Virtuelle Aus- und Fortbildung: Eindrücke von der Learntec 2003

von Regine Tobias

Vom 4. bis zum 7. Februar fand die europäische Leitveranstaltung für die E-Learning Branche zum elfen Mal in Karlsruhe statt (http://www.learntec.de). Die Learntec ist damit die älteste und größte E-Learning Veranstaltung in Deutschland und genießt auch weit über die bundesdeutschen Grenzen hinweg große Anerkennung auf dem globalen Markt der virtuellen Bildungsmedien. Sie umfasst einen Kongress mit über 250 Referenten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in insgesamt 20 Vortragsreihen und Podiumsdiskussionen sowie 15 Workshops. Der Kongress ist mit einer Fachmesse kombiniert, auf der sich alle namhaften Anbieter und Vertreter aus der E-Learning Branche präsentieren. Der Besucher kann sich in mehreren Ausstellungshallen bei Verlagen, Anbietern von Autoren- und Content Management Systemen, Softwarefirmen, Herstellern kommerzieller E-Learning Plattformen etc. über Neuerungen in seinem Interessensgebiet informieren. Auch einzelne Bundesländer und Ministerien, öffentliche Bildungsträger sowie in- und ausländische Hochschulen und regionale und überregionale Hochschulverbünde sind vertreten. Darüber hinaus bietet die Fachmesse der Learntec dem interessierten Besucher ein Spektrum von Präsentationen verschiedener multimedialer Projekte.

In Analogie zu den Entwicklungen in anderen Branchen ist auch der E-Learning Sektor in eine Konsolidierungsphase getreten. Dennoch haben sich die Ausstellerzahlen im Vergleich zum Vorjahr wieder um 10 Prozent erhöht auf insgesamt rund 300 nationale und internationale Aussteller.

Im Anpassung an die sich stetig ausdifferenzierende E-Learning Landschaft hat sich auch das Kongressprogramm der Learntec 2003 erweitert. Damit greift die Learntec den Trend hin zu Querschnittsthemen im Bildungsbereich weiter auf. Aber auch die traditionell branchenbezogenen Themen werden nicht vernachlässigt und bilden weiterhin einen Kernbestandteil des Kongresses. Hier finden sich beispielsweise Veranstaltungen zum Thema E-Learning im Handwerk und in der Medizin. Neu sind Themenschwerpunkte wie Handel und - erstmals mit einer eigenen Sektion - das Bibliothekswesen.

Seit einigen Jahren sind die Veranstalter der Learntec verstärkt bemüht, die internationalen Kongressangebote weiter auszubauen. Die Kooperation mit der Europäischen Union, die vom Europäischen Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop) koordiniert wird, steht dabei im Mittelpunkt. Auch die seit dem Jahr 2001 bestehende Zusammenarbeit mit der UNESCO wurde unter dem Motto "reach the unreached" fortgesetzt. Eine völlig neue Dimension der Internationalisierung erhielt die Learntec durch das als Preconference vorgeschaltete zweitägige Internationale LEARNTEC Forum (ILF).

"Blended Learning" - Leerformel oder Ausweg aus der Krise?

Der regelmäßige Besucher der Learntec in Karlsruhe entdeckt jedes Jahr ein neues Schlagwort, das die Trends im digitalen Bildungsbereich umreißt. Was früher schlicht als Multimedia bezeichnet wurde, galt auf dem bisherigen Höhepunkt des virtuellen Bildungshypes in den Jahren 1999 und 2000 fortan als E-Learning. In den nächsten Jahren machten Begriffe wie virtuelle Lernplattformen oder Learning Content Management Systeme auf der Learntec die Runde. Das neueste Schlagwort und auf der diesjährigen Learntec in aller Munde heißt "Blended Learning". Bereits im Vorjahr hielt dieser Begriff Einzug auf der Learntec und dieses Jahr wurde er gebetsmühlenartig von den verschiedensten Bildungsanbietern quer über alle Branchen hinweg wiederholt.

"Blended Learning" - auch "hybrides Lernen" oder englisch "multi-method learning" genannt - ist die Kombination von verschiedenartigen Lernmethoden und -maßnahmen, wobei stets E-Learning Ansätze mit einbezogen werden. Kombiniert werden dabei im Rahmen dualistischer Ansätze etwa die Pole virtuell/nicht virtuell, stationär/mobil, lokal/verteilt, statisch/dynamisch, synchron/asynchron und individuell/kollaborativ.

Für den gesamten Bereich des virtuellen Lernens wird jetzt stets die Notwendigkeit der tutoriellen Begleitung der Lehr- und Lernprogramme in den Vordergrund gestellt. Die Bedeutung, die dieser Tatsache beigemessen wird, zeigt sich auch darin, dass auf der Learntec 2003 erstmals ein Trainer-Symposium angeboten wurde, das sich speziell an IT-Trainer und Ausbilder richtete und komplett ausgebucht war.

Aus lernpädagogischer Sicht jedoch ist der durch "Blended Learning" propagierte Medienmix nichts wirklich Neues. Dem Besucher drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass durch die als neuartig angepriesene Integration der einzelnen Lernmethoden in erster Linie versucht wird, einen Ausweg aus der Krise im virtuellen Aus- und Fortbildungssektor zu finden bzw. die offenkundigen Stagnationsprozesse zu überdecken.

So haben sich auf unternehmerischer Seite Bedenken breit gemacht, ob sich die durch E-Learning erforderlichen relativ hohen Grundinvestitionen auch rechnen. In vielen Fällen hat der Einsatz hier nicht unbedingt zu Kostenersparnissen geführt. Entgegen vielfacher Bezeugungen über die Notwendigkeit der permanenten Weiterqualifizierung der Mitarbeiter in einer globalisierten Arbeitswelt ist es dann doch oft der betriebliche Personal- und Fortbildungsbereich, an welchem zuerst gespart wird. Der Markt von E-Learning Anwendungen für den kommerziellen Markt hat sich somit verschärft. Heute wird E-Learning von Unternehmen vielfach für die Verbreitung von hochspezialisiertem Wissen eingesetzt. Mit bis zu 30 % Einsatz von E-Learning sind hier die US-amerikanischen Firmen am stärksten vertreten. Die eingesetzten Programme sind in vielen Fällen auf spezielle Mitarbeiter zugeschnitten und folgen streng dem Konzept des "Blended Learning": Kombinierte Ausbildungskonzepte erhöhen die Akzeptanz bei den Mitarbeitern und bestehen aus Selbstlernphasen anhand von CBTs und WBTs1 , die tutoriell betreut werden und das Präsenztraining vorbereiten. Dieses dient dem Erproben, Üben und Verinnerlichen des theoretisch erlernten Stoffes. Die Phase des Praxistransfers sichert die Umsetzung in den Berufsalltag. Dadurch wird eine hohe Nachhaltigkeit der Lernprozesse erreicht.

Stand der virtuellen Studienangebote an den Hochschulen

Mit den rapiden Veränderungen in der Arbeitswelt haben sich auch die Lebens- und Lerngewohnheiten der Studierenden geändert. In der Vergangenheit verfolgten daher viele E-Learning Projekte an den Hochschulen den Ansatz, die universitären Wissensinhalte unabhängig von Zeit und Ort anzubieten. Digitale Medien, insbesondere das Internet, schienen zunächst hierfür die idealen Plattformen zu bieten. Allerdings ist nach den Pionierjahren mit der Entwicklung vielfältiger E-Learning Prototypen die anfängliche Euphorie einer Ernüchterung gewichen.

Nachdem in den letzten Jahren annähernd alle wichtigen wissenschaftlichen Beratungs- und Bildungsgremien Empfehlungen zum Einsatz von Multimedia in der Lehre an den deutschen Hochschulen abgegeben haben, muss jetzt konstatiert werden, dass die Prognose bezüglich des Masseneinsatzes von neuen Medien bzw. der Ablösung traditioneller Methoden der Lehr- und Lernvermittlung weit überzogen waren.

Zusätzlich macht sich noch eine Katerstimmung ganz anderer Art breit: Viele der bundes- und länderweit geförderten Projekte im Bereich der virtuellen Lehre laufen in der nächsten Zeit aus, ohne dass über ihre Nachfolge bereits Klarheit herrscht. Bundesweit sind über 700 Mitarbeiter an deutschen Hochschulen betroffen.

In einigen Vorträgen der Sektion "Hochschule - Wirtschaft" auf der Learntec wird daher der Frage nachgegangen, ob die flächendeckend propagierte Entwicklung und der Einsatz von neuen Medien in der Hochschullandschaft eine millionenschwere Investitionsruine darstellt.

So sind nur wenige Projekte der Bundesinitiative des BMBF "Neue Medien in der Bildung" - mit 185 Millionen Fördersumme weltweit eines der größten Förderprogramme für neue Medien - bereits an der konkreten Vermarktung der Projektergebnisse über Verlage angelangt, wie es beispielsweise das Projekt der virtuellen Gen-Labore ViP-Gen und Gen-Lab, das exploratives Lernen in 3-D-Welten ermöglicht, erreicht hat (http://www.virtuelle-labore.de).

Begleitprogramme der BMBF-Förderinitiative wie das Projekt kevih - Konzepte und Elemente virtueller Hochschule - haben den aktuellen Stand virtueller Lehrangebote an deutschen Hochschulen bilanziert und analysiert. Sie kommen in vielen Fällen zum Schluss, dass die neuen Medien zwar die Methodik der Lehre bis zu einem gewissen Grad verändert haben, jedoch bleibt bei den meisten Projekten ein Nachholbedarf auf didaktischer Ebene bestehen. Sie heben die Notwendigkeit der verstärkten Qualifizierung der Dozenten im Bereich der Medienkompetenz heraus (http://www.iwm-kmrc.de/kevih).

Resümierend wird festgestellt, dass sich insgesamt nur wenig rein virtuelle Studiengänge etabliert haben, vielmehr verwenden die meisten Anbieter das digitale Lehr- und Lernmaterial ergänzend zur Präsenzlehre. Durch diese Integration soll - getreu dem Konzept des "Blended Learning" - die Lehre angereichert und vertieft werden.

Der Kreativität innerhalb der einzelnen Ansätze scheinen dabei keine Grenzen gesetzt zu sein. Mit am weitesten fortgeschritten sind in vielen Fällen die einzelnen E-Learning Projekte aus dem Bereich der Medizin. Das BMBF-Projekt Meducase für die virtuelle Medizinerausbildung kombiniert das digitale Angebot über das Internet mit Simulationspatienten im realen Krankenhaus. Diese Schauspieler-Patienten können von den Studierenden gebucht werden und haben das Simulieren von bis zu 70 Fällen perfekt gelernt. Die Gefahren gesundheitlicher Schäden bei der Umsetzung von virtuellem und simuliertem Lernen im Krankenhaus bleiben aus (http://www.meducase.de).

Virtuelle Lehre an den Hochschulen: wie geht es weiter?

Auffallend auf der Learntec ist, dass viele bereits bekannte Hemmfaktoren für den breiten Einsatz der virtuellen Lehre an den Hochschulen immer offener benannt werden. Beispielsweise hat sich gezeigt, dass der Produktionsaufwand und die erforderliche Medienkompetenz die Möglichkeiten der Hochschulen meist weit übersteigen. Zum anderen hat sich die Vorstellung als Trugschluss erwiesen, ausschließlich in digitaler Form dargebotener Lernstoff führe automatisch zu mehr Motivation und damit zum erhofften Lernerfolg bei den Studierenden. Zunehmend rückt auch die unterschiedliche Lernkultur der Studierenden und Lehrenden als Ursache der fehlenden Routine und Akzeptanzprobleme bei der Anwendung digitaler Lehr- und Lernmethoden in das Blickfeld der Skeptiker.

Vor diesen Hintergründen können momentan zwei große Trends in der virtuellen Hochschullandschaft verfolgt werden:

Zum einen kristallisieren sich bundesweit Verbünde von Hochschulen heraus, die sich Kosten und Aufwand bei der Erstellung digitaler Studienangebote teilen. Hier sind beispielsweise hochschulübergreifende virtuelle Studiengänge und der bilaterale Teleteaching-Austausch zu nennen2. Unterscheiden sich diese Hochschulverbünde auch in Bezug auf ihre inhaltlichen und organisatorischen Zielsetzungen und verfolgen jeweils ein anderes Nutzungs- und Marketingkonzept, so ist ihnen doch allen die überregionale Kooperation gemeinsam. Der Trend in den Hochschulen hat sich somit von der Entwicklung einzelner digitaler Studienangebote hin zu Verbundprojekten verlagert.

Vor dem Hintergrund des Auslaufens vieler öffentlich geförderter E-Learning Projekte war eines der großen Themen auf der Learntec die Frage nach der Gewährleistung der Nachhaltigkeit der virtuellen Bildungsangebote. Dazu hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass Aufgaben und Strategien in den Hochschulverbünden verstärkt abgestimmt werden müssen, um die Zukunft des virtuellen Angebots zu gewährleisten. Das kann beispielsweise durch inhaltliche Schwerpunktsetzung erreicht werden. Ein erklärtes Ziel ist es, in den Universitäten die gesamte E-Learning Infrastruktur besser aufeinander abzustimmen, um so auch eine bessere Unterstützung der Autoren zu erreichen. Vor diesem Hintergrund ist auch die vielfach geforderte engere Kooperation von Rechenzentren, Medienzentren und Bibliotheken in den Hochschulen zu sehen. Die Nachhaltigkeit der neuen Bildungsmedien kann langfristig nur gesichert werden, wenn die Lehrenden an den Hochschulen befähigt werden, diese zu handhaben und auch einzusetzen.

Einen wichtigen Aspekt der Nachhaltigkeit bei der Anwendung der neuen Medien verfolgte Prof. Dr. Burkhard Lehmann vom Zentrum für Fernstudien und Universitäre Weiterbildung (ZFUW) der Universität Kaiserslautern. Für ihn ist der Lehrkörper an den Universitäten selbst bei der strategischen Entscheidung für die künftige Verankerung der neuen Medien in die Hochschullandschaft in die Pflicht zu nehmen. Der Einsatz neuer Medien an den Hochschulen sei die ureigenste Aufgabe der Fakultäten und die politische Entscheidung dafür muss in der Hochschule selbst getroffen werden. Fakultätsentwicklungsprogramme, wie sie in den USA bereits im Großeinsatz sind, helfen dabei, die Barrieren der Übernahme der neuen Medien in den Hochschulen zu überwinden und gewähren so den breiten und nachhaltigen Einsatz. Neben zu bewältigenden Hemmnissen wie z.B. eine fehlende technische und pädagogische Kompetenz, eine zu große Arbeitsbelastung und die fehlende Unterstützung der Dozenten fallen auch strukturelle Restriktionen an den Hochschulen ins Gewicht, die es zu bewältigen gilt. Hierzu zählen die Rahmenbedingungen an den einzelnen Hochschulen, die oft fehlende Anreizsysteme für den Einsatz virtueller Lehrmethoden aufweisen oder eine mangelhafte umfassende Medienkonzeption in der Universität.

Ausblick

Durch die breite Förderung auf Bundes- und Länderebene im Bereich der virtuellen Lehre haben sich eine Vielzahl an E-Learning Prototypen herausgebildet, deren Übernahme in den Regelbetrieb der Hochschulen in vielen Fällen noch offen ist. Ihre Fortführung steht und fällt in vielen Fällen mit der strategischen Entscheidung für ihren künftigen Einsatz in den Hochschulen selbst und der Durchführung der damit erforderlichen internen Reformen.

Generell gilt für alle E-Learning Angebote, sowohl im universitären als auch im kommerziellen Bereich, dass die blinde Technikbegeisterung der Anfangsjahre einer kritischen Haltung gewichen ist. Wurde in vergangenen Jahren bei der Entwicklung multimedialer Lehr- und Lernmodule noch ausgelotet, was mit den neuen Technologien alles realisierbar war, so wird heute genau eruiert, welche Teilaspekte virtuell und welche besser traditionell abzuhandeln sind. Es herrscht breiter Konsens darüber, dass die neuen Medien pädagogisch so gut werden müssen, wie die bisherigen gewesen sind. Je nach Zielgruppe, Inhalt und Rahmenbedingungen der einzelnen Lehrfächer und Studienangebote werden sich unterschiedliche Formen der virtuellen Lehre entwickeln. Welche Typen sich herausbilden und künftig etablieren ist noch offen. Der Weg führt weiterhin in Richtung auf ein integriertes Angebot mit einer Kombination von Präsenz- und virtueller Lehre. Das auf der Learntec omnipräsente Schlagwort "Blended Learning" liefert hier nur einen vagen Begriff, der in Hinsicht der konkreten Ausgestaltung noch viele Fragen und Entwicklungen offen lässt.


1. Computer based training, Web based training

2. Bsp.:
Virtuelle Hochschule Bayern (vhb): http://www.vhb.org
Virtueller Campus Rheinland-Pfalz (VCRP): http://www.vcrp.de
Virtuelle Hochschule Baden-Württemberg: http://www.virtuelle-hochschule.de
Schweizer Virtueller Campus: http://www.virtualcampus.ch


Zur Autorin

Dipl.-Volksw. Regine Tobias

c/o Universität Karlsruhe
Kaiserstraße 12
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