Bericht vom 27. Österreichischen Bibliothekartag 2002

von Wolfgang Dittrich

Vom 9. bis zum 14. September 2002 war die Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare mit dem 27. Österreichischen Bibliothekartag zu Gast in den Räumen der kürzlich erweiterten Universität Klagenfurt, zwischen der Altstadt und dem Ostufer des Wörther Sees gelegen. Die Universität vereinigt in zwei großen Fakultäten für Wirtschafts- und für Kulturwissenschaften über 6000 Studenten, die Bibliothek umfasst 670.000 Bände und 2800 laufende Zeitschriften. Nach Klagenfurt gekommen waren etwa 600 Teilnehmer, darunter 120 ausländische Gäste aus 21 Ländern. 70 Fachvorträge, zusammengefasst in zehn Themenkreisen und ergänzt durch etwa 20 Firmenvorträge, standen im Programm.

Als Gast aus Deutschland genießt man dergleichen überschaubare Dimensionen mit melancholischer Erinnerung an Zeiten, in denen es sie auch bei uns noch gab. Der 92. Deutsche Bibliothekartag in Augsburg ein halbes Jahr vorher brachte es auf die vierfache Zahl an Teilnehmern und an Themenkreisen und dürfte damit einen Umfang erreicht haben, der auch in Deutschland sinnvoll nicht mehr zu überschreiten sein wird. Wir kommen um den Preis der Zersplitterung, die niemand will, nicht mehr zurück zu einer Übersichtlichkeit, wie sie in Klagenfurt so sympathisch berührte. Wenn aber zu Sinn und Zweck der zentralen Fachtagung auch die Orientierung für den Einsteiger, das persönliche Gespräch, die freundschaftliche Begegnung, die Möglichkeit des Überblicks aktueller Tendenzen in Beruf und Wissenschaft gehören, dann sind uns die österreichischen Nachbarn ein gutes Stück voraus. Hinzu kommt die Kärntner Gastfreundschaft in den weiten und lichten Räumen einer neuen, völlig graffitifreien Hochschule und in einer vorwiegend durch barocke Architekturen geprägten Stadt, deren Bürgermeister die ausländischen Teilnehmer im Stadthaus zu einem Empfang mit opulenter Bewirtung empfing.

Das Motto der Tagung lautete: "Informationszeitalter Epoche des Vergessens", wobei zwei Varianten auftraten: eine mit und eine ohne Fragezeichen. Befund und Infragestellung schienen in gleicher Weise intendiert. Die Veranstalter sahen das Thema zunächst unter technischen Aspekten: den Zerfall des konventionellen Beschreibstoffes Papier sowie die Gefährdung der digitalen Medien durch den sich überschlagenden technologischen Wandel. Eine Illustration dazu lieferte gleich bei der Eröffnung der Informatiker und Vizerektor der Universität Klagenfurt Prof. Dr. Hintz mit dem Eingeständnis, seine in den Achtzigerjahren gefertigte Diplomarbeit sei zwar als Papierkopie noch vorhanden, als elektronisches Dokument aber nicht mehr lesbar. Die Entwicklung von Konzepten und konkreten Maßnahmen zur Konservierung und Restaurierung von gedrucktem Kulturgut sowie zur Migration und Langzeitspeicherung digitaler Medien wurde als große und verantwortungsvolle Zukunftsaufgabe der Bibliotheken herausgehoben.

Die Gefahr des Vergessens erwächst aber nicht nur aus technischen und physischen Gegebenheiten. Das ausufernde Meer der Informationen birgt die Gefahr des Ertrinkens und das Vergessen resultiert auch und gerade aus dem Überfluss und dem Unvermögen zu sinnvoller Verarbeitung, so dass Informationsreichtum und geistige Verarmung Hand in Hand gehen. Einen weiteren Aspekt des Problems stellt schließlich die wachsende Kluft zwischen der Fülle und der Relevanz von Information dar. Ein ganzer Themenkreis gruppierte sich um den Begriff der "Informationsverdrossenheit". Gerhard Fröhlich (Linz) beobachtet in der Wissenschaft "Informationsverdrossenheit und Informationsaskese", individuelle Produktivität könne sich nur durch bewussten Verzicht, durch eine befreite und befreiende "kreative Ignoranz" entfalten. Franz Graf-Stuhlhofer (Wien) hielt die durch die Technik gegebenen kommunikativen Möglichkeiten und die stumpfsinnige Praxis wissenschaftlichen Publizierens gegeneinander ("Information und Diskussion auf Sparflamme. Publizieren in geschichtswissenschaftlichen Zeitschriften") und Hans-Peter Meier (Zürich) wies anhand empirischer Feldstudien nach, dass die neuen Medien keinesfalls das Zeitalter der sinnlichen Kommunikation beendet haben, deren Formen bis hin zum gedruckten Buch und zum handschriftlichen Brief sich unveränderter Wertschätzung erfreuen ("Die Sehnsucht nach der Mund-zu-Mund-Society").

Das Motto in der Fassung mit Fragezeichen war auch Thema des Festvortrages, den der Schriftsteller und an der Universität Klagenfurt lehrende Germanist Alois Brandstetter hielt. Als vielfach preisgekrönter Autor zahlreicher Romane hat er einen großen Namen im deutschen Sprachraum und gilt nicht nur als "poeta minor", wie er sich selbst bezeichnet. In einer Kette ironisch-satirischer Reflexionen beleuchtete er aus "poetisch-anthropologischem" Blickwinkel und mit Hilfe der Aufhellung verborgener Etymologien einzelne Aspekte des Themas, etwa die ästhetische Unergiebigkeit computerlinguistischer Verfahren, die Umbildung traditioneller Begriffe in der Semantik der neuen Medien oder den Widerspruch zwischen der immer rascheren Generationenfolge technischer Geräte und dem Nachhinken ihres sinnvollen Gebrauchs.

Gegen das Vergessen mit avancierten Methoden und Hilfsmitteln anzuarbeiten richtet sich als zentrale Forderung an die Bibliothekarinnen und Bibliothekare. In diesem Sinne widmeten die in- und ausländischen Berufsvereinigungen ihren diesjährigen Round Table, der im Programm des österreichischen Bibliothekartages bereits zu einer Tradition geworden ist, dem Thema "e-Learning, computerunterstütztes Lernen, e-Teaching". Ziel der Veranstaltung war es, einen Überblick der Entwicklung in verschiedenen Ländern zu geben. Roland Mittermeir stellte unter der Metapher "Schlossherr oder Flusswärter" die Herausforderung für die bibliothekarische Erschließung und Betreuung digitaler Lehrmaterialien dar, die mit dem Faktum entsteht, dass diese im Gegensatz zu traditionellen Medien einem ständigen Prozess der Veränderung und der Neukombination mit anderen Objekten unterliegen ("Volatilität"). Lajos Murányi vom Verein Ungarischer Bibliothekare zog die Entwicklung in Ungarn nach, wo vorhandene Einrichtungen für das Fernstudium allmählich ergänzt werden durch Angebote von Materialien und Kursen im Netz, die vor allem von der Generation der 18- bis 30-Jährigen lebhaft angenommen werden. Kürzlich wurde in Ungarn das erste Sammelportal für e-Learning eröffnet (www.coedu.hu). In der Universitätsausbildung werden Versuche mit elektronischen Lehrbüchern und Vorlesungsmaterialien unternommen und das Philosophische Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften arbeitet an dem Projekt einer virtuellen Universität (www.phil-inst.hu). Hinzuweisen ist auch auf die Ungarische Elektronische Bibliothek, die von der Nationalbibliothek betreut wird und mehr als 3000 Bücher und Zeitschriften in digitaler Form enthält (www.mek.iif.hu/porta/virtual/magyar/opac.htm). In Form von Statements gaben die Vertreter weiterer Verbände Hinweise auf die Entwicklung in ihrem Bereich. Für den Verein Deutscher Bibliothekare verwies Wilfried Sühl-Strohmenger (Freiburg) auf die von dem Verband gegründete Arbeitsgruppe, die die Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz als Aufgabe der Hochschulbibliotheken begreift und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Hochschulverband und dem Deutschen Philologenverband Initiativen zur Förderung von Informationskompetenz bei Abiturienten und Studierenden entwickelt. Das anspruchsvolle Ziel für die nächsten Jahre ist, jedem Erstsemester durch Aufbaukurse die allgemeine und fachspezifische Befähigung zur Nutzung von Hochschulbibliotheken und digitalen Produkten zu vermitteln.

Mit etwa 15 Vorträgen wurde im Programm der Tagung dem Schwerpunkt "Schulbibliotheken und Kooperation von wissenschaftlichen Bibliotheken mit Schulen" breiter Raum eingeräumt. Neben Vertretern aus Österreich kamen Referenten aus zahlreichen anderen Ländern zu Wort. Vorab lässt sich der Eindruck nicht leugnen, dass, welchen unterschiedlichen Stand die Entwicklung der Schulbibliotheken in den einzelnen Ländern auch haben möge, auf diesem Gebiet allesamt deutlich fortgeschrittener sind als die Bundesrepublik Deutschland. Die durch den PISA-Schock offenbar gewordenen Bildungskrise hängt sicher auch hiermit zusammen.

Zunächst stellten Johanna Hladej vom Österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Markus Fritz vom Amt für Bildungswesen in Bozen und Peter Heinz Rothmann vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus die Situation sozusagen aus offizieller Sicht dar. Die Ausgangslage ist in Österreich vergleichsweise günstig, da der Bund hier Träger des Höheren Schulwesens ist und schon 1982 einen inzwischen erneuerten Leseerlass herausgegeben hat, der der Schulbibliothek einen herausragenden Platz zuweist. Sie hat nicht nur unterrichtsbegleitende Funktionen, sondern wird darüber hinaus als zentrales Instrument einer weiterführenden Leseerziehung und Einübung in lebenslanges Lernen gesehen. Die Errichtung von Schulbibliotheken, ihre Ausstattung als multimediale Einrichtungen und die Fortbildung der Lehrer zu nebenamtlichen Schulbibliothekaren erfolgt mit staatlicher Unterstützung und entsprechendem Nachdruck. In Bayern wie in allen anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland befindet sich das Schulwesen in kommunaler Trägerschaft. Gesetzliche Vorgaben von seiten des Landes sind ausgeschlossen, es können nur Empfehlungen gegeben werden. Die Landschaft der Schulbibliotheken ist daher von großer Heterogenität gekennzeichnet. Als erfolgversprechend gilt ihre Integration in Öffentliche Bibliotheken. Lesen wird als Schlüsselqualifikation für schulischen Erfolg ebenso wie für sozialen Aufstieg gesehen, in den weiterführenden Schulen wandeln sich die Bibliotheken zu Multimedia-Einrichtungen.

Einen eindrucksvollen Bericht über die Entwicklung der Schulbibliotheken in der Schweiz gab Willi Treichler (Bern). Auch hier ist die Kulturhoheit der Kantone in der Verfassung garantiert und die Schulbibliotheken fallen in der Regel in die Kompetenz der Kommunen, was ebenso wie in Bayern je nach Steuerkraft und persönlicher Initiative zu einem sehr disparaten Entwicklungsstand führt. In der Schweiz ist die Entstehung von Schulbibliotheken zunächst dem Pioniergeist einer engagierten und in manchen Fällen geradezu sendungsbewussten Gründergeneration zu verdanken, deren Leistungen erst allmählich durch die Behörden anerkannt wurden. In kleineren Orten wurden Erfolge durch die Zusammenlegung mit der Öffentlichen Bibliothek erzielt. Treichler trug eine Reihe beherzigenswerter Prüfsteine für die Qualität einer Schulbibliothek vor. Dazu zählen die Integration der Bibliothek in den Unterricht, der aktuelle und attraktive Medienbestand, die geregelte Finanzierung und professionelle Führung sowie die Förderung durch Partnerorganisationen, überregionale Kompetenzzentren und allgemeinverbindliche Normen.

Die Situation der Schulbibliotheken in Schweden war Gegenstand eines ausführlichen Vortrags von Brigitte Kühne (Växjö). Schulen befinden sich ebenso wie Öffentliche Bibliotheken (in der deutschen Bedeutung des Begriffs) in kommunaler Trägerschaft. Das Bibliotheksgesetz schreibt für jede Kommune die Errichtung einer Bibliothek vor, ebenso sollen die Grundschulen und Gymnasien mit Bibliotheken ausgestattet sein. Fast alle Schulen haben Zugang zum Internet. Die Aufgabe der Schulbibliotheken wurde bisher vor allem pädagogisch, d.h. in der Service- und Unterstützungsfunktion für den Unterricht gesehen. Viele Schulbibliotheken wurden in Öffentliche Bibliotheken integriert, wobei die Erfolge wegen der unterschiedlichen Aufgaben zwiespältig beurteilt werden. Die Zusammenarbeit beider Bibliotheksformen allerdings hat in Skandinavien eine lange Tradition. Ziel ist vor allem die frühkindliche Leseförderung. Kritisch vermerkte die Referentin, dass Schulbibliotheken von Lehrern zwar als Informationsquelle für eigene Arbeiten, aber nicht als pädagogisches Werkzeug für den Unterricht genutzt werden. Deshalb muss sowohl die Ausbildung von Lehrern um bibliothekarische wie die Ausbildung von Bibliothekaren um pädagogische Elemente ergänzt werden. Zur Steigerung der Abiturienten- und Studentenzahlen plant die Regierung massive Leseprogramme für Gymnasien. Die Verbände der Bibliothekare wie der Lehrer haben gemeinsam eine nationale Strategie für Schulbibliotheken und lebenslanges Lernen entwickelt. Kernpunkt dieses Programms ist eine stärkere Integration der Bibliotheken in den Unterricht und überhaupt in alle Formen von Ausbildung. Gefordert wird, die Rolle der Bibliotheken in der Erwachsenenbildung, besonders bei der Umschulung von Erwerbslosen, in das Bibliotheksgesetz aufzunehmen.

Auf diese Überblicksdarstellungen folgte eine Reihe von Erfahrungsberichten, von denen hier nur kurz auf den Vortrag von Roswitha Karpf (Graz) hingewiesen werden soll (siehe dazu den ausführlichen Bericht in diesem Heft), die über die Kooperation zwischen wissenschaftlichen Bibliotheken und Schulen berichtete. In Graz besitzen immerhin 740 Schüler einen Ausweis der örtlichen Universitätsbibliothek, die mit den Schulen gemeinsame Projekte durchführt. Lehrer kommen dabei mit Bibliotheks- und Informationsfachleuten zusammen und die Bibliothek wird außerschulischer Lernort. Die Nutzung von Bibliotheken wird schon in der Schulzeit eingeübt und damit der Übergang zwischen den verschiedenen Bildungsebenen und -institutionen erleichtert. Schüler werden mit geeigneten Fragestellungen auf eine "Schnitzeljagd" durch die Universitätsbibliothek geschickt, um die Handhabung von Nachschlagewerken, die Nutzung von konventionellen und elektronischen Katalogen, von Mikrofiche-Editionen und Datenbanken zu trainieren und so frühzeitig Informationskompetenz zu erwerben. Lehrkräfte werden geschult, um sie zur Konzeption von Arbeitsaufgaben zu befähigen. Führungen werden nicht nur für Schüler und Studenten, sondern sogar für Kindergärten und Erstklässler angeboten.

Die breite Berücksichtigung schulbibliothekarischer Probleme auf einer zentralen Fortbildungstagung mag ungewöhnlich sein, sie entspricht aber jüngsten Erfahrungen und Einsichten, dass die Reform, ja der Neuaufbau des gesamten Bildungswesen zur Vermittlung der alten wie der neuen Kulturtechniken, des Lesens wie der Informationskompetenz, bei den Fundamenten in Kindergarten und Grundschule ansetzen muss.

Neben den grundsätzlichen Problemen, den vorsichtigen Zweifeln an der alleinseligmachenden Wirkung der uferlosen digitalen Information wie der Rückbesinnung auf die Vermittlung elementarer Kompetenzen, müssen natürlich auch die Alltagsprobleme der Bibliothekare auf dem Programm einer Fortbildungstagung stehen. In diese Rubrik fielen die Themenkreise zu Online-Publikationen und Digitalisierung, zu Verbundkatalogen sowie zum Management von Bibliotheken und insbesondere von elektronischen Zeitschriften. Hier kann nur Einzelnes hervorgehoben werden, etwa der Vortrag der Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek Frau Johanna Rachinger über die Zukunftsstrategien der Bibliothek unter den neuen Bedingungen der Vollrechtsfähigkeit, die eine größere Unabhängigkeit und Flexibilität bei der Bewirtschaftung der vom Bund zugewiesenen übrigens deutlich erhöhten Mittel ebenso wie bei der Personalverwaltung zur Folge hat. Die Österreichische Nationalbibliothek will in den nächsten drei Jahren ihre sämtlichen Bestandskataloge digitalisieren und im Internet verfügbar machen. Neben den Nachweisen sollen, ausgewählt nach Qualitäts- und Relevanzkriterien, in großem Umfang auch die Objekte selbst digitalisiert werden. Die Dienstleistungen werden u.a. durch Ausweitung der Öffnungszeiten verbessert. Das Erscheinungsbild der Bibliothek gegenüber der Öffentlichkeit wird durch Dienstkleidung und Namensschilder für Mitarbeiter im Benutzungsbereich sowie durch den Neuentwurf eines Logos und eine völlige Neugestaltung des Designs aller Drucksachen verdeutlicht.

Einen Hinweis verdient auch der brillante Vortrag von Josef Friedl (Wien) über den Niedergang der Inhalte in der Erwerbungspolitik und Sacherschließung unter den Bedingungen eines ausschließlich an betriebswirtschaftlichen Kriterien orientierten Bibliotheksmanagements. Friedl knüpft an Diskussionen über Aufgaben und Profil des Fachreferenten an, die vor mehreren Jahren in Deutschland geführt wurden. Erfreulich übrigens auch, dass bei einem doch relativ begrenzten Tagungsprogramm ein ganzer Themenkreis reserviert werden konnte für den Bereich Nachlässe und Dokumentation, in dem Probleme der Nachlass-Erschließung sowie Funktionen und Kooperationsmöglichkeiten von Literaturarchiven dargestellt wurden.

Die internationalen Bezüge der Bibliotheksarbeit und die daraus sich ergebende Zusammenarbeit der Bibliotheken und Berufsverbände über Landesgrenzen hinweg wurden auf dem Österreichischen Bibliothekartag in eindrucksvoller Weise demonstriert. Schon die verhältnismäßig hohe Zahl ausländischer Gäste und Referenten wies in diese Richtung. Ein ganzer Themenkreis widmete sich der Kooperation von BID-Einrichtungen in der EU und im Alpen-Adria-Raum. Die Vorsitzende des Vereins deutscher Bibliothekare, Annette Rath-Beckmann (Bremen), legte die Impulse dar, die Verbände auf den Weg internationaler Kooperation verweisen. Abseits von europapolitischen Sonntagsreden und Lippenbekenntnissen geht es um konkrete Projekte zur Fortbildung und beruflichen Qualifikation, um den Erfahrungsaustausch bei der Bewältigung von Veränderungen in einem vergleichbaren rechtlichen und politischen Umfeld sowie um gemeinsame Lobbyarbeit gegenüber Unterhaltsträgern und Öffentlichkeit. Klaus Kempf (München) berichtete über eine Mitarbeiter-Initiative ("TriKolori") an der Bayerischen Staatsbibliothek zur Förderung der Zusammenarbeit mit italienischen Informationseinrichtungen, deren Ziele von konkreten Hilfen im Alltagsgeschäft über gemeinsame Projekte bis zu einer Profilierung der Bayerischen Staatsbibliothek als "Referenzbibliothek" für italienische Bibliothekare, italienische Nutzer in Deutschland und deutsche Interessenten an italienischen Themen reichen.

Ein Beispiel für internationalen Erfahrungsaustausch bot der Themenkreis "Leitbild und Vollrechtsfähigkeit von Bibliotheken". Was in Österreich "Vollrechtsfähigkeit" genannt wird, bezeichnet nach deutschen Sprachgebrauch die Einführung des Globalhaushalts und die Umwandlung in einen selbständigen Landes- oder kommunalen Betrieb oder gar in eine Stiftung öffentlichen Rechts. Diese Entwicklung ist im Nachbarland teilweise weiter fortgeschritten und bei allen feinen Unterschieden in den rechtlichen Rahmenbedingungen hat es sich doch als sinnvoll erwiesen, vor allem über die personalrechtlichen und tariflichen Konsequenzen (z.B. Entbeamtung bzw. "Entpragmatisierung") eine Verständigung herbeizuführen.

Die Zusammenarbeit benachbarter bibliothekarischer Personalverbände wurde nach teilweise schon jahrelang bestehender Praxis in Klagenfurt in eine vertragliche Form gebracht. Die Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare, der Verein deutscher Bibliothekare, der Berufsverband Information und Bibliothek und der Bibliotheksverband Südtirol unterzeichneten eine Kooperationsvereinbarung, die, wie es in der Präambel heißt, "die fachlichen und kollegialen Kontakte der in den beteiligten Ländern arbeitenden BibliothekarInnen ... vertiefen und den Strukturwandel im Bibliothekswesen befördern" soll. In zehn Punkten werden die Felder der Zusammenarbeit vorläufig abgesteckt. Sie reichen über den Austausch von Informationen und Publikationen, Einladungen zu Tagungen, gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen bis hin zur Förderung wechselseitiger Studienreisen.

Der 27. Österreichische Bibliothekartag kann als eine hervorragend organisierte, inhaltlich ertragreiche und menschlich höchst angenehme Veranstaltung bilanziert werden. Zu letzterem trugen das umfangreiche Rahmenprogramm bei. Die Öffentlichkeitswirkung der Tagung stand etwas im Schatten einer politischen Sensation, des Rücktritts des österreichischen Kabinetts, die die Zeitungen füllte, aber in improvisierten Reden und Abschweifungen auch Gelegenheit zu zahlreichen ironischen Anspielungen bot. Und auch im Werben um die Aufmerksamkeit höchster politischer und staatlicher Repräsentanten sind die alpenländischen Kollegen uns voraus: das Grußwort des österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil wurde in die Eröffnungsveranstaltung per Videoband eingespielt.


Zum Autor

Dr. Wolfgang Dittrich

Ltd. Bibliotheksdirektor a.D.
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