Modell einer Kooperation zwischen wissenschaftlichen Bibliotheken und Schulen am Beispiel Graz1

von Roswitha Karpf

Schon beim letzten Österreichischen Bibliothekartag in Wien wurde über Entwicklungstendenzen in den österreichischen Schulbibliotheken berichtet und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen SchulbibliothekarInnen und BibliothekarInnen an wissenschaftlichen Bibliotheken initiiert. Beim diesjährigen Bibliothekartag in Klagenfurt befasste man sich einen ganzen Konferenztag mit diesem Themenschwerpunkt der Zusammenarbeit zwischen Bibliotheken und Schulen. Damit folgte die VÖB einer internationalen Entwicklung, in der die Chancen von Vernetzungsmöglichkeiten und Kooperationen wahrgenommen werden. Wissenschaftliche Bibliotheken bringen den Schulen mehr und mehr Interesse entgegen, da die SchülerInnen als potentielle NutzerInnen von morgen angesehen werden.

Engagierte SchulbibliothekarInnen, die immer zugleich LehrerInnen sind und daher über eine pädagogische Ausbildung verfügen, führen die SchülerInnen schrittweise in die vielfältigen Möglichkeiten der Bibliotheksnutzung ein. Das Spektrum reicht von der Leseförderung bis zur Vermittlung wichtiger Fähigkeiten wie Medienkompetenz und Informations- bzw. Wissensmanagement.

Mindestens 740 SchülerInnen waren im Schuljahr 2001/2002 an der Universitätsbibliothek Graz eingeschrieben; an der Universitätsbibliothek Klagenfurt waren es im gleichen Zeitraum 132 SchülerInnen. Das bedeutet jeweils nicht einmal ein Prozent aller NutzerInnen dieser Bibliotheken, aber als Lehrerin stelle ich mit Freude fest, dass ihnen die wissenschaftlichen Bibliotheken ein besonderes Augenmerk widmen. Andererseits gab es im vergangenen Schuljahr genau 1200 MaturantInnen in Graz, woraus man schließen kann, dass zwischen einem Drittel und der Hälfte aller AbsolventInnen bereits die Serviceleistungen der Universitätsbibliothek in Anspruch genommen haben. Kooperationen zwischen wissenschaftlichen Bibliotheken und Schulen sind also wichtig und werden im Zeitalter von e-Learning und e-Teaching noch mehr an Bedeutung gewinnen.

In den folgenden Ausführungen soll nun über Aktivitäten und Projekte berichten, die seit dem letzten österreichischen Bibliothekartag (Wien 2000) in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Graz ermöglicht wurden. Der Themenstellung entsprechend geht es dabei nicht nur um Kooperationen der Universitätsbibliothek mit SchulbibliothekarInnen, sondern mit allen LehrerInnen und SchülerInnen. Durch derartige Kooperationen werden die Begegnungen mit Fachleuten sowie die Einbeziehung außerschulischer Lernorte möglich, wie sie im Lehrplan 2000 für die AHS (Allgemeinbildende Höhere Schule) gefordert werden.2

Erfreulicher Weise wurde im Fach Deutsch auch ausdrücklich die Nutzung von Bibliotheken verankert: Mit Ordnungs- und Suchhilfen vertraut werden; Bibliotheken, Medien bzw. andere Informationssysteme zur Erarbeitung von Themen nützen.3

Im Sinne eines vernetzten Lehrens und Lernens ist dieser Passus aus dem Lehrplan auf alle Fächer anzuwenden. Die multimediale Schulbibliothek gewinnt damit eine zentrale Bedeutung im schulischen Ausbildungsprozess.

Genau besehen ist aber auch die Nutzung außerschulischer Bibliotheken angesprochen. Den Zugang zu öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken schon in der Schulzeit in die Wege zu leiten ist besonders wichtig, da sie für das lebensbegleitende Lernen die notwendigen Informationen anbieten.

Die AHS entlässt ihre AbsolventInnen mit der Option, die Berufsbefähigung vorrangig durch ein weiterführendes Studium an einer Fachhochschule oder Universität erwerben zu müssen. Daher bietet die Kooperation mit wissenschaftlichen Bibliotheken eine gute Möglichkeit, einen Übergang zwischen den Bildungsinstitutionen zu schaffen. Die vor ca. einem Jahrzehnt installierte Möglichkeit, einen Teil der Matura mit der Erstellung einer Fachbereichsarbeit zu absolvieren, impliziert eine derartige Zusammenarbeit zwischen Schulen und wissenschaftlichen Bibliotheken. Aus diesem Grund sollen für SchülerInnen aller Altersstufen geeignete Unterrichtsmodelle entworfen werden, um sie schrittweise mit allen Möglichkeiten der Informationsgewinnung vertraut zu machen.

SchulbibliothekarInnen, die ja zugleich als LehrerInnen tätig sind und nur einen Teil ihrer Arbeitszeit als BibliothekarInnen wirken, können Garanten für solche Kooperationen sein und sie wesentlich weiterentwickeln. Zudem gibt es deutliche Impulse von LehrerInnen unterschiedlichster Schultypen und Fachgruppen, die an einer Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Bibliotheken interessiert sind.

Die in Graz initiierten Kooperationen in den Bereichen Aus- und Fortbildung erfolgen auf mehreren Ebenen.

1. Zusammenarbeit der Arbeitsgemeinschaft der steirischen AHS-SchulbibliothekarInnen und der Universitätsbibliothek Graz

Führungen und Rechercheübungen, Workshop: Online-Recherche und Wissensmanagement (im Rahmen der 5. Österreichischen Buchwoche und der ODOK 01, unterstützt vom Bibliothekenservice für Schulen)

SchülerInnen der 11. Schulstufe präsentieren in der UB Graz ihre Dokumentationen aus dem Projekt "Recherchestrategien"
2. Zusammenarbeit von Pädagogischem Institut des Bundes in Steiermark und Universitätsbibliothek Graz

Seit WS 2001/02: Fortbildungen für AHS-LehrerInnen aller Fächer und SchulbibliothekarInnen: "Information und Recherche" (Grundkurs: Wie nutze ich optimal die Angebote der Universitätsbibliothek Graz? Fortsetzungskurs: Die Universitätsbibliothek Graz als Partnerin der AHS.)

ReferentInnen: BibliothekarInnen und AHS-Lehrerinnen

Inhalte (Auswahl): Führungen durch die verschiedenen Abteilungen; elektronische Kataloge, Datenbanken, e-Journals etc; Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft; Pädagogischer Workshop: Recherchestrategien, Unterrichtsmodelle für eine Unterrichtssequenz in den Räumlichkeiten der Universitätsbibliothek

3. Zusammenarbeit von LehrerInnen/SchülerInnen und Universitätsbibliothek Graz (Beispiele)

  1. Mindestens zweistündige Unterrichtseinheiten für SchülerInnen, gemeinsam gestaltet von BibliothekarInnen und LehrerInnen:

    Fit werden als NutzerIn der Universitätsbibliothek. (Führung und Einübung in die Recherche für die Oberstufe und im Rahmen der unverbindlichen Übung: Einführung in die Praxis des wissenschaftlichen Arbeitens.)

    Kennen lernen der Universitätsbibliothek und ihrer speziellen Einrichtungen (z.B. der Sondersammlungen als Speicherort des kulturellen Erbes)

  2. Gemeinsame Projekte von Schulklassen und Universitätsbibliothek mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten. Zum Teil Präsentation des Projektes in den Räumlichkeiten der Universitätsbibliothek.
  3. Die Bibliothek als Arbeitsplatz: Berufsorientierung für Unter- und Oberstufe.

SchülerInnen-Präsentation im Lesesaal der UB Graz
Die angebotenen Fortbildungsseminare erfreuen sich regen Zuspruchs seitens der LehrerInnen. Sie werden über die neuesten Entwicklungen im Bibliothekswesen am Beispiel der Universitätsbibliothek Graz informiert. Sie optimieren ihre eigene Informationskompetenz. Sie gewinnen Einblick in die aktuelle Diskussion bezüglich des elektronischen Urheberrechts, das sehr wohl auch die Schulen betrifft. Sie entwickeln vor Ort mit Unterstützung von Fachleuten für die SchülerInnen Arbeitsblätter, die den Besuch der Universitätsbibliothek vorbereiten, begleiten und nachbereiten. Besonderen Spaß machte dabei den Seminar-TeilnehmerInnen das Erstellen und Lösen von kniffligen Recherchebeispielen.

PädagogInnen werden also in die Lage versetzt, gemeinsam mit den BibliothekarInnen den Bibliotheksbesuch für ihre Schützlinge zu einem spannenden und abwechslungsreichen Erlebnis zu gestalten. Ziel ist es, die Informations- und Selbstkompetenz der SchülerInnen zu verbessern und sie zu selbständigen NutzerInnen einer wissenschaftlichen Bibliothek auszubilden. Eine "Schnitzeljagd" durch die Universitätsbibliothek mit Fragestellungen, die die Handhabung von Lexika und Nachschlagewerken, herkömmlichen und elektronischen Katalogen und eventuell Datenbanken oder Mikrofiches und Mikrofilmen trainiert und bei der die verschiedensten Abteilungen aufgesucht werden müssen, bereitet fast allen SchülerInnen Vergnügen. Besonders geschickt erweisen sie sich bei der Recherche in ALEPH, die sie - aufbauend auf ihre Kenntnisse im Umgang mit dem elektronischen Katalog ihrer Schulbibliothek und mit den verschiedensten Suchmaschinen - direkt in der Schule üben können.

Fabian Franke berichtete kürzlich von informationsdidaktischen Methoden, die die Bibliothekseinführungen an der Universitätsbibliothek Würzburg begleiten. Es wurden u.a. Arbeitsblätter entwickelt, die den LehrerInnen/SchülerInnen zur Verfügung gestellt werden.4 Die Universitätsbibliothek Graz geht hier andere Wege. Sie setzt auf eine Schulung der Lehrerkräfte, sodass diese speziell für ihre Klasse dem Fach und dem Lehrstoff entsprechend Arbeitsaufgaben konzipieren können, die nachhaltigen Nutzen für das Unterrichtsgeschehen bringen. Deswegen erscheint es auch sinnvoll, die Einführung in die Informationsbeschaffung an der Universitätsbibliothek themengebunden - eventuell im Rahmen eines kleinen Projektes - vorzunehmen. Für interessierte SchülerInnen erfolgt eine Vertiefung in das Thema Recherche im Rahmen der unverbindlichen Übung "Einführung in die Praxis des wissenschaftlichen Arbeitens".

Die abschließenden Beispiele einer Zusammenarbeit von Schule und Universitätsbibliothek Graz stellen eine sehr persönliche Auswahl dar:

1. Die Universitätsbibliothek Graz als Ort des Staunens und Vergnügens - Kinder in der wissenschaftlichen Bibliothek

SchülerInnen beim Buchtransport
Vor etwa zwei Jahren wurde ich Zeugin einer UB-Führung für Kindergarten-Kinder und war davon so begeistert, dass ich mich entschloss, meiner 1. Klasse einen Besuch der Universitätsbibliothek zu ermöglichen. Natürlich gab es die obligaten auf die Klasse abgestimmten Arbeitsblätter, wobei die Fragen erst im Laufe der Führung beantwortet werden konnten. Während die Pfiffigsten sehr schnell herausbekamen, dass man in der Universitätsbibliothek weder trinken, essen noch rauchen darf und dass es hier 3 Millionen Bücher gibt (den aufliegenden Lesezeichen sei Dank!), wusste am Anfang niemand etwas mit dem geheimnisvollen Wort ALEPH anzufangen. Das Rätsel wurde aber bald gelöst, als die Bibliothekarin am Computer die englische Version von "Max und Moritz" bestellte. Die Kinder durften ins Keller-Magazin, das Buch wurde nach der Signatur gesucht und auch gefunden, in den entsprechenden kleinen Container gelegt, und schon ging es auf den Schienen davon, die Klasse hinterher. In der Entlehnung warteten dann alle gespannt auf das Eintreffen von "Max and Moritz". Ebenso große Begeisterung erregte der Besuch der Sondersammlungen, alte Handschriften und ein Kettenbuch wurden bestaunt, Pergament ehrfürchtig befühlt. Atemlos lauschten die Zehnjährigen den Informationen über Tresor und Alarmanlage. Das Resümée dieses Vormittags lautete: "Wir möchten uns bei der Bibliothekarin bedanken, dass sie uns alle Sachen gezeigt hat, die die Studenten nicht wissen".

2. Die Universitätsbibliothek Graz als Arbeitsplatz und Ort einer geglückten Integration von Menschen mit Behinderungen - Berufsorientierung in der wissenschaftlichen Bibliothek

Der AHS-Lehrplan sieht eine in zwei Schulstufen durchzuführende verbindliche Übung "Berufsorientierung" vor. Dabei sind unter anderem Besuche von Betrieben und Gespräche am Arbeitsplatz vorgesehen. Ein Vormittag an der Universitätsbibliothek kann den SchülerInnen in bunter Vielfalt Informationen über Arbeitsmöglichkeiten im nicht-akademischen und akademischen Bereich bieten.

Bibliothekare erfassen die Medien in Katalogen, geben fachliche Auskünfte oder können als LehrerInnen in der Ausbildung tätig sein. Sie nehmen auch an EU-Projekten teil. Fachleute restaurieren alte Handschriften und Bücher oder entwickeln neue technische Möglichkeiten, um das kulturelle Erbe zu digitalisieren. Da gibt es EDV-Fachleute mit mannigfachen Aufgabenbereichen, Managementqualitäten werden in allen Führungspositionen gefordert. An der Universitätsbibliothek Graz ist eine Juristin als Bibliothekarin beschäftigt, die sich mit dem Urheberrecht in der Informationsgesellschaft beschäftigt und im Team für die notwendigen Regierungsbeschlüsse Empfehlungen ausarbeitet, im Bibliotheksbetrieb werden aber auch Magazineure, Fachkräfte für das Budget- und Verrechnungswesen oder Sekretärinnen benötigt und finden Jugendliche unter 18 eine Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeit.

Zu den Lernzielen der "Berufsorientierung" gehört auch, dass SchülerInnen schwierige berufliche Situationen für bestimmte Gruppen erkennen, Zusammenhänge und mögliche Gründe dafür überlegen, Veränderungsmöglichkeiten aufzeigen und diskutieren können.5

Die SchülerInnen sollen u.a. Berufsbiographien von Behinderten kennen lernen und mit entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen vertraut gemacht werden (in diesem Fall ist ausdrücklich das Behinderteneinstellgesetz genannt, von dem man sich in Österreich leider noch immer loskaufen kann). Die Förderung des Integrationsgedankens ist ebenfalls im Lehrplan festgeschrieben.6

An der Universitätsbibliothek Graz haben SchülerInnen die Möglichkeit, die geglückte Integration von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsprozess zu erleben. Für dieses Engagement wurde die Universitätsbibliothek Graz von der Job-Allianz Steiermark mit dem Job-Oscar 2001 ausgezeichnet. Insbesondere Arbeiten am PC, wie das Einscannen von Büchern, Fotos oder Katalogzetteln, bieten Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen die Möglichkeit, sich in den gesamten Arbeitsprozess einzubringen.

Kinder, aber auch sensibilisierte Jugendliche, gehen meist ohne Scheu mit Menschen mit Behinderungen um, sodass Kontaktaufnahmen äußerst positiv verlaufen. Unvergesslich wird mir in diesem Zusammenhang ein Besuch mit MaturantInnen im Blindenreferat der Universitätsbibliothek Graz bleiben. Binnen kurzem entspann sich zwischen den Computerfreaks und der blinden Betreuerin des Referats (Frau Inge Prugg) eine lebhafte Diskussion über die Programme, die es ermöglichen, eingescannte Texte, ja ganze Bücher in Braille-Schrift umzusetzen, die in Braille ausgedruckt bzw. auf Diskette/CD-ROM oder Ascii-Datei gespeichert werden.

Mit Staunen verfolgten die MaturantInnen, mit welcher Geschicklichkeit die eingescannten Seiten überprüft und notwendige Korrekturen angebracht wurden. Informationen über EU-weite Projekte nahmen die SchülerInnen mit Interesse auf und sie lernten bei diesem Besuch im Blindenreferat konkret die Chancen kennen, die blinden Menschen durch den Einsatz des Computers eröffnet werden.

Mitgenommen haben die MaturantInnen von dieser Begegnung, dass es wichtig ist, Menschen mit Behinderungen in ihrer Selbständigkeit zu unterstützen. Wenn der eine oder die andere später einmal einen Menschen mit Behinderung in seinem oder ihrem Betrieb einstellen wird oder wenn er oder sie dazu beiträgt, dass die rechtliche Situation verbessert wird, sind wesentliche, auch im Lehrplan 2000 formulierte, ethische Zielvorstellungen verwirklicht, auf die wir in der Diskussion um Bibliotheksentwicklung, Informationskompetenz, e-Learning oder e-Teaching nicht vergessen dürfen.


Anmerkungen

1. Referat, gehalten am 27. Österreichischen Bibliothekartag in Klagenfurt.

2. Vgl. Didaktische Grundsätze, Lehrplan 2000 für die AHS, S. 10.

3. Vgl. Deutsch 1.-4. Klasse, Lehrplan 2000 für die AHS, S. 31-34.

4. Vgl. Fabian Franke: "Lernen lassen statt lehren" - Bibliothekseinführungen mit Informationsdidaktischen Methoden an der Universitätsbibliothek Würzburg. In: Bibliotheksdienst 35 (2001), H. 12, S. 1597-1617.

5. Vgl. Verbindliche Übung: Berufsorientierung, Lehrplan 2000 für die AHS, S.137.

6. Vgl. Lehrplan 2000 für die AHS, S.137.


Zur Autorin

Mag. Dr. Roswitha Karpf ist Professorin am Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium

BG & BRG Pestalozzi
Pestalozzistraße 5
A-8010 Graz
E-Mail: roswitha.karpf@pestalozzi.at