischer Texte auswählen zu lassen und diese dann auf seinen Reader zu übertragen. Auch eine Ausleihe der Dateien über das Internet ist vorstellbar. Der Kunde ordert von zu Hause und liest das eBook mit Hilfe seines PCs oder eines Readers. Technisch kein Problem!

Natürlich muss dabei stets die Wahrung der Rechte der Copyright-Inhaber im Augen behalten werden. So dürfen die Dateien nicht kopierbar sein und sollten sich von selbst nach einer gewissen Frist zerstören. Wir kennen den Mechanismus aus der Shareware-Szene. Auch dürfen die Bibliotheken nur so viele Dateien gleichzeitig vergeben oder versenden, wie sie Lizenzen gekauft haben.

Den inzwischen schon obligatorischen, gequälten Hinweis auf die Computerfreaks, die doch noch jeden Kopierschutz geknackt haben, kann man kaum noch hören. Der Wettlauf zwischen Datenschützern und Datenhackern ist nicht zu leugnen und erinnert an Hase und Igel. Aber von dem Hobby Kopierschutz knacken und Dateien manipulieren ist doch nur eine verschwindend kleine Minderheit betroffen. Die Mehrheit der Kunden und Leser wird niemals den Kopierschutz einer pdf-Datei beseitigen können. Und die Freaks, das habe ich oben schon geschildert, scannen schließlich schon heute die gedruckten Bücher und vertreiben sie illegal über das WEB. Jede denkbare Art von Umgehung des Urheberrechts kann eben niemals verhindert werden!

Wollte man alle zukunftsweisenden Entwicklungen wegen eines möglichen Missbrauchs sabotieren, dann würden wir wahrscheinlich noch immer über Nutzen und Gefahren des Rades diskutieren.

Es geht also darum, die Distribution von Büchern zu vereinfachen und den Readern die richtigen Inhalte zuzuordnen. Das sind Sach- und Fachbücher und weniger Belletristik. Gedichte liest auch der Elektronik-Fan eben immer noch lieber in gedruckten Büchern.

Aber nicht nur für Bibliotheken wäre die Öffnung des Marktes zum eBook hin ein Gewinn. Auch für die notleidenden Buchhandlungen könnte das eBook in Kombination mit einem vernünftig angebotenen Reader den Lichtblick, wenn nicht gar die Rettung bedeuten. Das größte Problem der Buchhandlungen ist doch die Lagerhaltung und der damit verbundene Platz- und Kostenfaktor. In ihren enormen Lagerkapazitäten und Verkaufsflächen liegt doch der Wettbewerbsvorteil der großen Bücherhäuser gegenüber den kleinen Buchhandlungen.

Würden aber die Verlage endlich ihre Werke nicht nur in Printform sondern auch elektronisch anbieten, so stünde selbst der entlegendsten Buchhandlung in der Provinz der Inhalt des gesamten VLB zum sofortigen Verkauf zur Verfügung. Die doch ziemlich hohen Kosten für die Beschaffung des gedruckten Buches über den Grossisten entfallen. Man könnte dem Kunden das Buch ohne Zeitverzögerung als Datei für seinen Reader aushändigen oder auf Wunsch das Buch noch im Laden ausdrucken. Es gibt heute finanziell erschwingliche Drucker, die dafür kaum mehr als 10 bis 15 Minuten brauchen. Auch die Bindung kann vollautomatisch vor Ort geschehen. Mit diesem epochalen Schritt wäre den um ihre Existenz kämpfenden Buchhandlungen mehr geholfen als mit der Preisbindung.

Das eBook ist nicht die Patentlösung für alle Probleme, aber eine Chance, die bald genutzt werden sollte.

Bibliothekarinnen und Bibliothekare, Buchhändlerinnen und Buchhändler sind hoch qualifizierte Informationsfachleute. Würde ihnen über die elektronische Distribution auf dem Buchmarkt ein Teil ihrer Arbeit vereinfacht und vielleicht sogar abgenommen, dann könnten sie sich endlich auf ihre Hauptaufgabe konzentrieren: die Beratung der Kunden und das Navigieren durch den Informations-Dschungel der Informations-Gesellschaft.


Anmerkungen

1. Vgl. Gabriele Kunze, Horst Neißer: nach der Euphorie. E-Books im Alltagsgeschäft der StadtBibliothek Köln. In: BuB, Forum für Bibliothek und Information, 7/8.2002. S. 481-483

2. http://www.gutenberg2000.de;
http://webdev.archive.org/texts/texts.php;
http://onlinebooks.library.upenn.edu/archives.html;
http://www.litlinks.it;
http://www.literature.at;

http://www.ub.fu-berlin.de/literatursuche/literatur_im_web/volltext/sammlungen.html;
http://altedrucke.staatsbibliothek-berlin.de/linksammlung/volltexte.html;
http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/ulb/etexte.html;
http://onlinebooks.library.upenn.edu/archives.html

(Diese Zusammenstellung von WEB-Adressen wurde von Klaus Graf in der List "inetbib" veröffentlicht.)


Zum Autor

Dr. Horst Neißer ist Direktor der

Stadtbibliothek Köln
Josef-Haubrich-Hof 1
D-50676 Köln
E-Mail: hneisser@stbib-koeln.de