Die "Online Information 2002" in London

von Vera Münch

Seit 26 Jahren trifft sich die Online-Informationswirtschaft drei Wochen vor Weihnachten zur "Online Information" Messe und Konferenz in London. Rund 700 Informationsfachleute aus aller Welt nahmen an der Konferenz teil; überwiegend waren es Bibliothekarinnen und Bibliothekare in Führungspositionen. Auf der Messe zeigten 248 Aussteller ihr digitales Angebot.

Zur Zeit teilen sich Verlage, Datenbankanbieter, Agenturen, Branchendienste, Bibliotheken und Softwareproduzenten die kommerzielle Fachinformation im Netz. Jeder von ihnen versucht, auf dem elektronischen Weltmarkt möglichst viel Terrain für sich abzustecken. Die eingesetzten Strategien und Mittel sind unterschiedlich. Während sich die einen komplett weigern, elektronische Volltexte an Vermittler durchzuschalten und ausschließlich auf ihr eigenes Angebot als Vertriebsweg setzen, machen andere ihre Inhalte kostenpflichtig über alle möglichen Vertriebskanäle verfügbar. Bei fast allen Angeboten werden Trefferlisten und Inhaltsverzeichnisse (Fachzeitschriften, Bücher), manchmal auch die Abstracts kostenlos angezeigt. Für den Bezug des Volltextes muss man ein Abo oder einen Nutzungsvertrag abschließen. Pay-per-View, also der Einzelverkauf von Dokumenten außerhalb von Abonnements, der von vielen Informationskunden als Alternative gewünscht wird, kommt nur schleppend voran. Hier fehlen den Anbietern noch Geschäftsmodelle, die für sie zukunftssicher sind.

KAP geht an Risikokapitalgeber

Die Ausstellerzahl zeigt im Vergleich zu den Vorjahren eine deutliche Marktkonzentration. Visualisiert wurde diese vom alles überragenden Messestand der Thomson-Gruppe. Thomson ist ein ursprünglich kanadischer Verlag, der seit 1996 Online-Pionierunternehmen aufkauft. Zur Gruppe gehören unter anderem der Bibliothekszulieferer Gale Group, der Traditionshost Dialog, der Patentinformationsspezialist Derwent und GEE Publishing, ein neuer Online-Informationsdienst des britischen, juristischen Fachverlages Sweet & Maxwell. GEE Publishing informiert sieben Tage in der Woche rund um die Uhr online und telefonisch zu Rechtsfragen. Alle Thomson-Firmen traten in London unter einem einheitlichen Firmenerscheinungsbild auf.

Die Konsolidierung bringt auch weiterhin neue, bislang unbekannte Mitspieler in den kommerziellen Fachinformationsmarkt. Wenige Wochen vor der Messe übernahmen die in London angesiedelten Risikokapitalgeber Candover and Cinven den Geschäftsbereich Kluwer Academic Publishers (KAP) vom niederländischen Verlag Wolters Kluwer. Die wissenschaftliche Verlagsgruppe Springer, Heidelberg, erst vor gut drei ein halb Jahren vom Bertelsmann-Konzern akquiriert, steht seit Mitte 2002 auch wieder zum Verkauf. Konkrete Angebote sind noch nicht bekannt.

1600 Bücher online

Die Aussteller arbeiten alle mehr oder weniger zusammen oder sind zumindest - zum Teil unfreiwillig - irgendwie elektronisch verknüpft. Auch härteste Wettbewerber treffen sich im Netz, zum Beispiel auf den Servern von Informationsvermittlern wie der Bibliotheksagentur SwetsBlackwell, im Vermittlungsangebot des British Library Digital Center (BLDC) oder bei Factiva.com, dem gemeinsamen Wirtschaftsinformationsdienst der Nachrichtenagenturen Dow Jones und Reuters. Die internationalen Kooperationen - gewollt oder ungewollt - führen zu einem gigantischen globalen Fachinformationsnetz. Welche Mengen an strukturierter, digitalisierte Information darin bereitgestellt sind, kann man nicht fassen, aber an zwei Beispielen deutlich machen: Springer feierte in London die Auflage des 1000sten digitalen Bandes der Fachbuchreihe "Lecture Notes in Computer Science" (LNCS) und erklärte sich mit nunmehr 1.600 im Volltext online verfügbaren Büchern zum internationalen Spitzenreiter. Der Datenbankanbieter STN International hat zurzeit rund 220 Online-Datenbanken zu Wissenschaft, Technik und Patenten mit insgesamt rund 370 Millionen strukturiert gespeicherten Einzeldokumenten online. In manchen dieser Datenbank errechnen eigens für das Fachgebiet entwickelte Algorithmen Übereinstimmungen zwischen hochkomplexen Suchanfragen und gespeicherten Daten und liefern Antworten, die ohne Hilfe dieser High-Tech-Datenbanken kaum noch ermittelt werden könnten; zum Beispiel Ähnlichkeiten zwischen ganz langen Gensequenzen.

Distributor kann ausgewählt werden

Neben den Referenz-Datenbanken und Katalogen entstehen dank besserer Speichertechnologien mehr und mehr Volltextdatenbanken. In diesen ist gleich der gesamte Text der Publikation zum direkten Abruf bereitgestellt. Damit erübrigt sich das Durchklicken zu den Literaturlieferanten. Als Alternative jedoch bieten die großen Informationsvermittler parallel zum direkten Volltextabruf die Möglichkeit, wahlweise bei anderen Distributoren zu bestellen. Damit will man den Kunden ermöglichen, selbst auszuwählen zwischen

Auf diesem Gebiet sind in den letzten zwei Jahren deutliche Fortschritte erzielt worden, wobei die Anbieter dem Wunsch der Kunden nach individueller Zusammenstellung und Verwaltung der von ihnen genutzten Quellen Rechnung getragen haben.

Professionelle Hilfe für die Literaturbeschaffung

Ein gutes Beispiel dafür, wie die Literaturbeschaffung aus dem Netz aussehen kann und künftig wohl auch vermehrt aussehen wird, ist die "STN Full Text Solution", das Literaturvermittlungs-Softwaresystem von STN International. Es besteht aus verschiedenen Modulen, die in London vom Fachinformationszentrum (FIZ) Karlsruhe vorgestellt wurden. Die Software ermöglicht Intranet-Informationsmanagerinnen und -managern, für das Unternehmen genau diejenigen elektronischen Literaturbeschaffungswege und -quellen zugänglich zu machen, die genutzt werden sollen. Das funktioniert so: Nach der Recherche in einer Datenbank verbindet die "STN Full Text Solution" sowohl zu den Volltextlieferdiensten von STN International, als auch zu hauseigenen Ressourcen oder Drittanbietern wie zum Beispiel der internationalen Bibliotheksagentur EBSCO Information Services. Einmal eingerichtet und freigeschaltet, werden die verfügbaren Quellen dem Benutzer zur Auswahl durch Anklicken angezeigt. Bestimmte Quellen können dabei freigegeben, andere gesperrt werden. Auch die Vorgabe von Kostenbegrenzungen und die Zuordnung von Kosten zu den betroffenen Kostenstellen ist damit möglich. Die Zugriffsrechte und die Autorisierung der Benutzer in Intranets können Administratoren mit den sogenannten STN Site Administration Tools "STN Easy for Intranets" und "STN on the Web via IPAA" verwalten. Auch sie erlauben benutzerindividuelle Konfigurationen im Intranet.

Informations-Pakete als Zulieferprodukt

Neben verbesserten Administrationslösungen sind maßgeschneiderte Informationspakete als Zulieferprodukte der zweite Trend in der Informationsindustrie. Die Informationspakete behandeln jeweils ein bestimmtes Interessensgebiet und werden als "Information Outsourcing" Dienstleistung entweder im Einzelauftrag zu einer bestimmten Fragestellung angeboten, oder sie kommen als unregelmäßiger Informationsdienst daher. In der letztgenannten Form könnten sie sich zu ähnlichen Informationsdiensten entwickeln, wie es heute Fachzeitschriften, Branchendienste oder Agentur-Nachrichten sind. Wie man sich das vorstellen muss, zeigte die Münchner GBI auf der Messe. Sie hat sich "für die Wissensentwicklung in Unternehmen" sogenannte "Knowledge Summaries" ausgedacht. Knowledge Summaries sind Trendberichte zu aktuellen Fragestellungen, die von wirtschaftswissenschaftlich bewanderten Journalisten ausgearbeitet werden. Die Berichte sind in Informations-Stufen aufgebaut, das heißt, zunächst gibt es einen kurzen Rückblick, der aufzeigt, um was es geht. Dann folgen eine Zusammenfassung der Ereignisse seit dem letzten Bericht sowie tiefergehende Begründungen und Hinweise auf Fallbeispiele und Forschung. Am Schluss steht eine Liste mit aktiven Links zu weiterführenden Quellen. Der Bericht umfasst jeweils nur wenige Seiten.

Auszeichnung für Professor Schultheiß

Für sein Engagement um die Ausrichtung der "Online Information Exhibition and Conference" wurde Professor Dr. Georg-Friedrich Schultheiß in London im Rahmen einer Festgala mit dem "Online Information Lifetime Achievement Award" ausgezeichnet. Der Geschäftsführer des FIZ Karlsruhe arbeitet seit zehn Jahren im Beirat der Online Information als Mitglied des Programm- und Exekutivkomitees mit. Das FIZ Karlsruhe ist eine gemeinnützige wissenschaftliche Serviceeinrichtung, die wissenschaftliche und technische Informationsdienste in elektronischer und gedruckter Form produziert und vermarktet.

Neue Herausforderungen verlangen permanente Weiterbildung

Trotz Informations-Fertigprodukten und professionellen Softwarehilfen aber steigen die beruflichen Herausforderungen an Informationsfachleute immer weiter an. Dies spiegelte sich in London sowohl in den Nutzertreffen, die traditionell im Vorfeld der Messe abgehalten werden, als auch auf der Konferenz und der Messe selbst. Dabei beschränkt sich die Herausforderung nicht mehr auf den Umgang mit den Quellen und eine gute Kenntnis der Software- und System-Lösungen, was ja eigentlich schon genug wäre. Nein, nun tauchen zunehmend auch noch juristische und betriebswirtschaftliche Fragen auf, zu denen die Geschäftsleitung von ihren Informationsverantwortlichen Antworten erwartet. Das Programm der Online-Konferenz zeigte, wo diese Anforderungen liegen. Da ging es um die Verwaltung von Urheberrechten in Netzen (Digital Rights Management/DRM), nicht zu verwechseln mit "Digital Assets Management (DAM), das übrigens erklärt wurde als "Organisation von durchgängigen Informationsflüssen in Bibliotheksumgebungen". Weitere Themen waren die Archivierung im Web, digitale Konservierung, Informationspolitik im eigenen Betrieb und nicht zuletzt die Darstellung des Wertes von Information. "Informationsfachleute müssen", so behaupteten mehrere Referenten, "ihrer Geschäftsführung erklären können, was eine Bibliothek oder Informationsabteilung für den Betrieb aus betriebswirtschaftlicher Sicht wert ist".

Als Reaktion auf die gestiegenen Anforderung gab es im Rahmen der Konferenz in diesem Jahr zum ersten Mal ein Aus- und Weiterbildungsangebot, zusammengefasst in der "Online Information Academy" für Information Professionals. In Seminaren wurden ganz praktisch Themen aus dem Berufsalltag bearbeitet, zum Bespiel Methoden und Techniken zur Verhandlungsführung oder zur Erstellung von Geschäftsplänen. Zunächst gab es eine kurze theoretische Einführung, dann setzten die Teilnehmer in Gruppenarbeit die Theorie in die Praxis um. Diese Praxisseminare kamen bei den Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmern sehr gut an. Sie wurden durchwegs positiv bewertet. Im Bezug auf die Qualität der weiteren im Rahmen der Konferenz abgehalten Vorträge waren die Meinungen aber häufig sehr geteilt. Während jüngere Konferenzteilnehmer oft durchaus angetan waren, winkten die älteren ab: Zu viele Firmen- und Produktinformationen ohne echten Beispielcharakter, wenig wirklich Neues und zu wenige praktische Tipps.

DGI bietet Zertifizierung des beruflichen Könnens

Dem Thema Qualifikation war auch die "Deutsche Stunde" in London gewidmet. Sie wurden von Dr. Marianne Köhne, Global Intranet Content Manager bei Boehringer-Ingelheim im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI e.V.) organisiert. Vier Fachfrauen beleuchteten die aktuelle Situation der beruflichen Aus- und Weiterbildung von Informationsfachleuten in Deutschland mit einem Schwerpunkt auf dem Nachweis der Qualifikation, die man sich im Beruf erworben hat. Hier bietet die DGI seit gut einem Jahr ein Zertifizierungsprogramm nach europaweit gültigen Richtlinien an. Im Rahmen des Programms können sich Informationsfachleute ihre im Berufsleben erworbene Qualifikation bestätigen lassen. Drei unterschiedliche Qualifikationsstufen werden zertifiziert. Das Handbuch dazu gibt es bei der DGI Geschäftsstelle in Frankfurt. Für Mitglieder ist es kostenlos. Nichtmitglieder bezahlen 10, €. Im Buch sind Qualifizierungsstufen und Anforderungen Schritt für Schritt beschrieben.

Weitere Informationen zu Ausstellern und Konferenzinhalten gibt es im Internet unter www.online-information.co.uk oder über die Redaktion von B.I.T.online unter: info@b-i-t-online.de


Zur Autorin

Vera Münch ist freie Journalistin und PR-Beraterin

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E-Mail: vera.muench@t-online.de