Die besondere Bibliothek oder:
Die Faszination von Büchersammlungen

Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz; Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin e.V.
Hrsg. von Antonius Jammers; Dietger Pforte; Winfried Sühlo. Redaktion: Martin Hollender
Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz; Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin e.V.


- München: K.G. Saur, 2002. XVI; 344 S.
ISBN 3-598-11625-X

Diese Gedanken aus dem Vorwort der Herausgeber sind der Rahmen für den Titel Die besondere Bibliothek, der am 26. November 2002 im Lessing-Saal der Staatsbibliothek - Preußischer Kulturbesitz zu Berlin vorgestellt wurde - aus besonderem Anlass in besonderer Aufmachung ein besonderes Buch über besondere Bibliotheken von besonderen Autoren.

Der besondere Anlass für ein besonderes Buch

Die Initiatoren sind die Staatsbibliothek zu Berlin und ihr Verein "Freunde der Staatsbibliothek". Sie möchten die Berliner Staatsbibliothek "als wichtige deutsche Bibliothek in ein Umfeld besonderer öffentlicher wie privater Bibliotheken stellen, damit ihre speziellen Aufgaben und ihre Ausstrahlung sichtbar werden" (S. XI). Zugleich wollen sie hinweisen auf das vielfältige Spektrum und die historischen Schicksale europäischer Bibliotheken, auf die privaten Büchersammlungen von Liebhabern und Forschern, auf verschiedene sozialgeschichtlich interessante Erscheinungen des Büchersammelns, auf Künstler, die sich von Bibliotheken und Büchern zu besonderen Werken anregen ließen und schließlich auf die Faszination von Büchern und Büchersammlungen.

Die "Lust auf den Umgang mit Büchern, Lust auf die Nutzung unserer Bibliotheken, Lust auf Entdeckungsreisen in der Welt der Literatur hat uns dieses Buch herausgeben lassen" (S. XV). Diese Lust wird jedoch durch dramatische Einbrüche des Bibliotheksetats getrübt. "Mit großer Sorge beobachten wir die Entwicklung der Finanzsituation öffentlicher und wissenschaftlicher Bibliotheken in Deutschland" (S. XV). Den in den letzten Jahren verfügten Einsparungen, vor allem bei den Beschaffungsetats, sei dringend Einhalt zu gebieten. Damit bekräftigen die Herausgeber nachdrücklich eine Erklärung des Kuratoriums der Freundesgesellschaft zur Etatsituation der Bibliotheken vom 8. April 2001, das neue Überlegungen von Staat und Wirtschaft forderte, dieser Misere Einhalt zu gebieten (1).

Die besonderen Bibliotheken und die besonderen Autoren

Das breite Spektrum der "besonderen Bibliotheken" ermöglicht im Rahmen dieser Rezension nur kurze Bemerkungen. In den Beiträgen werden folgende Themen behandelt:

Die Beiträge wurden von ausgewiesenen Experten wie Gerhard Hahn, Hermann Leskien, Paul Raabe, Michael Knoche, Wolfgang Frühwald und Peter-Klaus Schuster verfasst. Herausragende Qualität versteht sich von selbst.

Die besondere Aufmachung

Für die Gestaltung des Einbandes und für die Seite VIII wurde eine Fotografie des von Micha Ullmann für den Bebelplatz, dem früheren Opernplatz, in Berlin geschaffenen unterirdischen Denkmals zur Erinnerung an die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 verwendet. Die vom Platz durch eine Glasplatte einsehbare bücherlose Bibliothek befindet sich genau unter der Stelle, an der die "Deutsche Studentenschaft" die von ihr als "undeutsch" bezeichneten Bücher auf einem Scheiterhaufen verbrannt hat. Das ist Mahnung und ein Bekenntnis am Beginn einer Veröffentlichung, in dessen Mittelpunkt die Faszination von Büchersammlungen steht. Dass unter dem Bebelplatz eine Tiefgarage mit 450 Stellplätzen entstehen soll, finden der Künstler und ein "Aktionsbündnis Bebelplatz" zu Recht als Entweihung (2). Das Denkmal würde nach Abschluss der Bauarbeiten vollständig von Parkraum umgeben sein. Sehr nachdenklich stimmt zu diesem Thema der Beitrag "… sie würden auch Goethe verbrennen: Über die Angst vor dem Buch und der Erinnerung" von Wolfgang Frühwald.

In direktem Zusammenhang mit dem Denkmal steht die jährlich am 10. Mai stattfindende Verleihung des Max-Herrmann-Preises durch die Freundesgesellschaft an eine Persönlichkeit, die sich um die Staatsbibliothek oder generell um das Bibliothekswesen besondere Verdienste erworben hat. Der Preis erinnert an den großen deutschen Literatur- und Theaterwissenschaftler und eifrigen Benutzer der Preußischen Staatsbibliothek Max Herrmann, der 1942 nach Theresienstadt verschleppt worden war, wo er nach wenigen Monaten verstorben ist.

Das besondere Buch über besondere Bibliotheken

Eine Bibliothek in den Kontext ihrer Besonderheiten zu stellen, ist eine für die Direktion einer Bibliothek und für eine Freundesgesellschaft große Herausforderung. Der vorliegende Band zeigt, dass dies nötig, möglich und machbar ist. Das Buch wird durch die Konzeption und die Auswahl der Beiträge zu einer Hommage an die Bibliotheken.

Ein Beitrag allerdings hatte im Vorfeld zu heftiger Kritik Anlass gegeben. Er war das Tagesgespräch bei der Verleihung des Preises "Bibliothek des Jahres 2002" am 24. November 2002 in Göttingen, bei Frühstücksrunden in den Bibliotheken und in empörten Stellungnahmen: Hans Magnus Enzensbergers abschließende Betrachtung "Der Benutzer. Ein Postskriptum", die ohne Bezug auf das vorliegende Buch fünf Wochen vor seinem Erscheinen am 19. Oktober 2002 in einer Tageszeitung mit dem Zusatz "Über das Elend der Bibliothek" an Stelle von "Ein Postskriptum" einem großen Leserkreis publik wurde (3). Eine indirekte Antwort wird nur in dem Buch selbst durch Martin Hollender in seinem Beitrag "Die besondere Bibliothek, die optimale Bibliothek Umberto Ecos - und warum sie nicht zu verwirklichen ist", gegeben (4). M.E. ist es nicht sinnvoll, dieses Buch mit einer solch z.T. vernichtenden, größtenteils unberechtigten Kritik an den Bibliotheken und Bibliothekaren in Deutschland enden zu lassen.

Trotz dieses kleinen Fauxpas ist das Buch uneingeschränkt zu empfehlen. Es ist für einen breiten Kreis von Interessenten bestimmt - für Bibliothekare, Buchwissenschaftler, Bibliophile, Historiker, Literaturwissenschaftler, Kunsthistoriker und Studenten der Bibliotheks- und Informationswissenschaft, aber auch für die Sponsoren der Bibliotheken. Fraglich bleibt, ob diese ausgezeichnete Werbung für den Sinn und Zweck der Bibliotheken zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch den potentiellen Sponsoren bekannt wird.


(1) Aus einer Erklärung des Kuratoriums der "Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin" zur Etatsituation der Bibliotheken. Berlin, 2001. 1 Bl. Unterzeichner sind u.a. Ernst Eilitz, Bernd E. Lunkewitz, Wolfrudolf Laux und Jürgen Kocka.

(2) Die Diskussion dazu wurde vorwiegend in Zeitungen geführt. Beispiele mit Hintergrundinformationen sind im Tagesspiegel vom 7.4.2001, 10.5.2001und 31.8.2001 zu finden.

(3) Enzensberger, Hans Magnus: Der Benutzer. Über das Elend der Bibliothek. In: FAZ vom 19.10.2002, S. 31.

(4) Dazu hat sich aus der Berliner Staatsbibliothek Karl Schubarth-Engelschall schon 1989, allerdings viel kürzer, geäußert. In: Von der Wirkung des Buches: Festgabe für Horst Kunze zum 80. Geburtstag. Berlin, 1990. S. 243-250. Sein Fazit: "Im Happy End plädiert er für den 'fröhlichen Aufenthalt' in einer 'lustvollen' Bibliothek. Dahin wollen wir ihm gern folgen, aber die Realität in der Mitte" (S. 250). Da diese Äußerungen aus dem eigenen Hause kommen, hätte Martin Hollender sie auf jeden Fall erwähnen müssen.


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin